1 A. Einleitung

Versicherungskonzerne, das heißt Versicherungsgruppen, die gleichzeitig dem Konzernrecht unterfallen, sind für die Versicherungsbranche sehr bedeutsam. Das belegen nicht nur Krisenszenarios vergangener Zeiten, sondern auch die rechtliche und tatsächliche Präsenz dieser aufsichts- und verbandsrechtlichen Erscheinungsform. Aus europäischer sowie deutscher Sicht unterliegen Versicherungsgruppen einer besonderen Aufsicht, der Versicherungsgruppenaufsicht. Sinn und Zweck dieser speziellen Aufsicht ist es unter anderem, Schieflagen von Versicherungsgruppen zu vermeiden.

Die aufsichtsrechtlichen Vergütungsregelungen bieten ein anschauliches Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber auf die jüngeren Krisen an den Finanzmärkten reagiert hat und derartige Krisen für die Zukunft verhindern will (B). Mit Blick darauf soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen dies für den Vorstand des aufsichtspflichtigen Mutterunternehmens einer Versicherungsgruppe hat (C). Darauf folgt eine Schlussbetrachtung, in der neben einem Resümee und den Ergebnissen in Thesen ein Ausblick unterbreitet wird (D).

2 B. Das aufsichtsrechtliche Vergütungssystem

Beim aufsichtsrechtlichen Vergütungssystem handelt es sich um kriseninduzierte NeuregelungenFootnote 1: Aufsichtsrechtliche Vergütungsstrukturen sollen positive Handlungsanreize setzen und auf Dauer eine umsichtige und nachhaltige Unternehmenskultur fördern. Darüber hinaus soll die vergütungsbezogene Verhaltenssteuerung des Einzelnen die Stabilität des gesamten Finanzsystems sicherstellen.Footnote 2 Mit Blick auf das Versicherungsaufsichtsrecht wird bemängelt, dass die Versicherungsbranche trotz fehlender und vergleichbar beanstandungswürdiger Bonus-Zahlungen mit dem Banksektor in Sippenhaft genommen wurde.Footnote 3

Daher erscheint es geboten, zunächst die Vergütungsregelungen zum Versicherungs- und Bankaufsichtsrecht auf Solo-Ebene zu skizzieren (I.), bevor sich anschließend der Gruppenebene gewidmet wird (II.).

2.1 I. Solo-Ebene

2.1.1 1. Versicherungsaufsichtsrecht

Die Rechtslage zur Vergütung im Versicherungsaufsichtsrecht ist unübersichtlich.

Zentraler Anknüpfungspunkt für die versicherungsaufsichtsrechtliche Vergütungsfrage ist zunächst die Solvency II-VOFootnote 4. Obgleich sich in der Solvency II-RLFootnote 5 keine Vorschrift vorfindet, die die Vergütungsfrage festschreibt, stellen Artt. 275 in Verbindung mit 258 Abs. 1 lit. l Solvency II-VOFootnote 6 dezidierte Anforderungen auf, wie die Vergütungspolitik von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen zu gestalten ist. Das ist angesichts Art. 290 AEUV nicht unproblematisch (s. sub B./II./2. u. 3.).

Inhaltlich sollen nach Art. 275 Abs. 1 lit. a Solvency II-VO Vergütungsleitlinien festgelegt, umgesetzt und aufrechterhalten werden, die im Einklang mit der Geschäfts- und Risikomanagementstrategie des Unternehmens, seinem Risikoprofil, seinen Zielen, seinen Risikomanagementpraktiken sowie den langfristigen Interessen und der langfristigen Leistung des Unternehmens als Ganzes stehen. Der Vorstand sei für die gesamte Vergütungspolitik verantwortlich.Footnote 7

Daneben hält § 25 VAG Anforderungen für die Vergütung auf Solo-Ebene bereit. Dessen Anwendungsbereich ist gleichwohl aufgrund der europarechtlich vorrangig anzuwendenden Solvency II-VO eingeschränkt (s. dazu noch sub B./4.).Footnote 8 Nach § 25 Abs. 1 VAG müssen die Vergütungssysteme für Geschäftsleiter, Mitarbeiter und AufsichtsratsmitgliederFootnote 9 von Versicherungsunternehmen angemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet sein.Footnote 10

Zuletzt ist die VersVergV in Verbindung mit § 34 Abs. 2 VAG miteinzubeziehen. Im Sinne des § 1 Abs. 2 gelten die §§ 3, 4 und 6 VersVergV nicht im Anwendungsbereich des Art. 275 Solvency II-VO (zur Wirksamkeit des delegierten Rechtsakts s. sub B/II./2./b).). Insgesamt schränkt dies den Anwendungsbereich signifikant ein.Footnote 11

2.1.2 2. Bankaufsichtsrecht

Im Bankaufsichtsrecht ist die Rechtslage homogener, wenngleich die europäischen Vorgaben deutlich umfangreicher und facettenreicher sindFootnote 12. Aus Übersichtlichkeitsgesichtspunkten unterbleiben Darstellungen zu den technischen Regulierungsstandards wie zur Identifikation von RisikoträgernFootnote 13. Auch wird im Übrigen nicht genauer auf die ausführlichen Stellungnahmen der EBAFootnote 14 in ihren Leitlinien zur VergütungspolitikFootnote 15 eingegangen.

Im Unterschied zur Solvency II-RL wird das Vergütungssystem bereits in der CRD IV-RLFootnote 16 festgeschrieben, die kürzlich durch die CRD V-RLFootnote 17 auch hinsichtlich der Vergütung geändert wurde. In Art. 74 Abs. 1 UAbs. 1 CRD IV-RLFootnote 18 wird die Vergütungspolitik und -praxis grundlegend als Teil der internen Unternehmensführung festgeschrieben. Sie muss mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar sowie diesem förderlich sein.

Daneben wird auch in der CRR-VOFootnote 19, die durch die CRR II-VOFootnote 20 geändert wurde, die Vergütung geregelt. Insbesondere sind nach EG 97 CRR-VO für eine solide Vergütungspolitik Strukturen einer verantwortlichen Unternehmensführung, Transparenz und Offenlegung wesentlich. Dies wird in Art. 450 durch Veröffentlichungspflichten aufgegriffen.

Auf nationaler Ebene finden sich in § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 6, Abs. 5, 5a, 6 KWG Vergütungsvorschriften, die auch die Anforderungen der Richtlinie umsetzen.Footnote 21 Nach Abs. 1 S. 3 Nr. 6 dieser Vorschrift muss das Vergütungssystem auf eine angemessene, transparente und nachhaltige Entwicklung des Instituts für Geschäftsleiter und Mitarbeiter ausgerichtet sein.

Die InstitutsVergV umfasst sodann die Überwachung und Fortentwicklung der Vergütungssysteme und setzt die CRD III-RLFootnote 22 um,Footnote 23 die ihrerseits durch die CRD IV-RL aufgehoben wurde. Mithin setzt sie EBA-Vergütungsleitlinien um.Footnote 24 Besonders zu erwähnen ist, dass die Geschäftsleitung gem. § 3 Abs. 1 für die angemessene Ausgestaltung der Vergütungssysteme der Mitarbeiter, die keine Geschäftsleiter oder Geschäftsleiterinnen sind, verantwortlich sind.Footnote 25

2.2 II. Gruppenebene

Sodann ist zu fragen, wie das aufsichtsrechtliche Vergütungssystem auf Gruppenebene geregelt ist. Nach einer kurzen Bestandsaufnahme (1.) konzentrieren sich die Ausführungen darauf, ob die maßgebliche europäische Rechtsgrundlage im Versicherungsaufsichtsrecht wirksam ist (2.). Weiterhin wird die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Versicherungsgruppenebene untersucht (3.). Zuletzt sind die Folgen für § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV herauszustellen (4.).

2.2.1 1. Bestandsaufnahme

a) Versicherungsaufsichtsrecht

Das Europarecht erweist sich mit Blick auf die Vergütung in der VersicherungsgruppeFootnote 26 als unergiebig. So äußern sich weder die Solvency II-VO noch die Solvency II-RL zur Vergütungsfrage. Einzig in Art. 275 Abs. 2 lit. b Solvency II-VO wird die Gruppe beiläufig erwähnt. In der Literatur wird dahingehend vertreten, dass Art. 275 Solvency II-VO Bestandteil der allgemeinen Governance-Anforderungen sei und daher inhaltlich unter Art. 41 Solvency II-RL subsumiert werden könne. Dementsprechend gelte die Verordnungsvorschrift über Art. 246 Abs. 1 UAbs. 1 Solvency II-RL auf Gruppenebene entsprechend.Footnote 27

Den EIOPA-Leitlinien zufolge solle eine Vergütungspolitik für die gesamte Gruppe anzunehmen und umzusetzen sein.Footnote 28 Auch ist vom übergeordneten Unternehmen sicherzustellen, dass die Vergütungsleitlinien der Gruppe insgesamt kohärent sind und den rechtlichen Anforderungen gruppenangehöriger Unternehmen entsprechen.Footnote 29 Auch wenn dem keine verbindliche Wirkung zukommt,Footnote 30 sollte der faktische Befolgungszwang nicht unterschätzt werden. In diesem Zusammenhang ist auch die Opinion on the 2020 review of Solvency II erwähnenswert, in dem EIOPA innerhalb ihrer Empfehlungen für eine Änderung beziehungsweise Anpassung der Gruppengovernance-Anforderungen in der Solvency II-RL auch Vergütungsfragen aufgreift, die mutatis mutandis auch auf Gruppenebene gelten würden. Dies wurde von der Europäischen Kommission in ihrem Vorschlag für eine Änderung der Solvency II-RL ohne weitere Ausführungen übernommen.Footnote 31

Auf nationaler Ebene ist die Gruppenvergütung zunächst in § 25 Abs. 3 VAG geregelt. So hat das übergeordnete Unternehmen einer Gruppe sicherzustellen, dass die Vergütungssysteme für Geschäftsleiter, Mitarbeiter und Aufsichtsratsmitglieder innerhalb der gesamten Gruppe angemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet sind.Footnote 32

Daran knüpft § 5 VersVergV an. Mit Blick auf dessen Anwendbarkeit werden unterschiedliche Standpunkte vertreten (s. dazu noch sub B./II./4.). Hier soll zunächst mit § 1 Abs. 2 VersVergV angenommen werden, dass § 5 VersVergV neben Art. 275 Solvency II-VO anwendbar ist. Infolge dessen können verschiedene Anforderungen verschiedener Rechtsquellen in der Gruppe aufeinandertreffen.Footnote 33 Das steht einer einheitlichen gruppenweiten Vergütungsstruktur entgegen.Footnote 34

b) Bankaufsichtsrecht

Die Gruppenvergütungspolitik wurde im Bereich der Bankenaufsicht auf europäischer Ebene bis zum 26. Juni 2019 in Art. 92 Abs. 1 CRD IV-RL ausdrücklich geregelt. Nach dieser Bestimmung waren Vergütungsvorgaben auf Institutsgruppenebene anzuwenden. Abs. 1 wurde durch die CRD V-RL ersatzlos gestrichen. Dies ist jedoch nicht als Abkehr von einem gruppenweit zu denkenden Vergütungssystem im Bankensektor zu verstehen. Man wird sich für die Gruppenebene inhaltlich auch an den Vergütungsanforderungen zur Solo-Ebene entsprechend zu orientieren haben.

