Forecasts lassen sich mit komplexen Zeitreihenmodellen automatisieren und damit von mitarbeitergebundenen Bauchgefühlen entkoppeln. Das Beispiel einer Umsatzprognose zeigt, welche Daten und Formate für einen KI-Ansatz erforderlich sind, wie eine Anpassung an eine neue Situation wie COVID-19 erfolgt und wie der Controller profitiert.

Bei Künstlicher Intelligenz (KI) träumt mancher Controller von einem übermenschlichen Roboter, der automatisiert alle Zusammenhänge des Unternehmens erkennt und akkurate Vorhersagen für die Planungen der nächsten Jahre bereitstellt - und möglichst alle Auswirkungen und Abhängigkeiten in andere Planungsbereiche gleich mit ausspuckt. Dieser Vorstellung folgt meistens die Ernüchterung, dass ein Modell doch unmöglich das Expertenwissen und den Erfahrungsschatz eines Controllers ersetzen kann. Das ist wohl wahr, aber soll ein Algorithmus überhaupt all die subjektiven Erfahrungen, das persönliche Bauchgefühl der Mitarbeiter widerspiegeln? Nein, denn von KI erhoffen sich Controller unabhängige, statistisch fundierte und unverzerrte Ergebnisse. Mit den gleichen Informationen wie die, die der erfahrene Mitarbeiter in vielen Jahren gesammelt hat, soll KI zu den gleichen Ergebnissen kommen - nur ohne subjektives Bauchgefühl und ohne etwas zu vergessen.

KI-Anwendung Umsatzprognose

Bei einer Umsatzvorhersage für das kommende Jahr schaut sich das Controlling den Umsatz dieses Jahres sowie der Vorjahre an, rechnet Sondereffekte durch Aktionen oder Ähnliches aus dem vergangenen Jahr heraus, rechnet die veränderten Ferien und Feiertage ein - und noch einiges mehr. Im Anschluss wird daraus die Vorhersage für das kommende Jahr abgeleitet. Gibt man einer KI dieselben Informationen, kann sie erlernen, wie sich die Umsätze aus den Vorjahresumsätzen und all den anderen Faktoren ableiten. Dieses Lernen aus Daten ist unter dem Begriff "Machine Learning" bekannt. Hat der Algorithmus die Zusammenhänge einmal erkannt, wendet er die erlernten Zusammenhänge an und generiert so eine Vorhersage für die Umsätze des kommenden Jahres.

Erfahrungsgemäß stellen Absatz-, Bestell- und Umsatzplanungen oder -vorhersagen oft eine der ersten KI-Use Cases im Controlling dar. Mathematisch ähneln sie sich meist in ihrem grundlegenden Ansatz: Die Basis bildet ein Zeitreihenmodell. Dieses wird durch weitere Einflussfaktoren und/oder hierarchische Strukturen ausgebaut und so an spezifische Besonderheiten eines jeden Geschäftsmodells und der vorliegenden Datenlandschaft angepasst. Je nach Datenlage kommt eine unterschiedliche Methodik zum Einsatz: ein ARIMA-Modell, ein Prophet-Modell oder auch rekurrente neuronale Netze (siehe Glossar), um nur einige Beispiele zu nennen. Im Detail sehen dadurch die einzelnen Use Cases dann doch sehr unterschiedlich aus.

Im B2B-Bereich beispielsweise konnte ein KI-Modul vorhersagen, in welchem zeitlichen Rhythmus einzelne Kunden bestimmte Produkte bestellen. Dabei zeigte sich, dass manche Kunden in einem sehr saisonalen Muster bestellen und die Bestellmenge zudem stetig ansteigt. Mithilfe dieser Vorhersage konnte der Verkäufer sich besser auf die monatsgenaue Nachfrage vorbereiten und eine bessere Vorhersage für zukünftige Umsätze treffen.

Im B2C-Bereich ging es in einem anderen Use Case vor allem darum, abhängig von diversen externen Faktoren wie Feiertagen oder Aktionswochen die bereits sehr gute Umsatzvorhersage zu automatisieren und in einem zweiten Schritt durch die Hinzunahme weiterer externer Faktoren wie Wetter und Nähe zu anderen Konkurrenzfilialen die Vorhersage zu verbessern.

