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Flexibilität ist ein wesentliches Element des Controllings bei Covestro. Dr. Thomas Toepfer, CFO und Arbeitsdirektor von Covestro, spricht über die Transformation des gesamten Konzerns im Jahr 2021 sowie über die Vergütungsstruktur "Profit Sharing Plan".
Herr Toepfer, die vergangenen Jahre waren in vielerlei Hinsicht turbulent. Wo sehen Sie heute die größten Herausforderungen?
Aktuell haben wir es mit multiplen Krisen zu tun, die Klimakrise und drastische geopolitische Veränderungen oder die COVID-19-Pandemie. Die verschiedenen Krisen folgen schnell aufeinander und wirken zusammen. Vor allem aber: sie können die Wettbewerbssituation schnell und radikal verändern.
"Unser Fokus liegt daher darauf, noch schneller und flexibler zu werden."
Davon können verschiedene Aspekte betroffen sein, nicht zuletzt die Lieferketten im operativen Bereich. Betrachtet man die Themen Inflation und steigende Energiepreise werden auch Auswirkungen finanzieller Natur sichtbar. Dazu kommt der kontinuierlich fortschreitende Prozess der Digitalisierung. Bei all diesen Themen ist vor allem die deutlich steigende Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge ändern können, die größte Herausforderung.
Was heißt das für die Finanzfunktion bei Covestro?
Die Aufgabe der Finanzfunktion ist es, die vielfältigen Themen zu verstehen und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Wir müssen in der Lage sein, sehr schnell neue Perspektiven einzunehmen. Unser Fokus liegt daher darauf, noch schneller und flexibler zu werden.
Was heißt das konkret?
Normalerweise ist das Controlling bei uns auf globale Geschäftseinheiten ausgerichtet. Gleichzeitig müssen wir aber auch in der Lage sein, schnell umzuschalten und einen neuen Blickwinkel einzunehmen, wenn sich in einzelnen Bereichen oder Werken Veränderungen in der Profitabilität ergeben. Diese Flexibilität erreichen wir, indem wir in Szenarien und flexiblen Modellen arbeiten und vermehrt Ad-hoc-Analysen verwenden. Dafür ist es wichtig, dass nicht zu viele Ressourcen für das Standard-Reporting verwendet werden, sondern dass so was möglichst automatisiert abläuft. Wir haben uns auch von der zeit- und ressourcenintensiven Unternehmensplanung etwas entfernt. Sie wurde zwar nicht ganz aufgegeben, aber wir greifen zum Beispiel vermehrt auf die Kostenplanung zurück. Allgemein kann man sagen, dass wir daran arbeiten im Controlling noch effizienter zu werden und uns auf das zu fokussieren, was wirklich entscheidungsrelevant ist.
In Krisenzeiten stoßen traditionelle Planungsprozesse in der Tat schnell an ihre Grenzen …
Ja, man muss sich trauen, etwas zu ändern, und sich davon lösen, alles einmal pro Jahr genau zu planen. Das wirkt zunächst erschreckend, hilft aber dabei, flexibel zu bleiben. Wir haben bereits im Jahr 2021 die Geschäftsbereiche im gesamten Konzern und damit einhergehend auch das Controlling transformiert und setzen auf einen graduellen Prozess. Das heißt, wir haben die Planung nicht komplett abgeschafft, sondern nutzen stattdessen eine rollierende Forecast-Planung mit Szenarioanalysen, um zu sehen, was sich verändern kann. Nach Bedarf kommen weitere Zwischenschritte dazu, zum Beispiel wenn Änderungen auf Monatsbasis anstehen. Das vereinfacht die Planung erheblich und passt sie an das schnelllebige Umfeld an.
Der wichtigste Aspekt dabei ist Konsistenz. Wenn ein Szenario durchgearbeitet werden muss, wird es von allen Funktionen betrachtet. Dabei können zwar verschiedene Meinungen und Positionen aufkommen, entscheidend ist aber, dass alle die Möglichkeit erhalten, die gleichen Annahmen zu treffen und zu kennen. Es soll ein gemeinsames Verständnis erreicht werden zur Frage, was denn passieren könnte. Dadurch, dass wir uns nicht mehr auf jedes kleine Detail konzentrieren, haben wir den Planungsprozess entschlackt. Gleichzeitig haben wir die Vergütung von der Planung entkoppelt, denn für die Entlohnung der Mitarbeiter ist es irrelevant, dass bei der Berichterstattung an der Detailtiefe gespart wird. Durch den Fokus auf die gemeinsame Erkenntnisgewinnung bekommt die Planung einen anderen Stellenwert.