§ 25a Abs. 3 S. 1 KWG erstreckt die Vergütungsregelung des § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 6 KWG auch auf die Gruppenebene. Danach gelten neben weiteren Governance-Anforderungen die Vergütungsanforderungen unter anderem auch für Institutsgruppen und Finanzholding-Gruppen entsprechend.Footnote 35

Ausdrücklich mit Blick auf die Gruppenebene ist § 27 Abs. 1 InstitutsVergV.Footnote 36 Danach hat das übergeordnete Unternehmen einer Gruppe eine gruppenweite Vergütungsstrategie festzulegen.Footnote 37 Das übergeordnete Unternehmen hat gem. Abs. 3 die Einhaltung der gruppenweiten Vergütungsstrategie in den nachgeordneten Unternehmen sicherzustellen.Footnote 38

2.2.2 2. Wirksamkeit von Art. 275 Solvency II-VO

Im Weiteren fragt sich, woran die Vergütungsstruktur in der Versicherungsgruppe normativ festzumachen ist. Da die Vergütungsfrage sekundärrechtlich expressis verbis nicht geregelt ist,Footnote 39 wirft das ein Schlaglicht auf die generelle Wirksamkeit des Art. 275 Solvency II-VO.

a) Meinungsstand

Art. 275 Solvency II-VO ist Teil einer delegierten Rechtsverordnung und unterliegt daher den Voraussetzungen und Grenzen des Art. 290 AEUV. Da es in der Solvency II-RL an der Festlegung des Inhalts von Vergütungsregelungen fehlt, könne aus formeller Sicht ein Verstoß gegen Art. 290 Abs. 1 AEUV vorliegen.Footnote 40 Für eine wirksame Regelung sei jedenfalls zu fordern, dass für diesen Bereich zumindest ein entsprechender Regelungswille ersichtlich sei.Footnote 41 In diesem Sinne sei auch die dadurch tangierte grundrechtliche DimensionFootnote 42 gem. Art. 12 GG und Artt. 15 f. GRCh nicht unzweifelhaft.Footnote 43 Schließlich wird die Wirksamkeit des Art. 275 Solvency II-VO angesichts der Voraussetzungen und Grenzen des Tatbestandsmerkmals der Ergänzung bezweifelt.Footnote 44 So sei die Vergütungsfrage als wesentlicher Aspekt einzuordnen und dürfe daher nicht in der Solvency II-VO geregelt werden.Footnote 45 Angesichts dessen sei es widersprüchlich, dass sich die Europäische Kommission hinsichtlich vergütungsrechtlicher Regelungen mal für ermächtigt und mal für nicht ermächtigt halte.Footnote 46

Die Europäische Kommission erachtet Art. 275 Solvency II-VO dagegen für wirksam und sieht sich auf der Grundlage des Art. 50 Abs. 1 Solvency II-RL ermächtigt, Vorgaben für die Vergütungspolitik zu machen.Footnote 47 Andere stellen auf den Wesentlichkeitsaspekt ab und meinen, dass es sich bei der Vergütungsfrage gerade nicht um wesentliche, da nicht prägende Bestandteile der in Art. 41 Solvency II-RL geregelten Governance-Anforderungen oder des Risikomanagementsystems gem. Art. 44 Solvency II-RL handele.Footnote 48 So seien Vergütungsregelungen zwar durchaus brisant, jedoch sei der Umstand, dass sie im politischen Prozess nicht in die Richtlinie aufgenommen worden seien, als von der weiten Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers umfasst anzusehen.Footnote 49 Artt. 275 Solvency II-VO in Verbindung mit 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL bewege sich folglich innerhalb des zulässigen Rahmens von Art. 290 Abs. 1 AEUV.Footnote 50

b) Stellungnahme

Die Wirksamkeit der Vergütungsanforderungen in der Solvency II-VO richtet sich nach deren europarechtlicher Grundlage, also nach Art. 290 AEUV und dabei insbesondere nach dessen Abs. 1. Nach dem Wortlaut des Abs. 1 UAbs. 2 kann in den Gesetzgebungsakten der Union der Europäischen Kommission die Befugnis übertragen werden, ihrerseits Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter, nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen. Im Sinne des Abs. 1 UAbs. 2 werden in den betreffenden Gesetzgebungsakten die Ziele, der Inhalt, der Geltungsbereich und die Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Gem. Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 dürfen wesentliche Aspekte nicht übertragen werden.

Angesichts dessen ist im Folgenden zu untersuchen, ob sich Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL als wirksame Delegationsgrundlage im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1, 2 S. 2 AEUV erweist (i.). Sodann ist zu hinterfragen, ob Art. 275 Solvency II-VO den gesetzten Delegationsrahmen einhält und Artt. 41, 44 Solvency II-RL zulässigerweise ergänzt (ii.). Abschließend sind die Rechtsfolgen zu beleuchten (iii.).

i. Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL als wirksame Delegationsgrundlage i. S. d. Art. 290 Abs. 1 AEUV

Legt man diesen Maßstab dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand zugrunde, ist zunächst Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL auf seine Europarechtskonformität hin zu untersuchen, der im Wege der Omnibus II-RL eine Anpassung erfahren hatFootnote 51. Dieser Artikel stellt die Delegationsgrundlage für Art. 275 Solvency II-VO dar.Footnote 52 Folglich darf es sich gem. Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV bei den durch Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL delegierten Bereichen nicht um wesentliche Vorschriften der Solvency II-RL handeln.Footnote 53 Bezüglich der Vergütungsregelungen des Art. 275 Solvency II-VO ist somit zu untersuchen, ob die Artt. 41, 44 Solvency II-RL wesentlich sind ((1).). Anschließend wird der Delegationsumfang des Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV überprüft ((2).).

(1). Wesentlichkeit von Artt. 41, 44 Solvency II-RL i. S. d. Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV

Bei der Wesentlichkeit handelt es sich nicht um ein trennscharfes Tatbestandsmerkmal. Überwiegend wird vertreten, dass dies nicht – wie nach deutscher Terminologie – grundrechtbezogen, sondern politisch orientiert ist,Footnote 54 weshalb dem Gesetzgeber in dieser Hinsicht eine Einschätzungsprärogative einzuräumen ist.Footnote 55

In diesem Sinne war nach der Rechtsprechung des EuGH von Wesentlichkeit bislang allein dann auszugehen, wenn es bei der zu prüfenden Bestimmung inhaltlich um grundlegende Themen geht, welche die politischen Grundentscheidungen und die Ausrichtung der Unionspolitik betreffen.Footnote 56 Ferner seien „die tragenden Elemente eines Rechtsaktes, durch die bestimmte Pflichten, Verhaltensweisen Einschränkungen festgelegt und durch die in Rechtspositionen von Personen eingegriffen werdenFootnote 57 wesentlich. Der EuGH hat die Durchführung durchaus weit auslegt,Footnote 58 weshalb demzufolge auch weitrechende Befugnisübertragungen wirksam sein können.Footnote 59 Um dies besser bestimmen zu können, unterscheiden Teile der Literatur zwischen zwei Ebenen: Es solle zwischen „der Ebene der politisch-grundsätzlichen Festlegung und der Ebene einer eher unpolitisch-ausfüllenden Konkretisierung […]“Footnote 60 differenziert werden. In diesem Sinne sei zu fragen, ob die zu ergänzende oder zu ändernde Sachfrage besser im Gesetzgebungsverfahren des Basisrechtsakts oder im schnelleren Verfahren einer Durchführungsverordnung entschieden werden könne.Footnote 61

Dahingehend ist jedoch zu berücksichtigen, dass nach der neueren Rechtsprechung die Wesentlichkeit nach objektiv nachmessbaren Kriterien zu bestimmen ist, wobei die Merkmale und Besonderheiten des jeweiligen Sachgebiets zu berücksichtigen sind.Footnote 62 Auch wird in der Literatur berechtigterweise eingewendet, dass die Grundrechte ebenfalls zu berücksichtigen sind.Footnote 63 Bislang ist soweit umstritten, welchen Einfluss grundrechtsrelevante Regelungen auf die Zulässigkeit der Delegation haben.Footnote 64 So wird vertreten, dass grundrechtliche Eingriffe mit Blick auf Art. 52 GRCh nur unter engen Voraussetzungen und bei ausdrücklicher und bestimmter Nennung delegierbar sind.Footnote 65 Nach anderen müsse ein grundrechtsrelevanter Eingriff im sekundären Rechtsakt jedenfalls in den Grundzügen enthalten sein.Footnote 66

Zusammengenommen ergibt sich, dass vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung und der Einwände aus der Literatur, neben der politischen, auch die grundrechtliche Dimension zu berücksichtigen ist.Footnote 67 Insgesamt ist dem europäischen Gesetzgeber daher, wenn auch modifiziert, eine Einschätzungsprärogative einzuräumen, wenn objektiv nachmessbare Kriterien herangezogen und der Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Wie diese in der Folge gewichtet wurden und zu welcher Entscheidung der Gesetzgeber gelangt ist, unterliegt insofern der Einschätzungsprärogative. Daher erscheint es auch mit Blick auf den im sekundären Rechtsakt angelegten Grundrechtsmaßstab dem Grunde nach ausreichend, wenn der grundrechtsrelevante Eingriff in Grundzügen enthalten ist.

Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob es sich bei den allgemeinen Governance-Anforderungen nach Art. 41 Solvency II-RL und dem Risikomanagement aus Art. 44 Solvency II-RL um im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV wesentliche Regelungen handelt.

Dagegen spricht zunächst der Richtlinientext selbst. So sind ausweislich des Art. 50 Abs. 1 Solvency II-RL die Inhalte der Artt. 41 näher in einem delegierten Rechtsakt zu bestimmen. Das unterstreicht auch EG 132 Solvency II-RL, wonach die Kommission die Befugnis erhalten solle, Maßnahmen zu erlassen, mit denen detaillierte Anforderungen für das Governance-System festgelegt werden. Der Richtliniengeber hat offenbar die in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL genannten Artt. 41, 44 Solvency II-RL für unwesentlich erachtet. Anderenfalls wären die oben genannten Stellungnahmen im Richtlinientext und den Erwägungsgründen nicht zu erklären. Dies ist angesichts der dem europäischen Gesetzgeber einzuräumenden Einschätzungsprärogative beachtenswert. Mithin wird man diese Wertung aufgrund des nach wie vor funktionalen Verständnisses der Wesentlichkeit und der politischen Perspektive zu respektieren haben. In diesem Sinne erscheint es auch zweifelhaft, dass Artt. 41, 44 Solvency II-RL politische Grundentscheidungen und die Ausrichtung der Unionspolitik betreffen. Auch dürfte sich die Solvency II-VO insgesamt eher als unpolitische und ausfüllende Konkretisierung der Vorgaben der Solvency II-RL erweisen. Regelungstechnisch ist darüber hinaus zu beachten, dass die Solvency II-RL im Wege des LamfalussyverfahrensFootnote 68 umgesetzt wurde und für dieses Verfahren die Delegation technischen Rechts mittels Durchführungsverordnung typisch ist.Footnote 69 Weiterhin sind die Besonderheiten der Sachmaterie zu berücksichtigen. Für die Finanzmarktregulierung ist in diesem Sinne durchaus das Bedürfnis zu erkennen, Einzelfragen, wie die Vergütung, flexibel und schnell regeln zu können.Footnote 70 Daher dürfte das Feld delegierbarer Regelungen eher weit abzustecken sein. Das wird dadurch verstärkt, dass die Rechtsprechung des EuGH weitreichende Befugnisübertragungen für wirksam erachtet. Dem ist vorliegend jedenfalls eine gewisse Indizwirkung einzuräumen. Schließlich spricht auch eine grundrechtliche Dimension dafür, dass die Delegation wirksam ist. Zwar wird man bezüglich interner Organisationsanforderungen und deren Details sowie des Risikomanagements nicht von der Hand weisen können, dass beides die Berufsfreiheit der betroffenen Rechtsträger aus Art. 12 GG, Art. 15 GRCh beziehungsweise die unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRChFootnote 71 tangiert.Footnote 72 So stellt sich „die Gestaltung der inneren Organisation [als] eine der zentralen Aufgaben des VorstandsFootnote 73 dar. Allerdings sind beide Aspekte und die damit verbundenen grundrechtlichen Berührungspunkte jedenfalls in Grundzügen in den Artt. 41, 44 Solvency II-RL enthalten.

Folgt man dieser Auslegung, stellen sich Artt. 41, 44 Solvency II-RL als im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV unwesentliche Vorschriften dar. Dagegen ist konzeptionell zunächst nichts einzuwenden. Auch aus pragmatischen Gesichtspunkten überzeugt die obenstehende Auslegung, da die Governance-Anforderungen konkretisierende Vorschriften in der Solvency II-VO regulatorisch flexibler sind. Gleichwohl ergeben sich bei Lichte besehen einige Zweifel, die in der wissenschaftlichen Diskussion bis auf vereinzelte Ausnahmen unberücksichtigt geblieben und daher heraus- sowie zur Diskussion zu stellen sind:

Zum ersten deuten die bereits angesprochenen Besonderheiten des Sachgebiets, also der vollharmonisierenden Aufsicht über die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit, in eine andere als die oben angedeutete Richtung: Diese betreffen nämlich zunächst die besondere Struktur der Solvency II-RL. Sie ist an Basel-II sowie -III angelehnt und dreigliedrig aufgebaut.Footnote 74 Daraus ergeben sich quantitative (Säule 1) und qualitative Anforderungen (Säule 2) sowie Berichts- und Publizitätspflichten (Säule 3). Für die vorliegende Untersuchung ist insbesondere die Säule 2 bedeutsam, die Vorgaben zur Governance der unter die Solvency II-RL fallenden Unternehmen beinhaltet. Zwar ist die Säule 2 als solche keine Vorschrift der Solvency II-RL im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV und kann daher nicht „wesentlich“ sein; allerdings verkörpert Art. 41 derselben Richtlinie die allgemeinen Governance-Anforderungen und stellt die Anfangsvorschrift der Governance-Anforderungen dar. Folglich ist diese Vorschrift der Dreh- und Angelpunkt der Säule 2 Anforderungen, was systematisch durch die Inbezugnahme der Artt. 42–49 Solvency II-RL in Art. 41 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 Solvency II-RL deutlich wird. Daher kommt Art. 41 Solvency II-RL eine zentrale und konstitutionelle Bedeutung in der Architektur der Solvency II-RL zu. Ungeachtet dessen rechtfertigen die Besonderheiten des Sachgebiets jedenfalls bei der Vergütung keine andersartige Beurteilung, da es sich dabei nicht um eine schnelllebige Materie handelt, die entsprechend flexibel reguliert werden müsste.Footnote 75

Zum zweiten deutet die systematische Auslegung darauf hin, dass Art. 41 Solvency II-RL wesentlich ist. So ist das Kapitel IV der Solvency II-RL, in dem Art. 41 eine grundlegende Funktion besitzt, mit „Bedingungen für die Geschäftstätigkeit“ betitelt. Ihre Existenz ist also mit anderen Worten die Grundlage dafür, dass ein Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen unter der Solvency II-RL tätig sein können soll. Daneben wird in EG 29 Solvency II-RL explizit hervorgehoben, dass ein wirksames Governance-System unerlässlich für die Abdeckung gewisser Risiken ist. Somit dient es dem Schutz der Versicherungsnehmer und Begünstigten von Versicherungsleistungen, also dem Hauptziel der Solvency II-RL, siehe Art. 27 Solvency II-RL.

Beide Punkte lassen sich im Übrigen mutatis mutandis auf das Risikomanagement gem. Art. 44 Solvency II-RL übertragen. So ist bereits die Risikomanagementfunktion entsprechend EG 30 Solvency II-RL vom Governance-System umfasst. Sie ist als Schlüssel- und damit als wichtige und kritische Funktion anzusehen, siehe EG 33 Solvency II-RL. Das wird durch den Verweis von Artt. 42–49 Solvency II-RL in Art. 41 Abs. 1 UAbs. 2 S. 1 Solvency II-RL bekräftigt.

Zum dritten ist zu berücksichtigen, dass dem Governance-System mitsamt des Risikomanagements insgesamt angesichts der Lehren der globalen Finanzkrise von 2007–2009 eine wichtige, wenn nicht gar wesentliche Bedeutung zukommt.Footnote 76 EG 29 Solvency II-RL hebt neben dem Risikoaspekt entscheidend hervor, dass ein wirksames Governance-System sowohl für das angemessene Management eines Versicherungsunternehmens, als auch für das Regulierungssystem unerlässlich ist. Eine gute Governance und ein gutes Risikomanagement dienen mithin der Stabilität der gesamten Branche und weisen eine teleologisch wichtige institutionsschutztheoretische Dimension aufFootnote 77.

Dieser Dreiklang lässt sich sodann dafür in Stellung bringen, dass es sich bei den Artt. 41, 44 Solvency II-RL um grundlegende Themen handelt, die eine politische Grundentscheidung, nämlich den Aufbau und die Struktur der Versicherungsaufsicht zum Schutz der Versicherungsnehmer, betreffen. Die allgemeinen Governanceanforderungen mitsamt des Risikomanagements stellen tragende Elemente der Solvency II-Architektur und damit auch der Richtlinie insgesamt dar. Mithin werden durch Artt. 41, 44 Solvency II-RL bestimmte Pflichten, Verhaltensweisen und Einschränkungen festgelegt. Will man mit Teilen der Literatur zwei Ebenen bilden, um die Wesentlichkeit zu bestimmen,Footnote 78 lassen sich die gefundenen Erkenntnisse dafür operabel machen, dass die allgemeinen Governance-Anforderungen und das Risikomanagement einen politisch-grundsätzlichen und nicht bloß unpolitisch-ausfüllenden Charakter aufweisen. Das spricht dafür, diese Fragen besser im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren als mittels eines delegierten Rechtsakts zu regeln. In dieselbe Richtung deutet ein vorsichtiger bankaufsichtsrechtlicher Seitenblick,Footnote 79 wo etwa die Vergütungsfrage im Richtlinientext selbst geregelt wurde (s. sub B./I./2. und II./1./b).).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zuzusprechen ist, der einen nicht überprüfbaren Raum lässt. So hat der EuGH selbst festgelegt, dass sich die Frage danach, ob eine Vorschrift wesentlich im Sinne des Art. 290 AEUV ist, nach objektiv nachmessbaren Kriterien richten muss.Footnote 80 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung und auf dem Boden der vorstehenden Argumentation erscheint der Raum für eine gegenläufige Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers gering.

