1 Einleitung

Die Analyse der Performanz von Demokratien fand lange Zeit primär unter dem Blickwinkel des Leistungsvorsprunges demokratischer Systeme gegenüber Autokratien statt (Schmidt 2020). Bereits seit den 1970er-Jahren wurde aber bereits unter dem Schlagwort der Unregierbarkeit (Crozier et al. 1975) und später der Legitimationskrise (Habermas 1998) diskutiert, wie demokratische Nationalstaaten globale Herausforderungen meistern können. Zwar kann den Demokratien in vielerlei Hinsicht eine größere Leistungsfähigkeit als autoritären Systemen bescheinigt werden. Der einst offensichtliche Legitimationsvorspung der Demokratie gegenüber anderen politischen Herrschaftsformen wird allerdings nicht nur von autoritären Global Players wie China und Russland, sondern auch innerhalb einiger Demokratien zunehmend in Frage gestellt. Nicht nur haben die Demokratien Probleme, dringende politische Aufgaben wie den nachhaltigen Klimaschutz oder die Zunahme sozialer Ungleichheit effektiv(er) zu lösen, sondern auch innerhalb demokratischer Gesellschaften verlieren die Bürgerinnen und Bürger zunehmend das Vertrauen in demokratische Politik (Kailitz und Wurster 2017). Es lässt sich allgemein eine gewisse Skepsis gegenüber der Performanz von Demokratien konstatieren, die den Legitimationsvorsprung der westlichen Demokratien auf der Outcome-Seite scheinbar schrumpfen lässt (Bertelsmann-Stiftung 2017; Fukuyama 2015; Zürn 2017).

Doch die gegenwärtigen Herausforderungen – Pandemie, Klimawandel, Wirtschaftskrisen, soziale Ungleichheit, Anstieg populistischer und demokratiefeindlicher Einstellungen sowie gesellschaftliche Spaltung – erfordern es ebenso, den Fokus stärker auf die Differenzierung und Erklärung von Unterschieden bei den Problemlösungskapazitäten innerhalb der Gruppe etablierter Demokratien zu richten (Foweraker und Krznaric 2003). Die wachsende transnationale Abhängigkeit und Interdependenz staatlicher Ordnungen, die die Möglichkeiten nationaler Regierungen zur politischen Gestaltung gleichermaßen einschränkt sowie der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen nationalen Ökonomien, der zur Absenkung von Umwelt- und Sozialstaatsstandards führt, um attraktiv für Investoren und kapitalistische Wirtschaftsstrukturen zu bleiben (Höpner et al. 2011; Obinger 2015), galten gemäß der Konvergenzthese als Ursache für die Prognose einer gleichmäßigen Entwicklung der Performanz von Demokratien „on a lower level of performance“ (Roller 2005, S. 1). Diese These ist allerdings zu vereinfachend und unterschlägt relevante Unterschiede in der Reaktion von Demokratien auf die genannten Herausforderungen: „Bei der Beantwortung der Frage, ob, wann und wie Regierungen auf sozio-ökonomischen Problemdruck reagieren, stoßen funktionalistische Erklärungsansätze an ihre Grenzen. Der wesentliche Grund dafür ist, dass in diesem strukturalistischen Theoriegebäude Akteure, politische Konflikte und Institutionen ausgeblendet bleiben“ (Obinger 2015, S. 51). Allerdings blenden auch institutionalistische Ansätze eine weitere wichtige Ebene weitgehend aus: Zwar wird unter anderem bei Roller angedeutet, dass auch strukturelle Unterschiede in der Geschichte, der politischen Kultur, bei Werten und Normen „systematic differences in effectiveness“ (Roller 2005, S. 196) erzeugen können. Auch Schlenkrich verweist in seiner Performanzstudie darauf, dass der Faktor (politische) Kultur mehr Aufmerksamkeit in der Performanzanalyse verdiene, denn insbesondere Trade-Offs im Leistungsprofil „represent a value laden choice“ (2021, S. 340) zwischen Wettbewerb oder Harmonie und Individualismus oder Kollektivismus.

Ein entsprechender Erklärungsansatz für Performanzunterschiede etablierter Demokratien scheint dabei angesichts der Intensität der darüber geführten Debatte geradezu vernachlässigt: Die Bedeutung von politischen Identitätskonflikten und Identitätsmustern in den Gesellschaften (Bein 2022b). Besonders vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen demokratischer Staaten muss man also die Frage aufwerfen, welche gesellschaftlichen Bedingungen dazu führen, dass Demokratien zur Lösung bestimmter politischer Probleme besser oder schlechter in der Lage sind. In der Sphäre der Politik kommt es dabei zur Auseinandersetzung zwischen konfligierenden Interessen und politischen Identitäten, vor allem hinsichtlich grundlegender Fragen gemeinschaftlicher Kooperation, staatlichen Handelns und individueller Verantwortlichkeiten sowie der Offenheit oder Abgrenzung des eigenen Gemeinwesens. Diese Muster kollektiver Einstellungen, das Zugehörigkeitsgefühl und der Streit politischer Identitäten sind die zentralen Gegenstände neuer gesellschaftlicher Bruchlinien und Identitätskrisen (Kaube und Kieserling 2022; Klein 2020; Mason 2018; Müller 2021). Es geht um die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft und dadurch letztendlich auch um die Vorstellung kollektiver Identität, die ein politisches, demokratisches Gemeinwesen von sich selbst erzeugen kann (Bein 2022a). In Anbetracht der eben geschilderten Entwicklungen will diese Studie also den politisch-kulturellen Erklärungsstrang staatlicher Performanz wieder aufgreifen und im Sinne Putnams danach fragen, „which features of social context most powerfully affect […] performance“ (Putnam 1994, S. 8).

An dieser Stelle steht also nicht die Beurteilung eines generellen Leistungsrückganges in der Policy-Performanz westlicher Demokratien im Vordergrund des Forschungsinteresses, sondern die Varianz innerhalb der Gruppe der Demokratien. Die zentrale Forschungsfrage lautet: Welche Relevanz besitzen kollektive politische Identitäten in einer demokratischen Gesellschaft für die Erklärung ökonomischer und sozialpolitischer Performanz? Zur Beantwortung dieser Frage wird nun im nächsten Abschnitt dargelegt, warum der bisherige Forschungsstand im Bereich der Performanzforschung hinsichtlich des Erklärungsfaktors politischer Identitäten Lücken aufweist (Abschn. 2). Darauf aufbauend können dann die zentralen theoretischen Annahmen zum Einfluss politischer Identitäten auf die Performanz abgeleitet werden (Abschn. 3). Im nächsten Abschnitt wird die Methode der Fuzzy-Set QCA vorgestellt sowie die Operationalisierung der Konditionen und Outcomes dargelegt (Abschn. 4), bevor die empirische Analyse durchgeführt werden kann (Abschn. 5). Abschließend folgt vor dem Hintergrund der zentralen Ergebnisse ein Fazit (Abschn. 6).

2 Forschungsstand

Performanz meint, ganz grundsätzlich ausgedrückt, die Summe der „vom Politischen System durchgesetzten Entscheidungen“ (Lange und Waschkuhn 2010, S. 728), schließt aber im spezifischen Kontext von Demokratien auch die Prozesse und Strukturen auf dem Weg zur Entscheidungsfindung mit ein (Roller 2004). Damit geht die inhaltliche Unterscheidung von demokratischer Performanz und systemischer Performanz einher: Erstere beurteilt die Verfahrens- und Prozessqualität einer Institution oder des demokratischen Prozesses insgesamt, wohingegen die zweitgenannte Variante des Performanzbegriffes die konkreten Entscheidungen in zentralen Politikfeldern berücksichtigt. Die systemische Komponente bemisst also die Leistungen des demokratischen Systems für die Gesellschaft und die demokratische Komponente rückt den Wert des politischen Verfahrens an sich in den Blickpunkt. Dabei ist aber zusätzlich eine weitere Unterscheidung zwischen zielbezogener und genereller Performanz notwendig. Zielbezogen meint, dass die Erlangung ganz konkreter Ziele angestrebt wird, zum Beispiel ein höheres Wirtschaftswachstum oder ein besserer Umweltschutz, und generelle Performanz wiederum bezieht sich auf allgemeine Merkmale politischer Systeme, die deren Funktionalität sicherstellen, wozu zum Beispiel Effektivität und Stabilität des Managements gehören. Die generelle Performanz beeinflusst die zielbezogene Performanz dabei positiv (Roller 2004, S. 303). Im weiteren Verlauf der Arbeit wird unter (staatlicher) Performanz die zielbezogene, systemische Performanz verstanden (ökonomischer Wohlstand sowie sozio-ökonomische Sicherheit und Gleichheit).

Mit am häufigsten wurde bei der Analyse staatlicher Performanz bisher der Einfluss politischer Institutionen untersucht (Escher und Walter-Rogg 2020; Gurr und MacClelland 1971; Jahn 2016; Jahn und Suda 2022; North 1990; Powell 1982, Scruggs 1999). So urteilte Arend Lijphart (2012) in der dafür bahnbrechenden und richtungsweisenden Studie Patterns of Democracy, dass konsensdemokratische Systeme grundsätzlich leistungsfähiger sind als Mehrheitsdemokratien. Einerseits ist darunter die Qualität der Demokratie gefasst und andererseits die effektive Regierungsstätigkeit im Bereich des makro-ökonomischen Managements (u. a. GDP per capita, Arbeitslosigkeit und Korruption) und der Kontrolle von Gewalt (u. a. Tote durch terroristische Gewaltakte). Als wichtigste Schlussfolgerung seiner Ergebnisse im Bereich der effektiven Regierungstätigkeit gilt die Erkenntnis, dass „majoritarian democracies are clearly not superior to consensus democracies in providing good governance, managing the economy, and maintaining civil peace“ (2012, S. 273). Die Bedeutung von Lijpharts Studie erkennt man auch an dem entsprechenden Ausmaß an Kritik.

Eine wichtige Studie, die diese Kritik aufgreift und Lijpharts Fragestellung und Ergebnisse erneut zur Überprüfung stellen will, ist Rollers Performance of Democracies (2005). Auch hier wird, dem Grundgedanken einer institutionellen Erklärung von Performanz folgend, die Struktur politischer Institutionen in den Mittelpunkt der Analyse gerückt. Die Ergebnisse fallen deutlich differenzierter als Lijpharts Plädoyer für die Konsensdemokratie aus (Roller 2005, S. 264–267). Rollers eigene Ergebnisse zeigen, dass „many of the positive effects of negotiation democracies that Lijphart found can be traced back to the inclusion of corporatism in this index, and that, beyond this, the inclusion of the party system in the measure is in part responsible for finding these relationships“ (Roller 2005, S. 266). Die zentralen Analysen Rollers ergaben hingegen, dass erstens die formal institutionalisierten Unterschiede von Mehrheits- und Konsensdemokratie für die systemischen Performanzmuster in den drei Politikbereichen (Wirtschafts‑, Sozial-, und Umweltpolitik) keinen Unterschied machen, und zweitens die informellen Muster von Konsensdemokratien (Parteien als Veto-Player) durchweg effektivere Politikergebnisse nach sich ziehen (Roller 2005, S. 276).

Oliver Schlenkrich (2021) hat jüngst die Bedeutung des institutionalistischen Erklärungsansatzes ebenfalls untermauert und dabei auf die Bedeutung der Herausarbeitung von Trade-Offs und politikfeldspezifischen Unterschieden im Performanzprofil eines Staates hingewiesen: Eine Demokratie, die durch die drei grundlegenden Dimensionen der Freiheit, Gleichheit und Kontrolle konstituiert wird, kann nicht gleichzeitig alle diese drei Dimensionen größtmöglich umsetzen und erfüllen, sondern spiegelt in ihrem Demokratieprofil immer die Priorisierung von bestimmten Werten wider (siehe auch Schlenkrich 2019, Lauth und Schlenkrich 2018). In einer empirischen Untersuchung dieser Performanzprofile ergaben sich fünf Realtypen: libertär-majoritäre Profile (Trade-Off Freiheit), egalitär-majoritäre (Trade-Off Gleichheit), egalitär-kontrollorientierte (Trade-Off Gleichheit und Kontrolle), libertär-kontrollorientierte (Trade-Off Freiheit und Kontrolle) sowie zwischen allen drei Dimensionen ausbalancierte Profile. Als zwei zentrale Ergebnisse dieser Studie können über den sehr langen Untersuchungszeitraum der V‑Dem-Daten (Lindberg et al. 2014) – auf denen die Demokratiematrix beruht – eine bessere ökonomische Performanz der libertären und eine bessere umweltpolitische sowie sozialpolitische Performanz der egalitären Demokratieprofile konstatiert werden (Schlenkrich 2021, S. 339).

