1 Einleitung

In parlamentarischen Systemen mit Verhältniswahl kann meist keine einzelne Partei eine absolute Sitzmehrheit im Parlament erringen. Wie regiert werden soll, muss sich aus den institutionellen Regeln, den Handlungskalkülen und Verhandlungen der Parteien ergeben. In den meisten Fällen schließen sich Parteien zu Mehrheitskoalitionen zusammen. In etwa einem Drittel der Fälle (Döring und Manow 2023) bildet sich allerdings eine Minderheitsregierung, also ein Kabinett, dass keine absolute Sitzmehrheit im Parlament kontrolliert. Dieser Literaturbericht fasst die bestehende Literatur zu verschiedenen Aspekten von Minderheitsregierungen zusammen und präsentiert einige originäre Daten zu ihrer Verbreitung und ihren verschiedenen Spielarten.

Wir diskutieren insbesondere die Handlungskalküle sowie die institutionellen und situativen Hintergrundbedingungen, die Minderheitsregierungen zu einem rationalen und plausiblen Ergebnis von Regierungsbildungsprozessen machen können. Wie Minderheitsregierungen funktionieren, also wie sie legislative Mehrheiten mit (einzelnen) Oppositionsparteien bilden, beschreiben wir im Vergleich mit einem Blick auf parlamentarische Demokratien und die wenigen Beispiele in deutschen Bundesländern. Dabei zeigt sich, dass im Zeitverlauf Minderheitsregierungen häufiger als Koalition gebildet werden und dass die Kooperation mit Unterstützungspartnern häufiger formal abgesichert wird. Schließlich resümieren wir die Leistungsbilanz von Minderheitsregierungen. Wir diskutieren ihre Nachteile, machen aber auch auf zahlreiche normative und instrumentelle Vorteile aufmerksam, die in der skeptisch vorgeprägten Debatte über dieses anderswo gängige Regierungsformat in der Bundesrepublik häufig aus dem Blick geraten.

2 Definition und Vorkommen von Minderheitsregierungen

Eine Minderheitsregierung wird von einer Partei oder einer Koalition von Parteien gebildet, die zusammen weniger als die Hälfte (50 %) plus eines der Abgeordnetenmandate innehaben und somit keine absolute Mehrheit im Parlament besitzen. Entlang dieser Definition zeigt Abb. 1 mit Hilfe der Datenbank „ParlGov“ (Döring und Manow 2023) die Verteilung von Kabinettstypen in 30 Demokratien zwischen 1980 und 2023. Minderheitsregierungen erfreuen sich offensichtlich über Zeit und Länder hinweg unterschiedlicher Beliebtheit. Einerseits fällt auf, dass sich in Deutschland, Finnland, Malta und Luxemburg bisher keine Minderheitsregierungen nach Wahlen auf nationaler Ebene gebildet haben. Dagegen sticht die Dominanz von Minderheitsregierungen in Dänemark, Schweden, Norwegen und Neuseeland ins Auge. Dass sich Minderheits- und Mehrheitsregierungen auch regelmäßig abwechseln können, illustrieren z. B. Spanien, Litauen oder Kroatien. In jüngerer Zeit gab es erstmalige Episoden von Minderheitsregierungen im Vereinigten Königreich (2017–2019), den Niederlanden (2010–2012) und Australien (2010–2013).

Abb. 1
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Regierungstypen in ausgewählten Ländern 1980–2023. Anmerkung: Übergroße Koalitionen, solche Koalitionen, die mehr Parteien umfassen als für eine parlamentarische Mehrheit notwendig wären, sind als Mehrheitsregierung klassifiziert. Datenquelle: ParlGov (Döring und Manow 2023)

Minderheitsregierungen sind im Zeitverlauf häufiger geworden. In den 1980er-Jahren waren nur etwa 25 % aller Regierungen Minderheitsregierungen, in den 2010er Jahren sind es mehr als 33 %.

3 Warum bilden sich Minderheitsregierungen? Handlungskalküle, institutionelle und situative Hintergründe

Minderheitsregierungen mögen auf den ersten Blick als kontraintuitiv oder gar „implausible and undemocratic“ gelten (Laver und Shepsle 1996, S. 262). Vor allem drängt sich die Frage auf, warum Oppositionsparteien überhaupt eine Minderheitsregierung akzeptieren und stützen sollten, wenn sie diese Unterstützung doch in einer Mehrheitskoalition gegen Ämter und exekutive Privilegien eintauschen könnten (Gamson 1961; Riker 1984). Zudem: Wie kann eine Minderheitsregierung überhaupt funktionieren, wenn doch in der Demokratie Mehrheiten regieren sollten?

