Das Thema „Fußball und Gewalt“ wird regelmäßig zum Gegenstand von bundesweiten Diskursen in den Medien, der Politik, der Polizei und auch innerhalb der Sozialwissenschaften. Insbesondere passiert dies bei Spielen um Meisterschaften und Pokale mit besonderer regionaler, nationaler oder internationaler Bedeutung, wenn vor und nach den Spielen ein kleiner Teil von (in der Regel männlichen) Zuschauer_innen ihren (u. U. durch Drogen aufgeputschten) Emotionen in körperlich aggressiver Form untereinander und gegen die Ordnungskräfte freien Lauf lässt. Spätestens dann kommt auch die Sozialarbeit im Zusammenhang mit sogenannten „Fan-Projekten“ ins Spiel (Scherr und Breit 2019).

Für weit weniger überregionale öffentliche und politische Aufmerksamkeit oder gar sozialarbeiterische Intervention sorgen demgegenüber gewalttätige Auseinandersetzungen auf Fußballplätzen von Amateurvereinen unter Spieler_innen und gegen Schiedsrichter_innen unter Beteiligung von Zuschauer_innen insbesondere in infra-strukturell diskriminierten Sozialräumen. Wenn darüber in den lokalen Medien berichtet wird, stehen häufig Beteiligte mit internationaler Familiengeschichte – insbesondere solche muslimischen Glaubens – im Mittelpunkt und werden als Auslöser und Gewalttäter dargestellt. Die Ursachen sowohl für die Gewalt als auch für die vorherrschenden Narrative in den Medien geraten dabei zu wenig in den Blick, so dass gut gemeinte Präventionsstrategien häufig ins Leere laufen.

Vor diesem Hintergrund setzen sich die Beiträge dieses Themenschwerpunkts mit den Ursachen, Wahrnehmungsformen sowie Folgen der verschiedenen Formen verbaler und physischer Aggression im Amateurfußball in den betroffenen Sozialräumen auseinander und beleuchten grundlegende Voraussetzungen und Möglichkeiten von bereits mit unterschiedlichem Erfolg erprobten Präventionsansätzen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die in dieser Zeitschrift schon mehrfach beleuchteten Fußballfan-Szenen (vgl. zuletzt Deimel und Arasteh-Roodsary 2024). Und dennoch gibt es offensichtlich ein nicht unwesentliches Überschneidungsfeld: Wie innerhalb der Fan-Szene sind die Ursachen der Gewalt mit dem hier gewählten Fokus auf (post)migrantische Beteiligte außerhalb des Profi-Fußballs nicht isoliert von gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen – in diesem Fall migrations- und integrationspolitische Hintergründen – zu betrachten.

Das Fußballspiel als Kampfarena für die Kompensation fehlender gesellschaftlicher Anerkennung

Es ist keineswegs neu, dass auch außerhalb des Spielfeldes im aktuellen politischen und medialen Diskurs über nicht politisch motivierte Gewalt in Deutschland junge, migrantisch gelesene Männer mit besonders kritischem Blick beobachtet werden (vgl. Spindler 2011). In Verbindung mit der Präsentation der jährlichen Tatverdächtigen-Statistik durch die Polizei und die zuständigen Innenminister_innen entzünden sich – verstärkt durch mediale Hervorhebung aktueller spektakulärer Gewalttaten – alle Jahre wieder geradezu ritualisiert über die Boulevard-Medien hinaus mehr oder weniger kurzlebige Diskurse über eine vermeintlich zunehmende „Verrohung in der Gesellschaft, die sich auch auf die Schulen überträgt“ (Deutschlandfunk 2024). Sie richte sich dort laut repräsentativer Studien gegen Schüler_innen und Lehrpersonal (vgl. Robert-Bosch-Stiftung 2024), zeige sich aber unter jungen Männern im gesamten öffentlichen Raum – z. B. anlässlich von Silvester bzw. Halloween und in Freibädern (vgl. Lau 2023). Entgegen den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die komplexen Zusammenhänge zwischen Migration und (männlicher) Gewalt (vgl. Walburg 2021; Uslucan 2021) wird nicht nur in den sozialen Medien, sondern in der Politik und weiten Teilen der Bevölkerung die 2023 gestiegene Zahl registrierter Gewalttaten unter Kindern und überwiegend jungen Männern mit Migrationshintergrund, die ein Messer bei sich tragen, häufig als Folge einer „unkontrollierten Zuwanderung“ und einer „Integrationsverweigerung“ interpretiert. Diese „Nichtdeutschen müssen“ – so NRW-Innenminister Reul – „verstehen, dass sie ein Problem bekommen, wenn sie sich nicht an die Gesetze halten.“ Deshalb „müssen (wir) den Menschen, die hier ankommen, schnellstmöglich die Regeln in diesem Land vermitteln“ (Der Spiegel 2024; Schneider 2024).

