In jeder Wahl gibt es zwei Kampagnen: zum einen die Kampagne aus Sicht der politischen Elite, zum anderen die aus der Perspektive des gewöhnlichen Wählers. Im Mittelpunkt steht laut David E. RePass dabei häufig die Erstere: dabei geht es um den Dialog und die Interaktion von Kandidaten und ihren Beratern, Journalisten und Kommentatoren, Werbeleuten, Umfrageforschern sowie anderen politischen Analysten. RePass wirft in seinem kürzlich erschienenen Buch „Listening to the American Voter“ in diesem Kontext die Frage auf, was von der Interaktion der erwähnten politischen Akteure wirklich bei den Wählerinnen und Wählern ankommt und wie deren Wahlentscheidung davon beeinflusst wird: „furthermore, we must be aware that voters have their own priorities and perspectives … We need to see the campaign as voters see it“ (S. 1; Hervorhebung im Original). RePass zieht in seinem Werk einen großen historischen Bogen: Gegenstand seiner Untersuchungen sind die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika im Zeitraum von 1960 bis 2016.

Vor gut 60 Jahren wurde das Werk „The American Voter“ (1960), von Wahlforschern rund um Angus Campbell (University of Michigan) veröffentlicht, zu einer Referenzstudie in Bezug auf Wahlen und Wähler in den Vereinigten Staaten. Hier knüpft RePass an. Sein Band präsentiert eine Fülle von empirischen Befunden, an Zahlen, Daten und Fakten zu den jeweiligen Präsidentschaftswahlen im erwähnten Zeitraum, die das schmale Buch mit gerade einmal 172 Seiten rasch zu einem hilfreichen und innovativen Standardwerk politikwissenschaftlicher Forschung rund um amerikanische Präsidentschaftswahlen werden lassen dürfte.

Grundlage der Studie sind die American National Election Studies (ANES) der University of Michigan. RePass fokussiert seine Studie – und darin liegt die neuartige Herangehensweise RePass’ an amerikanische Wahlen – auf die offenen Kommentare am Ende der üblichen Wählerbefragungen. Diese offenen Antworten nutzt RePass, um herauszufinden, wie die Wähler konkret auf die jeweilige Wahl geschaut haben, wie sie Kandidaten und Themen bewertet haben und von welchen Motiven sie sich bei ihrer Stimmabgabe haben leiten lassen. Insgesamt filtert RePass vier wesentliche Aspekte heraus: Einstellungen gegenüber den Kandidaten der beiden großen Parteien (Demokraten wie Republikaner), aktuelle Themenbewertungen sowie die Parteiidentifikation. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand: statt die Befragten dazu zu bringen, sich bestehenden Antwortmöglichkeiten zuzuordnen, können diese von sich aus (und mit eigenen Worten) antworten.

RePass betont einleitend, dass mit seinem Modell bei durchschnittlich 95 % der Wählerinnen und Wähler vorhergesagt werden kann, wie sie sich am Wahltag entscheiden werden. Im einleitenden Kapitel erläutert er auch die methodische Grundlage seiner Arbeit und exemplifiziert sein Vorgehen anhand einiger weniger Wahlen, um den Leser „auf den Geschmack“ kommen zu lassen, wie er betont (vgl. S. 3). Er weist en passant auch auf mögliche methodische Schwierigkeiten bei ausgewählten Fragen der ANES-, aber auch anderer Studien hin: so etwa die Nachfrage bei den sich als „unabhängig“ identifizierenden Befragten („Do you think of yourself as closer to the Republican Party or to the Democratic party?“). Der Autor weist darauf hin, dass es dabei in der Vergangenheit häufig eher darum ging, die aktuelle Wahlabsicht der Befragten zu erfahren, weniger die langfristige Zuordnung zu einer der beiden großen Parteien (vgl. S. 9) und lehnt Nachfragen wie die geschilderte als „push poll“ explizit ab.

Wenn RePass auf S. 2 schreibt, dass es in seiner Analyse vor allem darum geht, was die Wählerinnen und Wähler im Vordergrund bewegt und erwähnt, dass es auch Hintergrundfaktoren wie etwa Parteiideologie (oder besser: Parteiidentifikation) gibt, die sich naturgemäß auch auf die Bewertung von Kandidaten und Sachthemen auswirken, so hätte man diesen Aspekt stärker thematisieren können.