Die Performanzforschung verweist schließlich, neben dem Einfluss des institutionellen Faktors, auf weitere wichtige Umweltfaktoren zur Erklärung unterschiedlicher Leistungsfähigkeit von Staaten beziehungsweise Regierungen: den Grad sozioökonomischer Modernisierung (Lipset 1959; Przeworski et al. 2000), die geographische Beschaffenheit politischer Gemeinwesen (Dahl und Tufte 1975; Jörke 2019) und schließlich soziokulturelle Faktoren wie das Sozialkapital (Putnam 1994). Neben diesen wichtigsten weiteren Erklärungsfaktoren jenseits der institutionellen Herangehensweise gibt es zum Beispiel einen Ansatz, der die Performanz von Staaten mit der (erwarteten) zeitlichen Dauer der Regierungsperiode in Verbindung setzt, denn „high expectations of government survival fuel good performance that sustains government popularity“ (Dewan und Myatt 2012, S. 142). Auch die Abwesenheit von Korruption kann als Erklärungsfaktor für bessere Performanz herangezogen werden. Das verdeutlichen die Ergebnisse Povitkinas (2018): Demokratien sind nur dann besser in der umweltpolitischen Performanz, wenn gleichzeitig die Korruption niedrig ist. In Kontexten mit hoher Korruption gibt es keinen Unterschied zwischen demokratischen und autoritären Regimen. Im Umkehrschluss zeigt sich auch, dass in Demokratien mit niedrigen Einkommen und eher schwachen Institutionen Wähler und Wählerinnen die Performanz beeinflussen können, indem bei Informationen über korruptes Verhalten der politischen Elite eine eindeutige Präferenz für nichtkorrupte Politiker und Politikerinnen vorherrscht (Pande 2011).

Dirk Jörke greift beispielsweise ein älteres Argument u. a. Robert Dahls auf und fragt, ob es nicht eine räumliche Begrenzung guter demokratischer Herrschaft gibt. Unter Verweis auf klassische Demokratievorstellungen der Antike und auch des mittelalterlichen Republikanismus argumentiert Jörke, ein anspruchsvolleres Demokratieverständnis als das liberal-institutionelle (republikanisch, sozialdemokratisch) sei in Staaten mit geringerer Einwohnerzahl wahrscheinlicher (Jörke 2019, S. 82). Für die etablierten Demokratien gelte Jörke zufolge, dass Partizipation und soziale Gleichheit in den mittelgroßen Staaten (1–10 Mio. Einw.) am besten ausgeprägt sind. Performanz wird dabei sowohl als Minimalmodell liberaler Rechte und Freiheiten (mittels Daten von Freedom House) als auch als umfassendes Modell sozialer Demokratie (mittels der Soziale-Demokratie-Indizes von Schmidt und Meyer) operationalisiert (Jörke 2019, S. 89–107). Um dem Vorwurf einer gewissen Unterkomplexität zu entgehen, räumt Jörke selbst ein: „Soziale Strukturen entstehen nicht monokausal, stattdessen wirken immer mehrere Faktoren zusammen, die sich aber auch wechselseitig bedingen können“ (2019, S. 106) und nennt dafür auch Beispiele: „Der starke Individualismus, wie er gerade in den ehemaligen britischen Kolonien vorherrscht, hat sicherlich viel mit der Geschichte der Kolonialisierung und der Auswanderung zu tun. Er ist aber auch eine Folge des großen Raumes, der in Nordamerika und in Australien besteht. Dieser erschwert die Ausbildung belastbarer kollektiver Identitäten und bietet die Möglichkeit, bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten woanders sein Glück zu versuchen“ (Jörke 2019, S. 107).

Vor allem der soziokulturelle Faktor wurde hierbei bisher aber nur wenig untersucht. Zwar ist in diesem Bereich mit de Tocquevilles (1985) Studie über die amerikanische Demokratie – und den Einfluss kultureller Grundlagen sowie gemeinwohlorientierter Einstellungen auf deren Stabilität – ein Werk zum Klassiker der Demokratietheorie geworden. Vor allem Putnam (1994) sowie Almond und Verba (1963) legten das Augenmerk zur Analyse von Performanz ebenfalls auf soziokulturelle Faktoren, indem der Einfluss (regionaler) politischer Kultur und der Stärke der civic community auf die Stabilität und Leistungsfähigkeit demokratischer Ordnungen gezeigt wurde. Auch Esping-Andersen (1990) hat die Ausprägung wohlfahrtsstaatlicher Ordnungen auf die unterschiedlichen kulturell-verankerten Gesellschaftsbilder (zum Beispiel Individualismus, Paternalismus, Kollektivismus) zurückgeführt. Brooks und Manza (2006) haben diesbezüglich gezeigt, dass trotz vielfältiger Veränderungen in den Rahmenbedingungen staatlichen Handelns die Wohlfahrtsstaatsregime relativ stabil sind und dies auf die Policy-Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger zurückgeführt werden kann: „considering the policy preferences of national populations [is] part of an explanation for the resiliency of welfare states“ (Brooks und Manza 2006, S. 825). Um die Mehrdimensionalität der Erklärungspfade für staatliche Performanz zu zeigen, haben Bazzan et al. (2022) mittels einer QCA demonstrieren können, dass ökonomische und sozialpolitische Performanz immer bei Vorliegen verschiedener Konditionen und deren Zusammenspiel zu beobachten ist, wenngleich „effective implementation“ (Bazzan et al. 2022, S. 202) als besonders wichtige Bedingung hervorsticht.

Putnams Untersuchungsgegenstand waren die in den 1970er-Jahren in Italien neu eingeführten Regionalregierungen. Seine Prämisse lautete: „the practical performance of institutions […] is shaped by the social context within which they operate“ (1994, S. 8). Dabei wendet sich Putnam explizit gegen die bereits angesprochenen institutionellen Theorien zur Erklärung von Performanz und kritisiert die mangelnde Beachtung der gesellschaftlichen sozio-kulturellen Grundlagen: Kurz nachdem die Regionalregierungen in das politische System Italiens eingeführt und mit beachtlichen eigenen Kompetenzen ausgestattet worden sind, zeigten sich bereits Unterschiede in deren Leistungsprofilen. Aus den vier Indikatoren der Anzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen, der Anzahl der regelmäßigen Zeitungsleser, der Beteiligung an Wahlen und Referenden und schließlich des WahlverhaltensFootnote 1 wird ein kombinierter Civic Community Index gebildet (Putnam 1994, S. 91–96). Dieser Indexwert für jede der italienischen Regionen steht nach den Berechnungen Putnams in einem nahezu perfekten positiven Zusammenhang (Pearsons’ r = 0.92) mit der Performanz der Regionalregierungen. Im Ergebnis wird klar, dass Regionen mit mehr zivilgesellschaftlichen Organisationen, mehr Zeitungslesern und einer höheren Issue-Orientierung der Wähler über eine effektivere Regionalregierung verfügen. Putnam schlussfolgert: „the performance of a regional government is somehow very closely related to the civic character of social and political life“ (Putnam 1994, S. 99). Diese Studie möchte nun, in eine ähnliche Richtung gehend, die Frage der Relevanz kollektiver politischer Identitäten für die Erklärung der Performanz demokratischer Staaten beantworten und steht damit ebenfalls in der Tradition soziokultureller Erklärungsversuche. Eine systematische Berücksichtigung politischer Identitäten als Kondition staatlicher Performanz fehlt diesbezüglich bisher in der Literatur.

3 Theoretische Annahmen

Prinzipiell hängt auch die Beantwortung der Frage, was denn die ‚beste‘ Performanz einer Demokratie sei, vom jeweiligen Demokratiemodell ab, also auch von den normativen Prämissen, die mit dem vorherrschenden Modell kollektiver politischer Identität einhergehen. Diese Annahme kann zunächst für alle Ebenen des analytischen Performanz-Schemas gleichermaßen formuliert werden und entspricht der folgenden systemtheoretischen Grundprämisse: Kollektive Identität ist ein zentraler Bestandteil der „Intra-Societal Environment“ (Easton 1965, S. 70) und erzeugt je eigene Interaktionen mit und Forderungen an das zentrale politische Entscheidungssystem und dessen Outcome. Dieser auch als kulturelle Hypothese bezeichnete Ansatz entspricht einer „argumentativen Wende der Policy-Forschung“ (Lauth et al. 2014, S. 346), denn stärker als bisher werden die systematischen Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Leitideen und normativen wie kulturellen Prägungen einerseits und der Staatstätigkeit andererseits in den Blick genommen. „So ist es bereits für die Problemformulierung relevant, welche gesellschaftlichen Diskurse von welchen Gruppen geführt werden“ (Lauth et al. 2014, S. 347). Die zentrale Hypothese dahinter kann wie folgt formuliert werden: „Je kompatibler eine Policy-Entscheidung (oder Strategie) mit dem [sic!] dominanten gesellschaftlichen Normen und Leitideen, desto wahrscheinlich [sic!] ist, dass eine solche Entscheidung getroffen und umgesetzt wird“ (Lauth et al. 2014, S. 347).

Kollektive politische Identitäten werden dabei als ein Teil der politischen Kultur verstanden und stellen tiefgreifende Vorstellungen über das Zusammenleben in einer Demokratie dar, im Unterschied zu den deutlich konkreteren Einstellungen (Bergem 2019, S. 254). Die Basis für das Identitätsverständnis bildet eine Definition kollektiver Identität von Jan Assmann: Kollektive Identität ist „die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbilds, das sich zum einen auf die Bindung an gemeinsame Regeln und Werte, zum anderen auf die Erinnerung an eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit stützt“ (2000, S. 17). Die kollektive politische Identität ist dann eine solche konnektive Struktur von Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch die gemeinsame Vorstellung von Demokratie, der Rolle des Staates und des Einzelnen in ihr und die Ausprägung bestimmter Werte, Normen und Gemeinschaftserzählungen verbunden und solidarisch fühlen. Im Anschluss an Bein (2022a, S. 7, 2022b, S. 229) können darauf aufbauend drei Dimensionen kollektiver Identität differenziert werden: die normative Basis (zentrale Wert- und Normvorstellungen), die Vorstellung narrativer Kontinuität (Internalisierung der Identitätsvorstellungen in der Zeit) und die affirmativen Bindungen (Ausmaß und Bezugspunkte des subjektiven Empfindens von Gemeinsamkeit).

