1 Einführung

Der Verfasser ist ehemaliger Inhaber einer Juniorprofessur für Versicherungsrecht an der Goethe-Universität, Frankfurt und gegenwärtig Vertreter einer Professur an der Universität Trier.

Die Rechtsprechung des EuGH war schon seit jeher ein abgeschlossenes System, das sich nur um die auszulegenden Normen und frühere eigene Urteile kümmert, ohne mit seinem Umfeld ansonsten in nennenswerten Austausch zu treten. Lange (und erfolglos) muss man suchen, um Entscheidungen des EuGH zu finden, die Quellen zitieren, die nicht von ihm selbst stammen oder zumindest nicht im weitesten Sinne dem legislatorischen Prozess zugehören.Footnote 2 Der EuGH genügt sich selbst. Wissenschaftliche Arbeiten zu noch unbehandelten Rechtsfragen oder gar kritische Auseinandersetzung mit einzelnen Judikaten bleiben außenvor, zumindest wird eine Auseinandersetzung nicht im Urteilstext offengelegt.Footnote 3 So nimmt es nicht Wunder, dass die teilweise massive Kritik an der Peloux-Entscheidung,Footnote 4 in der der EuGH 2005 angenommen hat, dass der Versicherte nicht an eine zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden sei,Footnote 5 keinerlei Spuren hinterlassen hat, sondern der EuGH den einmal eingeschlagenen Pfad unbeirrt weiterschreitet. Gegenwärtiger Schlusspunkt stellt die hier zu besprechende Balta-Entscheidung dar, in der der EuGH nunmehr klarstellt, dass auch dem Versicherten eines Großrisikovertrages eine dort formgültig enthaltene Gerichtsstandsklausel nicht entgegengehalten werden kann.

2 Evolution der Rechtsprechung zur Behandlung von Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungssachen

Ausgangspunkt der Rechtsprechung zur Drittwirkung von GerichtsstandsvereinbarungenFootnote 6 in Versicherungsverträgen war das Gerling-Urteil des EuGH von 1983.Footnote 7 In diesem Vorabentscheidungsverfahren, dem ein aus der Sachverhaltsschilderung nur schwer nachvollziehbarer Fall zugrunde lag,Footnote 8 hatte der EuGH unter der Geltung der Artt. 17 f. EuGVÜFootnote 9 korrekt entschieden, dass der Versicherte (bzw. hier der Rechtsnachfolger des Versicherten) sich auf eine rechtswirksam zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer (bzw. hier eigentlich den Mitversicherern) geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung (die einen Alternativgerichtsstand vorsieht) berufen kann, selbst wenn der Versicherte der Gerichtsstandsvereinbarung selbst nicht (formwirksam) zugestimmt hat. Hieraus entnahm die ganz h. M. in Deutschland erweiternd, dass insoweit im europäischen Recht (bzw. damals im europäischen Völkerrecht) nichts anderes gelte, als unter dem autonomen deutschen Recht, nämlich dass ein Versicherter durch eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung im Versicherungsvertrag subjektiv erfasst werde, sich mithin einerseits auf diese berufen könne, andererseits aber auch der Versicherer (zumindest was den Aktivprozess des Versicherten angeht) diese ihm gegenüber einredeweise geltend machen könne.Footnote 10

Diesem sinnvollen Verständnis erteilte jedoch der EuGH 2005 zwar noch unter Geltung des EuGVÜ, aber schon unter Berücksichtigung der Brüssel I-VOFootnote 11 (dem Vorgänger der gegenwärtigen Brüssel Ia-VOFootnote 12) in seiner Peloux-Entscheidung eine recht deutliche Absage.Footnote 13 Die Klägerin Société financière et industrielle du Peloux (im Folgenden: Peloux) war hierbei Produzentin von Bauplatten, deren Installation – ob eines Entwurfs- und Herstellungsfehlers – in einer Käserei zu einem hohen sechsstelligen Schaden führte. Peloux war u. a., und allein hierauf kam es an, seit ihrer vorherigen Eingliederung in einen Konzern, über die Konzerndeckung des Mutterunternehmens mitversichert,Footnote 14 wobei dieser Vertrag (bzw. genauer diese Mitversicherungsverträge) eine Gerichtsstandsklausel mit zwingendem Gerichtsstand am Sitz der Mutter enthielt, die jedoch, dies mag die entscheidende Überlegung des EuGH angestoßen haben, durch einen rückwirkenden Nachtrag auf Peloux erstreckt wurde. Als Peloux in Frankreich verklagt wurde, verkündete sie unter Missachtung der Gerichtsstandsvereinbarung den Mitversicherern der Konzerndeckung dort den Streit (appel en garantie) auf Grundlage des Art. 10 Abs. 1 EuGVÜ. Hier sprachen durchaus erwägenswerte Gründe dafür, Peloux im konkreten Fall als nicht an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden anzusehen,Footnote 15 allein der EuGH begründete die Nichtbindung von Peloux gerade nicht mit diesen Besonderheiten, sondern mit der seither immer verwandten Leerformel der besonderen Schutzbedürftigkeit der schwächeren Partei.Footnote 16 Da mithin der Versicherte des postulierten besonderen Schutzes bedürfe, könne ihm eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer nicht entgegengehalten werden. Dem Umstand, dass der Versicherte seine Stellung lediglich sekundär aus der vertraglichen Abrede zwischen den Primärparteien des Vertrages (d. h. Versicherungsnehmer und Versicherer) ableitet und daher im Hinblick auf den Gerichtsstand nicht besser gestellt sein kann als der Versicherungsnehmer selbstFootnote 17, schenkt der EuGH genauso wenig Beachtung wie den praktischen Schwierigkeiten, die aus dieser Auffassung resultieren, nämlich der Notwendigkeit, gegebenenfalls von einer Vielzahl von Versicherten (die zudem oftmals gar nicht bekannt sind) eine Zustimmung zu einer Gerichtsstandsklausel in einem Vertrag einzuholen, der ansonsten allein zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer ausgehandelt werden könnte. Die Vermutung lag (und liegt) nahe, dass der EuGH seine Sichtweise nicht allein auf den Art. 12 Nr. 3 EuGVÜ (bzw. heute Art. 15 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) beschränken würde, der im entschiedenen Fall maßgeblich war, sondern grundsätzlich alle Gerichtsstandsvereinbarungen „zu Lasten“ des Versicherten genauso beurteilen würde.