Zunächst wendet sich RePass in seiner Untersuchung lang- sowie kurzfristigen Aspekten zu (Kapitel eins und zwei). Als langfristige Faktoren identifiziert er neben der Parteiidentifikation das Engagement und die Ideologie (vgl. S. 10 ff.). Rechneten sich etwa im Jahre 1960 noch 48 % der Bürger der Demokratischen Partei zu, während sich 26 % der Republikanischen Partei zugehörig fühlten und sich 24 % als Unabhängige identifizierten, so stellt sich die Situation knapp fünfeinhalb Jahrzehnte später, nämlich im Jahre 2016, anders dar: in der vergangenen Wahl machten die Unabhängigen mit 42 % den größten Anteil der amerikanischen Bevölkerung aus, während die Republikaner bei 26 % landeten und die Demokraten auf 32 % kamen (vgl. S. 12). In groben Strichen verweist RePass auf die Gründe dieser Entwicklung. Während langfristige Faktoren einzelne Wahlen überdauern, verändern sich kurzfristige Faktoren mit jeder neuen Wahl. Gemeint sind damit Kandidaten und Themen.

Anschließend greift er die Frage auf, wie konkrete Themen („issues“) gemessen werden können (Kapitel drei). In Kapitel vier stehen die Images der Kandidaten im Vordergrund (vgl. S. 58 ff.). Dieser Abschnitt ist die ausführlichste Passage des vorliegenden Buches, was darauf zurückzuführen ist, dass hier jeweils Wahl für Wahl die einzelnen „Images“ der jeweiligen Kandidaten der beiden großen Parteien durchgegangen werden.

In Kapitel fünf führt der Autor die angesammelten Befunde zusammen und beschreibt die einzelnen Komponenten der Wahlentscheidung. Mit Hilfe einer nicht-standardisierten multiplen Regressionsanalyse werden die Wahlentscheidungen betrachtet, nachdem die Wählerinnen und Wähler die einzelnen Aspekte gegeneinander abgewogen haben (vgl. S. 109 ff.).

In Kapitel sechs macht RePass einen imaginären Schritt zurück und beleuchtet mit „Ideology“ einen wichtigen Aspekt bei Wahlentscheidungen, den er im Hintergrund verortet, der gleichwohl entscheidenden Einfluss auf die letztendliche Wahlentscheidung hat. Anknüpfend an gängige Wählerbefragungen greift der Autor auch hier auf Ergebnisse aus den ANES zurück und präsentiert seine eigene Operationalisierung entlang der liberalen sowie der konservativen Dimension (vgl. S. 121 f. bzw. 124 f.). Anschließend wird diese Herangehensweise anhand der Präsidentschaftswahlen von 1992 exemplifiziert und anhand der Wahlen von 2004, 2012 und 2016 validiert.

Im anschließenden Kapitel sieben greift RePass die parteipolitische Polarisierung in der Zusammensetzung des Kongresses – gerade im Vergleich zu den 1970er Jahren – auf und fragt, ob sich in diesem Phänomen ein geteiltes Elektorat wiederspiegelt (vgl. S. 132). Dabei weist der Autor auf einen wichtigen Unterschied hin: „It is often assumed that liberals are Democrats and Democrats are liberals; conservatives are Republicans and Republicans are conservatives – the terms are often used interchangeably. Yet, this is not the case“ (ebd.). Für den Befund, dass das Elektorat gerade einmal zur Hälfte polarisiert ist (RePass benutzt dafür den Begriff „rigid“), der Kongress dagegen nahezu komplett polarisiert ist, führt der Autor gleich mehrere Gründe an: mit Blick auf dessen Aktivitäten seit 2008 nennt er die Ausweitung der Nutzung des „filibusters“, die Rolle des Kongresses bei der Bestätigung exekutiver Ämter der Obama-Administration, das Beharren auf „party line votes“ auf Republikanischer Seite sowie die Drohung, in den nächsten Vorwahlen gut finanzierte Gegenkandidaten aufzustellen (vgl. S. 137).

Ein Fazit beschließt das Buch, in dem RePass seine Befunde zusammenfasst sowie einige Highlights seiner Untersuchung herausstreicht, so etwa (um nur einige zu nennen), dass die Wahl Donald Trumps im Jahre 2016 als „an aberration in many ways“ (S. 145) zu interpretieren ist, dass das Versprechen von „no new taxes“ durch George H. W. Bush in der Wahl von 1988 nahezu folgenlos blieb, dass die Niederlage Walter Mondales 1984 nicht damit zusammenhing, dass er höhere Steuern in Aussicht gestellt hatte und dass John F. Kennedy im Jahre 1960 aufgrund seiner (katholischen) Religion fast die Wahl verloren hätte, wenn sich nicht 48 % des Elektorats als Anhänger der Demokratischen Partei identifiziert hätten.