Im Unterschied zu sozialen oder kulturellen kollektiven Identitäten besitzt die kollektive politische Identität also einen konkreten Bezug zur Frage der politischen Herrschaftsausübung (Bein 2022b; Bußhoff 1970; Gentry 2018; Huddy 2001). Allerdings ist anzumerken, dass in Form von Identitätspolitik das Streben nach Anerkennung und Teilhabe jeglicher spezifischen Identität in einer Gesellschaft zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung werden kann.Footnote 2 In der politischen Kulturforschung spielte ein solches Verständnis politischer Identität lange Zeit keine besondere Rolle, prägte doch das von Almond und Verba (1963) eingeführte Verständnis politischer Kultur als „die verstandesmäßigen, emotionalen und wertenden Haltungen gegenüber dem politischen System“ (Bergem 2019, S. 253) diesen Forschungsstrang. Politische Identität erschöpft sich aber nicht in der Frage der Identifikation mit dem eigenen Staat und seiner politischen Ordnung, sondern bezieht auch Vorstellungen über die politische Gemeinschaft, über Fragen der Zugehörigkeit und des Ausschlusses, der emotionalen Abgrenzung und des Gemeinsinns mit ein: „Die gesellschaftlich verankerten Vorstellungsmuster der politischen Soziokultur ergeben sich demnach aus überlieferter Tradition, eigenen Erfahrungen sowie den wahrgenommenen Sinn- und Deutungsangeboten und bilden in ihrer spezifischen Selektivität den Rahmen für politisches Handeln“ (Bergem 2019, S. 254). Die gesellschaftlichen Konflikte, die daraus entstehen, manifestieren sich dann in der Struktur des organisierten politischen Wettbewerbes, wie es vor allem die Cleavage-Theorie für die Entstehung der westeuropäischen Parteiensysteme postuliert (Bartolini und Mair 1990; Grande und Kriesi 2012; Lipset und Rokkan 1967). Eine gemeinsame politische Identität wird dabei als entscheidender Faktor gesehen, damit sich politischer Wettbewerb anhand latenter gesellschaftlicher Konfliktlinien organisieren kann, denn „there must be a clear sense of collective identity involved, in the sense that the groups on which the cleavage is grounded must be aware of their shared identity and interest as farmers, workers, Catholics, or whatever“ (Mair 2006, S. 373).

Idealtypisch lassen sich die entscheidenden Konfliktstrukturen kollektiver politischer Identitäten in der Demokratie aber auch auf grundsätzlichere Art und Weise als zwischen Stadt und Land, Arbeitern und Fabrikbesitzern gegenüberstellen, nämlich in Form der beiden zentralen demokratietheoretischen Paradigmen des Liberalismus und des Republikanismus (Jörke 2011, S. 170; Pettit 2009). Dies erscheint deshalb besonders relevant, weil für die etablierten Demokratien des Westens über den Großteil der Parteigrenzen und gesellschaftlichen Strömungen hinweg die Dominanz des liberalen Paradigmas und daher einer liberalen politischen Identität konstatiert worden ist (Bein 2022b, S. 234–237; Reckwitz 2019, S. 253). Andreas Reckwitz erkennt dabei verschiedene „Versionen“ (2019, S. 239) dieses dominanten westlichen Liberalismus, der sich allerdings durch die zentrale Gemeinsamkeit der „generellen Deregulierung, Dynamisierung und Öffnung zuvor fixierter gesellschaftlicher Strukturen“ (Reckwitz 2019, S. 262) beschreiben lässt. In seiner linken Variante erfolgte dies durch eine kulturelle Liberalisierung, die mit den Bürgerrechtsbewegungen seit den 1960er-Jahren ihren Anfang genommen hat und in der umfassenden Bedeutung identitätspolitischer Anerkennungskonflikte mündet (Lilla 2016). In seiner konservativen Variante drückt sich dieser Liberalismus in der ökonomischen Öffnung und Deregulierung der Märkte sowie Kritik an staatlicher Intervention aus (Meyer 2020).

Wichtig ist Reckwitz dabei die Feststellung, dass in der Phase der Dominanz eines politischen Paradigmas dieses „typischerweise nahezu das gesamte politische Spektrum von Mitte-links bis Mitte-rechts“ (Hv. i. O.) (2019, S. 241) umfasst und dadurch die klassische Differenzierung politischer Konflikte in links und rechts an Erklärungskraft verliert. Die Dominanz des liberalen Paradigmas seit den 1980er-Jahren folgt, so Reckwitz, auf das sozial-korporatistische Paradigma, das die Politik nach dem Zweiten Weltkrieg prägte und den schnellen Wohlstand der westlichen Fahrstuhlgesellschaften ermöglichte. „Während grob gesprochen das sozial-korporatistische Paradigma ökonomisch und kulturell auf gesellschaftliche Regulierung und Ordnungsbildung ausgerichtet ist, strebt der apertistische Liberalismus ökonomisch und kulturell eine Öffnung und Dynamisierung der gesellschaftlichen Entwicklung an“ (Reckwitz 2019, S. 242). Die Fixierung der westlichen Gesellschaften und ihrer politischen Systeme auf eine solche dynamisierende, liberale Politik, die von einer sozialen Gruppe der kosmopolitischen „frequent flyers“ (Calhoun 2002) und „anywheres“ (Goodhart 2017) getragen wird, hat schließlich jedoch zu einer Krise des Liberalismus geführt (Fukuyama 2022; Müller 2019a), die sich in mangelnder Problemlösungsfähigkeit der demokratischen Ordnungen Bahn bricht.

Republikanisch-kommunitaristische Gegenentwürfe, die diesen dysfunktionalen Tendenzen entgegenwirken wollen und sollen, gewinnen wieder stärker an Aufmerksamkeit und erinnern an die „Gemeinschafts- und Kollektivorientierung“ (Reckwitz 2019, S. 261) des sozial-korporatistischen Paradigmas nach dem Zweiten Weltkrieg. Colin Crouch verortet in dieser Phase sogar den „Augenblick der Demokratie“ (2015, S. 14). Die soziale Gleichheit, eines der zentralen Versprechen der Demokratie (Jörke 2019, S. 31), steht bei diesem Paradigma demnach stärker im Vordergrund, wohingegen der Liberalismus in seiner ökonomischen Spielart die Freiheit des Marktes zur zentralen Prämisse stilisiert, die Effizienz, Wohlstand und Wachstum garantieren soll. „Die Demokratie des apertistischen Liberalismus löst sich damit von der engen Kopplung an den nationalen ‚Demos‘, an das Staatsvolk, zugunsten eines Geflechts supranationaler und subpolitischer Akteure“ (Reckwitz 2019, S. 268). Eine Wechselwirkung zwischen der Präferenz von Wohlstand und Wachstum im liberalen Paradigma und sozialer Gleichheit und Sicherheit in einem sozial-korporatistischen Paradigma, um das Vokabular Reckwitz’ zu verwenden, liegt damit theoretisch auf der Hand (Bartels 2016; Schäfer 2010).

Zusammenfassend lassen sich aus diesen kursorischen Überlegungen einige theoretische Erwartungen an die Notwendigkeit bestimmter politischer Identitätsprofile für die staatliche Performanz formulieren, die gleichzeitig als Hypothesen für die folgende empirische Analyse dienen: Eine ausgeprägte liberale politische Identität ist eine hinreichende Bedingung für die Ausrichtung staatlicher Politik auf Wirtschaftswachstum und Wohlstand (H1). Eine stärkere republikanische politische Identität ist hingegen eine hinreichende Bedingung für mehr sozio-ökonomische Sicherheit und Gleichheit (H2). Als weitere Konditionen werden des Weiteren gemäß den im Forschungsstand geschilderten Erkenntnissen das Demokratieprofil (Schlenkrich 2021), die Ausprägung von Mehrheits- und Konsensdemokratie (Lijphart 2012; Bochsler 2013) sowie die Bevölkerungszahl (Jörke 2019) berücksichtigt. Bezüglich dieser zusätzlichen möglichen Bedingungen können weitere Hypothesen formuliert werden: Eine geringere Bevölkerungszahl (H3), Konsensdemokratie (H4) und ein egalitäres Demokratieprofil (H5) sind jeweils hinreichend für eine bessere sozialpolitische Performanz. Mehrheitsdemokratie (H6) und ein libertäres Demokratieprofil (H7) sind wiederum hinreichend für eine bessere ökonomische Performanz.

4 Operationalisierung

4.1 Fallauswahl, Daten und Methode

Die Fallauswahl schließt 27 etablierte Demokratien aus Asien, Nordamerika, Skandinavien, Osteuropa und dem Baltikum, Südeuropa, Westeuropa sowie Australien und Neuseeland in die Untersuchung ein. Nach den Daten der Demokratiematrix haben alle 27 Länder eine hohe Demokratiequalität und können als funktionierende Demokratien (basierend auf einer Demokratiedefinition mittlerer Reichweite) eingestuft werden (Lauth und Schlenkrich 2020). Im Sinne einer Fallauswahl, die dem Most Similar Case Design entspricht, bilden die Fälle hinsichtlich der demokratischen Performanz also eine möglichst homogene Gruppe, verfügen im Bereich systemischer Performanz aber dennoch über ausreichend zu erklärende Varianz. Oder anders ausgedrückt: Die Fallauswahl muss jene Staaten berücksichtigen, die sich im zu erklärenden Phänomen ausreichend unterscheiden, in zentralen Kontextfaktoren aber ähnlich sind und sich deren Einfluss damit kontrollieren lässt (Berg-Schlosser und Cronqvist 2012, S. 114). Die Arbeit folgt dem systemtheoretischen Ansatz und der Prämisse, dass die Performanz durch gesellschaftliche Präferenzen in Form kollektiver politischer Identitäten und institutionelle Konstellationen bedingt wird. Diese Annahme ließe sich jedoch nur schwer aufrechterhalten, wenn nicht ein funktionierendes demokratisches System der Willensbildung und Entscheidungsfindung als Grundlage angenommen wird. Auch wenn systemische Performanz kein genuines Merkmal demokratischer Staaten ist, ist der hier postulierte Einfluss in dieser Form nur für etablierte Demokratien und ein durchlässiges, responsives politisches System anzunehmen.

Der Untersuchungszeitraum für die Messung der liberalen und republikanischen politischen Identität enthält die Jahre 2005 bis 2021. Die Datengrundlage für die Erhebung politischer Identitäten stellt der kombinierte Datensatz von World Values Survey (WVS) (Haerpfer et al. 2021) und European Values Study (EVS 2021) dar. Für die Untersuchung gegenwärtiger Muster politischer Identitäten als Bedingung für staatliche Performanz wird angenommen, dass politische Identitäten nicht nur mittels einer kurzen Momentaufnahme identifiziert werden sollten, da sie eher langfristige, stabile Strukturen darstellen. Es wird daher der Mittelwert aus den zwischen 2005 und 2021 verfügbaren Messzeitpunkten gebildet und insofern versucht, ein valides Bild über die Muster politischer Identitäten zu extrahieren, welches weniger vulnerabel gegenüber kurzfristigen Veränderungen ist. Außerdem ist anzunehmen, dass politische Identitäten nicht als unmittelbarer, sofort einsetzender Einflussfaktor systemische Performanz erklären können, sondern dass sich Strukturen der politischen Kultur verzögert, erst mittelbar auf die Performanz auswirken. Die Performanzdaten werden den Sustainable Governance Indicators (SGI) der Bertelsmann-Stiftung entnommen (Bertelsmann-Stiftung 2022; Schraad-Tischler und Seelkopf 2015; Bandelow und Hornung 2022; Croissant und Pelke 2022), enthalten allerdings aufgrund der eben geschilderten Annahme einer zeitverzögerten Wirkung erst die Datenreihe ab dem Jahr 2018 bis zu den aktuellsten Werten aus 2022 (SGI 2022c).

