Veränderungsprojekte innerhalb eines durch Struktur und Kultur geprägten Rahmens mögen ein guter Ansatz sein, um die genannten Herausforderungen trotz kurzfristigen Erfolgsdrucks anzugehen und die Organisation überhaupt in Bewegung zu versetzen. Um das Unternehmen wirklich agil, nachhaltig und resilient zu machen, um das Potenzial der Digitalisierung wirklich in vollem Umfang zu heben, reichen instrumentelle und prozessuale Veränderungen in einem gegebenen Kontext auf Dauer aber nicht aus. Sie stoßen (sehr) schnell an Grenzen - auch und gerade mit Blick auf die Finanzfunktion und den Prozess der Unternehmenssteuerung.
Die verschiedenen Bausteine der Steuerung - Informations-, Planungs-, Kontroll- und Anreizsysteme, aber eben auch Organisation und Kultur - greifen ineinander und müssen konsistent und aufeinander abgestimmt gestaltet werden. Bei entsprechendem Veränderungsbedarf ist die Veränderung der Unternehmenskultur und der mit ihr verbundenen Denkmuster zumindest auf Dauer unabdingbar und gleichzeitig in aller Regel die zentrale Barriere im Transformationsprozess: "Culture eats strategy for breakfast", wusste Peter F. Drucker schon früh zu berichten. Warum ist das so? Tradierte Denkmuster und eine fest im Unternehmen verankerte Kultur sind träge. Es bedarf viel Energie, sie zu verändern, und wie wir aus der Literatur zum Veränderungs-Management lernen können, wird ihre Mobilisierung in der Regel nur erfolgreich sein, wenn die Dringlichkeit der Veränderung intellektuell und emotional verstanden wurde, sei es im positiven Sinne - die sich bietenden Möglichkeiten lassen keinen anderen Weg zu - oder im negativen Sinne - wenn wir diesen Weg nicht gehen, ist unsere Existenz gefährdet.
"Die Veränderung der Unternehmenskultur und der mit ihr verbundenen Denkmuster ist unabdingbar im Transformationsprozess."
Ein zweiter Aspekt kommt hinzu: Das gewünschte Maß an Veränderung lässt sich nicht beliebig portionieren. Die Entwicklung von Kultur und Mindset beinhaltet Schwelleneffekte, das heißt, es gibt so etwas wie eine kritische Masse an notwendiger Veränderung. So lassen sich 20 Prozent agil und 80 Prozent bürokratisch vielleicht organisatorisch abbilden, kulturell stößt eine solche Lösung aber an Grenzen und droht, das zarte Pflänzchen Agilität im Keim oder spätestens im nächsten Winter ersticken zu lassen. Daran ändert auch das an dieser Stelle gelegentlich bemühte Konzept der Ambidexterität nichts. Inselprojekte und primär instrumenten- und prozessorientierte Ansätze bleiben in der Regel weit von den kritischen Schwellenwerten der Kulturveränderung entfernt und sind genau deshalb am Ende so oft zu Wirkungslosigkeit und Scheitern verurteilt. Um es nochmals ganz deutlich zu sagen: In einem vergleichsweise stabilen Umfeld ist das wenig dramatisch, in dem Maße, wie die Einschätzung einer ganz grundlegenden Veränderungsnotwendigkeit trägt, aber schon.
Das Dilemma, vor dem sich viele Führungskräfte sehen, erscheint damit offensichtlich: Die Transformation der Finanzfunktion lässt sich nicht auf prozessuale, instrumentelle oder systemseitige Anpassungen reduzieren, und die notwendige kulturelle Veränderung benötigt viel Energie und Zeit, die aber im Regelbetrieb nicht zur Verfügung stehen. Was also tun? Die Beyond Budgeting Community, die sich seit rund 20 Jahren mit der Frage befasst, welche Implikationen eine zunehmende Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität der Umwelt auf Management und Unternehmenssteuerung haben, ist von Kindesbeinen an durch die Diskussion geprägt, in welcher Reihenfolge Steuerungsprozesse auf der einen und Organisation und Kultur auf der anderen Seite verändert werden sollten. Schon im Entstehungsprozesses des Bestsellers von Jeremy Hope und Robin Fraser von 2003 hatten Autoren und Verlag an dieser entscheidenden Stelle unterschiedliche Vorstellungen, und auch seitdem ist die Entwicklung der Community von der Diskussion geprägt, ob man die beiden großen Bausteine gleichzeitig oder in der einen oder anderen Reihenfolge adressieren sollte. Das Problem ist - wenig überraschend - bis heute nicht abschließend gelöst, weder im Kontext des Beyond Budgeting noch an anderer Stelle. Aber der (vermeintlich) pragmatische Ansatz, dominant auf die Prozessebene zu setzen, scheint empirisch doch klar zu überwiegen. Und damit schließt sich der Kreis und wir stehen wieder am Anfang dieses Absatzes.
Was heißt das aber nun für Führungskräfte in der Finanzfunktion? Ich meine: Leadership ist gefragt! Weil die oben skizzierten Herausforderungen ineinandergreifen, alle Branchen betreffen und sich gegenseitig verstärken, ist der Veränderungsbedarf in der Regel groß. Und wenn dem so ist, wird eine Transformation, die Veränderung als Residualgröße nach Erledigung des Tagesgeschäfts behandelt, letztlich scheitern. Der zuvor beschriebene Weg inkrementeller Veränderungen innerhalb des gegebenen Rahmens greift zu kurz, und kulturelle Versäumnisse lassen sich nicht "bei Bedarf" schnell auf- oder nachholen. Es gilt also, loszumarschieren und die Veränderung der Finanzfunktion als Change oder Transformation Agent proaktiv zu gestalten und dabei nicht zuletzt die eigene Funktion im Sinne eines "Role Makings" weiterzuentwickeln. Ohne echtes Leadership, ohne Vision und ein gerüttelt Maß an Frustrationstoleranz, Rückgrat und vor allem auch Energie und Stehvermögen wird das aber nur in wenigen Fällen gelingen. Führungsqualitäten werden so zum kritischen Engpass der Transformation. Wichtig ist, dass Finanzvorstände und Controller das verstehen und sich nicht auf finanzwirtschaftliche Expertise und Kapitalmarktorientierung reduzieren lassen. Dabei müssen sie sich neben dem intensiven Bemühen um ein besseres Verständnis des zugrunde liegenden Geschäfts und neuer Technologien auf ihre ureigenen Stärken besinnen, nicht zuletzt auf die Fähigkeit, durch zahlen- und datenbasierte Analysen und eine Rolle als kritischer Counterpart die Rationalität des Managements auch und gerade in Zeiten der Veränderung sicherzustellen. Die Rahmenbedingungen und die Herausforderungen ändern sich, dieser zentrale Kern ihrer Aufgabe bleibt unverändert und ist wichtiger denn je.
Dieser Beitrag beruht zum Teil auf Überlegungen, die bereits in früheren Veröffentlichungen von mir publiziert wurden, einige davon in Co-Autorenschaft mit Jürgen Weber. Für wertvolle Hinweise und Anregungen danke ich Lars Brückner, Christian Bungenstock, Björn Radtke und Marko Reimer.