Äußerungen aus der Wissenschaft ließen jedoch hoffen, dass Art. 13 Nr. 5 Brüssel I-VO (Art. 15 Nr. 5 Brüssel Ia-VO) bezüglich der Versicherung von Großrisiken (eine Sonderregelung, die es unter dem EuGVÜ noch nicht gab) davon ausgenommen bleiben könnte.Footnote 18 Würde man auch diese Vorschrift einbeziehen, wäre dadurch die für Großrisiken beabsichtigte Freiheit der Gerichtsstandswahl in weiten Bereichen völlig entwertet, da dort die Einbeziehung von Versicherten eine geradezu typische Gestaltung ist. Diese Hoffnung wurde 2012 dann zumindest durch die Baxter-Entscheidung des US District Court for the Northern District of Illinois zunichte gemacht, in der die Auffassung vertreten wurde, dass die Rechtsprechung des EuGH auch auf Gerichtsstandsklauseln in Verträgen über Großrisiken übertragbar sei.Footnote 19 Ob sich auch der EuGH diese Auffassung zu Eigen machen würde, blieb zunächst offen.

Mit dem nunmehr vorliegenden Balta-Urteil erteilt der EuGH jedoch der Hoffnung eine Absage, dass für Großrisikoverträge ein anderer Standard greifen möge.Footnote 20 Hier war das litauische Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungsunternehmen Grifs AG UAB,Footnote 21 erfolgreich in Litauen auf Schadensersatz in Anspruch genommen worden, für eine grob fahrlässige Verursachung eines Einbruchdiebstahls bei einem vertraglich verbundenen Juwelier. Grifs AG UAB, eine hundertprozentige Tochter der in Lettland sitzenden Grifs AG SIA, war in einem durch die Mutter mit dem lettischen Versicherer Balta AAS abgeschlossenen Haftpflichtversicherungsvertrag mitgedeckt. Dieser enthielt eine Gerichtsstandsklausel, nach der für alle Streitigkeiten ausschließlich die lettischen Gerichte zuständig seien. Grifs AG UAB verklagte den Versicherer jedoch in Vilnius, Litauen, wogegen dieser die Einrede der Gerichtsstandsklausel erhob. In seinem Vorabentscheidungsurteil kommt der EuGH, wobei auf die Begründung später noch einzugehen ist,Footnote 22 zu dem Schluss, dass auch unter einem Großrisikovertrag dem Versicherten eine Gerichtsstandsvereinbarung (so gut wie) niemals entgegengehalten werden kann, wenn dieser ihr nicht formwirksam zugestimmt hat.

3 Grundsätzliches zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen unter Berücksichtigung der Besonderheit der Versicherung für fremde Rechnung

Nun ist dem EuGH zunächst zugute zu halten, dass es im europäischen Internationalen Zivilprozessrecht, genauso wie im deutschen (Internationalen) Zivilprozessrecht, richtig ist, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, sowie jeder andere (Prozess‑)Vertrag auch, nicht zu Lasten eines Dritten geschlossen werden kann. Jedoch bedeutet dies eben nicht, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung niemals einem Dritten gegenüber geltend gemacht werden könnte. Dass auch unter der Brüssel Ia-VO Nichtvertragsparteien an eine Gerichtsstandsvereinbarung gebunden werden können, zeigt sich etwa in Art. 25 Abs. 3 Brüssel Ia-VO, der grundsätzlich auch einer einseitig beschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung des Begründers eines Trust ihre Wirkung auch gegenüber dem Trustee und den Begünstigten zuerkennt.

