Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • wissen Sie, welche anamnestischen Angaben im Rahmen der Erstversorgung von Frontzahntraumata wichtig sind.

  • wissen Sie, worauf bei der extra- und intraoralen Befundaufnahme zu achten ist.

  • kennen Sie die verschiedenen Verletzungsmuster bei Zahntraumata.

  • ist Ihnen bekannt, welche Verletzungen sofort versorgt werden müssen.

  • haben Sie einen Überblick über die endodontischen Maßnahmen im Rahmen der Nachsorge.

Einleitung

Verletzungen der Zahnhartsubstanz und des Zahnhalteapparats treten häufig bei Unfallverletzungen auf. Dies führt dazu, dass Allgemeinmediziner, Unfallchirurgen und Notärzte in Notfallambulanzen mit dieser Art des Traumas konfrontiert werden. Seit Mai 2016 liegt eine von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) veröffentlichte Leitlinie zur Behandlung des dentalen Traumas in Deutschland vor, die für die behandelnden Ärzte als Behandlungsrichtlinie dienen soll [1]. Frontzahntraumata treten in verschiedenen Lebensphasen gehäufter auf. Bei Kindern zwischen 1 und 2 Jahren führen hauptsächlich Stürze zu Frontzahnverletzungen. In Kindergarten und Schule werden Stürze durch Unachtsamkeit beim Spielen oder Herumtoben verursacht. Die höchste Inzidenz für Frontzahntraumata findet sich bei den 7‑ bis 12-Jährigen [2]. Ursachen hierfür sind v. a. die Zunahme an körperlicher Bewegung, Fahrradfahren und Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen. In den höheren Lebensjahren sind Frontzahntraumata häufig die Folge von Freizeitaktivitäten (Ballsport, Skifahren, Skateboarding, Kontaktsport), Gewaltdelikten oder Stürzen unter Einfluss von Alkohol oder Drogen. Da viele der auftretenden Befunde im Rahmen von Unfällen festgestellt werden, die mit Frakturen der Extremitäten, Gehirnerschütterungen oder vital bedrohlichen Zuständen einhergehen, kommt es häufig vor, dass Zahntraumata übersehen werden, da zunächst die lebenserhaltenden Maßnahmen Vorrang haben. Als Folge werden Maßnahmen zur Rettung ausgeschlagener Zähne zu spät eingeleitet. Anders als Knochenbrüche heilen Verletzungen der Zahnhartsubstanz meist nicht aus und erfordern weitere konservierende oder prothetische Maßnahmen durch Zahnärzte, Kieferorthopäden, Oralchirurgen oder Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgen.

Anamneseerhebung

Die Erstversorgung von Frontzahntraumata unterliegt einer besonderen Sorgfaltspflicht, v. a. bei Jugendlichen. Zur Standardisierung von Anamnese und Befund empfiehlt sich aus forensischer Sicht die Verwendung entsprechender standardisierter Erhebungsbögen zum Frontzahntrauma der Deutschen Gesellschaft für Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET). Die Anamnese umfasst zunächst die Erhebung von Angaben zum Unfallhergang. Dabei muss auch auf Anzeichen von häuslicher Gewalt geachtet werden. Eine genaue Dokumentation ist wichtig, um die entsprechenden Informationen und Zeugenaussagen für das Nachfragen von Versicherungsträgern zu archivieren. Bei Schul‑, Arbeits- und Wegeunfällen ist aus forensischen Gründen auch eine Untersuchung durch einen Durchgangsarzt zu veranlassen. Bei reinen Zahnverletzungen, die bei der Arbeit, auf dem Weg zur Arbeit, im Kindergarten oder in der Schule, in Schulfreizeiten oder auf dem Weg zu Kindergarten oder Schule entstanden sind, ist der erstbehandelnde Zahnarzt für eine Meldung bei der Berufsgenossenschaft zuständig. Eine Überweisung zum D‑Arzt ist dann nicht zwingend erforderlich. Bei einem Arbeits- oder Schulunfall ist für die Vergütung von erforderlichen Leistungen von Ärzten und Krankenhäusern nicht die Krankenversicherung, sondern der Unfallversicherungsträger zuständig. Die Kosten übernimmt meist die Berufsgenossenschaft. Dazu muss ein Unfallbericht erstellt werden. Auf dem entsprechenden Formular, das der Kostenträger zur Verfügung stellt, sind sorgfältig der Befund des Gebisses vor dem Unfall sowie der Unfallbefund anzugeben. Nur die Schäden werden übernommen, die tatsächlich auf den Unfall zurückzuführen sind. Die vorgesehene Versorgung muss dem Versicherungsträger angezeigt werden. Das D‑Arzt-Verfahren kann diese Unfallanzeige vereinfachen und je nach Regressanspruch der jeweiligen Betroffenen einen Vorteil darstellen.

