Was tun, wenn ein Mitglied der sogenannten „Identitären Bewegung“ Soziale Arbeit studiert mit dem Ziel, Jugendarbeit für den rechten Nachwuchs mit staatlicher Anerkennung zu machen? Was tun, wenn in Lehrveranstaltungen rassistische Einstellungen Studierender zum Ausdruck kommen? Wie umgehen mit antimuslimischen Äußerungen von Professor_innen gegenüber Studierenden? Wie reagieren auf antifeministische Angriffe in Medien und Öffentlichkeit? Was antworten auf die Diskreditierung von Gender Studies und Inklusionsforschung durch die AfD? Auf welche Handlungsoptionen können Hochschulen im Umgang mit dem zunehmenden Rechtsextremismus zurückgreifen?

Der gegenwärtige politische Klimawandel – die Normalisierung antisemitischer, rassistischer, sozialdarwinistischer, antidemokratischer, antifeministischer und homophober Positionen – kommt, nachdem er die Praxis Sozialer Arbeit erreicht hat, nach und nach auch in den Hochschulen an. Dahinter steht nicht nur die Verbreitung von Ideologien der Ungleichwertigkeit bis hinein in die gesellschaftliche Mitte (vgl. Zick et al. 2019; Decker und Brähler 2018), sondern im Zuge der AfD-Wahlerfolge auch die Etablierung entsprechender Politiken auf parlamentarischer und institutioneller Ebene.

Die damit einhergehenden Veränderungen spüren zu allererst diejenigen, die zur direkten Zielscheibe werden. Rechte und rechtspopulistische Diskurse und Politiken greifen verschiedene Adressat_innengruppen Sozialer Arbeit an, das zeigt sich auch im Hörsaal gegenüber PoC und LGBTIQ-Studierenden und -Lehrenden. Im politischen Diskurs wird mancherorts bereits die Legitimität der sozialpolitischen und sozialarbeiterischen Unterstützung einzelner Gruppen infrage gestellt (vgl. u. a. Becker et al. 2019). Darüber hinaus schwächt eine Ignoranz gegenüber strukturell-angelegten Diskriminierungserfahrungen, die marginalisierte Gruppen machen, die sozialarbeiterische Praxis, bspw. von Angeboten der feministischen Mädchenarbeit sowie solchen der vielfaltsorientierten Bildungs- und Antidiskriminierungsarbeit. Zudem werden Praxisprojekte Sozialer Arbeit über Falschmeldungen diskreditiert und durch Forderungen nach „Neutralität“ eingeschüchtert. Damit werden die Notwendigkeit ihrer Tätigkeit und ihre Finanzierung zur Disposition gestellt. Vermehrt werden auch die Büroräume der Träger angegriffen oder einzelne Fachkräfte herausgehoben, beschimpft und bedroht. Zählungen im Bundesgebiet dokumentieren zudem eine gestiegene Zahl körperlicher Angriffe auf Mitglieder marginalisierter Gruppen (vgl. u. a. VBRG 2019).

Versuche, Freiheiten einzuschränken, zeigen sich auch auf der Ebene der Wissenschaftspolitik. So werden zum einen generell-wissenschaftsfeindliche Argumentationen laut und zum anderen einzelne Forschungsrichtungen dezidiert in Frage gestellt. Dies trifft u. a. die Geschlechter‑, Rassismus- und Migrationsforschung. Ihnen wird die Wissenschaftlichkeit abgesprochen, die Einstellung entsprechender Studiengänge gefordert und auch hier werden einzelne Personen, einzelne Forschende direkt unter Druck gesetzt. Diese Entwicklungen führen derzeit noch nicht zu weitreichenden Veränderungen im Bereich der Forschungsförderung, der Rechtsansprüche von Adressat_innen oder der Ausstattung der Einrichtungen Sozialer Arbeit. Dennoch sind neben den aktuellen Diskursverschiebungen und Einschüchterungseffekten langfristig auch sozial- und wissenschaftspolitische Neujustierungen erwartbar.