Aber auch darüber hinaus muss der Grundsatz eines Ausschlusses einer exceptio ex iure tertii teilweise durchbrochen werden. So bindet etwa die Gerichtsstandsvereinbarung den Gesamtrechtsnachfolger einer Partei, also etwa den Erben einer natürlichen Person oder die Rechtsnachfolgerin einer juristischen Person (grundsätzlich unabhängig davon, ob durch Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung oder einen Formwechsel). Gleiches muss auch bei der Einzelrechtsnachfolge gelten,Footnote 23 sodass auch der Zessionar sich eine Gerichtsstandsvereinbarung entgegenhalten lassen muss, wie der EuGH seit seiner Tilly Russ-Entscheidung – hier enthielt das Konnossement eine zwischen Be- und Verfrachter vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung, die sich auch der Empfänger des Frachtguts als Drittinhaber des Konnossements entgegenhalten lassen musste – in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat.Footnote 24 Voraussetzung ist hierbei, neben der wirksamen Vereinbarung der Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den ursprünglichen Parteien, dass der Dritte nach dem (kollisionsrechtlich) anwendbaren materiellen Recht in die Rechte und Pflichten einrückt, die von der Gerichtsstandsvereinbarung ratione materiae umfasst sind.

Einen gewissen Widerspruch erzeugt insofern das Assens Havn-Urteil des EuGH, in dem festgehalten wurde, dass der Geschädigte hinsichtlich seiner Klage gegen den Versicherer des Schädigers nicht an die Gerichtsstandsvereinbarung des Versicherungsvertrages gebunden sei.Footnote 25 Hierbei ist zunächst hervorzuheben, dass nach der richtigen Auffassung des EuGH ein Geschädigter hinsichtlich seines Direktanspruchs, wenn die alternative Anknüpfung des Art. 18 Rom II-VO auf ein Recht verweist, das einen solchen gewährt, nicht an eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer gebunden sein kann.Footnote 26 In Assens Havn lag der Fall jedoch zumindest nach der mitgeteilten dänischen Rechtslage etwas anders. Hier hatte ein gechartertes Schiff an einer Anlegestelle des dänischen Hafens einen Schaden verursacht. Der schwedische Charterer hatte für das streitgegenständliche Schiff eine Haftpflichtversicherung mit einem englischen Versicherer abgeschlossen, die eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung (Artt. 15 Nr. 5, 16 Nr. 2 lit. a i. V. m. Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VOFootnote 27) auf englische und walisische Gerichte vorsah. Da der schwedische Charterer in Insolvenz verfallen war, verklagte die dänische Geschädigte den Versicherer vor einem dänischen Gericht. Hierbei stütze sie ihren Anspruch auf § 95 Abs. 2 S. 1 des dänischen VVG (Forsikringsaftalelov), der jedoch gerade (zumindest in der mitgeteilten Übersetzung) bestimmt: „(1) Ist die Ersatzpflicht des Versicherten gegenüber dem Geschädigten festgestellt und die Höhe des Ersatzes festgelegt, tritt der Geschädigte in das Recht des Versicherten gegenüber der Gesellschaft ein, soweit seine Forderung nicht befriedigt worden ist. (2) Der Geschädigte tritt außerdem in das Recht des Versicherten gegen die Gesellschaft ein, wenn der Ersatzanspruch des Geschädigten von der Insolvenz […] des Versicherten erfasst wird.“ Nimmt man diese Regelung bei ihrem Wortlaut, so läge hier eigentlich ein Fall der Legalzession vor,Footnote 28 sodass der Geschädigte sich dann als Einzelrechtsnachfolger nach der ständigen Rechtsprechung auch die Gerichtsstandsvereinbarung entgegenhalten lassen müssteFootnote 29.Footnote 30 Der EuGH stellte gleichwohl fest, dass der Geschädigte sich die Gerichtsstandsvereinbarung nicht entgegenhalten lassen müsse. Obgleich die Entscheidung in der Sache zweifelhaft ist,Footnote 31 erscheint sie aber im Rahmen der Vorlagefrage richtig.Footnote 32 Das dänische Gericht hatte gerade festgehalten, dass es für den § 95 Abs. 2 S. 1 Forsikringsaftalelov die Auffassung vertrete, dass es sich um einen Direktanspruch i. S. d. Art. 13 Abs. 2 Brüssel Ia-VO handele. Da es dem EuGH insoweit nicht obliegt, darüber zu entscheiden, ob das nationale Recht in einem nicht-harmonisierten Bereich (hier gerade kein StraßenverkehrsunfallFootnote 33) einen Direktanspruch gewährt, musste es diese Auffassung als gegeben voraussetzen und hat unter dieser Prämisse korrekt festgehalten, dass ein Geschädigter hinsichtlich eines Direktanspruchs nicht an Gerichtsstandsvereinbarungen im Versicherungsvertrag gebunden wird,Footnote 34 ohne hierdurch seine richtige Rechtsprechung zur Bindung des Rechtsnachfolgers aufzugeben.