Summa summarum spricht einiges dafür, dass es sich bei den Artt. 41, 44 Solvency II-RL um wesentliche Vorschriften der Solvency II-RL handelt.

(2). Zulässiger Delegationsumfang in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL gemessen an Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV

Ist man vorstehend anderer Ansicht und erachtet die allgemeinen Governance-Anforderungen sowie das Risikomanagement nicht als wesentlich im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV, richtet sich der Blick auf den Delegationsumfang des Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL. Dieser ist an Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV zu messen. Übertragen auf die vorliegende Untersuchung müsste die Vergütungsfrage nach Art. 275 Solvency II-RL in der Delegationsermächtigung des Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL hinsichtlich der Ziele, des Inhalts, des Geltungsbereichs und der Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgeschrieben sein.Footnote 81

Da in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL präzise die zu delegierenden sachlichen Felder bestimmt wurden,Footnote 82 bestehen keine Bedenken hinsichtlich des Geltungsbereichs. Selbiges ergibt sich mit Blick auf die Delegationsdauer, da die Delegation in der Regel für unbestimmte Zeit übertragen werden kannFootnote 83.

Es ist aber fraglich, ob das Ziel- und Inhaltskriterium erfüllt sind. Somit kommt es darauf an, ob die Vergütung als Ziel (α) oder dem Inhalt nach (β) ausdrücklich in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL benannt ist.

α Ziele ausdrücklich festgeschrieben

Das Ziel wird man als hinreichend im Delegationsakt festgelegt erachten können, wenn klare Vorgaben enthalten sind, was mit dem delegierten Rechtsakt letztlich erreicht werden soll.Footnote 84 Daher sind Pauschalermächtigungen unzulässig.Footnote 85

Untersucht man unter diesen Gesichtspunkten, ob die Vergütungsregelung als Zielbestimmung in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL ausdrücklich genannt wurde, ist dies prima vista zu verneinen. Art. 275 Solvency II-RL ginge so über den gesetzten Delegationsrahmen hinaus.

Anders ist dies jedoch zu beurteilen, wenn man die Vergütungsfrage als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen und/oder des Risikomanagements erachtet. Unter diesen Umständen wäre die Vergütung als im Sinne der Artt. 41, 44 Solvency II-RL in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL benannt zu betrachten,Footnote 86 was einer klaren Zielbestimmung gem. Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genügen würde.

Es kommt also entscheidend darauf an, ob die Vergütung unter Artt. 41, 44 Solvency II-RL subsumiert werden kann.

Dagegen sprechen auf den ersten Blick die Vergütungsregelungen des Bankaufsichtsrechts. Wie gezeigt, wird die Vergütungsfrage für den Bankensektor sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene explizit festgeschrieben (s. sub B./I./2.). Insbesondere wird in Art. 74 Abs. 1 UAbs. 1 CRD IV-RL eine Vergütungspolitik und -praxis als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze und somit der allgemeinen Governance verbindlich festgeschrieben. Mithin muss die Vergütungspolitik gem. Art. 74 Abs. 1 UAbs. 1 CRD IV-RL mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar und diesem förderlich sein. Räumt man dem Banksektor in dieser Materie eine Patenstellung ein,Footnote 87 legt das den Schluss nahe, dass die Vergütung im Versicherungsaufsichtsrecht in Artt. 41 oder 44 Solvency II-RL hätte geregelt werden müssen.

Demgegenüber ist jedoch zum einen zu bezweifeln, ob auf das Bankaufsichtsrecht in dieser Art und Weise ohne weiteres zurückgegriffen werden kann, da es sich vom Versicherungsaufsichtsrecht in vielerlei Hinsicht und das mitunter erheblich unterscheidet.Footnote 88 Das betrifft insbesondere die Vergütungsanforderungen.Footnote 89 Aber auch insgesamt sind die versicherungsaufsichtsrechtlichen Risikomanagementvorgaben detaillierter als die bankaufsichtsrechtlichen Anforderungen.Footnote 90 Dadurch werden der Aufsichtskonvergenz letztlich Grenzen gesetzt.Footnote 91

Doch auch darüber hinaus erscheint ein positivistischer Ansatz zum anderen nicht zwingend erforderlich. So belegt bereits § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 6 KWG, dass die Vergütungssysteme insbesondere Teil des Risikomanagements, also jedenfalls als davon inbegriffen anzusehen sind. Das bestätigt sich auch mit Blick auf EG 62 CRD IV-RL, wonach die Vergütungspolitik dem Risikomanagement von Kreditinstituten abträglich sein kann. In dieselbe Richtung deuten die Begründungen der InstitutsVergV und der VersVergV.Footnote 92 Wenn die Vergütungsfrage jedoch bereits konzeptionell Teil des Risikomanagements ist, das seinerseits eng mit den allgemeinen Governance-Anforderungen verwoben ist, spricht einiges dafür, dass es keiner ausdrücklichen Regelung bedarf und die Vergütung jedenfalls stillschweigend mitgeregelt ist. Diese These wird versicherungsaufsichtsrechtlich auch durch EG 102 Solvency II-VO bekräftigt, der ausdrücklich den Bezug versicherungsaufsichtsrechtlicher Vergütung zum Risikomanagementsystem herstellt. Zuletzt stellt EIOPA ebenfalls einen Bezug der Vergütung zum Risikomanagement her.Footnote 93 Mithin fordert die Behörde in ihrer opinion zum Solvency II review, dass die Vergütungspolitik expressis verbis in Art. 41 Solvency II-RL aufgenommen werden sollte, was im Ergebnis mit dem Änderungsvorschlag der Europäischen Kommission übereinstimmt.Footnote 94 Auch das lässt sich dafür operabel machen, dass die Vergütung als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen aufzufassen. Dem fügen Literaturstimmen hinzu, dass die Vergütungsvorgaben materiell zum Risikomanagement gehören würden.Footnote 95 Anderen zufolge seien Vergütungssysteme ein Kernbestandteil der Governance.Footnote 96 Ihnen komme hinsichtlich der Governance-Anforderungen ein unterstützender Charakter zu.Footnote 97

Dieser Befund wird dadurch unterstrichen, dass im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV bei der konkreten Ausübung des inhaltlichen Delegationsumfangs ein substantieller Gestaltungsspielraum einzuräumen sei.Footnote 98

Demgegenüber überzeugt es nicht, wenn vereinzelt darauf abgestellt wird, dass die Vergütungsregeln im Versicherungsaufsichtsrecht allein aus zeitlichen Gründen in der Richtlinie keinen Niederschlag gefunden hätten.Footnote 99 Dem wird zutreffend entgegnet, dass dieses Säumnis jedenfalls im Rahmen der die Solvency II-RL überarbeitenden Omnibus II-RL hätte korrigiert werden können.Footnote 100

Nichtsdestotrotz ist die Vergütungsfrage aus den vorgenannten Gründen als Bestandteil von Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen. Angesichts der historischen, systematischen und teleologischen Aspekte bedarf es keiner positiven Nennung, auch wenn dies aus Gründen der Regelungsklarheit wünschenswert gewesen wäre. Für die vorliegenden Zwecke kann dabei offenbleiben, ob es sich eher um einen Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen oder des Risikomanagements handelt. Gleichwohl ist eine Tendenz hin zum Risikomanagement festzustellen.

Folglich ist die Vergütungsfrage als Ziel über Artt. 41, 44 Solvency II-RL ausdrücklich in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL festgeschrieben.

β Inhalte ausdrücklich festgeschrieben

Hinsichtlich des Inhaltselements können im Delegationsakt entweder Mittel oder aber auch Bereiche vorgegeben beziehungsweise bezeichnet werden, die der Europäischen Kommission positiv einen Handlungsspielraum eröffnen oder verschließen würden.Footnote 101 Es muss also vorgegeben werden, was von der Delegation im Einzelnen betroffen sein soll.Footnote 102

Es fragt sich daher, ob die Inhaltsbestimmungen des Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL detaillierte Regelungen zur Vergütungsfrage in Art. 275 Solvency II-RL zulassen. In der Literatur wird dies bisweilen kritisch gesehen.Footnote 103

Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Vergütung in der Solvency II-RL nicht erwähnt wird. Selbst wenn man also die Vergütung unter die allgemeinen Governance-Anforderungen oder das Risikomanagement fasst, fällt es angesichts der Detaildichte des delegierten Rechtsakts schwer, diesen als von der Delegation inhaltlich umfasst anzusehen. Das unterstreicht auch ein vergleichender Blick auf den BanksektorFootnote 104, wo die Vergütungsfrage mehrmals sowohl in den Erwägungsgründen als auch im eigentlichen Richtlinientext niedergelegt wurde. Eine solche Regelungsdichte würde auch im Versicherungsaufsichtsrecht einer ausdrücklichen Inhaltsbestimmung genügen und offenbart die vergütungstechnisch defizitäre Rechtslage der Solvency II-RL. Demgegenüber genügt es allein nicht, wenn wie in der opinion von EIOPA sowie dem Vorschlag der Europäischen Kommission die Vergütungsleitlinien in Art. 41 Abs. 3 Solvency II-RL de lege ferenda festgeschrieben würden.Footnote 105 Das wiederum spricht zusammengenommen dafür, dass die detaillierten Vergütungsvorgaben des Art. 275 Solvency II-VO inhaltlich unzulässig über Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL hinausgehen.

Indes ist hinsichtlich Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV zu beachten, dass die dort normierten Kriterien nicht ohne weiteres trennscharf voneinander abgrenzbar sind.Footnote 106 Sie stellen vielmehr ein bewegliches System dar, innerhalb dessen sie sich gegenseitig ausgleichen und unterstützen.Footnote 107 Daher erscheint eine verrechnende Gesamtbewertung überzeugendFootnote 108 und eine Delegation, dessen Inhaltsbestimmung isoliert nicht den Anforderungen des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV entspricht, kann anderweitig kompensiert werden.