Es war das große Verdienst von Kaare Strøm (1990) diese Fragen erstmals umfassend zu beantworten und überzeugend darzulegen, dass Minderheitsregierungen eine plausible und funktionsfähige Regierungsform darstellen. Wir tragen hier neue und alte Antworten auf die Fragen zusammen, inwiefern die Handlungskalküle von an vote, office und policy interessierten Parteien in Minderheitsregierungen münden können und welche institutionellen (z. B. Investiturabstimmungen) und situativen (z. B: Parteiensystem) Faktoren sie wahrscheinlicher machen.

Zahlreiche Oppositionsparteien in Skandinavien widersprechen dem Diktum des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, nach dem Opposition „Mist“ sei, verzichten auf die Früchte von förmlicher Regierungsteilhabe und stützen dennoch in unterschiedlichem Umfang eine Minderheitsregierung. Aus welchen Gründen tun sie dies? Eine Antwort führt über das unity-distinctivenes-Dilemma (Boston und Bullock 2012). Demnach müssen Regierungspartner einerseits danach streben, hinreichend einig zu handeln, um gemeinsam Politik zu gestalten und für getting things done (Ganghof und Bräuninger 2006) kollektiv von Wählerinnen und Wählern belohnt zu werden. Andererseits müssen Koalitionsparteien darauf achten, von ihren Regierungspartnern unterscheidbar zu bleiben, um mit Hilfe eines erkennbaren Parteilabels für die Wählerschaft attraktiv zu bleiben.

In Mehrheitskoalitionen wird dieses Dilemma zugunsten von unity und auf Kosten von distinctiveness aufgelöst. Auch wenn sich Koalitionsparteien regelmäßig kommunikativ voneinander abgrenzen (Martin und Vanberg 2008), bilden sie eine klar erkennbare Handlungs- und Verantwortungseinheit, vor allem, da sie sich zu vollständig einheitlichem Abstimmen im Parlament verpflichten. Regieren in Koalitionen macht daher umfassende Kompromisse notwendig, die wiederum das Profil einer Partei, also ihre distinctiveness schleifen können. Was programmatische Profilschärfe und Wahlerfolge betrifft, sind Mehrheitskoalitionen eben auch „Verschleißgemeinschaften“ (Koß 2021). Diese costs of ruling sind vielfältig und vor allem an der Wahlurne umfangreich dokumentiert. In einer Analyse von 971 Wahlen in 74 Ländern zeigt Cuzán (2019), dass Regierungsparteien durchschnittlich 4 % der Stimmen bei der nächsten Wahl einbüßen und bezeichnet dies als law of shrinking support. Fortunato (2019) zeigt, dass Wählerinnen und Wähler ihrer Partei besonders dann ihre Stimme entziehen, wenn wenn sie diese als kompromissbereit in der Regierung wahrnehmen. Klüver und Spoon (2020) und Hjermitslev (2020) zeigen zudem, dass der Status als Juniorpartner in einer Koalition einen zusätzlichen elektoralen Malus erzeugt.

Auch Regierungsteilhabe kann also „Mist“ sein und aufgrund der drohenden elektoralen Bestrafung von Regierungsparteien, so stellte bereits Strøm (1990) fest, kann es durchaus rational sein, einen Platz in der Opposition anzustreben. Im Jargon der klassischen Zieltrias: Um ihre vote-Ziele zu erreichen, verzichten Parteien auf office (Müller und Strøm 2010). Die Anreize auf der Oppositionsbank zu bleiben, steigen weiter, wenn policy-Ziele auch von dort aus zu erreichen sind. Spieltheoretische Modellierungen zeigen, dass mit wachsender policy-Orientierung der Akteure (vis-a-vis einer office-Orientierung) Minderheitsregierungen wahrscheinlicher werden (Kalandrakis 2015; Bassi 2017; Golder et al. 2012). Mit Blick auf oppositionelles Mitregieren wurde argumentiert, dass starke Parlamentsausschüsse eine Arena bereit stellten, von denen aus auch außerhalb der Regierung effektiv Politik (mit)gestaltet werden kann (Mattson und Strøm 1995). In einer ländervergleichenden Studie ergibt sich jedoch keine Korrelation zwischen starken Ausschüssen oder strukturellen Einflusskanälen für die Opposition mit der Bildung von Minderheitsregierungen (Field und Martin 2022a). Zudem liegt der Schluss nahe, dass starke Ausschüsse als Teil der Parlamentsorganisation keine exogenen Faktoren sind, die Minderheitsregierungen begünstigen, sondern dass sich Parteien starke Ausschüsse schaffen, wenn sie daran interessiert sind, institutionelle Rahmenbedingungen für Minderheitsregierungen zu verbessern (McGann 2006, S. 448).