Dagegen sind die Fußballregeln inzwischen weltweit auch in den kleinsten Vereinen auf den Dörfern bekannt. Doch spätestens bei Wettkämpfen wird deutlich, dass auch dieser Sport von Amateurligen bis zu den internationalen Turnieren der Profis keineswegs nur im Sinne des „homo ludens“ mit Spaß und Entspannung unter den aktiven Spieler_innen und Zuschauer_innen verbunden ist. Anlässlich von Länderspielen im Rahmen der diesjährigen Fußballeuropameisterschaft der Männer in Deutschland werden öffentliche Haushaltsmittel mindestens in Höhe über 150 Mio. € ausschließlich für weitreichende Sicherheitsmaßnahmen aufgewandt (vgl. Fröhlingsdorf et al. 2024), um Gewalt durch Fußball-Fans und islamistische Terroristen zu verhindern. Beide Akteursgruppen können in ihrem jeweiligen Bezugsumfeld realistischerweise optimale soziale Anerkennung durch mediale Verbreitung ihrer Helden- bzw. Märtyrertaten erwarten. Dagegen stehen zusätzliche Steuergelder in dieser Größenordnung zur Förderung von fair play, gewaltlosem Miteinander und Demokratie lernen nicht zur Verfügung.

Wettkämpfe im Fußball kreisen – wie in anderen Mannschaftssportarten mit starkem Körpereinsatz (z. B. Rugby, Eishockey und neuerdings sogar Basketball) auch – gerade unter den nicht sportlich aktiven „Schlachtenbummler_innen“ selbst im internationalen Rahmen kaum noch um den olympischen Gedanken „Dabei sein ist alles“.Footnote 1 Der Fußballsport im Profi-Bereich eignet sich auf dem gesamten Erdball unter den Bedingungen eines liberalen wie autokratischen Kapitalismus sowohl als einträgliches Geschäft für wenige durchkommerzialisierte Clubs, Spieler_innen und Verbandsfunktionär_innen als auch als Arena zur Anwendung über zweitausend Jahre alter Mechanismen und Rituale zur Sicherung von Herrschaft in Form politisch und/oder religiös legitimierter Gewalt („Brot und Spiele“), wie sie nicht nur im alten Rom, sondern auch heute noch u. a. im Iran praktiziert werden.

Aber auch im demokratischen Staat beginnt Sportpolitik bereits von der Kreisliga an, wenn – insbesondere vor Wahlen – auch in nur lokal bekannten Vereinen verdiente Spieler_innen bzw. ehrenamtliche Mitglieder von Bürgermeister_innen bzw. Gemeindevertreter_innen, die an ihrer Wiederwahl interessiert sind, geehrt werden und ein neues Clubheim oder gar ein saniertes Stadion mit Kunstrasen und sicheren Umkleidekabinen für Mädchen eingeweiht wird.