Hinzu kommen Fragen nach Art und Zeitpunkt bisheriger Behandlungen und die Erhebung des Impfstatus, v. a. des Tetanusschutzes . Fehlende Impfungen der Grundimmunisierung sind entsprechend den bestehenden Empfehlungen nachzuholen. Bei Luxationsverletzungen und insbesondere Avulsionen ist es notwendig, den Verletzungszeitpunkt, das Aufbewahrungsmedium von Zahnteilen bzw. den Retransplantationszeitpunkt zu notieren. Dies ermöglicht eine Abschätzung der Prognose von Folgeläsionen im weiteren Verlauf [3].

Befunderhebung

Extraoraler Befund

Die Erhebung des extraoralen Befunds beinhaltet die Untersuchung sowohl auf Weichteilverletzungen als auch auf Knochenbrüche (Tab. 1 und 2). Die Art eventuell vorliegender extraoraler Verletzungen kann bereits auf mögliche Frakturen und die Notwendigkeit spezieller Röntgendiagnostik hinweisen. Besonderes Augenmerk gilt dabei direkten und indirekten Anzeichen für Frakturen der Kieferknochen. So sollte beispielsweise bei Stürzen auf das Kinn das Vorliegen von Kiefergelenkfrakturen nach der Erhebung des klinischen Befunds durch gezielte Röntgenaufnahmen ausgeschlossen werden. Weiterhin werden extraorale Wunden dokumentiert und auf Fremdkörper untersucht. Sollte aufgrund der Schwere des allgemeinen Traumas die sofortige dentale Versorgung nicht möglich sein, empfiehlt sich die Lagerung aufgefundener Zähne oder Zahnteile in einer sog. Zahnrettungsbox, alternativ auch in Ringer-Laktat-Lösung, physiologischer Kochsalzlösung oder Milch. Ein Vorteil der Zahnrettungsbox besteht darin, dass nach dem Unfall und sofortiger Lagerung des Zahns genügend Zeit verbleibt, um alle für den Patienten notwendigen Maßnahmen in Ruhe durchführen zu können. Die Zahnrettungsbox erlaubt eine Replantation auch noch nach bis zu 24 h. Weiterhin erfolgt die Überprüfung auf Anzeichen eines Schädel-Hirn-Traumas (Commotio oder Compressio cerebri). Leitsymptome einer Commotio cerebri ist die retrograde Amnesie und manchmal auch der Bewusstseinsverlust. Als Begleitsymptome gelten vegetative Symptome wie Blinzeln, Kopfschmerz, Vertigo und starke Übelkeit, mitunter auch Erbrechen. Bei einer Einblutung in den Subarachnoidalraum kommt es nach einem freien Intervall zu Lähmungen, Schielen, fehlendem Pupillenreflex, Apathie, Somnolenz, Frieren, Blässe, Tachykardie und häufigem Erbrechen.

Tab. 1 Einteilung der Verletzungsmuster nach betroffenen Geweben
Tab. 2 Klassifikation der Zahnverletzungen nach AWMF-Leitlinie [1]

Intraoraler Befund

Ist die Erhebung des extraoralen Befunds abgeschlossen, kann der Mundraum auf Verletzungen untersucht werden. Nach initialer Versorgung stark blutender Weichteilverletzungen (Abb. 1) wird der Mundraum unter Sicht komplett inspiziert. Anders als extraorale sind intraorale Weichteilverletzungen nicht immer direkt zugänglich und können leicht übersehen werden. In diesen Fällen stellen sie eine permanente Blutungsquelle dar, die beim Patienten zu Aspiration oder bei ständigem Verschlucken zu Unwohlsein und Erbrechen führt. Die Inspektion der intraoralen Weichgewebe umfasst deshalb immer die Suche nach Lippenplatzwunden oder Einrissen und Ablederungen des Zahnfleischs und der Schleimhäute. Platzwunden oder Einbisse in die Zunge können mit extremen Blutungen einhergehen und erfordern eine sofortige Unterbindung mittels Umstechungsnaht der lokalen Gefäße mit festem, resorbierbarem Nahtmaterial.