Problematisch wird die Rechtsprechung des EuGH mithin erst dort, wo es um die Bindung an die Gerichtsstandsvereinbarung eines durch einen Vertrag zugunsten Dritter Begünstigten geht, dessen Paradigma eben die Versicherung für fremde Rechnung ist. Hier nimmt eine gefestigte deutsche Meinung schon seit langem an, dass der Begünstigte, zumindest wenn die Gerichtsstandsvereinbarung vor oder zeitgleich mit der Einräumung der Rechtsstellung vereinbart wurde, an diese gebunden ist, denn, wie Geimer es treffend ausdrückt, „[d]em Dritten wird nicht genommen, sondern gegeben: nämlich eine Forderung, deren (prozessuale) Durchsetzungsmöglichkeit allerdings geregelt ist“.Footnote 35 Eine solche Bindung wird man allerdings zunächst nur für den Aktivprozess des Dritten, d. h. des Versicherten, annehmen dürfen.Footnote 36 Mithin kann die Gerichtsstandsvereinbarung grundsätzlich nicht vorsehen, dass der Versicherte vor anderen als den gesetzlich vorgesehenen Gerichten verklagt werden kann, da dies die Begründung einer Pflicht, nämlich Gerichtspflicht wäre. Mithin bleibt es dabei, dass der Internationale Beklagtengerichtsstand des Versicherten nach Art. 14 Abs. 1 Brüssel Ia-VO grundsätzlich ein ausschließlicher ist, dessen Aufhebung allenfalls durch Vereinbarung mit dem Versicherten bewirkt werden kann. Für Regressforderungen oder kondiktionsrechtliche Ansprüche gegen den Versicherten kann also keine bindende Änderung durch die Gerichtsstandsklausel vorgesehen werden. Da es im Verhältnis zum Versicherten, der ja gerade nicht der Prämienschuldner ist, jedoch nur selten zu Aktivprozessen des Versicherers kommen wird, bedeutet dies keine nennenswerte Belastung. Durch das vorstehende Verständnis wird sichergestellt, dass die eigentlichen Vertragsparteien, d. h. Versicherungsnehmer und Versicherer, Herren der Vertragsgestaltung bleiben, ohne auf die Zustimmung Dritter, d. h. der Versicherten, angewiesen zu sein, die aus dem Vertrag nur Rechte erwerben, denen aber keine Pflichten erwachsen.

Hierbei kommt einer rechtsfesten Vereinbarung einer Gerichtsstandsvereinbarung beim „Rechtsprodukt“Footnote 37 Versicherung im Fall des internationalen Bezuges eine überragende Bedeutung zu, da nur dadurch sichergestellt werden kann, dass nicht auf Grund abweichender kollisionsrechtlicher Vorschriften ein anderes als das visionierte Sachrecht zur Anwendung gelangt, nicht unvorhergesehene Eingriffsnormen zur Anwendung gelangen oder AGB-rechtliche Bestimmungen zu einer Umformung des Deckungskonzepts führen. Je größer die Anzahl der Versicherten, die einen Sitz in einem vom Versicherungsnehmer abweichenden Staat haben, desto größer würde sonst die Gefahr von so nicht vorhersehbaren Deckungsentscheidungen, durch die die Kalkulationsgrundlage des Versicherers erheblich gestört werden könnte.

4 Fehlerhaftigkeit des Begründungsansatzes des EuGH

Nun ist es freilich so, dass der Versicherte unabhängig von den vorherigen Überlegungen durch die Brüssel Ia-VO ohnehin mittelbar davor geschützt wird, bestimmter gesetzlicher Gerichtsstände verlustig zu gehen. So erlauben Art. 15 Nr. 1–4 Brüssel Ia-VO dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer Gerichtsstandsvereinbarungen nur unter sehr restriktiven Umständen, was den Versicherten im Reflex schützt, da auch die ihm eröffneten Gerichtsstände nur und allenfalls unter diesen Prämissen genommen werden können. Etwas anderes gilt nur im Großrisikobereich (und den anderen durch Art. 15 Nr. 5 Brüssel Ia-VO erfassten VersicherungsspartenFootnote 38), für den der Gesetzgeber ersichtlich von einer möglichst umfassenden Parteiautonomie ausgeht. Durch die Balta-Entscheidung wird diese Parteiautonomie, gerade im Hinblick darauf, dass die erfassten Verträge sehr häufig auch geographisch weit gestreute Versicherte mitumfassen werden, bis zur Unkenntlichkeit verkürzt. Zur Untermauerung seiner Rechtsansicht bedient sich der EuGH eines Bündels von Begründungsansätzen, die allesamt nicht überzeugen können.Footnote 39

Zunächst erscheint es nicht hinnehmbar, dass der EuGH zur Begründung der Nichtbindung des Versicherten einen „Analogieschluss“ zur Behandlung der Klage aus einem Direktanspruch des Geschädigten zu bemühen scheint.Footnote 40 Ein Geschädigter, dem ein Direktanspruch zukommt, unterscheidet sich wesentlich von einem Versicherten. So besteht zwischen dem Geschädigte gerade keine vertragliche Verbindung mit dem verklagten Haftpflichtversicherer seines Schädigers. Er hat vielmehr einen von Versicherungsnehmer unabhängigen, eigenen und nicht etwa bloß einen akzessorisch vom Versicherungsnehmer abgeleiteten Klägergerichtsstand für seine Direktklage,Footnote 41 so wie eben auch sein Direktanspruch nur insoweit an den Deckungsanspruch gebunden ist, dass überhaupt eine Deckung besteht, ohne dass ihm Einwände aus dem Versicherungsvertrag grundsätzlich entgegengehalten werden könnten.Footnote 42 Allerdings wird man die Ausführungen des EuGH in Balta zu Assens Havn entgegen teilweiser MeinungFootnote 43 wohl nicht als tragenden Begründungsansatz zu verstehen haben, da der EuGH diese Ausführungen wohl nur in Reaktion auf die Antragsfrage des vorlegenden litauischen GerichtesFootnote 44 macht.

