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Personen in komplexen Problemlagen professionelle Unterstützung anzubieten, ist der Anspruch des Handlungskonzeptes des Case Managements (CM). Dieses bei sozialen Dienstleistungen etablierte Vorgehen wird zumeist als ein vom konkreten Handlungsfeld unabhängiges Verfahren präsentiert. Die Herausgeber_innen des Sammelbandes verfolgen nun das Ziel, „eine sozialarbeitswissenschaftlich[e] Fundierung“ (11) vorzunehmen, um es dadurch von jenem generalistischen Verständnis abzugrenzen. Im ersten Teil werden die Überlegungen zum Konzept des Sozialarbeiterischen CMs dargelegt. Im zweiten Teil wird es für die unterschiedlichen Handlungsfelder diskutiert.

Den Ausgangspunkt bildet das von den Herausgebenden vorlegte „Begründungsmodell“ (18) eines Sozialarbeiterischen CMs, das als Verfahren den Prämissen Sozialer Arbeit untergeordnet wird. Dies erlaube es auf einer ersten Ebene, an die unterschiedlichen Theorieentwicklungen innerhalb der Sozialen Arbeit anzuschließen. Die aufgeführten Systematisierungsversuche seien „letztlich als gleichwertig nebeneinanderstehend“ (21) zu betrachten. Diese Offenheit ermöglicht zwar die Anschlussfähigkeit an die unterschiedlichen Arbeitsfelder mit den jeweiligen theoretischen und (sozial‑)politischen Traditionen, jedoch bleibt unklar, welchen konkreten Beitrag die jeweilige Perspektivierung zur Gegenstandsbestimmung und Weiterentwicklung leisten kann. Eine Konkretisierung des Sozialarbeiterischen CMs erfolgt weiter über die „Wissensbestände zum Arbeitsfeld“ (23): Hier stehe CM vor der Herausforderung, dass neben disziplinärem Wissen auch Wissensbestände anderer Disziplinen und Professionen integriert werden müssten. Auf der zweiten Ebene wird das CM mit seinem Verfahrenswissen innerhalb einer Mikro‑, Meso- und Makroebene verortet. CM erhebe den Anspruch, eine Verbindung zwischen der konkreten Fallarbeit und der (Versorgungs‑)Systemebene herzustellen. Es bleibt jedoch offen, wie diese Verbindung ausgestaltet werden kann. Auf der dritten Ebene wird das Evaluationswissen angeordnet. Dem Anspruch, einen „Ausgangspunkt zur weiteren Entwicklung“ (31) vorzustellen, wird der Artikel damit gerecht.

Innerhalb des Sozialarbeiterischen CMs wird der professionellen Beziehungsarbeit eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Ausgehend von der Kritik einer zu starken „managerialen Ausrichtung“ (41), plädieren Karin Goger und Christian Tordy in ihrem Beitrag für eine „synergetische[…] Verschränkung von Beziehungsarbeit und Management“ (41). Dabei wird herausgearbeitet, welche komplexen Beziehungen sich aus der Broker-Funktion ergeben. Die Beziehungsgestaltung orientiere sich dabei u. a. an der „fallabhängige[n] Beziehungsintensität“ und den „Werten und Normen der Sozialen Arbeit“ (43). Durch das Management ergibt sich die Aufgabe, „kommunikative[…] Anschlüsse[…]“ (59) herzustellen, um so ein fallbezogenes Unterstützungssystem zu ermöglichen, das die jeweilige Autonomie anerkennt. Folgerichtig wird auf die Ermöglichungsbedingungen durch organisationale Gestaltungsspielräume verwiesen.