Abb. 1
figure 1

Perforierende Lippenverletzung. a Zunächst erfolgt der Nahtverschluss der Wunde. Unter relativer Trockenlegung werden die betroffenen Zähne mittels Draht-Komposit-Schiene stabilisiert

Zudem sollten die Zähne auf eine abnorme Mobilität, abweichende Zahnstellung und Sensibilität (mit Chloräthyl-Kältespray und Wattebausch) untersucht werden. Darüber hinaus muss der Alveolarfortsatz auf Stufenbildungen oder Diskontinuitäten abgetastet werden. Bei älteren Patienten ist es ratsam, einen Parodontalstatus zu erheben, um die Erhaltungswürdigkeit betroffener Zähne beurteilen zu können.

Bildgebung

Die im Rahmen der Untersuchung angefertigten Übersichtsröntgenaufnahmen zum Ausschluss von Kieferfrakturen reichen bei Frontzahntraumata für eine adäquate Diagnostik nicht aus. In Panoramaschichtaufnahmen ist der Zustand der Zahnwurzeln und des -halteapparats in der Frontzahnregion im Oberkiefer nur schwer einzuschätzen, da es zu aufnahmetypischen Überlagerungen der Wirbelsäule oder des harten Gaumens kommen kann [4]. Deshalb sind auch bei nichtdislozierten oder avulsierten Frontzähnen Zahnfilme zur Feststellung von Wurzelfrakturen ggf. in verschiedenen Projektionsrichtungen erforderlich [5]. Sollte ein Zahn nicht aufzufinden sein, empfiehlt sich die Anfertigung einer Thoraxröntgenaufnahme zum Ausschluss einer Zahnaspiration. Der Einsatz der digitalen Volumentomographie (DVT) zur Diagnostik dentoalveolärer Traumata wird derzeit von der europäischen Kommission für Strahlenschutz kritisch hinterfragt.

Verletzungen der Zahnhartsubstanz

Die im Folgenden beschriebenen Verletzungen der Zahnhartsubstanz müssen nicht zwangsläufig im Rahmen der Erstversorgung eines Polytraumas behandelt werden. Dies kann i.d.R. später vom Hauszahnarzt auf Überweisung innerhalb der nächsten 24 h erfolgen.

Schmelzfraktur

Eine Schmelzfraktur lässt sich an nichtsondierbaren, aber sichtbaren Sprüngen an der Krone des betroffenen Zahns erkennen. Der Zahn schmerzt nicht. Allerdings sind aufgeraute Kanten tastbar. Farbänderungen des betroffenen Zahns bestehen nicht.

Schmelz-Dentin-Fraktur

Bei der Schmelz-Dentin-Fraktur ohne Pulpenbeteiligung verläuft die Frakturlinie durch die Schmelz- und die Dentinschicht. Der Zahn reagiert empfindlich auf Berührung und Luftzug. Da das Dentin freiliegt, sollte zumindest eine provisorische Füllung mittels Komposit erfolgen.

Bei Schmelz-Dentin-Frakturen mit Pulpenbeteiligung muss eine direkte Überkappung erfolgen. Erkennbar ist eine Fraktur der Krone mit entsprechenden freiliegenden Anteilen des rosafarbenen Pulpengewebes. Die Vorgehensweise ist in diesem Falle insbesondere bei jungen Patienten so zurückhaltend wie möglich zu wählen. Eine direkte Überkappung kann auch bei einer Pulpeneröffnung, die über mehrere Stunden bestanden hat, in Betracht gezogen werden. Ist ein gesunder, vitaler Zahn von einer traumatischen Pulpeneröffnung betroffen, ist es obsolet, große Teile der Pulpa sofort zu entfernen oder den Zahn einer Wurzelbehandlung zu unterziehen [5]. Bakterien können an traumatisierten kariesfreien Zähnen bei vitaler Pulpa nur das oberflächliche Gewebe penetrieren. Somit kann eine direkte Überkappung bei jungen Patienten am kariesfreien und vitalen Zahn auch noch nach mehr als 48 h befürwortet werden. Dabei wird die freiliegende Pulpa mit einem sterilen, rotierenden Diamanten angefrischt, mit einem Medikament, z. B. mineralischem Trioxid-Aggregat (MTA) oder Calciumhydroxidpräparat Ca(OH)2, abdeckt und mit einer bleibenden Kompositfüllung versorgt.