Die Grundlage der empirischen Analyse soll eine Fuzzy-Set QCA sein (Oana et al. 2021). Die Methode der Qualitative Comparative Analysis (QCA) wurde primär von Charles Ragin (2009) entwickelt und zuletzt auch im deutschsprachigen Raum stärker berücksichtigt (Berg-Schlosser und Cronqvist 2012; Cronqvist 2019; Schneider und Wagemann 2007). Das Ziel dieser Methode ist die Identifikation von Faktoren (Konditionen), die zu einem bestimmten Outcome führen. Der primäre Unterschied zu regressionsanalytischen Berechnungen liegt in der „Untersuchung kausaler Komplexität“ (Cronqvist 2019, S. 5). Dieses Kausalitätsverständnis beruht auf der Annahme, dass einzelne Faktoren für sich genommen keine Erklärung für ein bestimmtes Ergebnis liefern können, aber in der Kombination mit anderen Faktoren schon. Außerdem ist die Unterscheidung zwischen hinreichenden und notwendigen Bedingungen zentral: Eine Bedingung ist dann notwendig, wenn diese immer zusammen mit einem bestimmten Outcome auftritt, also vom Outcome auf die Bedingung geschlossen werden kann (in QCA-Terminologie X ← Y). Hinreichend hingegen sind Bedingungen, die zwar immer zu einem bestimmten Outcome führen, aber das Outcome auch ohne diese Bedingung vorkommt, also von der Bedingung auf das Outcome geschlossen werden kann (X → Y). Im Sinne von Äquifinalität ist es dabei möglich, dass mehrere Bedingungen oder Kombinationen von Bedingungen zum gleichen Outcome führen. Die Erweiterung der Fuzzy-Set QCA (fsQCA) geht dabei über die ursprünglichen Varianten insofern hinaus, als dass die graduelle Abstufung von Mengenmitgliedschaften möglich ist und damit eine binäre Einstufung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins von Konditionen und Outcomes nicht notwendig ist. Das Vorgehen orientiert sich im Folgenden an den Standards guter Praxis für eine QCA, die von Schneider und Wagemann (2009) eingeführt worden sind. Zunächst ist daher die Kalibrierung der Fuzzy-Werte für die Konditionen und das Outcome vorzubereiten. Kalibrierung meint dabei die Konzeptualisierung der Mengenmitgliedschaften der Fälle. Cronqvist betont dabei das primäre Ziel, „tatsächlich bedeutende Unterschiede zwischen den Fällen hervor[zu]heben, während weniger bedeutende oder gar irrelevante Unterschiede entsprechend gering gewichtet werden“ (2019, S. 66).

4.2 Kalibrierung der Konditionen

Die Indikatorauswahl zur Operationalisierung liberaler und republikanischer politischer Identität erfolgte zunächst theoriegeleitet und wurde dann auf Basis von FaktorenanalysenFootnote 3, die hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden können, auf ihre empirische Eignung überprüft und ungeeignete Items ausgeschlossen (siehe Anhang A, Tab. 4). Gemäß des dreidimensionalen Identitätsbegriffes spiegelt die Gegenüberstellung liberaler und republikanischer politischer Identität folgende idealtypische Argumentation wider:Footnote 4 Bei der normativen Basis stehen sich erstens das liberale Primat negativer Freiheit, individueller Rechte und persönlicher Autonomie und das republikanische Primat positiver Freiheit und kollektiver Selbstregierung gegenüber. Als zweiten Aspekt kann dabei eine rationale Handlungsgrundlage, die die Maximierung des eigenen Wohlstandes verfolgt, einer gemeinwohlorientierten Handlungsgrundlage gegenübergestellt werden, die das eigene Wohlergehen stärker am Wohlergehen der Gemeinschaft ausrichtet. Die Dimension der narrativen Kontinuität stellt eine prinzipiell offene und universelle Konstruktion politischer Zugehörigkeit einer stärker gebundenen Kontinuität eines republikanischen Ethos des sich selbst regierenden Volkes gegenüber, womit nicht nur unterschiedliche Integrationsanforderungen erhoben werden, sondern auch patriotische und kosmopolitische Einstellungen divergieren. Die affirmativen Bindungen schließlich unterscheiden sich einerseits durch eine individualistische oder kollektivistische Gesellschaftsstruktur. Andererseits wird durch institutionalisiertes Vertrauen in einer marktähnlichen Situation politischen Wettbewerbes beziehungsweise durch personalisiertes Vertrauen als Ausdruck einer solidarischen civic community der Unterscheid greifbar gemacht. Die ausgewählten Indikatoren werden zunächst mittels einer Transformation, die die ursprünglichen Abstände beibehält, standardisiert (siehe Anhang A, Tab. 5). Sodann können die Indikatoren als aggregierte Mittelwerte zu Variablen zusammengefügt werden. Diese werden anschließend mittels einer Min-Max-Transformation angepasst. Eine solche Transformation entspricht dem Best-Practice-Verfahren, wonach der Fall mit der niedrigsten liberalen bzw. niedrigsten republikanischen Ausprägung den Wert 0 enthält und der Fall mit den höchsten Ausprägungen den Wert 1. Dieses Vorgehen wird beispielsweise auch vom Demokratiebarometer (Merkel und Bochsler 2018, S. 6) oder den SGI herangezogen (Schraad-Tischler und Seelkopf 2015, S. 14). Die Min-Max-Transformation wird auf Ebene der Variablen und erneut auf Ebene der drei Identitätsdimensionen durchgeführt, welche schließlich zum Gesamtwert liberaler oder republikanischer politischer Identität aggregiert werden.

Diese Gesamtwerte spiegeln nun also die mittlere relative Stärke liberaler und republikanischer politischer Identität in einem untersuchten Land im Vergleich zu allen anderen 26 untersuchten Demokratien. So erhält beispielsweise Japan den Gesamtwert 0 für die liberale politische Identität, weil dort die Werte in allen drei Identitätsdimensionen am niedrigsten sind. Schweden erzielt mit 0,848 den höchsten Wert liberaler Identität. Als Grundlage der Kalibrierung von Fuzzy-Werten wird nun diese empirische Verteilung der Rohwerte berücksichtigt, wenngleich eine qualitative Begründung der Ankerpunkte gemäß der QCA-Logik erforderlich ist. Alle (standardisierten) Roh- und auch die Fuzzy-Werte finden sich in Anhang A.

Für den 0,5-Ankerpunkt, also den Indifferenzpunkt als Schwelle zwischen der Mengenzugehörigkeit, wird der Wert 0,5 herangezogen. Bei einer Best-Practice-Verteilung beschreibt der Wert 0,5 die qualitative Aussage, dass genau die Hälfte der untersuchten Fälle einen höheren Wert und die andere Hälfte einen niedrigeren Wert aufweist. Fälle mit einem Wert größer als 0,5 können also zur Menge der Fälle mit ausgeprägter liberaler oder republikanischer Identität gerechnet werden. Bei Fällen mit Werten kleiner als 0,5 liegt dementsprechend eine Nicht-Mitgliedschaft für die Menge der Fälle mit ausgeprägter liberaler oder republikanischer Identität vor. Darüber hinaus werden die vierstufigen Fuzzy-Werte 0, 0,33, 0,67 und 1 dann wie folgt qualitativ kalibriert (Ragin 2009, S. 90–91; Schneider und Wagemann 2012, S. 32):

Bei der Kondition liberaler politischer Identität wird der Fuzzy-Wert von 0 („fully out“) für alle Fälle mit einem Rohwert kleiner als 0,35 vergeben. Den Fuzzy-Wert 0,33 („more out than in“) erhalten alle Fälle mit einem Rohwert zwischen 0,35 und 0,5, den Fuzzy-Wert 0,67 („more in than out“) wiederum alle Fälle mit einem Wert von 0,5 bis 0,7. Der Fuzzy-Wert 1 („fully in“) wird für alle Fälle vergeben, die eine liberale politische Identität größer als 0,7 aufweisen. Angesichts der relativ geringen Abstände der Werte im mittleren Bereich der Verteilung – Australien hat beispielsweise mit 0,417 den achtniedrigsten Wert und Zypern mit 0,557 den achthöchsten Wert liberaler politischer Identität – ist eine Kalibrierung mittels qualitativer Einteilung in feste Werte angebracht, um relevante Unterschiede zwischen den Fällen zum Ausdruck zu bringen, aber geringere Unterschiede nicht überzuinterpretieren. Diese vierstufige Kalibrierung kann außerdem mit den „Sprüngen“ in der Verteilung der Werte begründet werden (Cronqvist 2019, S. 70): Mit der Ausnahme von Japan fallen Tschechien, Südkorea, Slowenien, die Slowakei und Griechenland bei der Verteilung liberaler politischer Identität als Schlussgruppe ins Auge und bilden damit die Gruppe von Fällen ohne nennenswert ausgeprägte liberale politische Identität (siehe Abb. 1). Am oberen Ende der Verteilung ist eindeutig eine Spitzengruppe um die drei skandinavischen Staaten Norwegen, Dänemark und Schweden zu erkennen sowie die Schweiz, die hier ebenfalls dazu gezählt werden kann. In dieser Gruppe ist die liberale politische Identität am eindeutigsten vorhanden. Die Menge der Fälle Griechenland, Litauen, Australien, Estland, Spanien, Vereinigtes Königreich, USA und Italien erhalten den Fuzzy-Wert 0,33, denn dort ist die liberale Identität nicht vollständig abwesend, aber im Vergleich zu den übrigen Fällen vergleichsweise niedrig. Österreich, Frankreich, die Niederlande, Neuseeland, Portugal, Deutschland, Zypern, Finnland, Island und Kanada bilden schließlich die Gruppe, die stärker der Menge der Staaten mit liberaler politischer Identität zugerechnet werden kann, aber die Kondition nicht vollumfänglich erfüllt.

Abb. 1
figure 1

Verteilung liberaler politischer Identität. Anmerkungen: Messung liberaler politischer Identität für den Zeitraum 2005 bis 2021, basierend auf den Daten aus EVS (2021) und Haerpfer et al. (2021). Höhere Werte bedeuten eine stärkere liberale politische Identität in der Gesellschaft. Die Konzeptionalisierung inklusive der Einzelindikatoren findet sich in Anhang A zum Artikel, Tab. 4

Die Kondition republikanischer politischer Identität wird nach einem ähnlichen Schema kalibriert, allerdings mit einem Unterschied (siehe Abb. 2): Der „Sprung“ am oberen Ende der Verteilung verweist auf die beiden Fälle Norwegen und Dänemark, welche hier als vollständige Mitglieder der Menge der Staaten mit ausgeprägter republikanischer politischer Identität kalibriert werden (Fuzzy-Wert 1). Der Schwellenwert wird hier also aufgrund der empirischen Verteilung etwas höher angesetzt als bei der Kondition liberaler politischer Identität. Der Wert 0,5 markiert wieder den Indifferenzpunkt, der die Menge in die Gruppe mit vergleichsweise starker oder vorhandener und vergleichsweise niedriger oder nicht vorhandener republikanischer politischer Identität einteilt. Der Schwellenwert zwischen den Fuzzy-Werten 0 und 0,33 liegt bei 0,35, sodass – wie in der Verteilung erkennbar – lediglich die Fälle Japan und die USA als vollständige Nicht-Mitglieder der Menge von Staaten mit republikanischer politischer Identität angesehen werden.

Abb. 2
figure 2

Verteilung republikanischer politischer Identität. Anmerkungen: Messung republikanischer politischer Identität für den Zeitraum 2005 bis 2021, basierend auf den Daten aus EVS (2021) und Haerpfer et al. (2021). Höhere Werte bedeuten eine stärkere republikanische politische Identität in der Gesellschaft. Die Konzeptionalisierung inklusive der Einzelindikatoren findet sich in Anhang A zum Artikel, Tab. 4

Diese empirische Evidenz deckt sich mit der entsprechenden Fallkenntnis. Zwar können Großkonzepte wie der Liberalismus und der Republikanismus in unterschiedlichen Facetten auftreten und auch in unterschiedlichen kulturellen Kontexten ihre Bedeutung verändern, aber die Grundausrichtung bleibt erkennbar: Die skandinavischen Demokratien – insbesondere Norwegen – erhalten sowohl für die liberale als auch die republikanische politische Identität hohe Fuzzy-Werte, was die Verbindung individueller Freiheit mit kollektivistisch ausgerichtetem ‚Volksheim‘-Denken zum Ausdruck bringt (Eckstein 1966, S. 87–89; Alex 2019, S. 253, Stråth 2018, S. 49). In Japan wiederum ist beides sehr niedrig ausgeprägt, weshalb hier von einer vollständigen Nichtmitgliedschaft in der Menge liberaler und republikanischer politischer Identität ausgegangen wird. Zwar wird die japanische Gesellschaft oftmals als Kollektivgesellschaft beschrieben (Hahn 2022), allerdings ist der dortige Kollektivismus nicht im Sinne einer (aktiv partizipierenden) republikanischen Gemeinschaft zu verstehen, sondern eher als Streben nach konfuzianischer Harmonie und Ordnung. Gleichzeitig stehen auch klassische liberale Werte wie individuelle Selbstentfaltung und ein offenes Gesellschaftsmodell in Kontrast zur typisch japanischen Verbindung traditioneller und moderner Aspekte politischer Identität (Kevenhörster et al. 2010, S. 249; Müller 2019b). Auch die Verteilungen der Fuzzy-Werte zwischen diesen Extremwerten erscheinen plausibel: So haben etwa bei der liberalen politischen Identität alle Demokratien Osteuropas und des Baltikums sowie Südkorea – als aus einem ähnlichen Kulturraum wie Japan stammendes Land – niedrige Mengenmitgliedschaften. Für den osteuropäischen Raum ist dies mit der sowjetisch-sozialistischen Vergangenheit zu erklären, die sich bis heute auf das Demokratieverständnis, zivilgesellschaftliches und politisches Engagement sowie die marktwirtschaftliche Orientierung der Gesellschaft auswirkt (Kriesi 2017; Fuchs und Klingemann 2006).