Schwerer wiegen die Bedenken, dass der EuGH hier wie stets die Erwägungsgründe 18 und 19 Brüssel Ia-VO bemüht, um die Regelungen der Brüssel Ia-VO unter Billigkeitsgesichtspunkten zu überzeichnen.Footnote 45 Bezeichnend ist hierbei, dass der EuGH den Erwägungsgrund 18 gerade fehlerhaft, aber in der Sache durchaus angemessen wiedergibt, dass im Rahmen der Zuständigkeit für Versicherungssachen die schwächere VertragsparteiFootnote 46 geschützt werden solle. Genau dies ist der Versicherte, der eben nicht Partei des Vertrages wird, jedoch nicht.Footnote 47 Aus diesem Lapsus zieht der EuGH jedoch, wie zu erwarten, keine Konsequenzen. Stattdessen wird breit aufgefächert, weshalb der Versicherte des besonderen Schutzes auch zuständigkeitsrechtlich bedürfe, ohne auch nur mit einem einzigen Wort darauf einzugehen, dass der Versicherte eben vielfach den Versicherungsschutz „geschenkt“ bekommt. Das Sprichwort vom geschenkten Gaul scheint in Luxemburg mithin nicht bekannt zu sein.Footnote 48

Dem EuGH – der sich hier gerade auch weigert, eine Einzelbetrachtung des Versicherten vorzunehmen, sondern diesen per se für schutzwürdig erklärt – scheinen hier unausgesprochene Gefahren vorzuschweben, in denen ansonsten einem Versicherten mit Verbrauchereigenschaft seine aktiven Gerichtsstände genommen werden könnten, sodass er auch den gewerblichen Versicherten meint schützen zu müssen. Man mag sich insofern fragen, ob dies unter Großrisikoverträgen eine echte Gefahr darstellt. Denkbar wäre dies etwa für die Feuer- und Elementarschadenversicherung (Anhang I Teil A Nr. 8 Solvency II-RL) und sonstige Sachschadenversicherungen (Anhang I Teil A Nr. 9 Solvency II-RL), wenn diese wie üblich auch Fremdschäden abdecken, sodass etwa auch das im Betrieb befindliche Eigentum der Arbeitnehmer mitversichert ist, und für alle Arten der Fahrzeughaftpflicht (Anhang I Teil A Nr. 8 Solvency II-RL), wenn ein Verbraucher ein solches Fahrzeug zu privaten Zwecken mietet oder sonst verwendet, und über diesen Vertrag seine Fahrzeugführerhaftpflicht mitgedeckt wird. Alle sonstigen Versicherungssparten (eine Ausnahme wäre etwa noch die D&O-Versicherung), die im Einzelfall eine Großrisikoversicherung enthalten können, sehen üblicherweise Deckungskonzepte vor, bei denen Versicherte nur andere Gewerbetreibende sein können. Nimmt man nunmehr die Sachversicherung als Beispiel, erschließt sich auf den ersten Blick, dass der Versicherte hier nicht sonderlich schutzwürdig erscheint. Dieser erhält Versicherungsschutz ohne Einsatz eigenen Geldes. Man verdeutliche sich, zu welchem Ergebnis die Auffassung des EuGH hier führt. Wenn ein griechisches Unternehmen unter (verlängertem) Eigentumsvorbehalt eine Maschine an ein deutsches Unternehmen geliefert hat, die dann dort durch ein Feuer zerstört wird, so könnte der deutsche Feuerversicherer nunmehr am griechischen Sitz des Eigentümers auf Deckung verklagt werden, ohne die übliche Gerichtsstandsklausel einwenden zu können. Dies würde dann dazu führen, dass ein Versicherer bei einem Großschadensereignis potenziell mit hunderten weltweit gestreuten Gerichtsständen belastet wäre. Hierbei wird dem Versicherten dann vielfach erst eine Klage vor den Heimatgerichten möglich, während er bei einer Klage gegen den eigentlichen Vertragspartner grundsätzlich in dessen Sitzstaat (der typischerweise auch der Sitzstaat des Versicherers ist) hätte prozessieren müssen. Und dies letztlich nur, weil der Versicherungsnehmer als besonderen Schutz des Vertragspartners (und letztlich als indirekter Schutz vor der Belastung mit Schadensersatzansprüchen) auch Fremdversicherungsschutz eingekauft hat. Aus Verbraucherschutzgesichtspunkten (i. w. S.) wirklich problematisch ist insofern nur die Fahrzeughaftpflichtversicherung eines Unternehmens. Hierbei seien die Luftfahrzeughaftpflicht und die Schifffahrtshaftpflicht ausgespart, da die Fälle, in denen potenziell ein Verbraucher als Versicherter Deckung erhält, praktisch eher unbedeutsam sind. Anders aber bei der KH-Versicherung, wenn hier eine Autovermietung einen Flottenversicherungsvertrag abschließt, der eine Gerichtsstandsklausel enthält.Footnote 49 Dies kann zumindest prima facie durchaus empfindlich in den Schutz von Verbrauchern eingreifen. Hier ist jedoch wiederum zu beachten, dass europaweit dem Geschädigten gerade ein Direktanspruch gegen den KH-Versicherer gewährt wird. Entsprechend wird üblicherweise der Geschädigte nach § 14 Abs. 2 Brüssel Ia-VO den Versicherer vor seinem Wohnsitzgericht verklagen, und, wenn dies dort möglich ist, wird der VersicherteFootnote 50 allenfalls nach Art. 14 Abs. 3 Brüssel Ia-VO mit dem Instrument der Streitverkündung (da der Versicherte wohl üblich dem Versicherer beitreten wird) mitverklagen.Footnote 51 Ein Problem entsteht also nur dann, wenn der Geschädigte praktisch gerade untypisch nur den Versicherten, nicht aber den Versicherer (oder den Versicherungsnehmer als Fahrzeughalter) verklagt, sodass dann der Versicherte wegen der Gerichtsstandsklausel an einer Streitverkündigung gehindert wäre. Zumindest unter dem deutschen Haftpflichtversicherungsrecht ist auch dies jedoch nur ein Scheinproblem, da dem Versicherer eine Prozessführungsbefugnis zukommt und er, wenn er diese wahrnimmt oder trotz rechtzeitiger Ermöglichung durch den Versicherten nicht wahrnimmt, an alle doppelrelevanten Tatsachen des Haftungsprozesses auch für das Deckungsverhältnis gebunden wird.Footnote 52 Insofern würde auch eine dann erzwungene Prozessführung des Versicherten im Ausland gegen den Versicherer so vereinfacht, dass dies durchaus noch als hinnehmbar erschiene. Davon abgesehen ließe sich gerade für solche Situationen vertreten, insbesondere wenn das anwendbare Versicherungsvertragsstatut eine solche Tatsachenerstreckung nicht vorsieht, dass dann eben doch zum Schutz der schwächeren Partei, die Gerichtsstandsklausel nicht entgegengehalten werden kann. Dies ist letztlich die grundsätzliche Verfehlung des EuGH: Dieser schränkt die Parteiautonomie auch in den gewährten Freiräumen grundsätzlich ein und will sie nur im kaum je einschlägigen Ausnahmefall gewähren, anstatt der Parteiautonomie, wo sie gewährt wird, den Primat einzuräumen, um sie dann aus zwingenden Schutzgesichtspunkten im Einzelfall zu beschränken. Die sowieso nur sehr beschränkt gewährte Parteiautonomie in Versicherungssachen wird hierdurch von den Füßen auf den Kopf gewendet.