Kronen-Wurzel-Fraktur

Kronen-Wurzel-Frakturen zeigen am betroffenen Zahn eine erhöhte Beweglichkeit des koronalen Fragments . Dieses wird i.d.R. entfernt und der Zahn mittels Wurzelfüllung und Stiftversorgung zur Aufnahme einer Krone vorbereitet. Laut aktueller AWMF-Leitlinie [1] sollte im Akutstadium einer Kronen-Wurzel-Fraktur der Grundsatz „minimal-invasives Vorgehen mit Reposition, Ruhigstellung und Weichteilversorgung“ (z. B. Fragmente mittels Schiene oder Komposit zunächst refixieren) beachtet werden. Dies ermöglicht eine gute ästhetische Versorgung des Patienten, um im weiteren Verlauf in Ruhe den weiteren Behandlungsplan zu überlegen. Als Optionen kommen dabei folgende Möglichkeiten infrage: Entfernung von nichtrefixierbaren, gelockerten koronalen Fragmenten, die weitere Versorgung erfolgt wie bei der unkomplizierten oder der komplizierten Kronenfraktur. Bei Pulpafreilegung wird als Akuttherapie eine partielle Pulpotomie, eine Pulpotomie und Wundverband mit Ca(OH)2 oder MTA oder eine Pulpaexstirpation und Wurzelkanalbehandlung durchgeführt. Die chirurgische Freilegung subgingivaler Frakturflächen (Kronenverlängerung) zur Etablierung des bindegewebigen und epithelialen Attachments (biologische Breite), Extrusionstherapie, Extraktion des frakturierten Zahns oder die definitive restaurative/prothetische Versorgung erfolgt dann in weiteren Sitzungen.

Wurzelfrakturen

Prognostisch und in der Versorgung schwieriger sind Wurzelfrakturen. Diese Verletzungen können mit dem Herausschlagen des sichtbaren Anteils des Zahns, mit partiellem Verlust an Zahnhartsubstanz oder einer Fehlstellung einhergehen oder sich völlig unauffällig darstellen. Eine Wurzelfraktur kann meistens erst nach einer entsprechenden Röntgenaufnahme sicher festgestellt werden, und oft auch erst nach intraoralen Zahnaufnahmen in mehreren Projektionsrichtungen. Bei Wurzelfrakturen werden 2 Typen anhand des Verlaufs der Frakturlinien unterschieden: die vertikale und die horizontale Wurzelfraktur (Querfraktur).

Horizontale Wurzelfrakturen ereignen sich sehr selten. Aufgrund ihrer geringen Inzidenz existieren keine einheitlichen evidenzbasierten Empfehlungen zu ihrer Therapie [5]. Laut aktuellen AWMF-Leitlinie sollten aber bei einer Wurzelfraktur folgende Entscheidungen abgewogen werden [1]: Bei Erhalt des koronalen Fragments erfolgt dessen Reposition und Schienung über 4 Wochen, bei ausgeprägter Dislokation eine Schienung bis 12 Wochen. Bei zum Zeitpunkt des Unfalls vitaler Pulpa sollte eine engmaschige Kontrolle durchgeführt werden, bei gesichertem Verdacht einer devitalen Pulpa eine Wurzelkanalbehandlung des koronalen Fragments. Wird das koronale Fragment bei erhaltungswürdigem Wurzelanteil entfernt, sind eine Wurzelkanalaufbereitung, die chirurgische Extrusion und Schienung für 1 bis 2 Wochen oder eine kieferorthopädische Extrusion und Retention für 3 Monate möglich. Später erfolgen dann ggf. eine definitive Wurzelkanalfüllung und die prothetische Versorgung.