Als weitere Konditionen werden das Demokratieprofil zwischen Egalitarismus und Libertarismus, der Demokratietypus zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratie auf Seiten der institutionellen Erklärungspfade sowie die Bevölkerungsgröße als geographische Umweltbedingung berücksichtigt. Das Demokratieprofil als mögliche Kondition von Performanz wird basierend auf den Daten von Schlenkrich (2021) sowie Lauth und Schlenkrich (2020) für die Jahre 2005 bis 2021 operationalisiert. Allgemein gesagt wird dabei das in der institutionellen Grundstruktur des demokratischen Wettbewerbs verankerte Trade-Off zwischen Freiheit und Gleichheit (sowie Kontrolle; hier aber nicht berücksichtigt) gemessen. Die Datenbasis liefert die Demokratiematrix (Lauth und Schlenkrich 2018, 2020), welche wiederum als Meta-Index Daten von Varieties of Democracy (Coppedge et al. 2022) enthält. Kombiniert man dann beide Werte, lässt sich eine Aussage über ein eher libertär geprägtes oder eher egalitär geprägtes Demokratieprofil treffen. Die Rohwerte größer als 0 können dabei im Sinne eines eher egalitären Demokratieprofils interpretiert werden und die Rohwerte kleiner als 0 im Sinne eines eher libertären Demokratieprofils (siehe Anhang B, Tab. 7). Diese ursprünglich von Schlenkrich vorgeschlagene Einstufung hier in der Kalibrierung umzusetzen, würde allerdings Probleme mit sich bringen, da lediglich zwei eindeutige libertäre Demokratieprofile eine schiefe Verteilung der Fuzzy-Werte hervorbringen.

Daher wird eine neue Kalibrierung vorgeschlagen, die die Rohwerte als Kontinuum zwischen stark libertären und stark egalitären Demokratieprofilen versteht und erneut die empirische Verteilung für die Kalibrierung heranzieht. Ein „Sprung“ ist zwischen den Fällen Neuseeland (0,080) und Slowakei (0,096) zu erkennen, weswegen der Indifferenzpunkt auf 0,085 festgelegt wird (siehe Abb. 3). Die Fälle mit Werten größer als 0,085 markieren damit die Mengenzugehörigkeit zum egalitären Demokratieprofil und die Fälle mit Werten kleiner als 0,085 die entsprechende Nicht-Mitgliedschaft. Die vollständige Nicht-Mitgliedschaft enthält die Fälle Schweiz und Vereinigtes Königreich sowie USA, Australien und Kanada, die durch ihre liberale, angelsächsische Tradition ebenfalls wie das Vereinigte Königreich über starke liberale Grundzüge im Demokratieprofil verfügen. Den „Sprung“ zwischen den Fuzzy-Werten 0 und 0,33 markiert in der graphischen Verteilung der Abstand zwischen Kanada (0,47) und Japan (0,70). Die Fälle mit Werten zwischen 0,70 und 0,085 erhalten demgemäß den Fuzzy-Wert 0,33, der zwar insgesamt die Nicht-Mitgliedschaft der Fälle zur Menge des egalitären Demokratieprofils beschreibt, aber die Kondition doch stärker vorhanden ist als in den genannten fünf Demokratien mit dem Fuzzy-Wert 0. Der Bereich für den Fuzzy-Wert 0,67 liegt zwischen 0,085 und 0,130, womit die Grenze zwischen überwiegender Mengenmitgliedschaft zur Kondition egalitärer Demokratieprofile und vollständiger Mengenmitgliedschaft abgesteckt wird. Den Wert 1 für die vollständige Mitgliedschaft erhalten damit Slowenien, Österreich, Schweden, die Niederlande, Zypern und Deutschland. In diesen sechs Demokratien fällt das Trade-Off zwischen Freiheit und Gleichheit am stärksten zu Gunsten der Gleichheit aus.

Abb. 3
figure 3

Verteilung des Demokratieprofils. Anmerkungen: Messung des Demokratieprofils nach Schlenkrich (2019; 2021) für den Zeitraum 2005 bis 2021, basierend auf den Daten aus Lauth und Schlenkrich (2020). Höhere Werte bedeuten ein stärker egalitäres Demokratieprofil, niedrigere Werte ein stärker libertäres Demokratieprofil. Die Einzelwerte finden sich in Anhang B zum Artikel, Tab. 7

Die Kondition der Konsensdemokratie basiert auf den Daten von Bochsler (2013; Bochsler und Kriesi 2013), da diese anders als bei Lijphart (2012) auch Werte für mittel- und osteuropäische Staaten enthalten. Wie von Roller (2005) in ihrer Auseinandersetzung mit der Lijphart-Studie angemahnt, wird hierbei lediglich die ursprüngliche Exekutive-Parteien-Dimension berücksichtigt. Die Kalibrierung wird folgendermaßen durchgeführt: Der Wert 0 markiert den Indifferenzpunkt zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratien, was den theoretischen Ausführungen (Bochsler und Kriesi 2013) entspricht und zur empirischen Verteilung der Werte passt (siehe Abb. 4). Als vollständige Nicht-Mitglieder der Menge der Konsensdemokratien werden Kanada, Australien und die USA eingestuft, die damit den Fuzzy-Wert 0 enthalten. Die abgestufte Nicht-Mitgliedschaft umfasst den Wertebereich zwischen 0 und 0,5, womit Portugal, Litauen, Griechenland, Spanien, das Vereinigte Königreich, Frankreich, Japan, Südkorea sowie Italien den Fuzzy-Wert 0,33 enthalten. Die Abstufung der Fuzzy-Werte 0,67 und 1 in der Menge der Konsensdemokratien ist anhand der empirischen Verteilung weniger eindeutig als die bisherigen Entscheidungen, wird schließlich aber auf den „Sprung“ zwischen Finnland und der Slowakei gelegt, Fälle mit einem Rohwert kleiner als −0,70 erhalten so den Fuzzy-Wert 1.

Abb. 4
figure 4

Verteilung der Stärke von Konsensdemokratie. Anmerkungen: Messung des Demokratietypus zwischen Mehrheits- und Konsensdemokratie für den Zeitraum 1990 bis 2007, basierend auf den Daten aus Bochsler (2013). Niedrigere Werte bedeuten eine stärkere Konsensdemokratie. Die Einzelwerte finden sich in Anhang B zum Artikel, Tab. 7

Schließlich bleibt die Kondition der Bevölkerungsgröße zu kalibrieren. Die entsprechenden Daten geben die offiziellen Einwohnerzahlen in Millionen mit Stand Ende 2020 aus der OECD-Datenbank wieder. Jörke (2019, S. 90) schlägt folgende Einteilung vor, auf der die Kalibrierung hier beruhen soll: Staaten zwischen 100.000 und einer Million Einwohnern sind als Kleinstaaten einzustufen (Fuzzy-Wert 0), mittelgroße Staaten haben zwischen 1 und 10 Mio. Einwohnern (Fuzzy-Wert 0,33), Großstaaten zwischen 10 und 100 Mio. (Fuzzy-Wert 0,67) und Riesenstaaten schließlich mehr als 100 Mio. Einwohner (Fuzzy-Wert 1). Der Indifferenzpunkt, der hier die Mitgliedschaft zur Menge großer Staaten markieren soll, wird bei 11 Mio. Einwohnern festgelegt. Das weicht minimal von der Einstufung Jörkes ab, hängt aber mit der empirischen Verteilung der Einwohnerzahlen der hier ausgewählten Fälle zusammen: Es gibt insgesamt vier Staaten, die nur etwas mehr als 10 Mio. Einwohner haben und dann in die Kategorie der Großstaaten rutschen würden. Hier erscheint es sinnvoller, diese vier Staaten noch in die Gruppe der mittelgroßen Staaten einzubeziehen. Tab. 1 liefert abschließend die Gesamtübersicht zur Operationalisierung und den Kalibrierungsregeln der Konditionen.

Tab. 1 Kalibrierung der Konditionen und der Outcomes

4.3 Kalibrierung der Outcomes

Für die Operationalisierung und Kalibrierung der zu untersuchenden Outcomes wird auf eine Unterscheidung von vier Performanzkriterien nach Roller zurückgegriffen (2004, S. 304): Innere Sicherheit, Wohlstand, sozio-ökonomische Sicherheit und Gleichheit sowie Umweltschutz. Alle vier Bereiche können nach der Systematik Rollers als Dimensionen zielbezogener systemischer Performanz bezeichnet werden. Hier liegt der Fokus auf den Outcomes Wohlstand (ökonomische Performanz) und sozio-ökonomische Sicherheit und Gleichheit (sozialpolitische Performanz).

Die ökonomische Performanz (ECP) wird mittels des SGI-Indikators Economic Policy operationalisiert.Footnote 5 Die entsprechende Fragestellung für diesen qualitativen Indikator lautet: „How successful has economic policy been in providing a reliable economic framework and in fostering international competitiveness?“ (SGI 2022a). Dieser Indikator beruht auf einer Experteneinschätzung und bildet damit das qualitative Standbein des Gesamt-Indikators Economy, der zusätzlich um weitere quantitative Einzelindikatoren ergänzt wird. Da QCA die qualitative Grundlage der Zuordnung von Fuzzy-Werten zu Fällen erfordert, wird hier lediglich auf diesen qualitativen Teilindikator Economic Policy zurückgegriffen. Dafür werden die SGI Scores für die verfügbaren Datenreihen zwischen 2018 und 2022 aggregiert und entsprechend der ursprünglichen Einteilung in Fuzzy-Werte übersetzt: Auf einer möglichen Skala von 1 bis 10 beschreiben die Werte 9 und 10 die Spitzengruppe der untersuchten Fälle, die Werte zwischen 8 und 6 die obere Mittelgruppe (upper middle group), die Werte zwischen 5 und 3 die untere Mittelgruppe (lower middle group) und die niedrigsten Werte 2 und 1 die Schlussgruppe. Bazzan et al. haben diesbezüglich gezeigt, „that the 4 qualitative categories of the SGI reasonate well with a 4-point fuzzy score logic, encompassing differences ‚in kind‘“ (2022, S. 202). Um den Anforderungen einer QCA zu entsprechen, wird hier also ebenfalls diese vierstufige Einteilung übernommen. Übersetzt in das qualitative Urteil bedeutet beispielsweise der Wertebereich 6 bis 8 für die ökonomische Performanz: „Economic policy largely provides a reliable economic environment and supports the objectives of fostering a country’s competitive capabilities and attractiveness as an economic location“ (SGI 2022a). Für Werte zwischen 3 und 5 trifft dies nur noch zu einem geringen Teil zu (somewhat) und die Werte 1 und 2 stehen für das Urteil, dass „economic policy mainly acts in discretionary ways essentially destabilizing the economic environment“ (SGI 2022a).

