Das Buch ist die Habilitationsschrift des Verfassers, der an der FH Dortmund eine Professur für Erziehungswissenschaft innehat. Es enthält interessante Überlegungen, aber mehr noch: Irritationen. Diese beginnen beim Titel: im Haupttitel ist von Sozialpädagogik (SP), im Unterkapitel von Sozialarbeit (SozArb.) die Rede. Ein erklärender Hinweis findet sich in der Einleitung, in der der Verfasser von „Differenzen zwischen Praxis (SozArb.) und Theorie (SP)“ (S. 2) schreibt. SP wäre dann, ähnlich wie bei Mollenhauer, eben der Name für die Theorie der Praxis der SozArb. Eine entsprechende Formulierung hält der Verfasser im letzten Absatz des Buchs fest (S. 225). Aber in den übrigen Teilen des Buches, selbst schon in der Einleitung, distanziert er sich von einer solchen Interpretation. Vielmehr stellt er SozArb. und SP polarisiert gegenüber. SozArb. verbindet er mit Sozialarbeitswissenschaft, Fachhochschulen, Normativität und deshalb einem fehlenden Anschluss an interdisziplinäre Diskurse sowie mit Silvia Staub-Bernasconis Menschenrechtstheorie. SP verbindet er mit Erziehungswissenschaft (als Grundlagendisziplin wie „anwendende Sozialtechnologie“), Universitäten, dem Wertfreiheitspostulat und deshalb auch als interdisziplinär anschlussfähig. Für die SP sieht der Verfasser in Thierschs Überlegungen zur lebensweltorientierten SP „den bislang ernsthaftesten Versuch“ (S. 8) einer sozialpädagogischen Theorie. Weil sich zudem die kognitiven Stile unterschieden, die SP als Teil der Wissenschaft auf Wahrheit ziele, während es der SozArb. nicht um Wahrheit, sondern Wünschenswertes ginge, verbiete sich auch ein gemeinsamer Oberbegriff (Soziale Arbeit). Nach dieser Entgegensetzung räumt der Verfasser ein, dass er im Weiteren „diese kategoriale Grenzziehung aus pragmatischen Gründen“ nicht stringent durchhalten könne (S. 29). Das stimmt.

Nach dieser Einleitung folgt das umfangreichste Kap. (2.), in dem der Autor seine grundlegenden Theoriebezüge erörtert. Dabei führt er die Mundanphänomenologie nach Schütz mit der Wissenssoziologie von Berger/Luckmann zusammen und nimmt Anleihen der Anthropologie von Gehlen und Plessner. Im folgenden Kap. (3.2) legt er die Kerngedanken seiner eigenen mundanphänomenologisch-wissenssoziologische Theorie der SozArb. vor, die diese theoretisch konsistent fassen soll. Und dies in Abgrenzung zu Thiersch (Abschn. 3.1), dem er „eigenwillige Deutungen“ von Begriffen wie „Lebenswelt“, konzeptionellen „Eklektizismus“ attestiert (S. 89 ff.). Demgegenüber will der Autor eine „orthodoxe“ Lesart von Lebenswelt zugrunde legen, womit sich „Hinzufügungen“, also eklektische Erweiterungen, erübrigen würden (S. 100). Im Anschluss an Berger/Luckmann sei „Sozialarbeit als Therapieform“ (S. 106 ff.) zu verstehen. Die institutionelle Ordnung, so Berger/Luckmann, sei ständig durch die Gegenwart von Wirklichkeiten bedroht, weshalb ihre Legitimation notwendig sei. Eine Grundform, Legitimation herzustellen, sei Therapie, wozu Berger/Luckmann auch Seelsorge, Teufelsaustreibung, Psychiatrie oder Ehe- und Berufsberatung (bei Kotthaus: sozialpädagogische Beratung, S. 107) zählen. Dem Überschreiten institutionalisierter Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten werde durch Therapie entgegengewirkt (ebd.). SozArb. sei für Subjekte zuständig, die aufgrund primärer Sozialisationserfahrungen prävalent würden; Sozialarbeit versuche, eine „Abwanderung“ aus der Sinnwelt zu verhindern (S. 113); ihre therapeutischen Maßnahmen bestünden in der kontrollierten, gemeinsamen Objektivierung und folglich der erneuten Internalisierung sozial valider Wahrnehmungs‑, Deutungs- und Handlungsalternativen; dies sei Re-Sozialisation (S. 114). Erfolgreich ist ihre Hilfe, wenn die Klient_innen sozialarbeiterisches Wissen übernehmen (S. 122) und damit die „Alltagsfähigkeit der Subjekte“ (wieder) hergestellt wird (S. 112). Aufgabe der SozArb. sei die Herstellung von Normalität (S. 211).

Weitere Überlegungen formuliert der Verfasser in den Kapiteln 4. und 5, bevor er mit einem Fazit (Kap. 6) schließt. Auf zwei der Irritationen, die sich dort ergeben, ist noch hinzuweisen: „Ich hatte Thierschs unorthodoxen und eklektizistischen Theoriegebrauch zuvor kritisiert, halte es jedoch für notwendig, ebenso vorzugehen“ (S. 129). Damit gibt der Autor unvermittelt ein zentrales Element seines Theorieprogramms auf. Unklar bleibt, warum er es überhaupt wenige Seiten zuvor postuliert hat. Unverständlich bleibt auch, dass er dies tut, um an die zeitdiagnostischen Überlegungen Becks zur „Krise der reflexiven Moderne“ anzuschließen (S. 129–145). Bestimmt der Verfasser doch als Aufgabe der SozArb. die (Wieder‑)Herstellung gesellschaftlich geteilter Sinnvorstellungen, Normalitätsannahmen u. ä. Diesem Verständnis wird durch Becks Zuspitzungen die Grundlage entzogen, konstatiert er doch das Fehlen bzw. Verfallen von Eindeutigkeiten, Normalität usw. und die Zunahme von Widersprüchlichkeiten, Ambiguität, Nicht-Wissen usw. Ein Einwand, der dem Autor schon begegnet ist, ihn zurückzuweisen gelingt ihm aber nicht.

Im Rahmen seiner Kritik an Staub-Bernasconis Theorie konstatiert der Verfasser die Notwenigkeit des Verzichts auf Sollensaussagen „zugunsten einer Analyse und theoretischen Fassung des empirisch Vorfindlichen. Hier wäre direkt die Frage anzuschließen, inwieweit und inwiefern eine wissenssoziologische Beschreibung der Sozialenarbeit diesem Anspruch standhält …“ (S. 195). Daran anschließend widmet er sich der Wertfreiheit, auf die mitgestellte Frage nach der Analyse des Vorfindlichen geht er nicht ein. Seine Theorie fundiert nicht auf einer Beschreibung der SozArb., die er analysiert – Verweise auf Eigentliches und Offensichtliches (S. 221) reichen nicht. Dass er stattdessen eine (strikte) Deduktion vorgenommen hat, lässt sich auch nicht sagen, vielmehr erfolgt nur eine „Zuordnung“ zu Überlegungen von Berger/Luckmann. Wie sich dabei SozArb. von Teufelsaustreibung, Psychiatrie, Psychologie unterscheidet, bleibt letztlich unklar. Aber es handelt sich um einen Entwurf – und eine Variante von L. Rössners Theorie –, dessen Provokationen fruchtbar wirken könnten.