Beispiel überregionaler Einzelhandel

Konkret werden die Vorteile der KI bei der Umsatzvorhersage auf Produktgruppenebene am Beispiel eines Einzelhändlers mit einer Vielzahl an Filialen in ganz Deutschland. Jedes Bundesland ist vertreten - ländliche sowie urbane Regionen. Vor der Automatisierung versuchten die Mitarbeiter im Controlling, bestmöglich auf Basis der Vorjahreswerte tagesgenaue Absatzmengen vorherzusagen. Effekte von unterschiedlichen Feiertagen und Ferienzeiten in den jeweiligen Bundesländern und Nachbarbundesländern, Werbekampagnen und Filialöffnungen wurden rein- und rausgerechnet. Wie groß diese Effekte waren, wurde manuell mittels durchschnittlicher Vergleichswerte oder durch Befragung erfahrener Mitarbeiter bestimmt. Die Komplexität dieser Aufgabe lässt sich zum Beispiel bei der Frage ermessen, welcher Umsatz an Skianzügen in einer Brandenburger Filiale am zweiten Montag im Februar zu erwarten ist. Denn zunächst muss geklärt werden, ob es in der betreffenden Woche eine Rabattaktion für Skibekleidung geben soll oder ob zu dieser Zeit Ferien in Brandenburg oder in einem Nachbarbundesland sind. Weitere Fragen wären: Liegt die Filiale im Speckgürtel von Berlin, in der Grenzregion zu Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder vielleicht Sachsen? Handelt es sich um den Rosenmontag oder um den Montag vor der Karnevalswoche? Haben in der Region Karneval oder der Straßenfasching einen Effekt auf das Kaufverhalten oder auf den Umsatz von Skianzügen? Auch ein Vergleich zur selben Woche im Vorjahr ist erforderlich: War damals Ferien- oder Karnevalszeit oder hat es zu dieser Zeit Rabattaktionen gegeben? Allein die zugrunde liegenden Informationen über Ferien- und Feiertage und regionale Nähe zusammenzutragen, ist bereits ein hoher Arbeitsaufwand, aber alle Effekte parallel zu berücksichtigen, ist kognitiv kaum zu bewerkstelligen. Nicht nur der manuelle Aufwand ist enorm, auch die Grenzen des Machbaren sind schnell erreicht, wenn es keine Vergleichswerte aus Vorjahren gibt - wenn zum Beispiel die Filiale erst seit drei Jahren existiert und die Werbeaktion für Skianzüge erstmalig von Mitte Februar in die letzte Januarwoche vorverlegt wird.

Mit Automatisierung und KI lässt sich hier der Arbeitsaufwand für die Mitarbeiter stark reduzieren. So erfolgt zunächst regelmäßig ein automatisierter Abgriff der Ferien- und Feiertagsinformationen, daran schließt sich die Anreicherung der Filialinformationen mit zusätzlichen geografischen Daten an, etwa Bevölkerungsdichte, Bundesland, Nachbarbundesländer, Distanz zur nächsten Filiale et cetera. Für diese geografischen Daten ist ebenfalls keine manuelle Eingabe erforderlich, denn sie werden auf Basis der Adresse der Filiale abgeleitet. Durchschnittliche Wetterdaten wie Sonnenstunden, Niederschlagsmenge, Maximaltemperatur werden ebenfalls täglich für jede Region, in der mindestens eine Filiale steht, automatisiert abgegriffen. Am Ende entsteht eine umfangreiche Tabelle, in der für jede Filiale, jedes Produkt (oder jede Produktgruppe) und jeden Tag zusammengetragen ist, wie der Absatz war, ob es sich um einen Ferientag oder um einen Feiertag im Nachbarbundesland handelte, wie weit das Nachbarbundesland entfernt ist, wie viele Sonnenstunden es an dem Tag gab, ob es regnete, wie die Maximaltemperatur war und so weiter. Jede Zeile steht für eine Filiale, ein Produkt (oder eine Produktgruppe) und einen Tag. Dazu sind Zeile für Zeile alle möglichen Einflussfaktoren zusammenzutragen und die Größe, die man in Zukunft vorhersagen möchte.