Blickt man in diesem Sinne auf die Artt. 41, 44 in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL, ergibt sich, dass hinsichtlich der allgemeinen Governance-Anforderungen und des Risikomanagements nicht nur die Ziele, sondern auch die Inhalte detailliert festgeschrieben sind. Das gilt angesichts der oben herausgearbeiteten Wertungen auch für die Vergütung, die ungeschriebener Bestandteil der Artt. 41, 44 Solvency II-RL ist (s. sub B./II./2./b)./i/(2)./α.). Die Ziel- und Inhaltsbestimmungen guter Governance und eines wirksamen Risikomanagements umfassen daher auch die Vergütung. Bei wertender und verrechnender Gesamtbetrachtung erscheint es daher unschädlich, dass die Vergütung inhaltlich nicht ausdrücklich in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL festgeschrieben ist.Footnote 109

γ Zwischenergebnis

Zusammenfassend genügt Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL mit Blick auf die Vergütung im Sinne des Art. 275 Solvency II-VO den Anforderungen des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV.

ii. Art. 275 Solvency II-VO als wirksame Ergänzung von Artt. 41 oder 44 Solvency II-RL i. S. d. Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV

Geht man davon aus, dass Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL als wirksame Delegationsgrundlage im Sinne des Art. 290 Abs. 1 AEUV anzusehen und die Vergütung grundsätzlich Teil von Artt. 41, 44 Solvency II-RL ist, fragt sich weiter, inwiefern die in der Literatur bisweilen vorgebrachte Kritik verfängt und Art. 275 Solvency II-VO unzulässig über die Grenzen einer Ergänzung der Artt. 41, 44 Solvency II-RL hinausgeht.Footnote 110

Inhaltlich kommt dabei allein eine Ergänzung in Betracht, da die Solvency II-RL nur von einem ergänzenden Charakter der Verordnung spricht (s. bereits sub B./II./2./b)./i/(1).).Footnote 111 Mithin wird man die Formulierung in Art. 50 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 Solvency II-RL, wonach in den Durchführungsmaßnahmen etwa Artt. 41, 44 Solvency II-RL „näher bestimmt“ werden sollen, ebenso in diese Richtung zu verstehen haben.Footnote 112 So hat der EuGH eine ganz ähnliche Fassung („im Einzelnen festzulegen“) auch unter das Tatbestandsmerkmal der Ergänzung subsumiert.Footnote 113 Dieser Befund wird nicht zuletzt auch durch die Überschrift der Solvency II-VO selbst unterstrichen, wonach sie lediglich der Ergänzung aber nicht der Änderung dient.Footnote 114

Angesichts dessen sei der Europäischen Kommission der Rechtsprechung des EuGH zufolge nur erlaubt, den Rechtsakt im Rahmen der delegierten Ergänzungsermächtigung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV zu konkretisieren. Sie sei „darauf beschränkt, nicht wesentliche Elemente der betreffenden Regelung, die der Gesetzgeber nicht definiert hat, unter Beachtung des vom Gesetzgeber erlassenen Gesetzgebungsaktes in seiner Gesamtheit im Einzelnen auszuarbeiten.“Footnote 115 Unter Berufung auf Nr. 40 der Leitlinien der Europäischen Kommission über delegierte Rechtsakte führt das Gericht weiter aus, dass der Gesetzgeber in zu ergänzenden Fällen „keine abschließende Regelung treffe und sich darauf beschränke, die wesentlichen Elemente festzulegen“ und damit der Europäischen Kommission die Konkretisierung dieser Regelung überlasse.Footnote 116 Teleologisch solle das den Gesetzgeber befähigen, sich auf die wesentlichen Elemente einer Regelung zu konzentrieren und die unwesentlichen Bestandteile der Europäischen Kommission anzuvertrauen.Footnote 117 Dem wird in der Literatur hinzugefügt, dass durch den delegierten Rechtsakt bereits im Basisrechtsakt angelegte Regelungen lediglich verdeutlicht aber nicht neu geschaffen werden dürfen.Footnote 118 Mithin leiten Teile der Literatur aus diesem Urteil ab, dass das Tatbestandsmerkmal der Ergänzung eng auszulegen und daher lediglich eine Konkretisierung zulässig sei.Footnote 119 Andere gehen inhaltlich darüber hinaus und erachten ergänzende Vorschriften auch bezüglich nicht im Basisrechtsakt angelegter Bereiche als zulässig und somit einen „erweiternden Ausbau“ für möglich.Footnote 120

Auf dem Boden des Vorbenannten spricht zunächst für eine zulässige Ergänzung, dass die wesentlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen der allgemeinen Governance-Anforderungen und des Risikomanagements bereits in Artt. 41, 44 Solvency II-RL festgelegt wurden. Im Sinne der vom EuGH in Bezug genommenen Leitlinien der Europäischen Kommission für delegierte Rechtsakte kann darin eine nicht abschließende Regelung des europäischen Gesetzgebers erblickt werden, die infolge des Art. 275 Solvency II-RL konkretisiert wird. Mithin wurde herausgearbeitet, dass die Vergütung als ungeschriebener Bestandteil der Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen ist (s. sub B./II./2./b)./i/(2)./α) und daher die detaillierten Vergütungsvorgaben des delegierten Rechtsakts diesen Bestandteil nicht neu schaffen sondern lediglich konkretisieren. Dadurch wäre auch gewährleistet, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen selbst regelt und die Konkretisierung und Ausformung der Europäischen Kommission überantwortet wird. Das wiederum würde sogar dem (zum Teil) seitens der Literatur befürworteten restriktiven Maßstab entsprechen. Erachtet man dagegen auch einen erweiternden Ausbau durch delegierte Rechtsakte mit Blick auf im Basisrechtsakt nicht angelegte Bereiche für zulässig, ist Art. 275 Solvency II-VO a fortiori als wirksame Ergänzung von Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen.

Gleichwohl würde dies den besonderen Charakter außer Acht lassen, der der Vergütung im Aufsichtsrecht insgesamt zukommt. So hat sich in gesetzeshistorischer Hinsicht gezeigt, dass die Vergütungsvorgaben im aufsichtsrechtlichen Sinne sektorübergreifend besonders wichtig sind (s. sub B.). Die Vergütung ist unabhängig davon, ob sie als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen oder des Risikomanagements anzusehen ist, ein entscheidendes aufsichtsrechtliches Instrument, dem regulatorisch besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Auch wenn dies wissenschaftlich nicht unumstritten ist, so wird der (unzureichenden) Vergütungsregulierung bezüglich der weltweiten Finanzkrise aus 2007–2009 (politisch) Krisenursächlichkeit zugesprochen.Footnote 121 Die Wesentlichkeit der Vergütungsfrage belegt auch ein bankaufsichtsrechtlicher VergleichFootnote 122. Innerhalb der CRD IV-RL und dem KWG steht die Vergütungsfrage auf einem sicheren dogmatischen Richtlinienfundament (bereits sub B./I./2.). Das wird auch teilweise durch die Praxis der Europäischen Kommission unterstützt, die sich mit Blick auf Vergütungscaps für nicht zuständig erachtete.Footnote 123 Auch der Vorschlag der Europäischen Kommission in Übereinstimmung mit der opinion EIOPAs, dass schriftliche Vergütungsleitlinien de lege ferenda in Art. 41 Solvency II-RL verankert werden sollten, deutet in diese Richtung.Footnote 124

Überdies deuten die Existenz und die Regelungsdichte des Art. 275 Solvency II-VO darauf hin, dass durch sie neue Regelungen geschaffen und nicht bloß bestehende Bestimmungen verdeutlicht werden,Footnote 125 gerade weil die Vergütungsfrage lediglich ungeschrieben und dem Grunde nach von Artt. 41, 44 Solvency II-RL umfasst ist. Rückbesinnt man sich auf die in der Literatur abgeleitete enge Auslegung des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV,Footnote 126 dürfte es sich bei Art. 275 Solvency II-VO nicht mehr bloß um eine Konkretisierung handeln. Hieran ändert auch perspektivisch das Vorhaben der Europäischen Kommission sowie der EIOPA nichts, Vergütungsleitlinien de lege ferenda in Art. 41 Solvency II-RL festzuschreiben.Footnote 127 Selbst wenn also im Zuge der Überarbeitung der Solvency II-RL die Vergütung expressis verbis Bestandteil der allgemeinen Governance-Anforderungen werden sollte, überschreiten die Vorgaben des Art. 275 Solvency II-VO das zulässige Maß dessen, was als Ergänzung im Sinne des Art. 290 AEUV angesehen werden könnte. Es wäre vielmehr zu fordern, dass die Vorgaben der Verordnungsbestimmung in die Richtlinie übernommen würden.

Selbiges ergibt sich, wenn man mit Teilen der Literatur einen erweiternden Ausbau unter die Ergänzung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV subsumieren will. Wie der EuGH betont hat, bezweckt Art. 290 AEUV, dass der Gesetzgeber sich auf selbst zu regelnde wesentliche Vorschriften konzentrieren kann,Footnote 128 die delegationsfest sind. Dahingehend wird sich eine Ergänzung im Sinne eines erweiternden Ausbaus aus teleologischen Gründen aber (wenn überhaupt) nur unwesentliche Elemente der Artt. 41, 44 Solvency II-RL beziehen können. Da die Vergütung wesentlich ist, können die allgemeinen Governance-Anforderungen und das Risikomanagement auch im Sinne dieser extensiven Auslegung nicht durch Art. 275 Solvency II-VO ergänzt werden.