Im Zusammenspiel mit diesen Akteurskalkülen werden auch verschiedene institutionelle und situative Faktoren als Wegbereiter für Minderheitsregierungen diskutiert. In der Reihe institutioneller Erklärungsfaktoren für Minderheitsregierung nimmt die Investiturabstimmung, also die Wahl der Regierung, eine prominente Rolle ein. Bergman (1993) führte die Unterscheidung zwischen negativen und positiven Parlamentarismus ein. In der ersten Gruppe (z. B. Norwegen, Schweden, Dänemark) ist das Ausbleiben einer förmlich festgestellten Gegenmehrheit im Parlament (z. B. durch Misstrauensvotum) hinreichend dafür, dass eine neue Regierung die Arbeit aufnehmen kann. Im zweiten Fall (z. B. Deutschland, Belgien, Spanien) benötigt eine neue Regierung zunächst die explizite Zustimmung einer Parlamentsmehrheit in einer förmlichen Abstimmung. Positiver Parlamentarismus, so vermutete Bergmann (1993), erschwert die Geburt einer Minderheitsregierung, da vor einer möglichen themenbezogenen Tolerierung Unterstützungsparteien ihre explizite Zustimmung zur gesamten Regierung öffentlich vertreten müssten. Allerdings zeigen sich empirisch keine klaren Zusammenhänge, wenn nur dichotom Existenz oder Fehlen einer Investiturabstimmung berücksichtigt wird. Ein granularer Blick auf 26 europäische Demokratien seit 1946 identifiziert die Mehrheitshürde bei der Investitur als maßgeblich. So steigt die Wahrscheinlichkeit für Minderheitsregierungen um 17 %, wenn keine absolute sondern nur eine relative Mehrheit in der Abstimmung für eine Regierung notwendig ist oder gar keine Investiturabstimmung vorgesehen ist (Cheibub et al. 2021).

Dieses Ergebnis ist für die deutsche Diskussion über Minderheitsregierungen relevant. Das Grundgesetz drängt den Bundestag zwar dazu, eine Mehrheitsregierung zu bilden, indem es in der ersten und zweiten Stufe vorsieht, dass eine neue Kanzlerin die absolute Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder des Bundestags auf sich vereinen muss (Art. 63 GG). In einer dritten Stufe darf jedoch auch ein Minderheitenkanzler mit relativer Mehrheit gewählt werden. Kann dieser chancellor elect eine konstruktive Regierungsarbeit glaubwürdig in Aussicht stellen – so die herrschende Meinung der Grundgesetzkommentatoren (Ganghof und Stecker 2015, S. 72) – sollte der Bundespräsident ihn auch ernennen, anstatt den Bundestag aufzulösen. Interessanterweise genießt eine Minderheitenkanzlerin dann einen besonderen Schutz, da sie im Rahmen des konstruktiven Misstrauensvotums nur von einer größeren, d. h. absoluten Mehrheit ersetzt werden kann. Entsprechend ist es wichtig, die Nuancen von Investiturabstimmungen zu verstehen (siehe für den internationalen Ländervergleich Rasch et al. 2015). In den deutschen Bundesländern finden sich verschiedene Ausgestaltungen von Investiturabstimmungen, wobei in den meisten Fällen einfache und relative Investiturmehrheiten hinreichen und Minderheitsregierungen somit nicht institutionell ausgeschlossen sind (Klecha 2010).

Eine wichtige Hintergrundbedingung bilden Fragmentierung und Polarisierung des Parteiensystems (Dodd 1976; Warwick 1998; Kalandrakis 2015). Minderheitsregierungen werden wahrscheinlicher, wenn eine mittige Partei einer fragmentierten und polarisierten Opposition gegenübersteht. Größere zentristische bzw. Median-Parteien haben in dieser Situation eine besonders gute Verhandlungsposition (Laver und Shepsle 1996, S. 66ff.; Crombez 1996), da sie mit Partnern zu ihrer Rechten und Linken prinzipiell mehrheitsfähig sind, diese Partner sich aber wiederum selbst nicht gegen die Minderheitsregierung vereinen können oder wollen. Minderheitsregierungen können dergestalt als Gleichgewichtslösung verstanden werden, da es keine parlamentarische Mehrheit für eine alternative Regierung gibt (Martin und Stevenson 2001). Dass Minderheitsregierungen heute häufiger vorkommen, kann daher auch mit der gewachsenen Fragmentierung und Polarisierung in zahlreichen parlamentarischen Demokratien zusammenhängen; vor allem in Ländern mit einer geringen Anzahl von legislativen Veto Punkten (Thürk et al. 2021).