Für die Kalibrierung ist diese qualitative Ausrichtung der SGI-Indikatoren zu berücksichtigen, wenngleich eine minimale Anpassung vorzunehmen ist, um eine schiefe Verteilung der Fuzzy-Werte zu verhindern. Oana et al. (2021, S. 48) formulieren dementsprechend das Kriterium, wonach eine Schiefe in der Verteilung der Mengenmitgliedschaften nicht größer als das Verhältnis von 80 zu 20 % sein sollte. Die SGI untersuchen jedoch in der originalen Fallauswahl 41 Staaten, worunter auch defekte Demokratien und hybride Regime fallen, die die Varianz der Performanzwerte deutlich erhöhen. Bei den hier ausgewählten 27 konsolidierten Demokratien liegt die durchschnittliche ökonomische Performanz zwischen 2018 und 2022 mindestens bei 4 (Zypern), was für die (nicht-schiefe) Verteilung zumindest problematisch ist (siehe Anhang C, Tab. 8). Es wird daher vorgeschlagen, folgende Kalibrierungsregeln festzulegen, die die qualitativen Urteile der SGI so gut es geht einhalten, aber auch die empirische Verteilung berücksichtigen: Länder mit einer ökonomischen Performanz für die Jahre 2018 bis 2022 größer als 8,5 erhalten den Fuzzy-Wert 1. Für eine ökonomische Performanz kleiner gleich 8,5 und größer als 6,0 erhalten Fälle einen Fuzzy-Wert von 0,67. Performanzwerte kleiner gleich 6, aber größer als 2,5 bedeuten einen Fuzzy-Wert von 0,33 und schließlich wird die Schlussgruppe mit Rohwerten kleiner als 2,5 durch die Fuzzy-Werte 0 zum Ausdruck gebracht.

Die Fuzzy-Werte 1 erhalten Kanada, Dänemark, die Niederlande und Schweden und bilden damit die vollständige Mitgliedschaft in der Menge der Staaten mit hoher ökonomischer Performanz ab. Für Schweden vermerkt der SGI-Bericht 2022 dazu beispielsweise: „the institutional and regulatory framework of economic policy remains overall robust and efficient“ (SGI 2022a). Die niedrigsten Werte erzielen Australien, Zypern, Griechenland, Italien, Japan, Südkorea, Slowenien und die Slowakei, allesamt mit einem Fuzzy-Wert von 0,33. Für Japan beispielsweise wird im SGI-Bericht 2022, wie für viele andere Länder auch, auf die negativen Folgen der COVID-19-Pandemie für die heimische Wirtschaft sowie auf „negative effects of an aging and shrinking workforce“ (SGI 2022a) eingegangen.

Die sozialpolitische Performanz (SOP) wird über den Indikator Social Inclusion Policy operationalisiert. Hier lautet die Frage: „To what extent does social policy prevent exclusion and decoupling from society?“ (SGI 2022b). Die vierstufige qualitative Bewertung der Skala zwischen 1 und 10 folgt hier nach der gleichen Logik und soll auch ebenso wie bei der ökonomischen Performanz in Fuzzy-Werte übersetzt werden. Die beiden mittleren Gruppen, die die Grenze zwischen der Mengenmitgliedschaft und der Nicht-Mengenmitgliedschaft für eine hohe sozialpolitische Performanz markieren, trennt folgendes qualitatives Urteil: Die Fuzzy-Werte 0,67 bedeuten, dass „for the most part, policies enable societal inclusion effectively and ensure equal opportunities“ (SGI 2022b). Werte von 0,33 hingegen markieren ein Urteil, dass im Endeffekt als Nicht-Outcome bewertet werden muss, wenngleich mit Abstufungen zum Fuzzy-Wert 0: „For the most part, policies fail to prevent societal exclusion effectively and ensure equal opportunities“ (SGI 2022b). Für den Zeitraum 2018 bis 2022 erzielen Griechenland (4,25) und Japan (4,75) die schlechtesten Werte sozialpolitischer Performanz und damit den Fuzzy-Wert 0,33. Den gleichen Wert erreichen ebenfalls Australien, Zypern, Tschechien, Spanien, Estland, Südkorea, Litauen, Portugal, die Slowakei und die USA. Den Fuzzy-Wert 1 für die höchste sozialpolitische Performanz, mit den höchsten Rohwerten von 8,5 bzw. 8,75 erreichen Norwegen und Slowenien. Für Slowenien betont der SGI-Bericht die starke Tradition sozialer Gleichheitspolitik: „Slovenia’s at-risk-of-poverty rate is below the EU average. In the past, social policy focused on providing benefits to the elderly and to families with children“ (SGI 2022b). Die Übersicht über die Operationalisierung und Kalibrierung der beiden Outcomes findet sich in Tab. 1, die Roh- und Fuzzy-Werte in Tab. 8 im Anhang.

5 Ergebnisse

5.1 Zur Erklärung ökonomischer Performanz

Die Hypothese hat eine hohe liberale politische Identität als hinreichend für gute ökonomische Performanz einer Demokratie (LIBID ← ECP) postuliert (H1). Als weitere Konditionen werden die republikanische politische Identität (REPID), die Bevölkerungsgröße (SIZE), das Demokratieprofil (DEMPROF) sowie die Konsensdemokratie (CONSDEM) mit in die Analyse aufgenommen. Die Analyse beginnt entsprechend den Standards guter QCA-Praxis mit der Überprüfung auf notwendige Bedingungen (Schneider und Wagemann 2009, S. 405). Gibt es eine Bedingung, die immer zum Outcome führt, die also immer, wenn das Outcome hoher ökonomischer Performanz vorliegt, auch vorliegt? Hierfür ist bei einer fsQCA mindestens ein Konsistenzwert von 0,9 notwendig, was hier für keine der Konditionen oder ihre Negationen erreicht wird. Von der Existenz einer notwendigen Bedingung für ökonomische Performanz ist hier also nicht auszugehen (siehe Anhang D, Tab. 9).

Bei der Prüfung der Wahrheitstafel (siehe Anhang D, Tab. 10) auf hinreichende Bedingungen muss zunächst der Schwellenwert der Konsistenz zur Kodierung des Outcomes festgelegt werden. Die Konsistenz gibt dabei an, „inwiefern es zutrifft, dass der Wert einer Bedingung für alle Fälle kleiner oder gleich dem Wert des Outcomes ist“ (Berg-Schlosser und Cronqvist 2012, S. 211). Der Schwellenwert für die Konsistenz wird hier auf 1 festgelegt und liegt damit deutlich über dem gängigen Mindestmaß von 0,75 (Ragin 2009, S. 118). Die Kombinationen der ersten acht Zeilen fließen also in die Analyse hinreichender Bedingungen für das Outcome ECP ein und werden für das Outcome mit 1 kodiert, während die übrigen Zeilen für das Outcome den Wert 0 erhalten. Dies erscheint nicht nur aufgrund des Abfalls des Roh-Konsistenzwertes zwischen den Zeilen 8 und 9 plausibel, sondern auch die Werte der PRI-Konsistenz (Oana et al. 2021, S. 96) zeigen dies deutlich. Wichtig ist nochmals zu betonen, dass anhand der Wahrheitstabelle nicht abgelesen werden kann, ob Fälle eine niedrige oder hohe Performanz im Bereich Wohlstand aufweisen, sondern nur, ob und wie stark die Fuzzy-Werte der Bedingungen mit den erwarteten Werten des Outcomes übereinstimmen.

Auf Basis der Wahrheitstabelle und der jeweiligen Konsistenzen kann nun die Gesamtlösung (siehe Tab. 2) zur Erklärung hoher ökonomischer Performanz berechnet werden. Für den mittleren Lösungsterm wird angenommen, dass hohe liberale Identität sowie niedrige republikanische Identität, die Abwesenheit eines egalitären Demokratieprofils sowie die Abwesenheit von Konsensdemokratie hinreichend für das Outcome sind. Für die Kondition Bevölkerungsgröße kann hier keine theoretische Erwartung formuliert werden, da basierend auf dem bisherigen Forschungsstand keine eindeutigen Annahmen dazu bekannt sind. Die Konsistenz der mittleren Gesamtlösung besitzt einen Wert von 0,97 und ist somit in jedem Fall ausreichend, die Abdeckung liegt bei 0,66. Das heißt, der kombinierte Lösungsterm aus allen drei Lösungspfaden kann als hinreichende Bedingung 66 % aller Fälle mit dem Outcome hoher ökonomischer Performanz erklären und ist außerdem insgesamt zu 97 % konsistent mit den erwarteten Werten des Outcomes. Inhaltlich kann damit der mittlere Lösungsterm zur Erklärung hoher ökonomischer Performanz wie folgt beschrieben werden: Hohe ökonomische Performanz liegt dann vor, wenn

  • entweder die Kombination aus hoher liberaler politischer Identität und der Abwesenheit eines egalitären Demokratieprofils (Lösungspfad a),

  • oder die Kombination aus hoher liberaler Identität und großer Bevölkerungszahl (Lösungspfad b),

  • oder die Kombination aus niedriger republikanischer Identität, geringer Bevölkerungsgröße und Abwesenheit eines egalitären Demokratieprofils vorliegt (Lösungspfad c).Footnote 6

Tab. 2 Lösungsgleichung für das Outcome ECP (Mittlere Lösung)

Der erste Lösungspfad (a) der mittleren Lösung zur Erklärung hoher Performanz deckt die Fälle Schweiz, Kanada, Frankreich, Neuseeland und Portugal ab, wobei Kanada und Frankreich (b) sowie Neuseeland (c) auch durch einen weiteren Lösungspfad abdeckt sind. Die Schweiz kann also sinnbildlich für diese Lösung herangezogen werden, da diese nicht zusätzlich von einem anderen Pfad erklärt wird: Die ökonomische Performanz in der Schweiz ist hoch, die dortige Wirtschaft gilt als eine der wettbewerbsstärksten weltweit und kann eines der höchsten Bruttoinlandsprodukte überhaupt und eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit aufweisen (Armingeon et al. 2022, S. 12). Gleichzeitig besitzt die Schweiz eine hohe liberale politische Identität und ein libertäres statt egalitäres Demokratieprofil, was die Betonung von Freiheit statt Gleichheit hervorhebt und für eine Bestätigung der Hypothese H7 spricht: „Whereas egalitarian democracies underscore political equality, libertarian democracy focuses on the realization of political freedom. Egalitarian democracies emphasize inclusiveness by the introduction of equal representation and an equal chance of representation through PR-systems, egalitarian political finance, and fair media regulation“ (Schlenkrich 2019, S. 318). Libertäre Demokratieprofile zeichnen sich außerdem durch geringere Regulierungen der Märkte und Ausgabenbeschränkungen aus. Bei der liberalen politischen Identität erzielt die Schweiz den vierthöchsten Wert aller untersuchten 27 Staaten (0,718) (siehe Anhang A, Tab. 6). Die republikanische Tradition ist zwar ebenso klassisches Kernelement des politischen Denkens und Handelns in der Schweiz (Plasser und Ulram 1993), das sich bisher am deutlichsten im Milizsystem von Parlament und Armee sowie der integrationspolitischen Neutralität hinsichtlich der Europäischen Gemeinschaft zeigte. Andererseits wird dies zusehends um liberale Aspekte ergänzt, das republikanische Erbe sozusagen liberal interpretiert: „der – liberale – Ruf […] nach schnellen und klaren politischen Entscheidungen verrät, dass der mühsame und zeitraubende, aber über die Konsenserzeugung äusserst [sic!] integrative demokratische Entscheidungsprozess keinen Zweck für sich darstellt“ (Neue Zürcher Zeitung 2001, o.S.). Sozio-ökonomische Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur, der zunehmende Wandel der Erwerbsstruktur in vielen ländlichen Gebieten sowie die Professionalisierung in Politik und Armee erfordern eine Aufwertung des liberalen Arguments auch in der politischen Identität, die in der schweizerischen Bevölkerung auf fruchtbaren Boden fällt: „Switzerland’s multicultural society, thanks to the way it has been integrated, has achieved a remarkable standard of political pluralism. Peaceful conflict resolution through power-sharing is not only a pattern of political but also of social life“ (Linder und Mueller 2021, S. 48). Die eigenen Daten der Messung politischer Identität verdeutlichen dies an einigen Stellen: In nur sechs von 27 Ländern ist das liberale Demokratieverständnis stärker ausgeprägt als in der Schweiz, in nur sechs anderen Demokratien ist der Kosmopolitismus stärker verankert und in keinem anderen untersuchten Land ist das Vertrauen in politische Institutionen größer.