Die primäre Therapie einer Wurzelquerfraktur ist abhängig von der Lage des Frakturspalts in Relation zum gingivalen Sulcus (Kommunikation zur Mundhöhle). Gute Voraussetzungen für den Erhalt beider Fragmente liegen vor, wenn keine Verbindung zwischen Frakturspalt und Mundhöhle über den gingivalen Sulcus besteht.

Die Prognose einer horizontalen Wurzelfraktur hängt ab von der Größe der Frakturlinie, dem Dislokationsgrad der Fragmente und dem Pulpenzustand. Eine gute Prognose haben horizontale Wurzelfrakturen bei jungen Patienten, einer geringen Dislokation und Distanz zwischen den Fragmenten und weitem apikalen Foramen. Bei intraalveolär frakturierten Zähnen heilen 30 % durch sog. Hartgewebefusion und 43 % zeigen eine Interposition von Parodontalgewebe. Mindestens 22 % der Zähne mit Wurzelfrakturen heilen nicht und müssen entfernt werden [5, 15]. In der Regel werden horizontale Wurzelfrakturen mittels Fixierung durch Draht-Kunststoff/Komposit-Schiene therapiert, in der Hoffnung, eine Hartgewebefusion der Fragmente zu erreichen. Kommt es dabei zu entzündlichen Veränderungen, muss das apikale Fragment reseziert oder der Zahn entfernt werden.

Liegen vertikale Wurzelfrakturen vor, also Frakturlinien, die parallel zur Zahnachse verlaufen und eine Verbindung zwischen Mundhöhle und Parodontium des Zahns herstellen, muss der Zahn entfernt werden.

Luxationsverletzungen und Avulsion

Bleibende Zähne, die durch die Traumaeinwirkung extrudiert oder lateral luxiert wurden, sollten unter Lokalanästhesie unmittelbar manuell repositioniert werden. Dabei sollte die Reposition langsam erfolgen, um keine iatrogene Wurzelfraktur zu verursachen [6]. Die optimale Versorgung intrudierter Zähne hingegen ist umstritten. Die Richtlinien machen dazu drei verschiedene Vorschläge: keine Behandlung, um eine Spontaneruption abzuwarten, chirurgische Repositionierung oder kieferorthopädische Einordnung [7, 8]. Jede chirurgische Behandlung von Luxationsverletzungen, die mit Zahnlockerung einhergehen, verlangt die Schienung der betroffenen Zähne mittels Draht-Komposit-Schiene an den intakten Nachbarzähnen. Luxationsverletzungen, ebenso Avulsion, Extrusion und Intrusion, führen zu einem Einreißen des desmodontalen Gewebes. Die Bildung eines Blutkoagulums initiiert die Wundheilung. Die dabei einwandernden Fibroblasten werden als hauptverantwortlich für die Reparationsprozesse angesehen, was mit starker Vermehrung dieser Zellen einhergeht. In dieser Heilungsphase entscheidet sich, ob sich reguläres Desmodont ausbildet oder Narbengewebe mit einhergehender Resorption oder Ankylose. Abgestorbene Fibroblasten auf der Wurzeloberfläche werden von Makrophagen beseitigt. Deren Anwesenheit kann zur Bildung von resorptivem Narbengewebe führen. Als Folge davon können eine Zahnankylose und externe Resorptionen entstehen, die möglicherweise zum Zahnverlust führen. Um die Chemotaxis der Makrophagen und anderer immunkompetenter Zellen zu minimieren, gilt als beste Erstversorgung des avulsierten Zahns die sofortige Replantation und ggf. die Entfernung des nekrotischen Pulpengewebes als extraorale Wurzelbehandlung oder die Wurzelbehandlung in der Folgezeit. Bei Verlust eines Frontzahns vor Abschluss des Kieferwachstums können keine Sofortimplantate als Zahnersatz verwendet werden, da diese ankylotisch einheilen. Dies führt dazu, dass sich der Alveolarknochen um das Implantat herum während des Kieferwachstums weiterentwickelt und sich das inserierte Implantat in einer für die Versorgung mittels Krone unästhetischen Position befindet. Unversorgt führt der Verlust eines bleibenden Zahns zu starken Einbußen am Alveolarknochen, die später durch weitreichende operative Eingriffe behoben werden müssen, um ein ästhetisch und funktionell befriedigendes Ergebnis zu erzielen (Abb. 1). Deshalb gilt: Ausgefallene Frontzähne müssen nach entsprechender Lagerung in ihrer ursprünglichen Position replantiert werden, um dem Patienten aufwendige und belastende Folgebehandlungen über die gesamte Lebenszeit nach Möglichkeit zu ersparen. Für die Weiterbehandlung ist es allerdings entscheidend, dass avulsierte Zähne vorher richtig gelagert werden, um eine erfolgreiche Replantation zu gewährleisten. Bei Verlust eines Frontzahns vor Abschluss des Wurzelwachstums sollte dieser bis zu einer Trockenlagerungszeit von <60 min primär nicht wurzelgefüllt werden. Um auf mögliche negative Ereignisse reagieren zu können, sollte ein engmaschiger Recall durchgeführt und bei pathologischen Befunden eine Apexifikation eingeleitet oder ein apikaler Verschluss mit MTA vorgenommen werden, ggf. noch während der Schienungszeit [1].