Als wissenschafts- und menschenrechtsorientierte Disziplin und Profession ist die Soziale Arbeit demgegenüber kein Blatt im Wind, sondern an fachlichen und ethischen Grundsätzen orientiert. Insofern stellt sich die Frage, welche Erfahrungen in Praxis und Hochschulen Sozialer Arbeit mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Erscheinungsformen gemacht werden, und welche Umgangsweisen hiermit entwickelt werden.

Hierzu liegt bislang erst ein geringer Debatten- und Forschungsstand vor. Nach einer ersten Debatte in Reaktion auf ein Arbeitspapier von Albert Scherr und Renate Bitzan (2007), das sich mit dem Auftauchen rechtsorientierter Studierender an den Hochschulen befasste, waren vor allem autoritäre (Otto und Sünker 2009; Bürgin und Eis 2019) und punitive (Oelkers 2013) Trends in der Sozialen Arbeit Thema. Seit 2016 wird die Herausforderung durch rechtspopulistische und rechtsextreme Einflussnahme verstärkter diskutiert, dies ist u. a. erkennbar an Positionspapieren (vgl. u. a. Paritätischer Wohlfahrtsverband 2018), wissenschaftlichen Veröffentlichungen (vgl. u. a. Sozialmagazin 2017; Lehnert und Radvan 2016, S. 109–120) und Tagungen (vgl. u. a. die hier besprochene Tagung der DGSA-Fachgruppen und eine Arbeitsgruppe im Rahmen der Tagung der Kommission Sozialpädagogik der DGfE im September 2019).

Dabei wird in Profession und Disziplin Sozialer Arbeit ähnlich wie in anderen Wissenschaften (vgl. u. a. suburban 1/2/2019) und sozialen Gruppen (vgl. u. a. Sauer et al. 2018) ein erhöhter Bedarf an Verständigung und Strategieentwicklung formuliert. Es geht darum, Verunsicherungen und Erfahrungen auszutauschen und zu diskutieren, wie der eigene Bereich von der Rechtsentwicklung betroffen ist, worin der eigene gesellschaftliche Auftrag besteht und welche Thematisierungsweisen und Reaktionsmöglichkeiten auf die Rechtsentwicklung offenstehen. Dieser Beitrag stellt Perspektiven und Fragestellungen einer Arbeitskonferenz dar, die die Fachgruppen „Gender“ sowie „Migration, Rassismus- und Antisemitismuskritik“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit vom 28. bis 29. März 2019 an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg ausrichteten. Die hier dokumentierten Positionen sind dem regen kollegialen Austausch zu verdanken. Unter den verschiedenen Dimensionen, die im Rahmen der Konferenz diskutiert wurden, sind insbesondere die Überlegungen zum gesellschaftlichen Auftrag von Disziplin und Profession sowie zum Professionalisierungsauftrag der Hochschulen und zu den gegenwärtigen wissenschaftspolitischen Problemlagen hervorzuheben.

Professionsethische und -politische Herausforderungen

Soziale Arbeit ist nicht neutral, sondern dem sozialpolitischen Ausgleich und den Grundrechten verpflichtet. Dies wird in den fachlichen und ethischen Standards der Sozialen Arbeit unterstrichen. Die Soziale Arbeit wird dort als an den Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit orientiert beschrieben. Grundlagen der professionellen Ethik finden sich gegenwärtig im internationalen Code of Ethics (IFSW 2012), in der Berufsethik des DBSH (2014) und des Avenir Social (2010) sowie in den Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen (Institut für Menschenrechte 2017). Zu den dort formulierten Prinzipien und Haltungen gehören:

  • Die Achtung der Würde aller Menschen,

  • die Achtung des Rechts auf Selbstbestimmung,

  • die Förderung von sozialer Gerechtigkeit,

  • die Förderung des Rechts auf Partizipation,

  • die Anerkennung von Diversität und Geschlechtergerechtigkeit,

  • der Auftrag zum Abbau von Diskriminierungen,

  • der Auftrag zur Ressourcenorientierung und zum Empowerment in der professionellen Arbeit sowie zur Förderung einer inklusiven Gesellschaft.