4 Mehrheitsbildung unter Minderheitsregierungen

Um zu regieren, benötigt jede demokratische Regierung in jeder Abstimmung eine Mehrheit im Parlament. Mehrheitskoalitionen lösen dieses Problem, indem sich ihre Partner auf eine Regierungsmehrheit für die Dauer einer Legislaturperiode einigen. Dabei billigen sie sich meist umfassende innerkoalitionäre Vetorechte zu und schließen die Opposition in der Regel vollständig von der Mehrheitsbildung aus (Tsebelis 2002; McGann 2006). Die Exekutivkoalition fällt also mit den legislativen Koalitionen, die sich im Parlament bilden, zusammen. Minderheitsregierungen können Mehrheiten auf unterschiedliche Arten organisieren. An einem Ende des Spektrums stehen formal minority cabinets (Strøm 1990, S. 62), die von einem Partner dauerhaft gestützt werden.Footnote 1 Sie funktionieren praktisch wie „versteckte Mehrheitsregierungen“. Das zwischen 1994 und 2002 in Sachsen-Anhalt praktizierte „Magdeburger Modell“ kam diesem Typ nah, da das SPD-geführte Minderheitenkabinett (zunächst mit, dann ohne die Grünen) ausschließlich Mehrheiten mit der PDS bildete (Thomas 2003; Renzsch und Schieren 1997). Auch schwedische Minderheitsregierungen zählen häufig zu diesem Typ (Bäck und Hellström 2022).

Am anderen Ende des Kontinuums stehen substantive minority governments, die sich dadurch auszeichnen, dass die Mehrheitsbildung nicht vorab festgelegt ist, sondern gegebenenfalls kurzfristiger und flexibler erfolgt. Das rot-grüne Minderheitskabinett in Nordrhein-Westfalen kam diesem Typ näher (Vielstädte 2012). Im internationalen Ländervergleich gelten dänische Minderheitsregierungen als idealtypisch (Green-Pedersen 2001). Eine Grundvoraussetzung für diese Art der Gesetzgebung ist Kooperationswille und die Kompromissfähigkeit der relevanten legislativen Parteien. Substantielle Minderheitsregierungen sind zudem dann besonders aussichtsreich, wenn es mehr als eine realistische Option für Mehrheitsbildung gibt (Ganghof et al. 2019).

Bemerkenswert ist, dass die Flexibilität von Minderheitsregierungen so weit gehen kann, dass sie einen gegen sie gerichteten legislativen Mehrheitswillen exekutieren. So hat eine liberal-konservative Minderheitsregierung in Dänemark zwischen 1982 und 1988 mehr als 100 Abstimmungsniederlagen im von ihr für nachrangig definierten Thema Außenpolitik akzeptiert (Damgaard und Svenson 1989). Auch in Schottland tolerierte eine von der Scottish National Party zwischen 2007 und 2011 angeführte Minderheitsregierung Mehrheitsentscheide gegen sich (Cairney 2011, S. 265; Paun 2009, S. 59).

Abb. 2 visualisiert vergleichende Daten zur Klassifizierung von Minderheitsregierungen von Thürk (2022). Sie zeigen, dass formale und substantielle Minderheitsregierungen nicht nur weit verbreitet sind, sondern auch innerhalb einzelner Länder abwechselnd vorkommen. Im Zeitverlauf ist dabei eine deutliche Veränderung zu beobachten. Während Strøm im Jahr 1990 noch registrierte, dass formale Minderheitsregierungen selten und eher regional konzentriert auftreten, veranschaulicht Abb. 2, dass formale Minderheitsregierungen inzwischen in nahezu allen untersuchten Ländern anzutreffen sind, in denen nicht allein Mehrheitsregierungen gebildet werden.

Abb. 2
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Regierungstypen in 30 parlamentarischen Demokratien (1980–2023). Anmerkung: Die Daten basieren auf ParlGov (Döring und Manow 2023) und Thürk (2022) und enden 2023

Zudem hat sich das Format von Minderheitsregierungen über die Zeit deutlich verändert, wie Abb. 3 hervorhebt. Bestanden in den 1970ern die meisten (71 %) Minderheitenkabinette aus einer Partei, dominieren in den 2010ern Minderheitenkoalitionen (65 %). Zugleich haben sich die Anteile von Minderheitenkabinetten mit formalen Unterstützungspartnern von 6 % in den 1970ern auf 65 % in den 2010ern erhöht (Thürk und Krauss 2023). Allerdings gibt es zahlreiche, sich teils widersprechende Konzeptualisierungsvorschläge für support parties (Thesen 2016; Bäck und Bergman 2016), so dass häufig ein genauer Blick in die einzelnen Ländern anzuraten ist.

Abb. 3
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Eigenschaften von 206 Minderheitsregierungen in 28 Demokratien (1970–2023). Anmerkung: Die Daten basieren auf ParlGov (Döring und Manow 2023) und Thürk (2022) und enden 2023

Auch führt ein genaues Verständnis von Minderheitsregierungen neben systematischen Faktoren wie Investiturabstimmung oder Polarisierung nur über länderspezifische Einblicke. Beispielsweise gilt das Zwei-Block-System der Parteien als Funktionsgarant skandinavischer Minderheitenkabinette (Green-Pedersen und Skjæveland 2020). Die Parteien ordnen sich typischerweise in zwei gegensätzliche Blöcke ein: den linken oder den rechten, und bekennen sich zur Unterstützung der Spitzenkandidatin der größten Partei ihres Blocks. Falls ihr eigener Block stärker ist als der gegnerische, unterstützen die Parteien häufig die führende Partei bei der Bildung eines Minderheitskabinetts, ohne formal Teil der Regierung zu sein.