Die Potenziale für die Migrationsberatung betrachtet Matthias Müller. Mit dem Begriff Migrationsgesellschaft und dem Begriff des Otherings/VerAnderung kann der „widersprüchliche[…] Auftrag“ (158) von Migrationsfachdiensten herausgearbeitet werden, der sich aus dem gesellschaftlichen Normalzustand der gleichzeitigen Spezialisierung der Dienste ergibt. Aus der Deprivilegierung von Migrant_innen wird abgeleitet, dass insbesondere die Stärken und Ressourcen auf der Fallebene zu fokussieren seien. Beim Lesen offenbart sich die Herausforderung der Migrationsberatung, dass strukturelle Benachteiligungen nicht als individuelle Attribute umcodiert werden.

Der Beitrag von Björn Sedlak und Oliver Köttker betrachtet CM in der Beschäftigungsförderung. Ausgehend von einer Verortung des Handlungsfeldes innerhalb des aktivierenden Sozialstaats wird darauf verwiesen, dass das vorgeschlagene Sozialarbeiterische CM über das „Prinzip des ‚Förderns und Forderns‘“ (103) hinausweise. Dazu wird an drei sozialarbeitstheoretische Bezugspunkte angeschlossen: dem Capability Approach, der Lebensbewältigung (Böhnisch) und einem sozialräumlichen Denken. Die Autor_innen entfalten daraus ein „idealtypisches Phasenmodell“ (111). Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Sozialarbeiterische CM „eine wichtige Orientierung“ (119) innerhalb der Beschäftigungsförderung bieten kann, es für die erfolgreiche Etablierung jedoch weitreichender sozialpolitischer Veränderungen bedarf.

Martin Schmid und Ines Arendt behandeln das sich durch eine starke Interdisziplinarität auszeichnende Arbeitsfeld der Sucht- und Drogenhilfe. Das Arbeitsfeld Klinischer Sozialarbeit wird theoretisch an ein bio-psycho-soziales Modell von Gesundheit und Krankheit angeschlossen. Die Aufgabe Sozialer Arbeit bestehe darin, die Inklusion ihrer Adressat_innen in gesellschaftliche Teil- und Funktionssysteme zu unterstützen. Die Autor_innen verweisen darauf, dass CM (in einem breiten Verständnis) seit zwei Jahrzehnten durch Modell- und Forschungsprojekte entwickelt wird. Gleichwohl habe sich die Praxis „pragmatisch und an den vielfältigen Herausforderungen der Praxis entlang und weniger theorie- und empiriegestützt entwickelt“ (213). Um den Mehrwert von CM herauszustellen, bedarf es daher der Verknüpfung mit Theorien und Methoden Sozialer Arbeit und „modernen Konzepten der Klinischen Sozialarbeit“ (218).

Die Publikation bildet eine wichtige Etappe im Diskurs zur Etablierung von und zum Umgang mit CM in den Handlungsfeldern Sozialer Arbeit. Die Autor_innen zeigen, worin die Besonderheit eines Sozialarbeiterischen CMs gegenüber einem generalistischen CM besteht bzw. bestehen könnte. Hervorzuheben sind darüber hinaus die vielfältigen Bezüge zu internationalen Diskussionen.

Um den Beitrag der jeweiligen theoretischen Diskurse für die Weiterentwicklung des Sozialarbeiterischen CMs aufzuzeigen, scheint mir eine weiterführende Auseinandersetzung hilfreich. Nicht zuletzt könnte dies auch über Begriffsklärungen verlaufen: Was meint bspw. der Begriff der Integration innerhalb der Migrationsberatung? Und welchen Beitrag können postkoloniale Theorien dabei leisten? Eine weitere Herausforderung sehe ich in der weitgehend unklaren Vermittlung zwischen der Fall- und der Systemebene. Die Systemebene muss zukünftig intensiver betrachtet werden, zumal vielfältige Probleme der Adressat_innen aus einer strukturellen Ungleichheit resultieren. Eine historische Kontextualisierung im Theoriediskurs und innerhalb der Sozialpolitik könnte hierbei dienlich sein. Die Autor_innen machen Lust, sich dem Monitum einer fehlenden Forschung zu widmen.