Insgesamt erweist sich die Vergütung als wesentliches Element der Artt. 41, 44 Solvency II-RL und darf daher nicht in einem delegierten Rechtsakt ergänzt werden. Darüber hinaus und unabhängig davon überschreitet Art. 275 Solvency II-VO auch das Maß dessen, was als zulässige Ergänzung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV anzusehen ist.

iii. Rechtsfolge

Erachtet man die Artt. 41, 44 Solvency II-RL als wesentlich, durfte der Europäischen Kommission nach Maßgabe des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV nicht durch Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL die Befugnis eingeräumt werden, die Bestandteile der allgemeinen Governance-Anforderungen in Art. 41 und des Risikomanagements in Art. 44 Solvency II-RL durch einen delegierten Rechtsakt zu ergänzen. Folglich wäre die die sekundärrechtliche Ermächtigung unwirksam.Footnote 129 Daneben wäre Art. 275 Solvency II-VO mangels einer wirksamen Delegationsgrundlage nichtig.Footnote 130

Ist man diesbezüglich anderer Ansicht und stellt darauf ab, dass der Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers Vorrang einzuräumen ist, ändert sich gleichwohl das Schicksal der Vorschrift nicht. Die Vergütungsvorgaben sind ihrerseits wesentliche Elemente der Artt. 41, 44 Solvency II-RL und daher delegationsfest. Darüber hinaus und unabhängig davon handelt es sich bei Art. 275 Solvency II-VO nicht mehr um eine Ergänzung im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV. Die delegierte Verordnungsvorschrift ist damit nichtig.Footnote 131

Diese Rechtsfolge tritt ipso iure und ex tunc ein, auch wenn sie nur vom EuGH festgestellt werden kann.Footnote 132 Insofern trifft die in der Literatur zu Art. 275 Solvency II-RL geäußerte Auffassung zu, dass dieser Vorschrift sowohl die primär- wie sekundärrechtliche Grundlage fehle.Footnote 133 Vor diesem Hintergrund sollte nicht davon gesprochen werden, dass Art. 275 Solvency II-VO schlicht geltendes Recht sei.Footnote 134 Angesichts der Schwere dieser Folgen könnten die Rechtsfolgen des Art. 275 Solvency II-VO gem. Art. 264 Abs. AEUV jedoch solange aufrechterhalten werden, bis eine neue und rechtmäßige Verordnung erlassen wird.Footnote 135

c) Zwischenergebnis

Nach alledem deutet einiges darauf hin, dass Art. 275 Solvency II-VO europarechtswidrig und damit nichtig ist. Es ist bereits diskussionswürdig, ob Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL als wirksame Delegationsermächtigung angesehen werden kann. Die vorliegend in Betracht kommenden Artt. 41, 44 Solvency II-RL dürften im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV wesentliche Vorschriften sein. Damit hat eine Delegation zu unterbleiben.

Sieht man dies zugunsten einer weiten Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers anders, genügt zwar Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL den Voraussetzungen des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV. Auch spricht die versicherungsaufsichtsrechtliche Rechtslage dafür, dass die Vergütung Teil der Artt. 41, 44 Solvency II-RL ist. Indes werden jene Vorschriften durch Art. 275 Solvency II-VO in unzulässiger Weise ergänzt. Vor diesem Hintergrund ist Art. 275 Solvency II-VO unwirksam.

2.2.3 3. Anwendbarkeit von Art. 275 Solvency II-VO auf Gruppenebene

Im Weiteren und die Wirksamkeit von Art. 275 Solvency II-VO unterstellt, ist fraglich, ob die Vorschrift auch auf Gruppenebene angewendet werden kann.

a) Meinungsstand

Teile der Literatur heben hervor, dass Art. 275 Solvency II-VO über den internen Verweis auf Art. 258 Abs. 1 lit. l Solvency II-VO als Teil der allgemeinen (Gruppen‑)Governance-Anforderungen anzusehen sei und dadurch Artt. 41, 246 Abs. 1 UAbs. 1 Solvency II-RL unterfallen würde.Footnote 136 Selbiges ergebe sich auch mit Blick auf die entsprechende Anwendung der Governance-Anforderungen auf Gruppenebene gem. §§ 275 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit 23 ff. VAG.Footnote 137

Dem wird entgegnet, dass gruppenweite Vergütungsvorgaben weder primär- noch sekundärrechtlich fundiert seien.Footnote 138 Wenn davon ausgegangen werde, dass die Vergütung gem. Artt. 41, 246 Abs. 1 UAbs. 1 in Verbindung mit 50 Solvency II-RL als Teil der Governance-Anforderung anzusehen und damit auf Gruppenebene anwendbar sei, belege dies ein „Ermächtigungs-PingpongFootnote 139 zwischen Primär- und Sekundärrecht.Footnote 140 In diesem Zusammenhang werden auch die EIOPA-Leitlinien (sub B./II./1./a)) als denkbarer dogmatischer Anknüpfungspunkt für ein gruppenweites Vergütungssystem kritisiert: „In der Sache begründen die Kommission und EIOPA damit eine Kompetenz-Kompetenz von EIOPA zum Erlass ermächtigungsloser Leitlinien.“Footnote 141

Nach anderen sei die Ansicht, die Art. 275 Solvency II-VO auf Gruppenebene erstrecken will, immerhin nicht gänzlich zweifelsfrei.Footnote 142 Weitere fügen hinzu, dass der bloß mittelbare Verweis auf Art. 41 Solvency II-RL angesichts der unmittelbar geltenden Solvency II-VO jedenfalls kritikwürdig sei.Footnote 143

b) Stellungnahme

Stellt man sich dennoch auf den Standpunkt, dass Art. 275 Solvency II-VO wirksam ist, ist weiterhin fraglich, ob dies auch auf die Gruppenebene übertragen werden kann.

Die Beantwortung dieser Frage ist entscheidend von den zuvor gefundenen Ergebnissen abhängig. Erachtet man nämlich Art. 275 Solvency II-RL als wirksame Regelung, ist das anderenorts angesprochene „Ermächtigungs-PingpongFootnote 144 nicht zu befürchten. Zwar wird die Gruppenperspektive im delegierten Rechtsakt nur einmal in dessen Abs. 2 lit. b genannt, worin freilich keine konsistente Gruppenperspektive erblickt werden kann. Auch bleibt unklar, weshalb die Europäische Kommission hinsichtlich ihrer Ermächtigung eine widersprüchliche Politik verfolgt.

Für die Erstreckung des Art. 275 Solvency II-VO auf Gruppenebene spricht jedoch die in der Solvency II-RL angelegte Verweisungstechnik. Es wird kaum bezweifelt werden, dass die Artt. 41, 44 über Art. 246 Abs. 1 UAbs. 1 Solvency II-RL auf Gruppenebene entsprechend anwendbar sind. Davon gehen nicht zuletzt auch die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag zur Änderung der Solvency II-RL sowie EIOPA in ihrer opinion entscheidend aus.Footnote 145 Das entspricht im Übrigen auch der Rechtslage im VAG mit Blick auf §§ 275 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit 23 ff. VAG. Wenn aber die Vergütung als Teil der Artt. 41, 44. Solvency II-RL anzusehen ist (dazu sub B./II./2./b)/i/(2)./α), muss neben der Vergütung selbst auch der diese näher bestimmende delegierte Rechtsakt in Gestalt des Art. 275 Solvency II-VO entsprechend auf Gruppenebene Anwendung finden.

Zuletzt sprechen auch teleologische Gesichtspunkte a fortiori dafür, eine konsistente und ordnungsgemäße Vergütungspolitik bei den besonders relevanten Gruppen zu fordern. Angesichts des Telos der aufsichtsrechtlichen Vergütungsanforderungen und dessen Bedeutung für die Versicherungsaufsicht insgesamt erschiene es wertungswidersprüchlich, Art. 275 Solvency II-VO nur auf Solo-Ebene Regelungen eingreifen zu lassen. Daran vermag auch das bisweilen zweifelhafte Verhalten der Europäischen Kommission nichts zu ändern. Zwar ist der Umstand für sich genommen durchaus zu bedauern, er lässt aber keine Schlüsse darüber zu, ob der delegierte Rechtsakt bei unterstellter Wirksamkeit auf Gruppenebene anwendbar ist oder nicht.

c) Zwischenergebnis

Folglich ist Art. 275 Solvency II-VO – seine grundsätzliche Wirksamkeit unterstellt – aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten auch auf Gruppenebene anwendbar.

2.2.4 4. Folgen für § 25 Abs. 3 VAG und § 5 VersVergV

Je nachdem, ob die europarechtliche Vorschrift für wirksam erachtet wird oder nicht, wirkt sich dies auf die § 25 Abs. 3 VAG und § 5 VersVergV aus.

a) Meinungsstand

In diesem Sinne wird von Vertretern, die Art. 275 Solvency II-VO auf Gruppenebene im Ergebnis für nicht anwendbar erachten, vorgebracht, dass die nationale Regelungskompetenz unangetastet bleibe und § 5 VersVergV europarechtskonform sei.Footnote 146 So mache die Solvency II-RL lediglich allgemeine Governance-Vorgaben und verhalte sich nicht zur Frage der Gruppenvergütung.Footnote 147 § 5 VersVergV sei ohne weiteres neben Art. 275 Solvency II-VO anwendbar.Footnote 148

Folgt man demgegenüber der soeben zu Art. 275 Solvency II-VO angesprochenen Verweisungskette und gelangt zu einer Anwendung desselben auf Gruppenebene, wird vertreten, dass für zusätzliche Vergütungsvorschriften in § 25 Abs. 3 in Verbindung mit § 5 VersVergV kein Raum sei.Footnote 149 Da die Solvency II-RL letztlich zu Vergütungsfragen schweige, seien die deutschen Regelungen aufgrund des überwiegenden vollharmonisierenden Charakters der Richtlinie europarechtswidrig.Footnote 150

Teils wird betont, dass nationale Regelungen möglich seien, soweit dadurch Art. 275 Solvency II-VO nicht widersprochen würde.Footnote 151 Die parallele Anwendung beider Regimes sei jedoch ausgeschlossen.Footnote 152

b) Stellungnahme

Erachtet man Art. 275 Solvency II-RL angesichts der oben herausgearbeiteten Gesichtspunkte als nichtig, stehen den deutschen gruppenweiten Vergütungsanforderungen zunächst keine höherrangigen Vorschriften entgegen. Die Vergütung ist auch bei unzulässiger Delegation Teil der Artt. 41, 44 und daher gem. Art. 246 Abs. 1 UAbs. 1 Solvency II-RL auf Gruppenebene anzuwenden. Demnach hätten sich die Pflichtadressaten allein an § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV zu orientieren. Da die Vergütung nach hier vertretener Sichtweise Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen ist, ist darin auch kein europarechtlicher Verstoß gegen die vollharmonisierenden Vorgaben der Solvency II-RL zu erblicken.