In Neuseeland hat sich nach dem Wechsel von einem Mehrheits- zu einem Verhältniswahlsystem eine besonders innovative und pragmatische Infrastruktur von support parties herausgebildet, die auch unter der Bezeichnung ‚contract parliamentarism‘ (Bale und Bergman 2006b) firmiert. Als wichtiges Instrument dienen hier confidence and supply agreements, in denen sich die Regierung für die Dauer einer Legislaturperiode der Unterstützung einer oder mehrerer Oppositionsparteien versichert (Boston 2009; Boston und Bullock 2012). Diese Abkommen beinhalten etwa allgemeine Zusagen, die politischen Prioritäten von support parties zu berücksichtigen, Vereinbarungen über konkrete Gesetzgebungsprojekte oder Konsultationen zum Haushaltsplan. Auch in Schweden (Bale und Bergman 2006a), Schottland (Cairney 2011) und Kanada (Chalmers 2009) finden sich verschiedene Elemente von contract parliamentarism. Eine bisher einzigartige neuseeländische Erfindung sind support party ministers. Diese Minister werden zwar in die Exekutive aufgenommen. Sie sind aber nur in ihrem jeweiligen Geschäftsbereich zur Kabinettsdisziplin verpflichtet und können sonst im Rahmen von agree-to-disagree-Klauseln abweichende Meinungen in speech & vote vertreten (White 2005).

Verschiedene Studien haben die tatsächliche legislative Mehrheitsbildung auf Abstimmungsebene von Minderheitenkabinetten, teils im Vergleich zu Mehrheitskabinetten (Louwerse et al. 2017), genauer unter die Lupe genommen. Diese Analysen sind allerdings noch rar gesät, da das Abstimmungsverhalten außerhalb namentlicher Abstimmungen oftmals mühsam aus Plenarprotokollen erhoben werden muss. Für die Niederlande (2010–2012) wurde gezeigt, dass die konservative Minderheitsregierung Rutte I praktisch wie eine Mehrheitskoalition mit der Unterstützungspartei PVV von Geert Wilders funktionierte, also wenig Varianz in der Zusammensetzung der legislativen Koalitionen auftrat (Green-Pedersen und Otjes 2019). Betrachtungen des rot-grünen Minderheitenkabinetts in Nordrhein-Westfalen (2010–2012) zeigen, dass die meisten legislativen Mehrheiten zwar mit den LINKEN gebildet wurden, aber auch auf bestimmten Politikfeldern mit CDU und FDP zusammengearbeitet wurde (Ganghof et al. 2012). Eine Analyse der innovativen Kooperationsformate die seit 2002 in Neuseeland praktiziert werden zeigt, dass die Regierung Mehrheiten mit support parties in häufig unterschiedlicher Zusammensetzung bildet (Al-Gaddooa 2023; siehe auch Williams 2012).

In Dänemark variieren legislative Koalitionen stärker. Ein zentrales Instrument für die Mehrheitsbildung sind hier legislative policy-Abkommen, sogenannte forlig. Diese schriftlichen und öffentlichen Abkommen werden zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien für die Dauer einer Legislaturperiode (oder gar länger) abgeschlossen und konzentrieren sich jeweils auf einen bestimmten Politikbereich, z. B. auf eine Rentenreform oder ein Migrationsabkommen. So können verschiedene parteiliche Koalitionen ein stabiles Regieren ermöglichen (Christiansen 2008). Christiansen und Pedersen (2014) sehen in diesen Abkommen einen rationalen policy-Tauschhandel zwischen Regierung und Unterstützungsparteien.

Tauschhandel (log-rolls) erklären auch das Rational hinter Minderheitsregierungen in anderen Ländern. So sind beispielsweise spanische Minderheitskabinette effektiv, weil sie sich von regionalen Parteien unterstützen lassen, welche auf nationaler Ebene einen geringen politischen Gestaltungswillen haben. Gern unterstützen sie die nationalen Regierungen im Gegenzug für einen Transfer von mehr regionaler Autonomie und finanzielle Unterstützung für ihre Regionen (Field 2016; Heller 2002). Ähnlich argumentieren Kefford and Weeks (2020) ihrer Analyse Irlands und Australiens: in beiden Fällen haben sich Minderheitsregierungen ihre Zusammenarbeit mit parteilosen Abgeordneten „erkauft“, indem diese von policy-Zugeständnissen für ihre Wahlkreise profitiert haben. Anghel und Thürk (2021) zeigen, dass in Rumänien eine ethnisch basierte Spielart dieser Strategie auftritt: ethnische Minderheitsparteien verhandeln Zugeständnisse für ihre Gruppe und unterstützen im Gegenzug die nationale Minderheitsregierung.