Stehen dann alle Parameter zur Verfügung, nutzt man eine KI, um die Zusammenhänge zwischen allen möglichen Einflussfaktoren und dem Absatz an Skianzügen zu erkennen. Hinter der KI verstecken sich nicht mehr als ein mathematisches Modell und gewisse Heuristiken. Ihr Vorteil ist, dass sie all das kann, was sich für einen Menschen zu komplex gestaltet oder wo seine kognitiven Fähigkeiten an Grenzen stoßen. Die KI ist in der Lage, die Interaktionen von den Effekten zu erlernen. Die von der KI erkannten Zusammenhänge können Anwender nutzen. Hierzu geben sie einfach in das mathematische Modell alle möglichen Einflussfaktoren ein, zum Beispiel: Montag, Februar, kein Feiertag, keine Werbekampagne, 50 Kilometer zum Nachbarbundesland, drei Sonnenstunden und kein Niederschlag erwartet. Daraufhin erhalten sie eine Vorhersage für den Umsatz am zweiten Februarmontag bei den erwarteten Wetterbedingungen. Zusätzlich können sie nun auch leicht Schlecht- und Gut-Wetter-Szenarien berücksichtigen.

Grenzen und Weiterentwicklung der KI

Anwender können nur die Einflussfaktoren eingeben, die die KI im Lernvorgang zur Verfügung hatte. Nur für diese Variablen hat die KI erlernt, wie sich aus ihnen der Umsatz ableiten lässt. Erkennen Nutzer neue Einflussfaktoren auf den Absatz, zum Beispiel einen Lockdown oder eine 3G-Regel in einer Pandemie, dann muss die KI erst einmal die entsprechenden Zusammenhänge erlernen. In einem solchen Fall wird die umfangreiche Tabelle mit möglichen Einflussfaktoren um eine oder mehrere zusätzliche Spalten erweitert, die die tagesaktuellen Corona-Maßnahmen wie etwa Lockdown, 3G, 2G, 2G-plus oder Reiseeinschränkungen festhalten. Dann muss die KI erneut erlernen, wie vorhandene Corona-Maßnahmen den Absatz beeinflussen. Hat sie erkannt, wie Reisebeschränkungen den Absatz von Skianzügen beeinflussen, ist sie fähig, dieses neue Wissen in ihre Vorhersage miteinzubeziehen, wenn es in Zukunft wieder Beschränkungen gibt, beziehungsweise rauszurechnen, wenn zukünftig Maßnahmen aufgehoben werden.

Ist einmal eine Aufgabe mithilfe einer KI umgesetzt, heißt das leider nicht, dass das KI-Modell für immer unverändert bleiben kann. Die KI hat zwar die Zusammenhänge zwischen Wochentagen, Ferien, Wetterbesonderheiten und Umsätzen erlernt, aber die zugrunde liegenden Effekte können sich verschieben. So haben Einschränkungen von Flugreisen heutzutage möglicherweise eine größere Wirkung auf den Umsatz von Skianzügen in Brandenburg, als es in 15 oder 20 Jahren der Fall sein könnte. Damit die KI dann den Einfluss nicht überschätzt, ist sie stetig anzupassen und zu überwachen. Das bedeutet, es ist ein sogenanntes Model Lifecycle Management einzuführen.

Schlussbetrachtung

Der Controller muss nicht mehr im Einzelnen alle Veränderungen für jede Produktgruppe berechnen. Stattdessen hat er Zeit, sich spannenderen Aufgaben zu widmen: der Interpretation der Ergebnisse und der Beratung des Managements. Zudem kann er zusätzliche Szenarien durchspielen oder analysieren, welche anderen Faktoren den Umsatz beeinflussen, und so die Vorhersagen weiter verbessern.

Darüber hinaus ist es nicht zwingend erforderlich, den gesamten Planungs- und Vorhersageprozess aller Produktgruppen durch eine KI zu automatisieren. KI lässt sich auch für kleine Aufgaben einsetzen, insbesondere für spezielle Fragestellungen innerhalb einzelner Forecasts und Planungsszenarien. Soll zum Beispiel der Effekt von Filialöffnungen auf den Umsatz in Nachbarfilialen berechnet werden, kann eine statistische Auswertung durchgeführt werden. Das heißt, statistisch validierte Aussagen und Vorhersagen ersetzen den oft noch verbreiteten "Educated Guess".