Diese Positionen stehen in einem eklatanten Widerspruch zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen. Während dies noch vergleichsweise klar erscheint, steht die Realisierung dieser Selbstverständnisse vor deutlich größeren Herausforderungen. Die formulierten generalistischen Standards müssen nicht nur situativ ausbuchstabiert, sondern auch in der Hochschulbildung gefördert werden: Wie können Positionierungen, die auch Impulse für die Haltungen von Studierenden und für den öffentlichen Diskurs darstellen, zunächst herausgebildet, dann auch sichtbar vertreten und didaktisch angemessen vermittelt werden? Wie können Bildungsprozesse gestaltet werden, die dazu beitragen, diese anzueignen (vgl. Kohlberg 1996)? Wie habitusrelevant ist die Hochschullehre überhaupt? Außerdem: Wie kann mit dem Dilemma umgegangen werden, dass es in der Sozialen Arbeit kaum Institutionen, Kommissionen, Kammern o. ä. gibt, die eklatante Verstöße sanktionieren können? Strafrechtliches Fehlverhalten lässt sich auf der rechtlichen Ebene ahnden, auf der fachlichen und ethischen Ebene sind neue Wege gefragt. Für die Hochschulen stellt sich diese Frage insbesondere für den Umgang mit Zweifeln an der Eignung von Studierenden und mit Blick auf Grenzen der staatlichen Anerkennung für den Beruf (Radvan und Schäuble 2019).

Inhaltliche und situative Herausforderungen in der Lehre

Im Fall diskriminierender, rechtspopulistischer und herabwürdigender Statements von Hochschulmitgliedern können sich Lehrende in Anlehnung an Paul Watzlawick nicht „nicht positionieren“. Ihre Positionen werden unvermeidlich deutlich: Nicht nur in ihren Publikationen, sondern auch wenn sie in der Lehre diskriminierende Aussagen bzw. Themenstellungen übergehen, diese setzen, bestätigen oder diesen widersprechen. Für den Umgang mit situativen Herausforderungen in der Lehre lassen sich keine allgemeingültigen Strategien formulieren. Einzelnen Situationen muss immer wieder neu begegnet werden. Hilfreich ist dabei jedoch zweifellos zunächst eine genaue Analyse des jeweiligen Aussagegehalts. Zudem sollte beachtet werden, welche Effekte entsprechende Äußerungen erzeugen (können), insbesondere wenn Personen anwesend sind, die von den aufgerufenen Herabwürdigungen und Ungleichheitsdiskursen betroffen sind. Für sie kann die kritische Thematisierung von Ungleichheitsideologien und -strukturen in der Lehre empowernd sein, sie kann aber auch ihre Zugehörigkeit zur Seminargruppe in Frage stellen, einen Positionierungsdruck auslösen oder sie kann sie zum Einnehmen einer diskriminierungsrelativierenden Perspektive zwingen, um so die eigene Zugehörigkeit zur Seminargruppe zu wahren. In den entsprechenden Lehrsituationen gilt es also, zugleich Bildungsprozesse zu fördern und (potentiell) Betroffene zu schützen.

In der argumentativen Auseinandersetzung können fachliche und ethische Standards der Profession und Disziplin sowie das Leitbild der eigenen Hochschule – in dem idealerweise Gerechtigkeit, Wertschätzung und Diskriminierungsfreiheit thematisiert werden – Orientierung bieten und die eigenen Argumente und Positionierungen stützen. Je nach Kollegium bestehen jedoch, so die Beobachtungen aus dem Austausch im Rahmen der Tagung, unterschiedlich stark ausgeprägte Kulturen des Hinhörens und Widersprechens und auch die einzelnen Lehrenden werden in sehr unterschiedlichem Maß als Personen mit Haltungen und Positionen sichtbar. Daher wird der Austausch in Kollegien, Arbeitszusammenhängen und Fachverbänden als hilfreich empfunden, um Verunsicherungen und Herausforderungen besprechen und gemeinsame Strategien erarbeiten zu können.

Besondere Herausforderungen ergeben sich an den Hochschulen, an denen Personen mit einem rechtsextremen Weltbild sich für ein Studium und eine künftige Tätigkeit in der Praxis der Sozialen Arbeit entscheiden. Hier müssen die Hochschulen, so ein Ergebnis der Tagung, bewusster mit ihren Grenzen umgehen und Schlüsse daraus ziehen, dass habituelle Veränderungen im Studienverlauf nur in sehr begrenztem Masse beförderbar sind (vgl. Radvan und Schäuble 2019, S. 223 ff..), gleichwohl aber eine Verantwortung gegenüber der Praxis und künftigen Adressat_innen besteht.