Sieht man dies anders und wendet den delegierten Rechtsakt auch auf Gruppenebene an, stellt sich ein konkurrenzrechtliches Problem. Vor diesem Hintergrund wird man nicht, wie gesetzlich angeordnet, § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV neben Art. 275 Solvency II-VO anwenden können. Letztere Vorschrift gilt unmittelbar und genießt gegenüber nationalen Bestimmungen richtigerweise Anwendungsvorrang.

c) Zwischenergebnis

Anerkennt man eine wirksame Delegation in Art. 50 Abs. 1 lit. a. Solvency II-RL sowie eine wirksame Ergänzung der Artt. 41, 44 Solvency II-RL durch Art. 275 Solvency II-VO, hat dies zur Folge, dass § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV daneben nicht angewendet werden können.

2.3 III. Zwischenergebnis

Das gruppenaufsichtsrechtliche Vergütungsrecht ist disparat. Während das Bankaufsichtsrecht klare vergütungsrechtliche Bekenntnisse vorhält, schweigt das Versicherungsaufsichtsrecht hierzu, was die Rechtsanwendung erheblich erschwert. Untersucht man die versicherungsaufsichtsrechtlichen Rechtsgrundlagen, erscheinen zwei Auslegungen möglich. Entweder, man erachtet – wie hier vertreten – Art. 275 Solvency II-VO für unwirksam, was die alleinige gruppenweite Anwendung der § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV zur Folge hätte. Oder man hält den delegierten Rechtsakt für wirksam, woraufhin Art. 275 Solvency II-VO auf Gruppenebene gegenüber § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV Anwendungsvorrang genösse.

Eine parallele Anwendung der Vorschriften beider Regimes scheidet jedenfalls aus. Gleichzeitig wird deutlich, dass auf Gruppenebene jedenfalls eine Vergütungspolitik installiert und unterhalten werden muss.

3 C. Folgerungen für die versicherungsaufsichtsrechtliche Gruppenverantwortung

Daher fragt sich, wie das übergeordnete Unternehmen eines gruppenweiten Vergütungssystems sicherstellen soll (I.). Hierfür sind aufsichtsrechtliche Befugnisse erforderlich (II.). Auch drohen haftungs- und aufsichtsrechtliche Konsequenzen, wenn die Anforderungen nicht, wie gesetzlich vorgesehen, umgesetzt werden (III.). Das rückt das Versicherungskonzernrecht zur Auflösung dieses Spannungsfeldes auf die Agenda (IV.).

3.1 I. Sicherstellen des gruppenweiten Vergütungssystems

In der Literatur wird die Möglichkeit des übergeordneten Unternehmens, die Vergütungspolitik auf Gruppenebene zu forcieren, skeptisch gesehen.Footnote 153 So sei der Verbindlichkeitsgrad zweifelhaft, da das an der Spitze stehende Unternehmen die Anforderungen nicht ohne weiteres einseitig umsetzen kann.Footnote 154 Angesichts der gesellschaftsrechtlichen Grenzen seien die Vergütungsanforderungen ohne Weisungsrechte grundsätzlich nur unternehmensindividuell umsetzbar.Footnote 155 Das stelle eine freilich begrenzte Einflussnahmemöglichkeit dar.Footnote 156

3.2 II. Aufsichtsrechtliche Befugnisse

Angesichts dessen fragt sich, ob und wenn ja welche aufsichtsrechtlichen Befugnisse das Gesetz bereithält, damit das übergeordnete Unternehmen den Anforderungen gerecht werden kann.

Vor dem Hintergrund versicherungsaufsichtsrechtlicher Einwirkungsbefugnisse stechen bei Genese des VAG zwei Vorschriften hervor. Dies ist zum einen § 246 Abs. 3 VAG und zum anderen § 276 Abs. 2 VAG.

Mit Blick auf § 246 Abs. 3 VAG ist der Wortlaut der Vorschrift vielversprechend. Danach sind alle der Gruppenaufsicht unterworfenen Unternehmen zur Einhaltung der §§ 245 ff. VAG verantwortlich, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Allerdings beantwortet die Vorschrift nicht, wer neben dem „Ob“ für das „Wie“ und dessen Umsetzung, Steuerung und Kontrolle der gruppenaufsichtsrechtlichen Anforderungen verantwortlich ist. Bei Lichte besehen ist nämlich das Mutterunternehmen im Unterschied zu den nachgeordneten Unternehmen hinsichtlich der gruppenweiten Säule 1- und Säule 2-Anforderungen sowohl für das „Ob“, als auch für das „Wie“ verantwortlich. Mithin lassen sich aus § 246 Abs. 3 VAG keine Durchsetzungsbefugnisse contra Verbandsrecht ableiten.Footnote 157 So bestimmt die Vorschrift nicht, wie und auf welcher Grundlage etwa das Mutterunternehmen auf die Gruppenunternehmen einwirken dürfen soll.

Sodann könnte § 276 Abs. 2 VAG Abhilfe schaffen. Nach dieser Vorschrift kann das oberste beteiligte Unternehmen von jedem anderen Unternehmen der Gruppe alle Aufklärungen und Nachweise verlangen, die es zur Erfüllung seiner Pflichten nach diesem Kapitel benötigt. Diese Norm bietet dem obersten beteiligten Unternehmen jedenfalls mit Blick auf zu erlangende Informationen ein wirksames Instrument. Allerdings bieten der Wortlaut und die Systematik keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass daraus Durchsetzungsbefugnisse abgeleitet werden können.Footnote 158 Indes hilft die bloße Informationserlangung nicht weiter, wenn die Vergütungsanforderungen auf Ebene der nachgeordneten Gruppenunternehmen nicht wie vorgegeben umgesetzt werden.

Das VAG hält also keine Einwirkungsbefugnisse dafür bereit, dass ein gruppenweites Vergütungssystem installiert werden könnte.Footnote 159

3.3 III. Haftungsrechtliche und aufsichtsbehördliche Konsequenzen

Das ist für die Geschäftsleitung des übergeordneten Unternehmens bedenklich. Für diese ist es nämlich entscheidend, zu wissen, ob und woraus sich Pflichten ergeben. Rechtsunsicherheiten tragen das Risiko von Pflichtverstößen in sich, die zu Verwarnungen, Abberufungen und Tätigkeitsverboten gem. § 303 Abs. 1, 2 VAGFootnote 160 oder auch zu einem „naming and shaming“ im Sinne des § 319 VAGFootnote 161 führen können. Hinzu kommen zivilrechtliche Folgen wie die persönliche Haftung nach § 93 AktGFootnote 162 oder die Kündigung des Dienstverhältnisses gem. § 626 Abs. 1 BGB.Footnote 163 Damit erweist sich die systemisch defizitäre Rechtslage auch aus Sicht der verantwortlichen Organwalter als dringend optimierungsbedürftig.Footnote 164

3.4 IV. Versicherungskonzernrecht

Dementsprechend ist das Verbandsrecht in den Blick zu nehmen und genauer, da es um die Frage nach einer konsistenten und wirksamen Gruppenvergütung geht, die verbandsrechtlichen Möglichkeiten und Befugnisse in einer Unternehmensgruppe. Das schreibt das VersicherungskonzernrechtFootnote 165 auf die Agenda.Footnote 166 Da die Rechtsform der Aktiengesellschaft die zumindest am Weitesten verbreitete Rechtsform im versicherungsaufsichtsrechtlichen Bereich istFootnote 167 und das Konzernrecht im AktG kodifiziert ist, ist im Folgenden von einem Aktienkonzern auszugehen.

Somit fragt sich, welche verbandsrechtlichen Einflussmöglichkeiten im Versicherungsaktienkonzern bestehen, damit eine gruppenweite Vergütungsstruktur umsetzbar ist. Das Versicherungskonzernrecht umfasst mehrere verbandsrechtliche Gestaltungsvarianten. Besonders anschaulich mit Blick auf die Umsetzung der gruppenweiten Vergütungssysteme ist der faktische Versicherungskonzern. Dabei ist zu unterstellen, dass in beiden Konstellationen sowohl das Konzernrecht als auch die §§ 245 ff. VAG erfüllt sind.Footnote 168

Der faktische Versicherungskonzern ist davon gekennzeichnet, dass die beherrschende Stellung des Mutterunternehmens durch einfache Abhängigkeit im Sinne des § 17 AktG besteht. Das kann mehrere Ursachen haben, wird jedoch regelmäßig darin begründet sein, dass ein Unternehmen die Mehrheit an einem anderen Unternehmen erwirbt.

Innerhalb dieses faktischen Versicherungskonzerns verfügt das Mutterunternehmen über keine verbindlichen Weisungsrechte, da die Autonomie des abhängigen Unternehmens nicht angetastet wird, siehe § 76 AktG. Insbesondere darf es seinen Einfluss nicht nachteilig zulasten des Tochterunternehmens ausnutzen. Damit hängt auch das Kernstück der §§ 311 ff. AktG in Gestalt des Einzelausgleichssystems zusammen. Diesem zufolge müssen einzeln individualisierbare Nachteile ausgeglichen werden, die auf Veranlassung des herrschenden Unternehmens beim beherrschten Unternehmen entstanden sind. Für das Mutterunternehmen ist es folglich grundsätzlich unzulässig, auf die beherrschte Gesellschaft nachteilig einzuwirken. Nur unter den Voraussetzungen des § 311 AktG darf faktischer Einfluss ausgeübt werden.Footnote 169 Der Vorstand des Mutterunternehmens kann somit vor allem lediglich durch faktisch verbindliche Weisungen Einfluss nehmen.

