In Deutschland befanden sich zum Stichtag 31.03.2023 41.534 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in Justizvollzugsanstalten (Destatis 2023). Schätzungen zufolge sind jährlich 100.000 minderjährige Kinder von der Inhaftierung eines Elternteils, in ca. 80 % der Fälle des Vaters, betroffen (Blass 2014). Ihre Situation und Bedarfe werden, ebenso wie die ihrer Eltern und anderer Angehöriger, gegenwärtig in der Sozialen Arbeit wenig in den Blick genommen.

Mit einer Inhaftierung können für die Angehörigen z. B. psychische Belastungen, soziale Stigmatisierungen, Isolation und wirtschaftliche Unsicherheiten einhergehen. Unterstützungsangebote sind jedoch bislang rar. Bereits die Inhaftierung – vor allem wenn sie im häuslichen Umfeld stattfindet – stellt meist eine hohe Belastung für Angehörige und insbesondere Kinder und Jugendliche dar. Die Besuchsregelungen der Haftanstalten sind zudem wenig familien- oder kinderfreundlich, so dass Kontakte sich auf wenige Möglichkeiten und – darüber hinaus – überwiegend eher wenig ansprechende Räumlichkeiten begrenzen. „Tatsächlich ist der Kontakt mit einem inhaftierten Elternteil nur sehr begrenzt und keineswegs für jedes Kind in Deutschland an jedem Ort so möglich, dass die Eltern-Kind-Beziehung gut aufrechterhalten werden kann“, erklärt Claudia Kittel, Leiterin der Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Instituts (Institut für Menschenrechte 2019). Bestehende oder auch durch die Inhaftierung entstehende Belastungen müssen bewältigt werden. Die erzwungene Trennung kann zu Beziehungs- und Bindungsproblemen führen. Zudem müssen die Angehörigen sich mit den Straftaten und gesellschaftlichen, medialen Vorurteilen auseinandersetzen.

All diese Erlebnisse müssen meist selbstständig bewältigt werden, denn im Rahmen knapper Besuchszeiten in der Justizvollzugsanstalt können nicht alle Ereignisse und Herausforderungen mit den Lebenspartner_innen oder Elternteilen besprochen werden. Die alleinerziehenden Elternteile sind mit den verschiedenen Rollen (Erziehende, Bindungs-Beziehungsperson, Versorger_in) ggf. überfordert, was sich negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirken kann (Arikoglu 2023). Die 2012 veröffentlichte Coping Studie (Children of Prisoners, Interventions and Mitigations to Strengthen Mental Health), an der sich zehn Organisationen aus sechs europäischen Ländern beteiligten, kommt zu dem Ergebnis, dass etwa drei Viertel der Kinder über negative (physische wie psychische) Auswirkungen einer elterlichen Inhaftierung berichtete (Jones und Wainaina-Woźna 2013).

In der Forschung und im Fachdiskurs finden diese Situationen bislang aber kaum Beachtung. Angehörige von Straffälligen sind laut § 11 Abs. 1 Strafgesetzbuch: „Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist.“ Bereits die genauen Zahlen werden derzeit statistisch nicht erfasst. Und nach der Entlassung stehen ggf. weitere Fragen und Herausforderungen des wieder aneinander Gewöhnens oder auch der Bewältigung von Trennungen an.

Damit sie ihre Erlebnisse aufarbeiten können, sollten Kinder von Inhaftierten sowie deren Sorgeberechtigten vor, während und nach der Haftzeit sozialpädagogisch begleitet werden. Hierzu sollte die Kinder- und Jugendhilfe bedarfsgerechte Angebote bereitstellen. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendhilfe, der Straffälligen- und Angehörigenhilfe und der Justizvollzugsanstalt ist zwingend notwendig, um den möglichen traumatisierenden Erlebnissen, denen Kinder und Partner_innen ausgesetzt sind, professionell zu begegnen (Feige 2019). Die politischen Entscheidungsträger_innen sollten ihr Augenmerk insbesondere auf Kinder von Inhaftierten setzen. Sie können die UN Kinderrechte in die jeweiligen Strafvollzugsgesetze integrieren, um das Kindeswohl zu wahren und die Rechte zu schützen (Gerbig und Feige 2022).

Die Beiträge dieses Schwerpunkts bilden zentrale Perspektiven in diesem Zusammenhang ab:

  • Jochen Gördeler thematisiert die Regularien des Strafvollzugs und damit die Rahmenbedingungen, unter denen Kontakt und Besuch sich abspielen können. Die Elternrechte werden auf Grundlage der rechtlichen Bestimmungen erörtert.

  • Selin Arikoglu stellt anhand einer Studie zu Kindern von Inhaftierten die zentralen Herausforderungen und Bedarfe dar, die diese Gruppe kennzeichnen.

  • Im Text zu Angehörigenarbeit bzw. Herausforderungen „auf beiden Seiten der Mauern“ analysiert Thomas Galli die spezifischen Bedarfe von Angehörigen vor dem Hintergrund der Bedingungen einer Inhaftierung und macht auf notwendige Veränderungen und Reformen aufmerksam.

  • Mit „Väterarbeit im Strafvollzug“ macht Thomas Wendland auf ein Projekt im Rahmen eines familiensensiblen Strafvollzugs aufmerksam, das im Rahmen der Fachberatungsstelle „Freiräume“ der Straffälligenhilfe der Diakonie für Bielefeld seit 17 Jahren durchgeführt wird.