Fußballsport als Vergemeinschaftungsritual

Der Fußballsport hat durch seine von wirtschaftlichen Interessen getriebene Verbreitung schon seit einigen Jahrzehnten globale Dimensionen erreicht. Er bietet offenbar wie keine andere Mannschaftssportart weltweit vielen auf dem Spielfeld und im Alltagsleben bedrängten (meist männlichen) Akteuren bzw. Zuschauer_innen als Individuen und in der Gemeinschaft mannigfache Gelegenheiten, die zur Orientierung und gesundem Überleben notwendige, aber ständig bedrohte soziale Anerkennung zumindest ersatzweise durch Identifikation mit einer Vereins- und Nationalmannschaft bzw. dort sportlich und kommerzialisiert herausragenden Spieler_innen zu erreichen. Dies gilt besonders in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche, zunehmender Komplexität und dadurch hervorgerufener allgemeiner Unsicherheit. Der Fußballsport scheint besonders geeignet, Selbstwirksamkeit (Bandura 1997) im Rahmen von öffentlichen Vergemeinschaftungsritualen in der eigenen Klein- bzw. Großgruppe erlebbar zu machen und aufrechtzuerhalten. Dazu gehört dann in besonders bedrängten Situationen notfalls auch verbales und körperliches (Auf‑/Nach‑)Treten von sich gegenseitig aufputschenden Spieler_innen und Zuschauer_innen gegenüber Mitgliedern der jeweiligen Außengruppe.

Vom männlich dominierten Fußballstamm autochthoner Vereine zum Familienfest diskriminierter allochthoner junger Menschen

Bereits Ende der 1970er-Jahre hat Desmond Morris (1981) aus Sicht der Verhaltensforschung viele hör- und fühlbar aggressive, auch zu Spielabbrüchen führenden Rituale einer „Stammeskultur“ englischer Fußballclubs unter Spieler_innen und Zuschauer_innen, gegen Schiedsrichter_innen und vor allem unter Fans in den Blick genommen. Auch wenn manche dieser Beobachtungen vor 50 Jahren mit heutigen Verhältnissen im Amateurfußball nur bedingt vergleichbar sind: Zwei zentrale, damals von Morris als wirksam herausgestellte Strategien gegen Gewalt innerhalb und außerhalb des Spielfeldes sind bis heute aktuell und migrant_innenunspezifisch. Zum einen geht es darum, „ernsthafte Bestrebungen, die sozialen Bedingungen, die den Gewaltausbrüchen zugrunde liegen, zu ergründen und zu verändern“ (S. 268). Zum anderen „muss (man) die winzige Minderheit der ‚wilden Männer‘, die ernsthafte Zwischenfälle verursachen, identifizieren und zur Rechenschaft ziehen“ (ebd.). Dazu gehört auch, dass „hinterlistig geplante und listig ausgeführte, gefährliche Fouls (…) unterbunden“, d. h. bestraft werden, „denn sie huldigen einem falsch verstandenen Männlichkeitsideal“ (ebd., S. 55).

Heute wird dieses Männlichkeitsideal in der Öffentlichkeit hierzulande vornehmlich an jungen Männern mit Migrationshintergrund festgemacht. Diese Wahrnehmung wird, bezogen auf den Jugendfußball, durch die demographische Entwicklung in Deutschland verstärkt. Knapp ein Drittel aller Mitglieder im Deutschen Fußball-Bund ist unter 18 Jahre alt, davon ca. dreiviertel männlich (Deutscher Fußball-Bund 2024), darunter ein großer, in der öffentlichen Statistik nicht ausgewiesener Anteil mit internationaler Familiengeschichte – vor allem in den alten Bundesländern. In diesen eingewanderten Familien ist der Gemeinschaftssinn über mehrere Generationen hinweg trotz wachsender Tendenzen zu einer von den Mittelklassen dominierten „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz 2019, 2017) in Deutschland noch länger erhalten geblieben. Insofern verwundert es nicht, dass sich für viele jungen Menschen mit Migrationshintergrund eine Sonntagskultur etabliert hat, in der sie an diesem Tag mit ihren verschiedenen Fußballvereinen in den Amateurligen präsent sind. Während der Spiele verfolgen ihre Familien, Freund_innen und Bekannten das Geschehen auf dem Platz, und häufig schließt man den Tag mit einem gemeinsamen Grillfest ab.