Der EuGH geht in Balta aber noch weiter und versperrt nahezu alle Hintertürchen. So hätte man nach dem Vorgesagten zumindest noch annehmen können, dass diese Einschränkung aus Schutzwürdigkeitsgesichtspunkten zumindest dann nicht gelten kann, wenn durch eine Einzelabwägung ermittelt wird, dass der Versicherte nicht schutzwürdig ist, also zumindest dann, wenn in analoger Anwendung der durch Art. 16 Nr. 5 Brüssel Ia-VO in Bezug genommenen Art. 13 Nr. 27 lit. b und c Solvency II-RL gerade eine Großrisikoversicherung vorliegen würde, wenn der Versicherte sie selbst als Versicherungsnehmer genommen hätte. Der EuGH führt jedoch aus, dass eine solche Einzelabwägung nicht statthaft sei und begründet dies, nahezu zynisch, damit, dass gerade in der Großrisikoversicherung ansonsten die Rechtssicherheit der Zuständigkeitsregelungen (die ja gerade erst durch die verfehlte Balta-Entscheidung zerrüttet wird) zu stark und nicht mehr hinnehmbar beeinträchtigt wäre.Footnote 53 Dies bedeutet mithin, dass etwa die Gerichtsstandsklausel in einem Großrisikovertrag qua Sparte, der vielfach auch von einer Holding oder einem zu diesem Zweck geschaffenen Tochterunternehmen genommen wird, um allen konzernzugehörigen Unternehmen Versicherungsschutz zu verschaffen, selbst einem potenten Großunternehmen, das vertraglich nur Versicherter ist, nicht entgegengehalten werden kann, obgleich dieses vielfach die Vertragsgestaltung bestimmend vorgeben wird, während es sich auf für es günstige Abweichungen berufen kann.

Die einzige Ausnahme, die der EuGH bestehen lässt, wiederum um sich nicht zu seiner älteren Rechtsprechung in Widerspruch zu setzen,Footnote 54 ist die, dass ein Versicherter, der selbst gewerblich im Versicherungsbereich tätig ist, nicht von dieser teleologischen Reduktion profitiere, also doch an die Gerichtsstandsvereinbarung gebunden sei.Footnote 55 Dies bedeutet dann, dass einem kleinen Versicherungsvertreter, der durch einen als (automatische) Gruppenversicherung genommenen Berufshaftpflichtversicherungsvertrag als Versicherter gedeckt wird, der Klägergerichtsstand genommen werden kann, nicht aber einem DAX-Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mehreren Milliarden Euro.Footnote 56 Richtig verstanden sollte beides möglich sein.