Alveolarfortsatzfrakturen

Zu erkennen sind Frakturen des Alveolarfortsatzes je nach Schweregrad als Bruch der vestibulären oder oralen Alveolenwand (partielle Alveolarfortsatzfraktur) oder als Bruch der vestibulären und oralen Alveolenwand (vollständige Alveolarfortsatzfraktur) mit und ohne Dislokation. Klinisch imponiert meist ein blutender vertikaler Entlastungsriss der Gingiva. In Abhängigkeit vom Schweregrad lässt sich ggf. eine Stufenbildung ertasten. Dabei kann eine Okklusionsstörung vorliegen. Die betroffenen Zähne reagieren meistens nicht mehr auf Sensibilitätstests. Bei einer Alveolarfortsatzfraktur sollte zeitnah der dislozierte zahntragende Kieferabschnitt manuell reponiert werden, sodass keine Stufenbildung mehr nachweisbar ist [1]. Anschließend sollte er für 4 bis 6 Wochen durch eine rigide Schienung der Zähne mittels zahngetragener Draht-Kunststoff-Schiene immobilisiert werden. Lässt sich durch eine geschlossene manuelle Reposition keine zufriedenstellende okklusale Relation wiederherstellen, sollte ein MKG-Chirurg die Fraktur offen reponieren und ggf. durch Mikroplattenosteosynthese fixieren [15].

Endodontische Aspekte und Nachuntersuchungen

Im Folgenden soll das Augenmerk des v. a. chirurgisch tätigen Kollegen auf endodontische Aspekte gelenkt werden. So müssen bei Luxationsverletzungen der Zähne regelmäßige Röntgenkontrollen erfolgen, um mögliche Komplikationen rechtzeitig zu diagnostizieren. Dazu gehören auch ein diagnostisches Röntgenbild vor jeder Therapie und ein Röntgenbild nach etwaiger Reposition von gelockerten Zähnen nach der Unfallversorgung am Unfalltag. Röntgenologische Untersuchungen bei Jugendlichen sind so durchzuführen, dass sie dem Patienten den größtmöglichen Nutzen bei gleichzeitig geringster Strahlenexposition garantieren. Dazu bieten sich digital angefertigte intraorale Zahnfilme an, da diese mit einer sehr geringen Strahlenbelastung von ca. 1 µS pro Untersuchung angefertigt werden können. Bei Extrusion, Intrusion, lateraler Dislokation und Avulsion sollten Zahnaufnahmen angefertigt werden, um Wurzelresorptionen, apikale Aufhellungen, Pulpaobliterationen und das Auftreten interner Granulome rechtzeitig feststellen zu können. Darüber hinaus können anhand dieser Aufnahmen auch der Zustand des marginalen Parodontiums und das Fortschreiten des Wurzelwachstums beurteilt werden.

Neben den röntgenologischen sind auch klinische Untersuchungen nach erlittenem Frontzahntrauma obligat. Sie sollten nach einer Woche, einem Monat, 3 Monaten, 6 Monaten und einem Jahr erfolgen.