Daher erweist sich der verbandsrechtliche Einfluss im faktischen Versicherungskonzern als begrenzt.Footnote 170 Im faktischen Versicherungskonzern kollidieren die aufsichtsrechtlichen Anforderungen jedoch mit den verbandsrechtlichen Grenzen, da das Aufsichtsrecht die gruppenaufsichtsrechtlichen Anforderungen schlicht voraussetzt und regelmäßig über das verbandsrechtlich Zulässige hinausgeht. Das ist angesichts der daraus drohenden Haftungsrisiken nicht nur unbefriedigend, sondern mahnt zur Problemlösung.Footnote 171

4 D. Schlussbetrachtung

4.1 I. Resümee

Die Vergütungsfrage stellt einen Brennpunkt des Versicherungs(gruppen)aufsichtsrechts dar. Das Normgeflecht ist verworren, unter anderem weil es im Unterschied zum Bankaufsichtsrecht wesentliche Fragestellungen unbeantwortet lässt. So lassen sich auf Solo-Ebene drei regulatorische Ebenen finden, namentlich Art. 275 Solvency II-VO, § 25 VAG und die VersVergV in Verbindung mit § 34 Abs. 2 VAG. Interessanterweise schweigt die Solvency II-RL als Basisrechtsakt des Versicherungsaufsichtsrechts zu dieser Frage. Das Bankaufsichtsrecht ist diesbezüglich deutlicher. Bereits in der CRD IV-RL, insbesondere in Art. 92 derselben, sind Vergütungsanforderungen detailliert geregelt. Dieser Duktus wird sodann mit § 25a Abs. 1 S. 3 Nr. 6, Abs. 5, 5a und 6 KWG fortgeführt und durch die InstitutsVergV abgerundet.

Auf Gruppenebene verschlechtert sich das versicherungsaufsichtsrechtliche Bild. Wo die höherrangige Solvency II-VO keine Stellung dazu bezieht, ob sie auf Gruppenebene anwendbar ist, ist das VAG mit § 25 Abs. 3 VAG und § 5 VersVergV deutlich. Aber auch die Rechtslage im Bankaufsichtsrecht hat an Klarheit eingebüßt. Nachdem Art. 92 Abs. 1 CRD IV-RL gestrichen wurde, fehlt eine ausdrückliche Vorschrift, welche die Vergütungsanforderungen der CRD IV-RL auf Gruppenebene erstreckt. Gleichwohl spricht einiges dafür, dass die Vergütung Bestandteil der Institutsgruppengovernance ist. Daher gehen § 25a Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit Abs. 1 S. 3 Nr. 6 KWG und § 27 InstitutsVergV auch nicht über die europarechtlichen Grundlagen hinaus.

Aufgrund dieser Ungewissheiten im Versicherungsgruppenrecht hat sich eine Kontroverse in der Literatur darüber entzündet, ob Art. 275 Solvency II-VO wirksam ist sowie ob diese Vorschrift bejahendenfalls auf Gruppenebene anwendbar ist. Bezieht man hierzu Stellung, wird deutlich, dass die europarechtlichen Grundlagen des Art. 275 Solvency II-VO nicht aufgearbeitet sind. Es sind mitunter Bedenken gegen die wirksame Delegation in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL in Verbindung mit Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV anzumelden. Indes fokussiert sich die Diskussion in der Regel auf die Frage, ob die Vergütung unter Artt. 41, 44 Solvency II-RL subsumiert und in der Folge auf Gruppenebene gem. Art. 246 Abs. 1 UAbs. 1 Solvency II-RL angewendet werden kann. Dabei sind gerade diese letzteren beiden Aspekte eher unproblematisch und zu bejahen. Art. 275 Solvency II-VO ist auf Gruppenebene anwendbar, nimmt man dessen Wirksamkeit an.

Daraus ergeben sich Pflichten für den Vorstand des Mutterunternehmens. Er muss sicherstellen, dass die Vergütungsleitlinien beziehungsweise die Vergütungspolitik auch auf Ebene der Gruppenunternehmen installiert und eingehalten werden. Gleichwohl fehlen ihm dazu die Mittel, da das Aufsichtsrecht keine erforderlichen Durchsetzungsbefugnisse vorhält. Sind aufsichtsrechtliche Pflichten aber nicht erfüllbar, drohen aufsichts- und haftungsrechtlichen Folgen.

Der faktische Versicherungskonzern hilft aufgrund des Einzelnachteilsausgleichssystems nur bedingt weiter. Es ist offen, wie dem zu begegnen ist.

4.2 II. Ergebnisse in Thesen

  1. 1.

    Die parallele Anwendung von § 25 VAG neben Art. 275 Solvency II-VO ist angesichts der unmittelbar geltenden Verordnung nicht möglich.

  2. 2.

    Die Streichung des Art. 92 Abs. 1 CRD IV-RL führt nicht dazu, dass auf Ebene der Institutsgruppe keine Vergütungspolitik Anwendung findet. Systematische und teleologische Gesichtspunkte deuten darauf hin, dass nach wie vor auf gruppenweit Vergütungsanforderungen umzusetzen und instand zu halten sind.

  3. 3.

    Die allgemeinen Governance-Anforderungen im Sinne des Art. 41 und das Risikomanagement nach Art. 44 Solvency II-RL sind grundlegende Themen, die eine politische Grundentscheidung betreffen. Dies spricht neben weiteren Faktoren dafür, dass sie wesentliche Vorschriften im Sinne des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV sind, weshalb die Wirksamkeit ihrer Delegation in Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL anzuzweifeln ist.

  4. 4.

    Daneben genügt Art. 50 Abs. 1 lit. a Solvency II-RL jedoch mit Blick auf die Vergütung bei einer verrechnenden Gesamtbetrachtung der Ziel- und Inhaltsbestimmung des Art. 290 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV.

  5. 5.

    Es ergibt sich aus systematischen und teleologischen Gesichtspunkten, dass die Vergütung als Teil der allgemeinen Governance-Anforderungen beziehungsweise des Risikomanagements im Sinne der Artt. 41, 44 Solvency II-RL anzusehen ist.

  6. 6.

    Die konkrete Form der Delegation der Vergütung in Art. 275 Solvency II-VO ist indes unwirksam, da sie über die Grenzen des Art. 290 AEUV in Verbindung mit Artt. 41, 43 Solvency II-RL hinausgeht.

  7. 7.

    Unterstellt man gleichwohl die Wirksamkeit des Art. 275 Solvency II-VO, ist die Vorschrift auch auf Gruppenebene anwendbar. Dies ergibt sich aus der Verweisung des Art. 246 Abs. 1 UAbs. 1 auf Artt. 41, 44 Solvency II-RL.

  8. 8.

    Stellt man sich jedoch mit der hier vertretenen Ansicht auf den Standpunkt, dass Art. 275 Solvency II-VO unwirksam ist, kommt es auf Gruppenebene nur auf § 25 Abs. 3 VAG und § 5 InstitutsVergV an. Anderenfalls gilt das zu 1) Gesagte.

  9. 9.

    Zur Umsetzung dieser gruppenweiten Vergütungsanforderungen kann nicht auf §§ 246 Abs. 3, 276 Abs. 1, 2 VAG zurückgegriffen werden.

  10. 10.

    Im faktischen Versicherungskonzern behindert das Einzelnachteilsausgleichsystem die Umsetzung der gruppenaufsichtsrechtlichen Vorgaben.

4.3 III. Ausblick

Dieser Befund lässt eine Koordination der beiden Materien erforderlich erscheinen.Footnote 172 Diesbezüglich sind verschiedene Wege gangbar.Footnote 173

  1. 1.

    Zunächst erscheint es möglich, die Folgen gruppenweiter Vergütungssysteme als passive Konzernwirkungen einzuordnen. Passive Konzernwirkungen sind für die abhängige (Konzern‑)Gesellschaft nachteilige wie positive Folgen, die allein aufgrund der Konzernzugehörigkeit entstehen.Footnote 174 In diesem Sinne könne es nicht als sorgfaltswidriges Verhalten angesehen werden, wenn der Vorstand des abhängigen Unternehmens aufsichtsrechtliche Pflichten umsetze.Footnote 175 Dann stünden die verbandsrechtlichen Schranken des § 311 AktG nicht mehr im Wege.

  2. 2.

    Weiterhin könnte erwogen werden, ob die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht Mitwirkungspflichten der abhängigen KonzerngesellschaftenFootnote 176 begründet. In diesem Sinne scheine das einem faktischen Abhängigkeitsverhältnis innewohnenden Sonderrechtsverhältnis Mitwirkungsansprüche zugunsten der herrschenden Gesellschaft in sich zu tragen,Footnote 177 wenn diese erforderlich sind, um die Organisations- und Kontrollpflichten des Mutterunternehmens zu erfüllen.Footnote 178

  3. 3.

    Daneben ist es möglich, die verbandsrechtlichen Grenzen des Konzernrechts derart auszulegen, dass sie den gruppenweiten Vergütungsanforderungen nicht im Wege stehen. Hierfür wird ins Feld geführt, dass die öffentlichen Belange des Aufsichtsrechts zwangsläufig den entgegenstehenden verbandsrechtlichen Wertungen vorgingen.Footnote 179 Vor dem Hintergrund dieser Untersuchung ist nämlich zu bedenken, dass die europarechtlich determinierten Anforderungen der Solvency II-RL höherrangigen, öffentlich-rechtlichen und schützenswerten Interessen dienen.

  4. 4.

    Allerdings sind infolge der soeben benannten europarechtlichen Wurzeln des Versicherungsgruppenaufsichtsrechts die Besonderheiten der europäischen Methodenlehre zu beachten. Daher bleibt zu klären, welchen Einfluss und welche Bedeutung die richtlinienkonforme Auslegung des Konzernrechts als „interpretatorische VorrangregelFootnote 180 hat, die hierarchisch grundsätzlich vorrangig zu prüfen ist.Footnote 181 Insgesamt erscheint dies vielversprechend und kann dazu führen, dass die Schere zwischen dem aufsichtsrechtlichen Müssen und dem gesellschaftsrechtlichen Können geschlossen wird.Footnote 182