Herausforderungen im Kontext der Wissenschaftspolitik

In den Hochschulen sind derzeit insbesondere die Gender Studies und die Strategie des Gender Mainstreamings Gegenkampagnen ausgesetzt (zuletzt Schmidt in der NZZ vom 09.11.2019; vgl. auch Hark und Villa 2015), u. a. durch Forderungen der AfD, diesen die finanziellen Mittel zu streichen. Die Partei versucht damit Einfluss auf Fragen zu nehmen, die in der Freiheit der Hochschulen und nicht in der Zuständigkeit von Parlamenten liegen. Dies zeigt, dass die Angriffe auch solche auf die Wissenschaftsfreiheit und das Hochschulsystem allgemein darstellen. Erforderlich sind daher klare Positionierungen von Hochschulleitungen, Wissenschaftsministerien und der Forscher_innengemeinde, nicht zuletzt auch, um zu verhindern, dass andere Fachgebiete in ähnlicher Weise angegriffen werden. Ein Vorschlag zur Verankerung der angegriffenen Inhalte besteht in der „Förderung von Geschlechtergerechtigkeit als Qualitätsmerkmal guter wissenschaftlicher Praxis“, wie dies derzeit die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (bukof 2019) empfiehlt.

Kollegiale Vernetzung, Präzisierung eigener Werte und Bedarf einer aktiven Positionierung

Offenbar kommt der Handlungsdruck, der in der Praxislandschaft der Sozialen Arbeit bereits seit einigen Jahren deutlich wird und dort fachliche Positionierungen und Strategien zum Umgang mit Rechtsextremismus auslöst, in den Hochschulen erst nach und nach an. Auch erscheint der wissenschaftliche Bearbeitungsmodus, über (Grundlagen‑) Forschung zu einer wissenschaftlichen Positionsbildung beizutragen, angesichts der politischen Verschiebungen als zu wenig dynamisch, denn bereits jetzt sind die Wissenschaften und Hochschulen in politische Auseinandersetzungen verwickelt. Sie erfahren rechtspopulistische Einschüchterungen und werden unterwandert.

Entsprechend kann eine Sichtung der aktuellen „Turbulenzen im Elfenbeinturm“ nicht aufgeschoben werden, sondern muss „bei laufendem Betrieb“ stattfinden. Der Austausch unter Hochschullehrenden zeigt erstens, dass auf allen Ebenen hochschulischer Aktivitäten rechtspopulistische und -extreme Positionierungen beobachtbar sind: Im Hörsaal, in Gremiensitzungen, in der Öffentlichkeit und in der Wissenschafts-, sowie perspektivisch auch der Sozial- und Gleichstellungspolitik. Zweitens wird deutlich, dass ungleichwertigkeitsorientierte Praxen und Angriffe – auch wenn sie Personengruppen und Wissenschaftsbereiche unterschiedlich betreffen – das demokratische Wissenschaftssystem insgesamt in Frage stellen. Insofern sind Konzepte, die nur Einzelphänomene in den Blick nehmen, unzureichend: Mit der Nicht-Eignung einzelner Studierender können Lehrende nicht alleine umgehen. Ebenso kann eine Forschungsgruppe, die bspw. rassistischen Anwürfen ausgesetzt ist, sich ohne kollegialen und institutionellen Rückhalt nicht wirkungsvoll verteidigen.

Die bisher entwickelten Kooperationen und Austauschgelegenheiten erscheinen daher ausbaubedürftig. Es stehen deshalb neben individuellen und fachlichen Klärungsprozessen auch institutionelle und standortübergreifende Positionsbildungen an. Hochschulen, Fachgebiete und Fachgesellschaften sind herausgefordert, ihre demokratischen Grundlagen herauszuarbeiten und für sie einzustehen. Mit dem Verweis auf eine angebliche „Neutralität“ lassen sich die aktuellen Infragestellungen der Kernwerte der Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit nicht bearbeiten.