Gleichzeitig ist die Schweiz auch eine Konsensdemokratie: Die niedrigschwellige und breit ausgebaute schweizerische direkte Demokratie mit Vetofunktion für Minderheiten, das umfassende Proporzprinzip, starke föderale Strukturen sowie die paritätische Einbindung der Bevölkerungsgruppen sind deren eindeutige Kennzeichen (Vatter 2016, S. 554–555). Die Kondition CONSDEM ist hier aber nicht Teil des Lösungspfades und damit geht weder von der Kondition oder der Negation der Kondition CONSDEM ein klarer Erklärungsbeitrag aus. Die Hypothese H6 kann insofern nicht bestätigt werden, wie sich auch mit Blick auf die weiteren Lösungspfade zeigt.

Der zweite Lösungspfad (b) umfasst neben Kanada und Frankreich die alleinige Erklärung hoher ökonomischer Performanz für Deutschland und die Niederlande durch die Kombination aus hoher liberaler politischer Identität und hoher Bevölkerungsgröße. Auch hier ist also eine starke liberale Identität Teil der Erklärung ökonomischer Performanz in bevölkerungsreichen Staaten. Zur Kondition Bevölkerungsgröße wurde lediglich als Hypothese (H3) formuliert, dass eine geringere Bevölkerungszahl eher zu sozialer Gleichheit führt (Jörke 2019, S. 31). Eine theoretisch fundierte Prämisse zur Bevölkerungsgröße als Bedingung ökonomischer Performanz wurde daraus nicht abgeleitet, wenngleich sich wirtschaftliche Strukturen zwischen großen und kleinen Staaten durchaus unterscheiden. Hoppe et al. (2022, S. 9–11) betonen beispielsweise für die Niederlande die guten Möglichkeiten der heimischen Wirtschaft, die Folgen der Covid-19-Pandemie zu überwinden, unter anderem durch die fortgeschrittene Digitalisierung und entsprechende Kapazitäten in der Bevölkerung. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Erklärung ökonomischer Performanz durch ausgeprägte liberale Identität mit Abstrichen bei der sozialen Gleichheit einhergehen kann. In den Niederlanden besonders zum Ausdruck kommend durch „the widespread feeling that in spite of the country’s satisfactory macroeconomic performance and wellbalanced state budget in recent years, Dutch households have yet to experience serious improvements with regard to inequalities in life chances, wages and wealth, housing, health, and work-leisure balance“ (Hoppe et al. 2022, S. 10).

Tschechien und Litauen werden, neben Neuseeland, mit dem dritten Lösungspfad (c) erklärt. Dort ist die hinreichende Kombination für das Outcome hoher ökonomischer Performanz die Abwesenheit hoher republikanischer Identität, eine geringe Bevölkerungsgröße sowie die Abwesenheit eines egalitären Demokratieprofils. Dieser dritte Lösungspfad erscheint theoretisch am wenigsten plausibel, zieht man die formulierten Hypothesen in Betracht. Als liberales Element kann hier zwar das eher libertäre Demokratieprofil ausgemacht werden (H7), aber weder die liberale politische Identität noch die Mehrheitsdemokratie sind Teil dieses Lösungspfades. Insbesondere kleinere Länder, die wie hier noch dazu über eine kürzere Zeit der demokratischen Stabilisierung als die westeuropäischen Demokratien verfügen, sind in der Entstehung wirtschaftlicher Strukturen dabei stärker von ausländischen Großunternehmen abhängig. Der SGI-Bericht zu Tschechien vermerkt zu den Strategien ökonomischer Performanz, dass diese „have focused on achieving broad macroeconomic stability and attracting inward investment by multinational manufacturing companies drawn by wage levels about half the level of those in wealthier Western European neighbors“ (Guasti et al. 2022, S. 7). Das deutet darauf hin, dass für eine Erklärung ökonomischer Performanz durch kollektive politische Identitäten in den Gesellschaften auch berücksichtigt werden muss, ob Performanz als Folge innergesellschaftlicher politischer Einstellungen oder eher als Folge struktureller Abhängigkeiten von außen gesehen werden kann.

Interessanterweise werden von der in Tab. 2 angegebenen mittleren Lösung mit Dänemark und Schweden zwei Fälle mit dem Fuzzy-Wert 1 für die ökonomische Performanz nicht abdeckt. Das erscheint vor allem deshalb interessant, weil beide Staaten hohe Werte sowohl für die liberale als auch die republikanische Identität besitzen, Dänemark sogar für beide Konditionen politischer Identität ebenfalls den Fuzzy-Wert 1 erhält. In der Wahrheitstafel (siehe Anhang D, Tab. 10) wird deutlich, dass vier Zeilen, die mit dem Outcome 1 kodiert wurden, auch für die liberale und die republikanische Identität den Wert 1 erhalten. Auch die komplexe Lösung (siehe Anhang D, Tab. 14) verweist darauf. Die postulierten Prämissen für die mittlere Lösung führen dazu, dass der Term weiter reduziert wird und die Kondition REPID herausfällt. Die Betrachtung der komplexen Lösungsterme zeigt allerdings, dass bei mehreren Lösungspfaden die Kombination liberaler und republikanischer Identität vorliegt, zum Beispiel in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Portugal.

Entgegen den theoretischen Erwartungen kann also auch die Kombination liberaler und republikanischer Identität Teil einer hinreichenden Erklärung für gute ökonomische Performanz sein, allerdings nur zusammen mit der entsprechenden Einbettung in institutionelle Settings. Gstöhl hat beispielsweise in einer Untersuchung die skandinavischen Staaten und die Schweiz, die einerseits alle ökonomisch sehr erfolgreich sind und sich darüber hinaus durch die Betonung von Neutralität und Integrationsskepsis ähneln, miteinander verglichen. Zu den unterschiedlichen Rahmenbedingungen für Performanz zählen demnach: „Switzerland shows a unique combination of federalism and direct democracy, while Sweden and Norway have maintained particular welfare models. In contrast to the homogeneous Swedish society, Switzerland stands out as fragmented by language, and Norway is characterized by a very strong centre–periphery cleavage“ (Gstöhl 2002, S. 543). Des Weiteren ist es für diese Länder charakteristisch, dass sich liberale und republikanische Elemente in der politischen Kultur ergänzen, wie es die Gleichzeitigkeit hoher liberaler und republikanischer Identität zum Ausdruck bringt. Gesellschaftliche Segmentierung, die historische Entwicklung einer gespaltenen politischen Kultur und die Entstehung ausgeprägter Konkordanz (Linder und Mueller 2021) betten beispielsweise in der Schweiz das liberale Paradigma in kontroll- und konsensorientierte Institutionen ein. Das sogenannte nordische Wohlfahrtsstaatsmodell ist außerdem stark am Ideal einer egalitären Verhandlungsdemokratie orientiert (Förster et al. 2014; Lundberg 2015), wodurch die sozialen Voraussetzungen für aktives bürgerschaftliches Engagement, hohe politische Partizipation und gewachsene Solidarität geschaffen werden sollen (Goul Andersen und Hoff 2002, S. 30). Hier wird die Einbettung liberaler und republikanischer Identität in eine übergeordnete kollektive Identität deutlich: Individualismus, Autonomie und Kosmopolitismus sind dort ebenso Teil der politischen Identität wie Egalitarismus, eine eher starre Integrationspolitik in eher homogenen Gemeinschaften und die hohe Verwurzelung in zivilgesellschaftlichem Engagement (Eriksen 2012; Jochem 2019; Stråth 2018).

Zu den Standards guter Praxis von QCA gehört es auch, Outcome und Nicht-Outcome getrennt zu untersuchen. Gibt es also Bedingungen oder eine Kombination von Bedingungen, die notwendig oder hinreichend für die Erklärung niedriger ökonomischer Performanz ist (~ECP)? Der Test auf notwendige Bedingungen zeigt, dass die Abwesenheit liberaler politischer Identität den Schwellenwert von 0,9 knapp überschreitet und daher als notwendig für eine niedrige ökonomische Performanz eingestuft werden kann (siehe Anhang D, Tab. 9). Das bestätigt ebenfalls die entsprechende Hypothese. Die ausführliche Darstellung der Wahrheitstafel und der Lösungen für die hinreichenden Lösungsterme erfolgt in Anhang D, Tabellen 11 und 16.

5.2 Zur Erklärung sozialpolitischer Performanz

Die zweite Hypothese hat die republikanische politische Identität als Bedingung für das Outcome hoher sozialpolitischer Performanz postuliert (REPID ← SOP). Als weitere Konditionen werden die liberale politische Identität (LIBID) sowie erneut das Demokratieprofil (DEMPROF), Mehrheits- und Konsensdemokratie (CONSDEM) sowie Bevölkerungsgröße (SIZE) berücksichtigt. Es wurde diesbezüglich angenommen, dass eine geringere Bevölkerungszahl (H3), Konsensdemokratie (H4) und ein egalitäres Demokratieprofil (H5) einzeln oder kombinatorisch hinreichend für gute sozialpolitische Performanz sind. Im ersten Schritt ist wieder die Analyse notwendiger Bedingungen durchzuführen: Die Kondition hoher republikanischer Identität erzielt dabei den höchsten Konsistenzwert (0,863) und scheitert knapp an der notwendigen Schwelle von 0,9. Die große Bedeutung, die die republikanische Identität hier für die Erklärung sozialpolitischer Performanz hat, stimmt aber bereits mit der formulierten Hypothese H2 überein, von einer notwendigen Bedingung kann allerdings nicht ausgegangen werden (das gleiche gilt für das Nicht-Outcome).

Welche kombinierten Lösungspfade können als hinreichende Erklärung für das Outcome gesehen werden? Der Konsistenzwert zur Kodierung des Outcomes in der Wahrheitstafel (siehe Anhang D, Tab. 12) wird auf 1 festgelegt. Das umfasst die ersten fünf Zeilen der Wahrheitstafel. Zwar weist Zeile 6 auch noch eine hohe Roh-Konsistenz von über 0,95 auf und deckt sieben empirische Fälle ab, aber der Wert der PRI-Konsistenz ist im Vergleich zu den vorherigen Zeilen deutlich abgefallen. Daraus ergibt sich eine (mittlere) Lösungsgleichung (siehe Tab. 3), für deren Berechnung die Annahmen postuliert werden, dass liberale politische Identität und hohe Bevölkerungsgröße in ihrer Abwesenheit sowie republikanische politische Identität, Konsensdemokratie und ein egalitaristisches Demokratieprofil in ihrer Anwesenheit zur Erklärung des Outcomes beitragen.

Tab. 3 Lösungsgleichung für das Outcome SOP (Mittlere Lösung)

Die mittlere Lösung offenbart drei äquifinale Lösungsterme, die bei einer Gesamtkonsistenz von 1 knapp 70 % der Fälle mit guter sozialpolitischer Performanz abdecken. Eine hohe sozialpolitische Performanz kann dann

  • durch eine hohe liberale Identität und eine niedrige republikanische Identität (Lösungspfad a),

  • durch eine hohe liberale Identität und eine hohe Bevölkerungszahl (Lösungspfad b), oder

  • durch eine hohe republikanische Identität, geringe Bevölkerungsgröße, ein libertäres Demokratieprofil und Konsensdemokratie (Lösungspfad c) erklärt werden.