Die Feiern finden ja in der Regel auf Vereinsgelände statt, müssen also nicht den strengen Regeln traditioneller deutscher Schrebergartenfeste oder den Nutzungsvorgaben kommunaler Parkordnungen entsprechen. Rhenania Hamborn veranstaltet u. a. einen Familiensporttag (s. Abb. 1) und gibt Kindern und Jugendlichen auch mal die Möglichkeit, ihre Musik etwas lauter zu hören (s. Abb. 2). Auf ihre Weise wird von einem öffentlichen Platz außerhalb der Wettkampfarena die Rolle des Sports als „Integrationsmotor“ gestützt, ohne dabei auf Kompetenzen in der deutschen Sprache angewiesen zu sein. Denn auch Fußball funktioniert durch die Umsetzung des meritokratischen Prinzips, wonach eine größere Anstrengung und mehr Training auch eine bessere (soziale) Platzierung erhält; und er ist eine Sportart, die auf Teamfähigkeit, auf Zusammenarbeit, auf koordinierte Handlungen setzt und dadurch eine Inklusion eher gewährleistet.

Abb. 1
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Ankündigungsplakat zum Familiensporttag. © Rhenania Hamborn

Abb. 2
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Der Verein bietet viele Freizeitmöglichkeiten. © Rhenania Hamborn

Gewaltsame Reaktionen auf Diskriminierungserfahrungen

Wie gut klappt jedoch das Zusammenleben und -spielen? Ende August 2023 veröffentlicht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) besorgniserregende Statistiken im Hinblick auf den Amateurfußball. Gewalt- und Diskriminierungsereignisse haben in der Spielsaison 2022/2023 im Vergleich zu 2021/2022 „von 5847 auf 6224 und die Zahl der Spielabbrüche aufgrund von Gewalt- und Diskriminierungsdelikten von 945 auf 961“ zugenommen (Deutscher Fußball-Bund 2023). Diese Zahlen deuten darauf hin, dass diese Problematik nicht nur vorübergehend besteht. Verbale Herabwürdigungen, gefolgt von nonverbaler Gewaltausübung sind im deutschen Amateurfußball weitverbreitet – vor allem in der Jugend. Der Bericht des DFB konstatiert zudem, dass es in der D‑ bis F‑Jugend in der Saison 2022/2023 bis zu 126 Abbrüchen von Fußballbegegnungen gekommen ist. Bundesweit gab es 542 Polizeieinsätze im deutschen Amateurfußball, allein 255 davon fanden in Nordrhein-Westfalen statt (Reviersport 2023; Gut 2024).

Den zentralen Ursachenfaktoren dafür gehen Haci-Halil Uslucan und Fatih Kaya in ihrem Beitrag „Gewalt junger Menschen mit Migrationshintergrund im Amateurfußball: soziale und entwicklungspsychologische Prädiktoren und Prävention von Gewalt“ auf die Spur. Die Autoren beleuchten sozialpsychologische und gesellschaftliche Aspekte, die sich auf die Wechselwirkung von Ausgrenzung und Reaktion auf erlebte bzw. wahrgenommene Exklusion als möglicherweise treibenden Kräften beziehen. Der renommierte Sportsoziologe, Berater des DFB und des internationalen Fußballverbandes FIFA, Gunter A. Pilz, beschreibt den Anstieg und Präsenz von Gewaltakten im deutschen Amateurfußball als gesamtgesellschaftliche Missstände. Pilz zählt verschiedene Ursachen für die verbale und nonverbale Gewalt auf: Diskriminierung, verbale Provokation, Ungleichbehandlung durch den Schiedsrichter und Spruchkammern sowie Rassismus (Pilz 2015).

Eine normativ erwartete Integration von Menschen ohne Migrationshintergrund und Marginalisierungserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund aus ihrem Alltag treffen bei Fußballspieler_innen, Schiedsrichter_innen, Trainer_innen, Eltern und Zuschauer_innen auf dem Fußballplatz aufeinander. So können bspw. rassistische Provokationen wie ‚Kanake‘, ‚Wir sind nicht in der Türkei‘ oder ‚Wir sind in Deutschland, sprich deutsch!‘ und/oder ehrverletzende Beleidigungen unter migrantisch gelesenen Spieler_innen in der Familiensprache des Gegners (z. B. „Ich f*** deine Mutter“) und verbale Entgleisungen im Hintergrund des Schiedsrichters als Strategie genutzt werden, um Gegner_innen zu einer affektiven Handlung und im Spielverlauf zu einer unkontrollierten, aggressiven Regelverletzung zu verleiten, welche dann auch sanktioniert wird. Wenn der Plan aufgeht, werden die Entscheidungen der Unparteiischen häufig nicht nur von sanktionierten Spieler_innen, sondern von der ganzen eigenen Mannschaft und Zuschauer_innen als unfair und diskriminierend wahrgenommen, da vorherigen verbalen Angriffen keine Berücksichtigung geschenkt wird – gleichwohl die Schiedsrichter_innen nach dem Regelbuch geahndet haben. Die Spirale der Diskriminierungs- und Entfremdungserfahrungen empfinden die meisten Spieler_innen mit Migrationshintergrund auch durch die Sportgerichtsentscheidungen, die belegen, dass sie bei ähnlichen Präzedenzfällen oft rigorosere Strafen erhalten als Menschen ohne Migrationshintergrund (Ribler 2008, S. 95).