5 Praktische Lösungsmöglichkeiten

Unabhängig davon, dass die Entscheidung des EuGH in Balta nicht einmal im Ansatz überzeugen kann, bindet sie sämtliche mitgliedstaatlichen Gerichte (und in Erweiterung zumindest indirekt auch die von EWR-StaatenFootnote 57). Die Praxis wird mithin, zumal der EuGH in Balta erstaunlich unmissverständlich formuliert,Footnote 58 zukünftig als in Stein gemeißelte Regel anzunehmen haben, dass Gerichtsstandsvereinbarungen den Versicherten auch hinsichtlich ihres Aktivprozesses nicht entgegengehalten werden können. Dies wirft die Frage nach praktischen Lösungsmöglichkeiten auf.

Eine potenzielle Lösungsmöglichkeit zeichnet Peloux und dem folgend Balta vor, nämlich, dass einfach die Zustimmung der Versicherten zur Gerichtsstandsvereinbarung eingeholt werden solle.Footnote 59 Dies ist jedoch vielfach deutlich komplizierter, als der EuGH dies imaginiert. Hierbei ist zu beachten, dass gerade im Rahmen der Großrisikoversicherung vielfach Duzende von Versicherten gedeckt werden, deren Zustimmung vor dem Vertragsschluss dann eingeholt werden müsste. Zudem werden vielfach auch zukünftige konzerngebundene Unternehmen automatisch eingezogen, sodass dann bereits der „Unternehmenskauf“ unter die aufschiebende Bedingung einer Zustimmung zur Gerichtsstandsklausel in der Konzerndeckung gestellt werden müsste, um das Deckungskonzept nicht zu gefährden. Noch einschneidender sind die Probleme in der Großrisikosachversicherung, da dort die Fremdversicherten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bekannt sind, sodass ein Zustimmungsmodell selbst bei größtmöglicher Anstrengung nicht zum gewünschten Erfolg führen könnte.

Einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma zeigen Smeele und Oude Alink auf, die anregen, dass die Versicherer, die Deckung von Versicherten (in der Großrisikoversicherung) aufschiebend bedungen davon abhängig machen sollten, dass der Versicherte der Gerichtsstandsvereinbarung zustimmt.Footnote 60 Wenn eine solche Vertragsgestaltung auch zulässig erscheint, so wird sie jedoch vielfach den Interessen des Versicherungsnehmers nicht gerecht werden. Der Versicherungsvertrag gewährt den Versicherten eben nicht deshalb Deckung, um diesen eine altruistisch motivierte Wohltat zukommen zu lassen, sondern weil der Versicherungsnehmer ein wie auch immer geartetes Interesse daran hat. So schließt etwa die Konzernmutter vielfach einen auch ihre Töchter deckende Versicherung, weil sie Schäden, die bei diesen auftreten, ob eines Ergebnisabführungsvertrages sonst selbst zu tragen hätte. Der Versicherungsschutz für Fremdinteressen dient zudem vielfach, obgleich die Sachversicherung eigentlich eine Aktivenversicherung ist, dazu, mittelbar einen Passivenversicherungsschutz zu bewirken, da der Versicherungsnehmer für eingetretene Schäden an fremdem Eigentum faktisch sein Schadensersatzrisiko reduziert. Die Durchsetzung all dieser berechtigten Interessen werden behindert, wenn man induziert durch eine fehlerhafte Rechtsprechung zur Internationalen Zuständigkeit nunmehr den Fremdversicherungsschutz unter eine aufschiebende Bedingung der Zustimmung des Versicherten stellen wollte, die zumal, wie vorher ausgeführt, vielfach überhaupt nicht eingeholt werden könnte.Footnote 61

Eine durch Heiss,Footnote 62 durch Smeele und Oude AlinkFootnote 63 sowie auch durch den VerfasserFootnote 64 vorgeschlagene Möglichkeit innerhalb der Großrisikoversicherung wäre die Flucht in die Schiedsgerichtsbarkeit. Abgesehen davon, dass es nur schwer erträglich erscheint, dass ein sinnvolles Deckungskonzept nur dadurch geschützt werden kann, dass sich die Parteien dem Einfluss des Staates, der doch ein Interesse am ordentlichen Funktionieren der Wirtschaft haben sollte, so weit wie möglichen entziehen, ist dieses Vorgehen durchaus gefahrbehaftet. Zwar hat die Rechtsprechung des EuGH für die Frage der persönlichen Erfassung von Versicherten durch eine Schiedsklausel keinen verpflichtenden Charakter für die deutschen oder andere europäische Gerichte, da Schiedsklauseln nicht von Art. 15 EuGVO erfasst werden.Footnote 65 Allerding besteht die ernstzunehmende Gefahr, dass die (deutsche) Rechtsprechung im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung in Zukunft die Ratio von Peloux und Balta auch auf den Abschluss einer Schiedsklausel durch den Versicherungsnehmer übertragen könnte, sodass dem Versicherer die Einrede der Schiedsvereinbarung im Rahmen eines durch den Versicherten vor dessen Heimatgerichten initiierten Verfahrens verwehrt werden könnte.