"Man muss sich davon lösen, alles einmal pro Jahr genau zu planen."
Arbeiten Sie im Forecasting auch mit Predictive Analytics?
Ja, das machen wir. Vor allem bei Kosten-Forecasts setzen wir stark auf Predictive Analytics und haben festgestellt, dass die Ergebnisse häufig besser sind als die, die nur über menschliche Intelligenz beigetragen werden. An anderen Stellen hingegen funktioniert das noch nicht so gut, zum Beispiel bei Margen. Da spielen zu viele verschiedene Faktoren eine Rolle wie zum Beispiel dynamische und unvorhersehbare Fluktuationen in der Nachfrage, Veränderungen bei Rohmaterialpreisen oder Logistikkosten.
Sie haben die Vergütung von der Planung entkoppelt, sprechen dabei von einem "Profit Sharing". Wie funktioniert das genau?
Für das Profit Sharing haben wir eine Vergütungsstruktur geschaffen, die für alle einheitlich ist, gemäß unserer Unternehmenskultur "We are 1". Es gibt für alle Mitarbeiter identische Kriterien, und es wird bei der Zielerreichung kein Unterschied zwischen Positionen und Hierarchiestufen gemacht, sodass im Ergebnis alle partizipieren können. Da wir uns aber in einem zyklischen Unternehmensumfeld bewegen, in dem es gute und auch mal schlechtere Jahre gibt, kann es auch vorkommen, dass die Beteiligung im schlimmsten Fall auf null geht. Für die Beteiligung selbst definieren wir über drei Jahre hinweg ein Anspruchsniveau, das die 100-Prozent-Marke darstellt.
Und wie wird dieses Anspruchsniveau ermittelt?
Wir orientieren uns dabei an der erwarteten Performance-Entwicklung von Covestro, die sich an vier gleichmäßig gewichteten Hauptkennziffern orientiert, mit denen wir das Unternehmen auch steuern. Das sind zum einen die finanziellen Leistungskriterien EBITDA, Free Operating Cashflow sowie die Kapitalrendite und zum anderen die Reduktion von CO2-Emissionen als Nachhaltigkeitskomponente. Diese haben wir 2022 hinzugefügt. Für diese Kennzahlen triangulieren wir unsere Zielsetzungen mit Blick auf die Kapitalmarkterwartungen, unsere eigenen Erwartungen und auf die erwartete Investitionsrendite. Dann legen wir fest, was ein adäquates Niveau ist. Wichtig ist, dass am Ende alle das Gefühl haben, dass das Anspruchsniveau das richtige ist und über die Jahre auch erreicht werden kann.
Verstanden. Aber der einzelne Mitarbeiter wird doch im Regelfall keinen wirklichen Einfluss auf die CO2-Emissionen der Covestro haben. Warum sind sie dennoch ein wichtiger Bestandteil der Vergütung?
Das stimmt, betrifft aber nicht nur die CO2-Komponente. Auch auf das EBITDA hat der Einzelne häufig keinen unmittelbaren Einfluss. Dennoch gibt es Maßnahmen, die sich auf die Kennziffern herunterbrechen lassen, zum Beispiel bei Working-Capital- oder Pricing-Projekten. Und was die CO2-Reduktion betrifft: diese ist bei Investitionsentscheidungen mit unseren finanziellen Kennziffern gleichberechtigt. Manager und Controller wiederum sind in Projekten involviert, die zum Beispiel die Investitionsvorbereitung betreffen, und haben so einen gewissen Einfluss auf die Kennziffern. Aber das allein ist in der Tat nicht der entscheidende Punkt. Es geht uns auch um den Signaleffekt. Wir zeigen, was wir als Unternehmen erreichen wollen. Und dabei spielt Nachhaltigkeit eine ganz wichtige Rolle!
"Durch den Fokus auf die gemeinsame Erkenntnisgewinnung bekommt die Planung einen anderen Stellenwert."