Pilz geht davon aus, dass sich viele Spieler_innen mit Zuwanderungsbiografien auf dem Platz um Akzeptanz, Anerkennung, Teilhabe und Gleichbehandlung bemühen (Pilz 2015). Wir sprechen von einer Generation von jungen Menschen, deren Identitätsprozess begleitet wird von fehlender Akzeptanz und Anerkennung, und das gilt sowohl für das Herkunftsland ihrer Eltern als auch für das Land und die Gesellschaft, in der sie geboren, aufgewachsen und sozialisiert sind. Sie erfahren regelmäßig ein Gefühl, nicht dazu zu gehören und in dieser Gesellschaft unerwünscht zu sein. Diese Situation spitzt sich mit subjektiven und gruppenbezogenen Deprivationserfahrungen. Die empfundene Diskriminierung und Ungleichbehandlung, sei es durch Schiedsrichter_innen, Gegenspieler_innen oder durch Sportgerichtsentscheidungen oder in der Schule und im Beruf, löst bei vielen Betroffenen einen Zustand der Enttäuschung, Frustration oder Niedergeschlagenheit aus: Sie spüren, dass trotz ihrer Bemühungen, teilzuhaben, mitzuwirken und Veränderungen anzustoßen, ihr Status quo (als Outsider) unveränderbar bleibt. Ihre Reaktion kann neben ihrer gesellschaftlichen Segregation in Gewalt umschlagen (Endricht 2023). So kommentiert Metzger diese Reaktion als eine Form der „Selbstbehauptungsstrategie, dass Fußballspieler, deren Eltern zum Teil bereits in Deutschland geboren sind, (…) nicht länger die Position des Außenseiters oder des Neuankömmlings zugewiesen bekommen“ (wollen) (Metzger 2018, S. 133).

Und dennoch werden ja trotz solcher und anderer struktureller Diskriminierungserfahrungen nur ein Bruchteil innerhalb oder außerhalb des Spielfelds in Gewalt verwickelte Beteiligten auf regelwidrige Weise verbal und physisch aggressiv. Persönlich erfahrene Gewalt – u. U. auch innerhalb der familialen Sozialisation und/oder der Peer-Gruppe – und die Erfahrung, dass Gewaltanwendung häufig nicht sanktioniert und insofern subjektiv als erfolgreich erlebt wird, ist nach wie einer der wichtigsten Prädikatoren für die Fortsetzung dieser Überlebensstrategie, nicht nur bei migrantisch gelesenen jungen Menschen (vgl. Uslucan 2021).

Voraussetzungen für die messbare Wirkungen von Prävention

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, mit Präventionsmaßnahmen gegen verbale und körperliche Gewalt dort aktiv zu werden, wo gehäuft Gewaltrisiken bestehen. Uslucan und Kaya plädieren in ihrem Beitrag dafür, den mikro- und makrosozialen Gewaltursachen im Amateurfußball mit niederschwelligen und zielgruppenspezifischen Präventionsstrategien zu begegnen. Dazu geben sie einige grundlegende Hinweise zu den methodischen Voraussetzungen für die Messbarkeit der Wirkung von Prävention und Intervention auch im pädagogischen Bereich.

