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Mit der völlig neu überarbeiteten Auflage der bereits 2012 veröffentlichten Publikation Gender in der Sozialen Arbeit. Konzepte, Perspektiven, Basiswissen erscheint ein wegweisender Beitrag, der sowohl historische als auch aktuelle Erkenntnisse der interdisziplinären Geschlechterforschung für eine kritische Reflexion und Weiterentwicklung der Wissenschaft, Forschung und Praxis Sozialer Arbeit nutzt. Bereits mit dem Titel ‚Geschlechterperspektiven für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit‘ wird auf die Komplexität der Auseinandersetzung mit der sozialen Kategorie Geschlecht hingewiesen, die erforderlich ist, um „ein fundiertes Verständnis von Strukturen, Interaktionen und biographischem Gewordensein“ (S. 40) zu erlangen. Ein zentrales Anliegen der Publikation ist, „zu einem differenzierten und geschichtlich informierten Umgang mit Begriffen, Konzepten und kritischen Reflexionen über Geschlecht in der Sozialen Arbeit beizutragen“ (S. 6). Bemerkenswert in der gesamten Publikation ist der geschlechter- und diversitätsbewusste Umgang mit der Sprache; so verwendet die Autorin durchgängig das Geschlechtersternchen für den Plural wie auch für geschlechtlich konnotierte Gruppenbezeichnungen, „um auch trans*- und inter*geschlechtliche Menschen, sowie Personen, die sich als nicht-binär identifizieren, angemessen zu repräsentieren“ (S. 6) und Normvorstellungen, die sich in den Sprachgebrauch eingeschlichen haben in Frage zu stellen.

Die Publikation umfasst zehn Kapitel und nach jedem Kapitel werden drei bis vier Literaturhinweise für eine Vertiefung angegeben. Mit einem umfangreichen 20seitigen Literaturverzeichnis am Ende des Buches wird zudem auf die Fülle der verwendeten Quellen verwiesen. Zunächst wird im ersten Kapitel ein Überblick über die historischen und aktuellen Entwicklungen der Frauen*- und Geschlechterbewegungen wie auch der Geschlechterforschung und Geschlechterpolitik gegeben. Danach werden, im zweiten und umfangreichsten Kapitel, unterschiedliche geschlechtertheoretische Perspektiven und Dimensionen der Kategorie Geschlecht eingeführt und in ihrer Relevanz für die Soziale Arbeit erläutert: Geschlecht als Strukturkategorie, Geschlecht als soziale Konstruktion, Geschlecht als Konfliktkategorie, Geschlecht aus diskurstheoretischer, aus dekonstruktivistischer, aus intersektionaler, aus männlichkeitstheoretischer und aus sozialisationstheoretischer Perspektive. In den nächsten beiden Kapiteln (drei und vier) werden die Entwicklungen und Impulse der Frauen*bewegung(en) wie auch die Bedeutung der LGBTIQ*-Bewegungen für die Soziale Arbeit skizziert und die Anfänge und Entwicklungsprozesse der vergeschlechtlichten Profession Soziale Arbeit dargestellt. Im fünften Kapitel werden Geschlechterdifferenzierungen und -hierarchien im Kontext der Erwerbs- und Sorgearbeit thematisiert, dabei wird die Wirkmächtigkeit des Berufssystem in Bezug die Reproduktion hierarchischer Geschlechterverhältnisse – gerade auch in der Sozialen Arbeit – sichtbar gemacht. Die Bedeutung von Geschlecht als einer relationalen Kategorie wird in den darauf folgenden drei Kapiteln (sechs bis acht) exemplarisch in den Blick genommen. Ausgewählt werden dafür drei für die Soziale Arbeit zentrale gesellschaftliche Bereiche und Aufgaben: Bildung, Migration und Gewalt im Geschlechterverhältnis. Abschließend wird die Relevanz einer geschlechter- und diversitätsbewussten Sozialen Arbeit thematisiert, die zu einer kritischen Reflexion der eigenen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster herausfordert, um „Konstruktionen und Vorurteile, Abwertungen und Ausgrenzungen aufgrund von kulturalisierenden und geschlechtlichen Zuschreibungen, Ethnisierung, sexueller Orientierung, Alter, Behinderung und Krankheit“ (S. 142) in ihrer Wirkmächtigkeit zu erkennen. Plädiert wird im Ausblick dafür die „verschiedenen Dimensionen von Geschlecht“ als relationale Kategorie für die Analyse und Weiterentwicklung des „inter- bzw. transdisziplinäre Wissenschafts‑, Forschungs- und Berufsfeldes“ (S. 145) der Sozialen Arbeit zu nutzen.

Der Autorin ist es gelungen, zentrale Errungenschaften und Potenziale der Frauen*-, Geschlechter- und LGBTIQ*-bewegungen wie auch die damit in Verbindung stehenden Erkenntnisse der Frauen*- und Geschlechterforschung in ihrer historischen wie auch aktuellen Relevanz darzustellen und deren Beitrag zur Entwicklung und Etablierung einer intersektionalen Geschlechterperspektive in Wissenschaft und Praxis Sozialer Arbeit sichtbar zu machen. Eindrucksvoll ist, wie zentrale Begriffe von der Autorin z. B. Arbeit, Migration und Bildung und Gewalt im Geschlechterverhältnis konsequent in ihrem historischen Kontext hergeleitet und eingeordnet werden. Auch statistische Daten und empirische Studien werden zur Sichtbarmachung sozialer Ungleichheiten, Geschlechterhierarchien und Geschlechterordnungen genutzt. Beachtlich ist, dass trotz der kurzen Kapitel eine kritische und fundierte Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen und daraus resultierenden Herausforderungen für die Soziale Arbeit erfolgt. So wird z. B. der Kulturbegriff in den Migrationsdiskursen sehr kritisch in den Blick genommen und gezeigt, dass Konstruktionsprozesse von Kultur und Geschlecht in ihrer Verwobenheit und Homogenisierung besonders wirkmächtig sind. Deutlich wird mit der Publikation, dass ein Weiterdenken und Weiterentwickeln geschlechter- und diversitätsbewusster Handlungsansätze und Konzepte in der Sozialen Arbeit nur dann möglich ist, wenn die Differenziertheit und Komplexität der Kategorie Geschlecht als relationaler Kategorie aufgenommen und der wissenschaftskritische Anspruch von geschlechtertheoretischen Ansätzen in Wissenschaft und Forschung Sozialer Arbeit (an)erkannt wird. Das scheint anspruchsvoll, jedoch liefert die Autorin dafür genügend Basiswissen und Reflexionsimpulse.