Am pragmatischsten scheint mithin wohl der Weg, eine Klage des Versicherten bereits über die materiellrechtliche Ausgestaltung des Versicherungsvertrages zu verhindern. Ziel muss es also sein, dass der Versicherte (für den Begünstigten gibt es hierfür keine Möglichkeit) seinen Anspruch nicht persönlich gegenüber dem Versicherer geltend machen kann. Unter der Geltung des deutschen Rechs als Versicherungsvertragsstatut, welches gemäß § 44 Abs. 2 VVG die Berechtigung des Versicherten zur gerichtlichen Geltendmachung der ihm zustehenden Versicherungsansprüche grundsätzlich ausschließt (es sei denn der Versicherungsnehmer stimmt dem zu oder der Versicherte ist im Besitz der Police),Footnote 66 bedeutet dies, dass eigentlich keine weiteren Maßnahmen nötig sind, will man nicht in den AVB das Verfügungsrecht der Versicherten noch weiter beschränken.Footnote 67 Auch dies gewährt keinen vollständigen Schutz, da zumindest die deutsche Rechtsprechung im Einzelfall prüft, ob hinsichtlich der konkreten Klageerhebung ein schützenswertes Eigeninteresse des Versicherers besteht, sich auf die Verfügungsbeschränkung zu berufen.Footnote 68 Obgleich nach hiesiger Sicht ein solches Eigeninteresse in der Großrisikoversicherung grundsätzlich dahingehend offensichtlich ist, als nur durch die Verfügungsbeschränkung das in dem Vertrag niedergelegte Deckungskonzept rechtssicher geschützt werden kann, verbleibt auch hier eine Restgefahr, dass ein durch den Versicherten angerufenes Gericht dies anders bewertet. Soweit ein anderes Recht als Versicherungsvertragsstatut – sei es subjektiv durch Rechtswahl oder aufgrund (teilzwingender) objektiver Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 4 und 5 Rom I-VO – zur Anwendung gelangt, ist sicherzustellen, dass auch dieses einen Ausschluss des Verfügungsrechts des Versicherten möglichst vollumfänglich zulässt. Nur hierdurch kann verhindert werden, dass die visionierte Verfahrenskonzentration, die mittelbar ein in anderen Forumsstaaten herrschendes Verständnis und damit die Umgestaltung des Großrisikovertrages hindern soll, auch greift.

6 Fazit

Das durch den EuGH entworfene Modell der Nichterstreckung von Gerichtsstandsvereinbarungen auf Versicherte selbst in der Großrisikoversicherung ist stark versicherungsfeindlich und wird der Besonderheit einer Versicherung für (auch) fremde Rechnung nicht im Ansatz gerecht. Wichtiger aber, es ist versicherungsnehmerfeindlich. Indem dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, eine Gerichtsstandsvereinbarung auch mit Wirkung für die durch seinen Vertrag mitgedeckten Versicherten, vielfach seine Tochterunternehmen, zu schließen, wird der Einkauf von Konzerndeckungen erheblich erschwert und – berücksichtigt man, dass der Versicherer nunmehr eine unüberschaubare Zahl potenzieller Streitforen einkalkulieren muss – voraussichtlich verteuert. Weshalb dem Versicherten hier eine Schutzwürdigkeit zukommen soll, muss letztlich das Geheimnis des EuGH bleiben. Dem Versicherten wird seine Rechtsstellung als solcher gerade in statu nascendi mit der Belastung einer Gerichtsstandsvereinbarung zuteil. Durch die Gerichtsstandsvereinbarung wird dem Versicherten mithin nichts genommen, sondern sie haftet den zugeteilten Rechten ab initio an. Man will nur hoffen, dass der EuGH nicht noch zusätzlich auf die dann völlig abstruse Idee verfällt, seine Rechtsprechung auch auf Art. 7 Abs. 2 UA 1 Rom I-VO auszuweiten und anzunehmen, dass die Versicherten unter einem Großrisikovertrag nicht an eine wirksam getroffene Rechtswahlklausel gebunden sind, sondern für diese dann nach Art. 7 Abs. 2 UA 2 Rom I-VO grundsätzlich an das Sitzrecht des Versicherers angeknüpft wird (wenn dieses, wie in der Großrisikoversicherung durchaus nicht unüblich, gerade nicht das bedungene Vertragsstatut ist). Vertrauen möchte man darauf nicht.

Hoffnung auf Änderung der Rechtsprechung mag man getrost begraben. Dem über weite Flächen selbst-referentiellen case law des EuGH ist ein Hang zu einer hermeneutisch anmutenden Arbeitsweise zu eigen, die dazu führt, dass nahezu zwanghaft an bereits ergangenen Entscheidungen festgehalten wird und neue Entscheidungen zumindest in eine Scheinkongruenz gesetzt werden.Footnote 69 Eine echte Rechtsprechungsänderung, d. h. die Abänderung eines „Präzedenzfalls“ (anders als etwa nur eine abweichende Entscheidung wegen eines distinguishing factor oder aber einer Übertragung von alten Urteilen auf andere Sachverhalte), ist unter diesen Vorzeichen eine kaum je erlebte Seltenheit,Footnote 70 wenn der EuGH nicht durch externe Faktoren (d. h. Änderung der Verträge oder des entscheidungsrelevanten Sekundärrechts) dazu gezwungen wurde. Solange also der Gesetzgeber nicht für eine angemessene Anpassung der Artt. 15 f. Brüssel Ia-VO sorgt, wird die nunmehrige Rechtsprechung zu den Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungssachen wohl ad eternam gelten.