Bei Luxationsverletzungen mit hohem Dislokationsgrad (Luxation oder Intrusion) ist mit einem Abriss des apikalen Gefäß-Nerven-Strangs zu rechnen. In diesen Fällen sollte bei bereits abgeschlossenem Wurzelwachstum eine Wurzelbehandlung zur Resorptionsprophylaxe eingeleitet werden [8]. Eine systemische Antibiose unterstützt die physiologische Einheilung.

Bei einer stillen Pulpanekrose zeigen sich im Rahmen der Röntgenkontrolle nach ca. 3 oder 6 Monaten u. U. Anzeichen für eine Wurzelresorption oder Obliteration. Eine zurückkehrende Sensibilität am Zahn kann dabei klinisch über eine Beteiligung der Pulpa hinwegtäuschen, und oft verursacht die Traumatisierung des apikalen Gefäß-Nerven-Bündels eine zunehmende Obliteration des Pulpencavums (Abb. 2) mit einer massiven apikalen Ostitis nach mehreren Jahren.

Abb. 2
figure 2

Pulpenobliteration mit Ausbildung einer massiven apikalen Ostitis, anamnestisch ca. 10 Jahre nach Frontzahntrauma

Wichtig nach Avulsionsverletzungen ist die Resorptionsprophylaxe mittels endodontischer Maßnahmen unmittelbar während oder nach der Replantation. Wurde der Zahn in einem physiologischen Aufbewahrungsmedium gelagert, sollte die Wurzeloberfläche mit physiologischer Kochsalzlösung gespült und nach Applikation eines Lokalanästhetikums manuell in seine Alveole reponiert werden [8]. Anschließend wird der Zahn mit einer flexiblen Draht-Komposit-Schiene fixiert. Die Anwendung einer Schuchhardt-Schiene bei Zahntraumata gilt heute als obsolet. Zusätzlich erfolgt eine systemische Antibiose. Dabei gilt Amoxicillin bei Jugendlichen bzw. Doxycyclin bei Erwachsenen als Präparat der Wahl. Sieben Tage später soll vor der Entfernung der Schienung eine Wurzelkanalbehandlung eingeleitet werden. Waren die Zellen des parodontalen Ligaments des betroffenen Zahns aufgrund trockener Lagerung über 60 min, Verschmutzung und bakterieller Kontamination oder Lagerung in einem unphysiologischen Medium kompromittiert, hat der Zahn eine deutlich schlechtere Prognose, wobei Ankylose und Ersatzresorption drohen. Das avitale Gewebe auf der Wurzeloberfläche sollte entfernt, der Zahn mit Bifluorid zur Resorptionsprophylaxe imprägniert und eine extraorale Wurzelbehandlung durchgeführt werden [8, 9]. Andere Autoren empfehlen die Behandlung der Wurzeloberfläche mit Fluoriden [10, 11] zur Verhinderung einer entzündlichen Resorption, andere wiederum die komplette Entfernung des parodontalen Ligaments [10]. Eine weitere Möglichkeit der antiresorptiven Therapie besteht in der Applikation von Glukokortikoiden, Schmelzmatrixproteinen [12] oder Tetrazyklinen [13, 14].

Fazit für die Praxis

  • Im Rahmen der Erstversorgung von Frontzahntraumata muss der Tetanusimpfstatus festgestellt und eine Commotio cerebri obligat ausgeschlossen werden. Bei geringsten Anzeichen eines Schädel-Hirn-Traumas sollte eine sofortige stationäre Einweisung erfolgen.

  • Jede chirurgische Behandlung von Luxationsverletzungen, die mit Zahnlockerung einhergehen, verlangt die Schienung der betroffenen Zähne mittels Draht-Komposit-Schiene.

  • Ist eine sofortige Versorgung nicht möglich, empfiehlt sich die Lagerung aufgefundener Zähne oder Zahnteile in einer sog. Zahnrettungsbox.

  • Nach Luxationsverletzungen der Zähne müssen regelmäßige röntgenologische Kontrollen erfolgen.

  • Wichtig ist nach Avulsionsverletzungen die Resorptionsprophylaxe unmittelbar während oder nach der Replantation.

  • Einfache Alveolarfortsatzfrakturen können bei entsprechenden Kenntnissen ambulant reponiert werden. Unterkieferfrakturen oder komplexe Mittelgesichtsfrakturen erfordern eine stationäre operative Therapie.