Wir erinnern uns: Ein Rational von Minderheitsregierungen lag darin, dass sich Unterstützungsparteien außerhalb des Kabinetts vom elektoralen Fluch einer förmlichen Regierungsteilhabe freimachen könnten. Ist diese Hoffnung aber auch empirisch berechtigt? Zunächst zeigt eine Studie über 23 Jahre schwedischer Minderheitsregierungen, dass Unterstützungsparteien ihre Zusammenarbeit mit der Regierung strategisch über die Legislaturperiode dosieren. Nach und vor einer Wahl – Zeiträume in denen distinctiveness besonders wichtig erscheint – stimmen sie deutlich seltener mit der Regierung als in der Mitte der Wahlperiode (Müller und König 2021). Die Vermutung strategisch dosierter Unterstützung wird dadurch bekräftigt, dass die Zustimmung noch einmal geringer ausfällt, wenn es sich um für die Parteien saliente Themen handelt (Müller 2022).

Allerdings legen verschieden Studien den Schluss nahe, dass support parties der Verantwortungs- und elektoralen Verschleißgemeinschaft mit der Regierung nicht gänzlich entrinnen können. Die Auswertung von Wahlumfragen in den Niederlanden (2012) ergibt beispielsweise, dass 60 % der niederländischen Befragten die PVV um Geert Wilders – Unterstützungspartei für das Minderheitenkabinett Rutte I – eher als Kabinetts-, denn als Oppositionspartei wahrnahmen und ihr einen ähnlich hohen politischen Einfluss zumaßen, wie dem formalen Koalitionspartner (Tromborg et al. 2019, S. 1593). Allerdings nahmen die ebenso befragten dänischen Wählerinnen und Wähler (2014) die zwei dortigen Unterstützungsparteien eher als Oppositionsparteien wahr, wenn Sie nicht die Antwortoption „Support Partei“ hatten (siehe auch Fortunato et al. 2021, S. 12). Eine Studie für Skandinavien (1981–2014) stellt fest, dass Unterstützungsparteien im Mittel zwar keine Wählerstimmen verlieren, aber auch keine gewinnen (Thesen 2016). Laut internationalen Umfragen zeigt sich, dass support parties als „pseudo-Opposition“ eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, gewählt zu werden, wenn die Regierung beliebt ist, aber im umgekehrten Fall auch abgestraft werden können (Hjermitslev 2023).

5 Zur Leistungsbilanz von Minderheitsregierungen

Minderheitsregierungen haben in der Bundesrepublik eher einen schlechten Ruf. Für viele gilt nach wie vor Klaus von Beymes dogmatische Feststellung, sie seien ein unerwünschtes Krisenphänomen (von Beyme 1973). Diese Diagnose scheint jedoch aus einer Überinterpretation historischer Besonderheiten zu resultieren – die letzten demokratischen Regierungen der Weimarer Republik waren instabile Minderheitsregierungen – und lässt einen Blick in die Variationen von Minderheitsregierungen in etablierten Demokratien vermissen. So sind Minderheitsregierung beispielsweise in Ländern besonders häufig anzutreffen, in denen die Demokratiequalität und Zufriedenheit besonders hoch ist, z. B. in Skandinavien, Kanada oder Neuseeland. Minderheitsregierungen, so werden wir in diesem Abschnitt diskutieren, haben verschiedene Vor- und Nachteile und mögen unter bestimmten Rahmenbedingungen besser funktionieren als Mehrheitskoalitionen.

Ein erster Vorteil von Minderheitsregierungen liegt darin, dass sie eher geeignet sind, demokratische Mehrheitsherrschaft zu verwirklichen als Mehrheitskoalitionen. Um diese paradox anmutende These nachzuvollziehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass „Mehrheit“ unterschiedlich verstanden werden kann. „Mehrheit“ in Mehrheitskoalitionen steht dafür, dass sich Parteien mit einer absoluten Sitzmehrheit im Parlament zu einem Kartell zusammenschließen und ein großes Kompromisspaket über alle Themenbereiche aushandeln, was typischerweise in Koalitionsverträgen festgehalten wird (McGann 2006). In diesem Kompromisspaket kommen verschiedene Paketdeals und auch einzelne innerkoalitionäre Vetos zum Tragen, so dass sich mit einem isolierten Blick auf einzelne Themen auch Minderheiten durchsetzen können. So gibt es verschiedene Beispiele, in denen Mehrheiten im Deutschen Bundestag nicht realisiert werden konnten, da sie nur außerhalb des Koalitionskorsetts erreichbar waren. Beispielsweise scheiterte eine frühere Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften am innerkoalitionären Veto von CDU/CSU in einer großen und einer schwarz-gelben Koalition (Stecker 2020; Lorenz und Riese 2014). Andererseits wurden Minderheitenprojekte, wie das von der CSU propagierte Betreuungsgeld umgesetzt. „The facade of majority government“, so brachte es der neuseeländische Politikwissenschaftler Jack Nagel (2012, S. 9) auf den Punkt, „too often conceals a logrolled reality of minorities rule over specific policies.“ Minderheitsregierungen können im Idealfall themenspezifisch, d. h. in jeder Sachfrage separat, Mehrheiten bilden, da sie sich gerade nicht in einem rigiden Parteienkartell binden. Dies kann vor allem vorteilhaft sein, wenn die Konfliktstruktur in einer Gesellschaft mehrdimensional ist (Ganghof 2015). Für Ward und Weale (2010) ist diese majorities rule, also das Bilden themenspezifischer Mehrheiten, koalitionären Kompromisspaketen normativ überlegen, da sie dem Ziel von politischer Gleichheit näherkommt. Neben diesem normativen Vorzug, können Minderheitsregierungen den Handlungsspielraum von Politik erweitern, da alle Präferenzen im Parlament für die Mehrheitsbildung berücksichtigt werden und nicht die der Opposition, wie im Fall von Mehrheitskoalitionen, ausgeschlossen werden. Minderheitsregierungen können daher unter bestimmten Bedingungen sehr effektiv politische Reformprozesse leiten, wie dies beispielsweise in Dänemark beobachtbar war (Green-Pedersen 2001).

