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Die Herausgeber legen eine Essaysammlung vor, die der Einführung ins Community Organizing (CO) dienen soll. Es handelt sich um eine erweiterte Neuauflage der Veröffentlichung „Community Organizing – Menschen verändern ihre Stadt“, die 2007 von Mitherausgeber Leo Penta, Kath. Hochschule für Sozialwesen Berlin (KSHB) als Band VIII der Reihe „Amerikanische Ideen in Deutschland“ bei der Körber-Stiftung in Hamburg erschienen war, „was“, so die Autoren im Vorwort des neuen Buches, „erstmalig für Deutschland eine zentrale Diskussion im Community Organizing darstellte und vor allem auch die entstehende Praxis widerspiegelte“ (S. 8). Schon hier muss richtiggestellt werden soll, dass in Deutschland schon seit den 1970er Jahren „zentrale“ Diskussionen um CO und Saul D. Alinsky geführt wurden. Der vorliegende Band und sein Vorgänger sind daher nicht der Beginn, sondern Teil einer umfassenderen Diskussion.

Das Buch enthält sechs Abschnitte mit jeweils vier bis sechs eigenständigen Essays. Der erste Abschnitt, „Anfänge in den USA“, beginnt mit Auszügen aus dem bekannten, aber bisher nicht in deutscher Sprache veröffentlichten Interview von Saul D. Alinsky (1909 bis 1972), das er kurz vor seinem Tod der Zeitschrift Playboy gegeben hatte. Alinsky blickt darin auf sein Leben und seine Arbeit in den Industriegebieten von Chicago zurück, die als Anfänge des CO gelten. Darauf folgt ein Essay von Leo Penta und Tobias Meier, „Alinskys Erbe – die Industriel Areas Foundation als weltweites Netzwerk“. Danach folgt „Der Ursprung des Community Organizing. Eine Geistesgeschichte“ von Luke Bretherton, und, wieder abgedruckt, ein Essay von Leo Penta mit dem Titel „Von Ohnmacht zur Hoffnung“. Das Kapitel endet mit „Eine Bürgerplattform gestaltet Brooklyn. Die Geschichte der Nehemia-Häuser“ von Michael Gecan.

Die Linie dieses Abschnitts ist klar: Alinsky gründete die Industrial Areas Foundation (IAF) als Ausbildungsinstitut. Die IAF wurde dann von Edwards Chambers zur „New IAF“ umgestaltet. Die „intentionalen Einzelgespräche“ und die „10-Days-Trainings“ mit engagierten Bürgern wurden ihr Markenzeichen. Es muss kritisch eingewendet werden, dass die „New IAF“ nicht die Alleinerbin von Alinskys Ideen ist. CO allein mit der von Ed Chambers geprägten „New IAF“ zu identifizieren ist eine unzulässige wie unnötige Engführung. Auch hier wird ein Teil der Praxis zum Ganzen und Eigentlichen erklärt.

Wie dem auch sei, ab 1983 wurden, ausgehend von einer Initiative von 30 Kirchengemeinden in Brooklyn/New York, die Nehemia-Häuser gebaut: mehrere tausend „erschwingliche Wohnungen“ (S. 99) und es wäre völlig verfehlt, die Erfolge des Community Organizing à la IAF und des für die IAF typischen Institution-Based-Community-Organizing (ICBO) am Beispiel der Nehemia Homes in Deutschland nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wohnungsmangel und Wohnungslosigkeit sind aktuelle Kernthemen deutscher Sozialpolitik. Man sollte fragen, was hierzulande die Kirchen und die kirchlichen Wohlfahrtsverbände in diesem Zusammenhang bisher unternehmen.

Die Beiträge des zweiten Abschnitts arbeiten heraus, wie dieser Erfolg zustande gekommen ist. Dabei geht es um die „Macht der Leute“ und den Auftrag zivilgesellschaftlicher Organisationen Heterogenität zu überwinden und für Intermediarität zu sorgen. Zunächst fragt Helmut K. Anheier (Hertie School of Governance, Berlin) „Wer organisiert die Zivilgesellschaft?“. Dann bringt Leo Penta die „Macht der Solidarität“ ins Spiel. Amanda Tattersall aus Sydney untersucht schließlich, wie die „Macht der Leute“ sich für gewöhnlich realisiert a) ergebnislos nach vorgegebenen Regeln zu spielen, b) ziellos Menschen zu mobilisieren oder c) schlimme Folgen vorherzusagen. Auch Michael Gecan schildert in seinem Beitrag, wie angesichts wichtiger Probleme bloßer Aktivismus nicht funktioniert. Beide empfehlen stattdessen die Methoden des CO.

Im dritten Abschnitt geht es dann um die für die „New IAF“ typische Frage nach der Rolle religiöser Gemeinschaften und Organisationen in der Zivilgesellschaft. Brad E. Fulton stellt die Herausforderungen religiöser Gemeinschaften aus amerikanischer Sicht dar und Christine Funk (KSHB) aus deutscher Sicht. Sie fragt, wie religiöse Gemeinden in Bürgerplattformen zur Erneuerung demokratischer Prozesse beitragen können. Es folgen „Praktisch-Theologische Anmerkungen zu CO als Perspektive diakonischer Pastoral“ von Andreas Lob-Hüdepohl (KSHB).

Beide Abschnitte stehen unter dem Eindruck einer sich entwickelnden postsäkularen Gesellschaft, in der Religion an Bedeutung zunimmt. Die Frage ist, inwieweit religiöse Gemeinschaften, die oft selbst unter Demokratiedefiziten und Austritten leiden, es schaffen können, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, indem sie die säkularen Interessen ihrer Mitglieder vertreten und so gleichzeitig zur Demokratisierung der Gesellschaft beitragen. Aus Sicht einer befreiungstheologisch orientierten „Kirche von unten“ ginge es dabei notwendigerweise mehr um Gemeinsamkeiten als um Unterschiede und Alleinstellungsmerkmale, also auch und vor allem um interreligiösen Dialog.

Im vierten und fünften Abschnitt geht es dann um das Wie und Wo, also um methodische Erfahrungen und Aspekte und um konkrete Anwendungsbeispiele in Berlin, Nordrhein-Westfalen (Köln, Duisburg) und anderswo. Zum Schluss vergleicht dann Sebastian Kurtenbach treffend die diametral entgegengesetzten Steuerungslogiken von Quartiersmanagement („von oben“) und von Community Organizing („von unten“). Ein Serviceteil mit einem Verzeichnis der Autoren, aktiver Organisationen, relevanter Literatur, einem Glossar und ausgewählten Arbeitsblättern für die Praxis beschließt den Band.

Insgesamt liefert der Band „Community Organizing“ eine informative Einführung in die Aktivitäten des „weltumspannenden Netzes“ der „New IAF“ und ihrer Netzwerkarbeit in Deutschland. Wie bereits ausgeführt wird hierdurch aber nur ein Teil des CO beleuchtet und als Ganzes gesetzt. Als korrektive Lektüre wird empfohlen: Stoecker/Witkovsky: From inclusionary to exclusionary populism in the transformation of US community development (in: Kenny/Ife/Westoby Hg., Populism, Democracy and Community Development, Bristol University Press, 2021, 127–148).