Und wo geht die Nachhaltigkeitsreise hin?
Für die Reduktionsziele haben wir 2022 eine Roadmap definiert. Es kommt aber nicht nur auf die CO2-Reduktion an, die Reise geht weiter. Wir möchten langfristig zirkular werden und sehen bereits heute, dass das gut funktioniert. Als Nächstes richtet sich unser Fokus auf die Scope 3-Emissionen, also auf die indirekten Emissionen von Treibhausgasen, die entlang der Wertschöpfungskette entstehen. Das ist noch einmal deutlich anspruchsvoller, weil dahinter nicht nur technische Maßnahmen stehen, sondern auch Geschäftsmodellannahmen.
"Bei uns gibt es sogenannte Individual Performance Awards."
Welche Rolle übernimmt die Finanzfunktion dabei?
Die Finanzfunktion hat im Wesentlichen drei wichtige Aufgaben. Sie unterstützt dabei, unsere Ziele transparent und verständlich an die Investoren zu kommunizieren, und kümmert sich um die Themen Finanzierbarkeit und Verdrahtung mit anderen Investitionsprogrammen. Es muss eine Transition in die Zirkularität geschaffen werden, die nicht nur visionär und technisch gut aussieht, sondern auch finanziell darstellbar ist. So wird verhindert, dass uns nach der Hälfte der Strecke auffällt, dass die Ziele gar nicht zu den anderen Programmen passen. Am Ende soll eine Reduktionstreppe herauskommen, die Hand und Fuß hat und umsetzbar ist.
Wir haben jetzt viel über CO2 gesprochen. Sie sind aber mit einem ganzen Spektrum an ESG-bezogenen Anforderungen konfrontiert. Wie gehen Sie damit um? Sie können ja nicht alle Dimensionen mit derselben Intensität steuern.
Wir schauen in der Tat auf eine Vielzahl von Kennziffern, sei es Wasser, Hitze, Schadstoffe oder Abfall. Aber Organisationen können sich immer nur auf eine begrenzte Anzahl von steuerungsrelevanten Themen zeitgleich konzentrieren. Das ist für uns zum Beispiel im Umweltbereich derzeit CO2. Ohne diese Vereinfachung würde man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Im sozialen und Sicherheitsbereich konzentrieren wir uns auf andere Kennzahlen, zum Beispiel Diversity in HR-Prozessen.
Und wer trägt bei Ihnen die Verantwortung für die Qualität der nichtfinanziellen ESG-Daten?
Die Erhebung und Definition dieser Daten sind eher operativ und liegen deshalb in den jeweiligen Geschäftsfunktionen. Aber alles, was im Unternehmen berichtet wird, liegt in der Verantwortung der Finanzfunktion. Diese stellt sicher, dass am Ende ein konsistenter Bericht entsteht.
Ist es nicht schwer, die Qualität von Daten sicherzustellen, die man nicht selbst definiert und erhoben hat?
Es ist zwar nicht trivial, aber auch kein großes Problem. Die chemische Industrie hat aus Sicherheitsgründen eine lange Tradition der Datenerfassung. Mit den Themen, die heute unter ESG subsumiert werden, beschäftigen wir uns inzwischen seit 15 Jahren und haben dadurch eingespielte Prozesse, die stabil im Hintergrund laufen.
Kommen wir noch einmal zurück zum Profit Sharing. Sie haben die Vergütung von der Planung entkoppelt. Müssen Sie herausragende individuelle Leistungen nicht dennoch finanziell belohnen?
Das Thema der individuellen Performance lassen wir nicht außer Acht. Bei uns gibt es sogenannte Individual Performance Awards. Jeder Vorgesetzte hat ein bestimmtes Budget und kann Mitarbeitern, die besondere Leistungen erbracht haben, flexibel und unabhängig von vordefinierten Zielen, Prämien zuteilen. Der Vorteil dieser IPAs ist, dass sie eine unmittelbare Rückmeldung darstellen. Wenn zum Beispiel ein wichtiges Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde, gibt es schon kurz darauf einen entsprechenden Bonus.
Wird das dann auch im Unternehmen geteilt? Wie viel Transparenz halten Sie an dieser Stelle für sinnvoll?