Die Art und Weise der Mehrheitsbildung, mit flexiblen oder fixen Gesetzgebungskoalitionen, erzeugt wiederum selbst verschiedene Vor- und Nachteile. Bei flexibler Mehrheitsbildung kann die clarity of responsibility leiden, d. h. es ist es für die Wähler schwieriger abzuschätzen, welche Parteienkonstellationen nun genau für welche Entscheidung in welchem Politikfeld verantwortlich sind. Minderheitsregierungen teilen mit Mehrheitsregierungen ein wichtiges Ziel: sie wollen keine Abstimmungen verlieren (Thürk 2021). Einerseits können sie dabei versucht sein, Mehrheiten intransparent in ministeriellen Hinterzimmern zu bilden. Andererseits können sie dazu tendieren, sich selbst zu limitieren, indem aussichtslose Gesetzgebungsvorschläge in der Schublade bleiben (Matthieß 2019). Freilich können für Mehrheitskoalitionen ähnliche Aussagen getroffen werden.

Analysen der konkreten Gesetzgebungstätigkeit von Minderheitsregierungen zeigen eine gemischte Bilanz ihrer Durchsetzungsstärke (Field und Martin 2022b). Einige Studien attestieren, dass es Minderheitsregierungen gelingt, einen Großteil ihrer Gesetzesentwürfe durch das Parlament zu bringen (Saiegh 2011). Jedoch sind vor allem substantielle Minderheitsregierungen dafür anfällig, dass die Opposition für eigene Anträge Mehrheiten mit weiteren Oppositionsparteien gegen die Regierung bildet (Thürk 2022). Zuletzt zeigte sich dies in Thüringen, wo die Oppositionspartei CDU gemeinsam mit FDP und AfD ein Gesetz zur Senkung der Grunderwerbsteuer gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung durchsetzte. Mit Blick auf die Erfüllung von Wahlversprechen (pledge fulfillment) sind keine nennenswerten Unterschiede zwischen Minderheits- und Mehrheitsregierungen erkennbar (Thomson et al. 2017). So konnte für die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW gezeigt werden, dass diese eine gleichwertige Leistung bei der Erfüllung von Wahlversprechen aufweist wie Mehrheitskoalitionen (Matthieß 2019).

Traditionell galten Minderheitsregierungen im Vergleich zu Mehrheitskoalitionen als instabiler. In einer Untersuchung von 248 Koalitionskabinetten in 15 europäischen Ländern von 1945 bis 1999 zeigt Saalfeld (2007, S. 195), dass Minderheitskoalitionen ein etwa um 60 % größeres Risiko als Mehrheitskoalitionen aufweisen, vor dem regulären Ende einer Legislaturperiode zu scheitern. Auch in Mittel- und Osteuropa finden sich niedrigere Stabilitätswerte für Minderheitsregierungen (Grotz und Weber 2012, S. 713). Die dort gezeigte geringere Stabilität von Minderheitsregierungen wird in einem engeren Zusammenhang mit der Art ihrer Mehrheitsbildung gesehen. Instabilität drohe insbesondere dann, wenn Mehrheiten kurzfristig mit verschiedenen Partnern gefunden werden müssen (Saalfeld 2007, S. 187). Beispielhaft steht dafür das rot-grüne Minderheitskabinett im Düsseldorfer Landtag, das sich meist erst nach einem Kabinettsbeschluss anschickte, eine parlamentarische Mehrheit zu organisieren (Terhorst und Vielstädte 2012). Diese fallweise Mehrheitsbildung fiel ungünstig damit zusammen, dass den Parteien die Konsequenzen von Haushaltsabstimmungen nicht bewusst waren und trug 2012 schließlich zum vorzeitigen Ende der Minderheitsregierung bei (Vielstädte 2012). Allerdings findet neuere Forschung, die auch die Rolle von Unterstützungsabkommen berücksichtigt, keine signifikanten Stabilitätsnachteile von Minderheitsregierungen. Dies gilt besonders, wenn die Mehrheitsbildung in langfristige Kooperationsvereinbarungen eingebettet ist, wie im Fall von substantiellen Minderheitsregierungen, die sich ohnehin zum dominanten Minderheitsregierungstyp zu entwickeln scheinen (Krauss und Thürk 2022; Stecker und Ganghof 2016).