Dabei geht es auch um Projekte mit Jugendlichen, die häufig in Konflikte aufgrund sogenannter „Ehrverletzungen“, persönlicher Beleidigungen etc. verwickelt sind bzw. auch Konflikte auf dem Sportplatz als eine persönliche oder nationale „Ehrverletzung“ wahrnehmen. Auch wenn diese ehrverletzenden Beleidigungen aus der Sicht des Beleidigten vielfach als Herausforderungen wahrgenommen werden, die unmittelbare und oft gewalttätige Entgegnungen erfordern: Es gilt, jungen Menschen immer wieder klar zu machen, sich dieser „Logik der Herausforderung“ nicht zu stellen, weil damit eventuell ihre gesamte Sportkarriere oder einfach auch nur die weitere sportliche Betätigung gefährdet wird.

Insbesondere im Jugendbereich, und zwar unabhängig von Zuwanderungshintergrund, haben Lerner et al. (2005) Maßnahmen empfohlen, die der psychischen Stärkung Jugendlicher zugute kommen. Sie schlagen vor, sich an den sogenannten „Five Cs“ zu orientieren: competence, confidence, connection, character and caring. Diese werden als gewalthemmend bzw. antisoziales Verhalten unterdrückend betrachtet. Konkret heißt dies: In Trainingsmaßnahmen sollten Kompetenzen gestärkt, Vertrauen geschaffen, soziale Verbindungen gestiftet, Netzwerke hergestellt und Jugendliche charakterlich gestärkt werden. Ferner soll allen Jugendlichen ein Gefühl von Sorge/Kümmern vermittelt werden, und zwar sowohl, dass sich um sie gekümmert wird als auch, dass sie sich als Jugendliche um andere kümmern, also eine Art Etablierung von „Kümmer-Verhältnissen“ herstellen.

Beispiele für gelungene Prävention in Amateurvereinen

Wie dies in der Alltagspraxis eines postmigrantisch orientierten Fußball-Vereins in Duisburg-Marxloh funktionieren kann, illustrieren zwei Vorstandsmitglieder des SV Rhenania Hamborn 1949 e. V. im Gespräch mit Sozial-Extra-Beiratsmitglied Helmuth Schweitzer. In diesem Interview erläutern Cafer Kaya und Tuncer Kalayci, warum es erforderlich ist, in ihrem Verein das sportliche Engagement der 500 im Duisburger Norden meist vielfach sozial diskriminierten Mädchen und Jungen internationaler Herkunft in 24 Jugendmannschaften auch außerhalb des Fußballfeldes mit pädagogischen und politischen Aktivitäten durch eine Sozialraum orientierte Jugend- und Elternarbeit zu begleiten. Die beiden Ehrenamtler zeigen die Grenzen ihres bürgerschaftlichen Engagements für die Inklusion der marginalisierten Jugendlichen auf und plädieren vor diesem Hintergrund nachdrücklich für eine öffentliche Finanzierung professionell tätiger Sportsozialarbeiter_innen. Beide Interviewpartner schildern sehr konkret, in welcher Weise auch die Vereinsmitglieder von Gewaltstrukturen in ihrem Stadtbezirk u. a. durch organisierte Kriminalität betroffen sind (vgl. Schroers 2024), ja persönlich verletzt wurden und wie sie sich als Vereinsverantwortliche und deutsche Staatsbürger im Diskurs mit Fußballverbänden, der Kommune und der Polizei öffentlich mit der Gewalt auf dem Spielfeld und im Stadtteil auseinandersetzen (SV Rhenania Hamborn 2023; Terhorst 2023).

Abschließend beschreibt Ulf Gebken anhand seiner Expertise aus der wissenschaftlichen Begleitung von Sportvereinen, die zwischen 2018 und 2022 in den Städten Essen und Duisburg durch Gewaltvorfälle auf dem Fußballfeld bzw. durch Zuschauer_innen am Rande des Spielplatzes aufgefallen sind, wie es gelungen ist, deren Bewältigung in den betroffenen Vereinen durch Umsetzung, Evaluation und Weiterentwicklung unterschiedlicher Bausteine der Gewaltprävention wirksam zu unterstützen. Auf dieser empirischen Grundlage werden fünf wesentliche Erfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Präventionskonzept konkretisiert. Für den Erfolg der in diesem Beitrag aufgezeigten Interventionsmuster plädiert der Autor dafür, ein Berufsfeld „Sportsozialarbeiter_in“ zu entwickeln.