Gerade in Deutschland ist es kulturell schwierig, individuelle Boni offenzulegen. Das wäre etwas anderes, wenn es ein strukturiertes Programm gäbe wie zum Beispiel Mitarbeiter des Monats oder Ähnliches.
"Alle werden an den gleichen Zielen gemessen und incentiviert."
Und wie kommt der Profit Sharing Plan bei den Mitarbeitern an?
Der Vergütungsprozess wird sehr gut angenommen. Wir haben von Anfang an sehr offen und transparent kommuniziert, dass es dabei nicht um die Incentivierung von persönlichen Leistungen geht. Weder auf Individualebene noch für die Organisation als Ganzes. Das Gefühl, dass es für alle ein einheitliches System gibt, und kein Unterschied gemacht wird zwischen Vorstand, Mitarbeitern und Auszubildenden, ist sehr wichtig für die Akzeptanz. Die Zielerreichung ist für alle gleich, das heißt alle werden an den gleichen Zielen gemessen und incentiviert. Besonders wertgeschätzt wird auch die maximale Transparenz, die das System mit sich bringt. Es kann jederzeit nachvollzogen werden, wie die Vergütungssummen zustande kommen. Jeder Mitarbeitende kann sich den Geschäftsbericht oder den Quartalsbericht zur Hand nehmen und nachrechnen.
Welche Rolle spielen neben diesem Bonus jährliche Mitarbeitergespräche und laufendes Feedback?
Eine ganz wesentliche! Beim Feedback möchten wir entkrampfte, flexible Gespräche, die in beide Richtungen gehen, also nicht nur vom Vorgesetzten zum Mitarbeiter, sondern auch andersherum. Dabei soll es nicht nur um Zieldefinitionen oder Bonusdiskussionen gehen, sondern ebenfalls um Projekte, Schwerpunkte und Erwartungen. Damit das funktionieren kann und umgesetzt wird, unterstützen wir die Vorgesetzten von HR-Seite aus unter anderem mit speziellen Coachings.
Spannend. Zu guter Letzt möchte ich nun noch auf die Entwicklung der Controllingfunktion zurückkommen. Hier gibt es ja zwei Narrative in der Community. Eines spricht davon, dass sich alle Controller zum Business Partner entwickeln müssen. Das andere prognostiziert eine stärkere Ausdifferenzierung von Controllerrollen und fordert das Denken in rollenspezifischen Kompetenzprofilen. Wie sehen Sie das bei Covestro?
Das ist eine interessante Frage. Ich denke, wir sind vom traditionellen Scorekeeper in Richtung Business Partnering unterwegs. Es gibt natürlich Experten, die zum Beispiel technisch versiert sind und etwa das Thema Digitalisierung vorantreiben. Aber wir trennen die Rollen nicht so konsequent auf. Wichtig ist für uns, dass der Controller unabhängig von seiner Rolle ein tiefes Verständnis des Business hat. Wenn man sich nur auf die Zahlen und Grundrechenarten konzentriert, wird man nur schwer eine richtige Entscheidungsvorlage hinbekommen.
Ist der Weg zum Business Partner nicht dennoch schwierig? Viele Organisationen tun sich damit schwer.
Ja, natürlich können auch wir uns auf diesem Gebiet weiter verbessern. Umso wichtiger ist es, dass jeder Controller versteht, wie das Business tickt, und auch bereit ist, sich damit zu beschäftigen. Nur so kann das Controlling einen Unterschied machen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In unseren Vorstandssitzungen werden inzwischen auch sogenannte Deep Dives, also Vorschläge des Controllings, besprochen. Aus der Zahlenperspektive des Controllings generieren wir dann entscheidbare Anregungen für das Management. In der Fläche hilft uns hingegen die Tatsache, dass wir eine global durchgehende Controllingorganisation haben, was eine gewisse intellektuelle Unabhängigkeit ermöglicht.
Herr Toepfer, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Prof. Dr. Utz Schäffer, Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC) der WHU - Otto Beisheim School of Management, Vallendar, und Herausgeber der Controlling & Management Review.
E-Mail: utz.schaeffer@whu.edu
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Schäffer, U. "Wir haben die Vergütung von der Planung entkoppelt". Control Manag Rev 67, 8–13 (2023). https://doi.org/10.1007/s12176-023-1044-x
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