Während die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber politischen Institutionen wie z. B. dem Wahlsystem zunehmend gut erforscht sind (z. B. Jankowski et al. 2019) ist die Studienlage zu Minderheitsregierungen recht dünn. Für Kanada zeigt eine Studie, das Bürgerinnen und Bürger weniger normativ als strategisch über Minderheitsregierungen nachdenken und diese präferieren, wenn ihre favorisierte Partei davon profitieren würde (Dufresne und Nevitte 2012). Die Analyse einer Umfrage vor der Bundestagswahl 2021 bestätigt das unterkühlte Verhältnis der Deutschen zu Minderheitsregierungen (Matthieß und Stecker 2023). Nur 25 % der Befragten würden eine Minderheitsregierung gegenüber einer Mehrheitsregierung bevorzugen, wobei keine großen Unterschiede in der erwarteten Leistungsfähigkeit zwischen Mehrheits- und Minderheitsregierungen bestehen.

Frühe Studien der politischen Ökonomie kamen noch zu dem Schluss, dass unter Minderheitsregierungen Budgetdefizite entstehen. Begründet wurde dies mit Verweis auf ihre vermeintlich schwächere Verhandlungsmacht und der Notwendigkeit, parlamentarische Partner mit finanziellen Wohltaten für deren Wählerschaft „einzukaufen“ (Blais et al. 1993; Edin und Ohlsson 1991). Neuere Untersuchungen bezweifeln jedoch diesen Zusammenhang und finden keine niedrigere Haushaltsdisziplin von Minderheitsregierungen (Potrafke 2021; Haan und Sturm 1994).

6 Fazit und Ausblick

Der vorliegende Literaturbericht hat die aktuelle Literatur zu verschiedenen Aspekten von Minderheitsregierungen zusammengefasst. Wir haben anhand aktueller Daten (Thürk 2022; Döring und Manow 2023) gezeigt, dass Minderheitsregierungen in parlamentarischen Demokratien häufig und in unterschiedlicher Form vorkommen. Insbesondere die Einbettung von Minderheitsregierungen in formale Abkommen mit Unterstützungsparteien – als formale Minderheitsregierungen – ist zuletzt häufiger zu beobachten. Allerdings zeigt sich, dass auch die support parties dem Fluch des (Mit)regierens nicht vollends entkommen. Wählerstimmenverluste zu vermeiden, gilt indes als eine der Hauptmotivationen, warum Parteien auf die Früchte von Regierungsämtern verzichten und Minderheitsregierungen aus der Opposition heraus unterstützen.

Mit Blick auf die Leistungsbilanz von Minderheitsregierungen haben wir auf verschiedene Vor- und Nachteile dieses Regierungstyps aufmerksam gemacht. Dabei fiel auf, dass eine grobe Unterscheidung in Minderheits- und Mehrheitsregierungen oftmals zu kurz greift. Entscheidend ist meist die Frage, wie genau Minderheitsregierungen ausgestaltet sind (Existenz von Unterstützungsabkommen) und welche Hintergrundbedingungen vorliegen (z. B. Verfügbarkeit verschiedener Unterstützungsparteien).

Minderheitsregierungen erscheinen vor allem geeignet, in zersplitterten und polarisierten Parteiensystemen stabiles Regierungshandeln zu erleichtern. Da sich das Parteiensystem der Bundesrepublik in diese Richtung gewandelt hat und Mehrheitskoalitionen an Grenzen stoßen (Klecha 2011), werden hierzulande Minderheitsregierungen auch zunehmend differenziert in der Politikwissenschaft gewürdigt (Niclauß 2017; Grande 2014; Koß 2021). Gleichzeitig halten vor allem politische Eliten am Modell der Mehrheitskoalition fest, obwohl es zunehmend schwieriger zu bilden und zu managen ist. Minderheitsregierungen werden, wie in Thüringen, nur als Notlösung erwogen (Debes 2021) und nicht nach den Leitlinien einer modernen minority coalition governance geführt. Dabei bieten die 16 Länder ein günstiges Umfeld, moderne Minderheitsregierungen zu erproben. Innovative und institutionell abgesicherte Minderheitsregierungen wie in Schweden oder Neuseeland sind bisher leider nicht in der Bundesrepublik versucht worden.