Diese drei Lösungspfade verdeutlichen auf den ersten Blick, dass die Erklärungswege zu guter sozialpolitischer Performanz erstens vielfältiger sind als bei der ökonomischen Performanz, und dass zweitens die Bedeutung politischer Identitäten widersprüchlicher und hinsichtlich der theoretischen Hypothesen uneindeutiger ausfällt. Die größte Roh-Abdeckung weist der zweite Erklärungspfad über eine hohe liberale politische Identität in bevölkerungsreichen Staaten auf (Kanada, Deutschland, Frankreich, Niederlande), eine hohe republikanische Identität ist hingegen lediglich Teil im dritten Lösungspfad der Erklärung. Dieser beschreibt die Schweiz, die hier erneut als interessanter Fall zwischen liberalen und republikanischen Konditionen ins Auge fällt, welche gleichermaßen zu einer hohen ökonomischen und einer hohen sozialpolitischen Performanz beitragen. Neben der republikanischen Identität ist hier weiterhin die geringe Bevölkerungsgröße und die Konsensdemokratie – wie in den Hypothesen postuliert – Teil der Erklärung sozialpolitischer Performanz, allerdings ergänzt um das libertäre Demokratieprofil (siehe oben). Die Vielschichtigkeit der multikausalen Erklärungswege sind dabei offensichtlich: Die Schweiz besitzt eine hohe republikanische Identität, eine niedrige Bevölkerungszahl und ist als Konsensdemokratie einzustufen, wenngleich das institutionalisierte Demokratieprofil libertär ausfällt und ebenfalls Teil der Erklärung ist: Eine konsensdemokratische Tradition der Konfliktregelung und breiter Einbindung sozialer Gruppen und gesellschaftlicher Interessen, verbunden mit Kleinräumigkeit und republikanischen Werten federt im Bereich der Sozialpolitik den liberalen ‚Einschlag‘ ab und führt zu einer Verbindung von Kollektivorientierung, Inklusionsstreben und Leistungsfähigkeit. Der SGI-Bericht zur Schweiz verweist auf die Verbindung sozialer Aspekte mit ökonomischer Performanz und staatlicher Effizienz: „In contrast to many Western European countries, Switzerland has recorded no major increase in income inequality over the past 20 years. Life satisfaction is very high and the share of working poor in the population is comparatively small. This is due to an effective system of social assistance, including a complex but comprehensive pension system, unemployment and disability insurance, as well as social assistance“ (Armingeon et al. 2022, S. 24).

Jedoch enthalten eben zwei von drei Lösungspfaden (a und b) auch die Kondition hoher liberaler Identität beziehungsweise sogar die Kondition republikanischer Identität in ihrer Abwesenheit als hinreichende Erklärung für sozialpolitische Performanz, was den Hypothesen widerspricht. Der Blick auf die Wahrheitstabelle zeigt aber, dass Deutschland, Niederlande, die Kanada und die Schweiz dem Idealtyp zugeordnet werden, der sowohl eine hohe liberale als auch eine hohe republikanische Identität aufweist. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass alle skandinavischen Staaten (Schweden, Norwegen, Island, Finnland und Dänemark) ebenfalls eine hohe liberale und eine hohe republikanische Identität besitzen sowie zur Menge der Staaten mit hoher sozialpolitischer Performanz gehören, aber von der mittleren Lösung nicht erklärt werden. Der entsprechende Idealtyp in Zeile sechs der Wahrheitstafel deckt allerdings auch den Fall Zypern ab, der nur einen Fuzzy-Wert von 0,33 für die sozialpolitische Performanz enthält und daher die Gesamtkonsistenz der Zeile deutlich vermindert. Es gibt darüber hinaus nur noch einen weiteren Fall (Zeile 14 der Wahrheitstafel, Portugal), der über hohe liberale und hohe republikanische Identität verfügt (hier ebenfalls mit niedriger sozialpolitischer Performanz).

Republikanische Identität ist also in bestimmten Fällen hinreichend für sozialpolitische Performanz, es gibt aber auch Fälle, in denen ohne hohe republikanische Identität gute sozialpolitische Leistungen des Staates erbracht werden. Mit Blick auf die Lösungspfade muss das aber weiter differenziert werden: Republikanische politische Identität ist im ersten Lösungspfad sogar in ihrer Abwesenheit Teil der hinreichenden Bedingung, was den theoretischen Erwartungen widerspricht. Das betrifft die Fälle Frankreich und Neuseeland. Dort sind starke liberale Identität und geringe republikanische Identität hinreichend für gute Leistungen sozialpolitischer Inklusion. Die Performanz in Deutschland, Kanada und den Niederlanden lässt sich durch das Zusammenspiel von hoher liberaler Identität und hoher Bevölkerungsgröße aufzeigen. Das ist nicht konsistent mit den theoretischen Erwartungen. Beim Blick in die jüngsten SGI-Berichte zum Indikator Social Inclusion in Neuseeland und Frankreich wird deutlich, warum beide Fälle nur knapp die Grenze zur Mengenmitgliedschaft hoher sozialpolitischer Performanz überschreiten: In Neuseeland ist soziale Ungleichheit für die OECD-Welt vergleichsweise ausgeprägt, insbesondere mit Blick auf die Māori. Ein weiteres Problem sind die hohen Wohn- und Lebenshaltungskosten (Hellmann et al. 2022, S. 17). In Frankreich ist das Sozialsystem zwar traditionell stark und umfassend, aber auch hier zeigen sich Herausforderungen, die ebenfalls auf die Verbindungen beider Performanzbereiche hindeuten: „The challenges for France at a time of economic decline and persistent unemployment are, first, to provide sufficient funding for the costly system without undermining competitiveness with toohigh levels of social contributions“ (Mény et al. 2022, S. 19). Eine weitere Anmerkung ist diesbezüglich zu machen, die auch für den zweiten Lösungspfad (hohe liberale Identität in großen Staaten) relevant sein kann: Bereits Roller (2005, S. 41) verweist darauf, dass Wohlstand und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zwar einer von vielen Performanzbereichen ist, aber gleichzeitig auch als Voraussetzung dafür gesehen werden muss. Die stärkere Verfügbarkeit von finanziellen Ressourcen und einer leistungsstarken heimischen Wirtschaft bedingt die Handlungsfähigkeit des Staates für entsprechende Maßnahmen sozialer Sicherung. Die Relevanz liberaler politischer Identität für die Erklärung ökonomischer Performanz ist oben deutlich geworden. Liberale politische Identität als Teil der hinreichenden Erklärungswege für sozialpolitische Performanz beruht also möglicherweise auch darauf, dass liberale Identität als Erklärung für die ökonomischen Voraussetzungen von Sozialpolitik fungiert.

Erneut soll noch der Blick auf die Untersuchung des Nicht-Outcomes, also in diesem Falle auf die Erklärung niedriger sozialpolitischer Performanz, gelegt werden (siehe Anhang D, Tabellen 13 und 17). Als notwendige Bedingung erreicht die Kondition der Abwesenheit liberaler Identität den höchsten Konsistenzwert (0,87), der allerdings die Schwelle von 0,9 nicht erreicht. Dennoch deutet dies ebenfalls auf die uneindeutige Beantwortung der Hypothesen hin und zeigt das kombinierte Erklärungspotenzial beider politischen Identitäten auf. Die hinreichenden Lösungspfade zur Erklärung niedriger sozialpolitischer Performanz bieten wenig Anknüpfungspunkte an eine Reduzierung der komplexen Lösung und decken auch nur knapp 50 % der Fälle mit dem entsprechenden Outcome ab. Es gibt also eine Vielzahl von empirischen Erklärungen, warum eine Demokratie im Bereich der sozialpolitischen Leistungsbereitschaft abfällt, die hier nicht bündig im Sinne der aufgestellten Hypothesen interpretiert werden können.

6 Fazit

Diese Arbeit hatte zum Ziel, sich der sozio-kulturellen Forschungslücke in der Performanzforschung zu widmen und einen Erklärungsansatz kollektiver politischer Identitäten vorzuschlagen. Dabei sind zwei zentrale Annahmen formuliert worden: Eine starke liberale politische Identität begünstigt die ökonomische Performanz (H1), eine starke republikanische politische Identität begünstig die sozialpolitische Performanz (H2).

Dabei zeigte sich, dass vor allem das Erklärungspotenzial liberaler politischer Identität für eine hohe ökonomische Performanz bestätigt werden kann. Allerdings müssen politische Identitäten immer im Kontext multikausaler und äquifinaler Erklärungswege interpretiert werden: Politische Identitäten als Teil der politischen Kultur sind immer in spezifische nationale, historische, geographische und politische Kontexte eingebettet, in denen sie mehr oder weniger bedeutend für die Erklärung bestimmter Policies sind, beziehungsweise das politische Entscheidungssystems mehr oder weniger durchlässig für die aus den Einstellungsmustern der Gesellschaften resultierenden Forderungen ist. So ist beispielsweise die Institutionalisierung liberaler Prämissen im Demokratieprofil eines Landes ebenfalls Teil der vielfältigen Erklärungen ökonomischer Performanz. Nicht Bestandteil der Lösungen war hingegen die Kondition der Mehrheits- oder Konsensdemokratie. Bei der Erklärung sozialpolitischer Performanz hat sich die Hypothese weniger eindeutig bestätigen lassen: Es gibt zwar Erklärungswege, wo republikanische politische Identität einen hinreichenden Beitrag für sozialpolitische Performanz liefert, aber ohne republikanische politische Identität ist das Outcome ebenfalls zu erreichen.

Insbesondere die skandinavischen Länder, aber auch die Schweiz stehen für einen Erklärungspfad ökonomischer und sozialpolitischer Performanz, bei dem in eher kleinen Gesellschaften die Kompromiss- und Konsensorientierung der politischen Institutionen liberale und republikanische Identitätselemente ausbalancieren. Die weitaus größere Abdeckung besitzen dementsprechend Erklärungen, in denen ökonomische und sozialpolitische Performanz in Ländern zu beobachten ist, die sich durch eine Kombination aus liberaler und republikanischer politischer Identität auszeichnen. Das kann als Hinweis erstens auf die dysfunktionalen Folgen einer übermäßigen und einseitigen Ausprägung eines dominanten Paradigmas in den westlichen Gesellschaften (vor allem für den Liberalismus siehe Reckwitz 2019) und zweitens auf die langfristige Funktionalität einer „konsensualen Identitätsbildung“ (Sebaldt 2015, S. 189) für die Leistungsfähigkeit politischer Systeme gelesen werden. Die skandinavischen Staaten stehen sinnbildlich für die Gleichzeitigkeit von relativ ausgeprägtem Liberalismus und Republikanismus – die dort nicht als Gegensatzpaar fungieren, sondern ineinander eingebettet sind (Heintze 2005; Hilson 2008; Stråth 2018) – und können damit auch auf der Outcome-Seite das Trade-Off zwischen Freiheit und Gleichheit ausbalancieren.

Der Ausgleich zwischen den beiden zentralen „ideologischen Säulen“ (Jörke 2011, S. 170) der Demokratie – Liberalismus und Republikanismus – könnte damit nicht nur zu einer Sänftigung identitätspolitischer, als Nullsummenspiel ausgetragener Polarisierung beitragen (Bein 2022b), sondern auch die konkrete Problemlösungskapazität der demokratischen Ordnungen aufrechterhalten. Reckwitz prophezeit diesbezüglich als neues politisches Paradigma, das die westlichen Gesellschaften dominiert und sich in einer solchen Phase als funktional erweisen wird, einen regulativen, einbettenden Liberalismus, der die Vor- und Nachteile der beiden (sozialen) Regulierungs- und (liberalen) Dynamisierungsparadigmen aufgreift und anpasst: „Die spätmoderne Gesellschaft ist keine Gemeinschaft, kein homogenes Kollektiv und wird es auch niemals sein. Sie ist in Lebensstilen pluralisiert, in Klassen stratifiziert und multiethnisch. Die Herausforderung liegt vielmehr in der Konstitution eines gesellschaftlichen Allgemeinen, das sich inmitten der sozialen Unterschiede und kulturellen Heterogenitäten zu behaupten vermag“ (Reckwitz 2019, S. 290). Der Ausgleich liberaler und republikanischer Elemente politischer Identität kann dabei zu dieser funktionalen Einbettung beitragen.