Aufgrund zahlreicher Schaubilder und Tabellen eignet sich das Buch gut als Nachschlagewerk mit Blick auf einzelne Wahlen im berücksichtigten Untersuchungszeitraum. Da RePass jedoch viele Daten und Fakten aus den Schaubildern nicht oder nur knapp verbalisiert (vgl. etwa für das fünfte Kapitel S. 114 und 115), liegt für den interessierten Leser noch vieles brach, was in kommenden Untersuchungen aufgegriffen und thematisiert werden könnte.

Fraglich ist natürlich, wie RePass selbst anmerkt, das Erklärungspotenzial seines Modells, sobald Kandidaten dritter Parteien antreten und einen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis haben. Daher fehlen im vorliegenden Buch – und das ist das erste Monitum – die beiden Wahlen von 1968 (mit George Wallace als weiterem Kandidaten) sowie von 1992 (mit Ross Perot als weiterem Kandidaten). Die offenen Antworten aus den Wahljahren 2008 und 2012 waren laut RePass – ein zweites Monitum – zum Zeitpunkt der Abfassung des Buches noch nicht gecoded worden – daher fehlen diese beiden Beispiele ebenfalls. Es bleibt zu hoffen, dass auch diese beiden Wahlen noch nachträglich aufgegriffen werden können, stellt doch gerade die aus unterschiedlichen Gründen als „Jahrhundertwahl“ bezeichnete Wahl von 2008 ein besonders interessantes Fallbeispiel amerikanischer Präsidentschaftswahlen dar.

Ein drittes Monitum betrifft die grafische Gestaltung des Bandes: wie RePass auf S. 33 bemerkt, war es dem Verlag nicht möglich, die Schaubilder in unterschiedlichen Farben darzustellen, sondern ausschließlich in schwarz-weiß. Gerade weil sich seit einiger Zeit der Passus „blaue versus rote Staaten“ eingebürgert hat, um eher Demokratische von eher Republikanischen Bundesstaaten voneinander zu unterscheiden – und RePass diese Unterscheidung zur Analyse heranzieht (vgl. ebd.) –, hätten diese Schaubilder in farbiger Gestaltung sehr viel aussagekräftiger gestaltet werden können.

Gleich mehrere Kapitel sind schließlich sehr knapp ausgefallen, wie auch das Buch insgesamt mit den erwähnten 172 Seiten (Anhang und Register inbegriffen) eher überschaubar ist. Das Kapitel zu den langfristigen Faktoren etwa umfasst genau sechs Seiten. Als Leser wünschte man sich eine stärkere Einordnung, eine vertiefte Analyse, um auch wirklich alle vorgestellten Zahlen und Fakten vollumfänglich nutzen zu können.

Insgesamt handelt es sich bei dem vorliegenden Band um eine interessante und spannende Ergänzung bisheriger Wahlanalysen, auch wenn dabei das Rad amerikanischer Wahlen nicht neu erfunden wird. Für den interessierten Leser erweist sich das Buch – trotz des insgesamt schmalen Umfangs – als ein Kompendium umfangreicher Ergebnisse und Befunde rund um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen seit 1960. Selbst für Leser, die lediglich an bestimmten Befunden interessiert sind, etwa die Frage, wie stabil oder wettbewerbsfähig einzelne Bundesstaaten von Wahl zu Wahl in ihrem Abstimmungsverhalten sind oder welche Themen in spezifischen Wahlen jeweils im Vordergrund standen, lohnt die Lektüre. Man darf gespannt darauf sein, wie das Buch von anderen Vertretern der Wahlforschung rezipiert wird.

Zwei weiterführende Fragen drängen sich dem Leser am Ende des Bandes auf: spannend wäre einerseits eine Übertragung auf Kongresswahlen, auch wenn dies in einem völlig anderen Setting zu erfolgen hätte. Und kann andererseits auch mit Blick auf die Wahl von 2020 davon ausgegangen werden, dass die Vorgehensweise bzw. das Erklärungsmodell von RePass wichtige Schlussfolgerungen zum Ausgang der Wahl liefern wird? Man kann nur hoffen, dass auch in Zukunft amerikanische Wahlen aus dieser Perspektive analysiert werden.