Zusammenfassung
Die große Zahl jüngst eingewanderter Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse hat den traditionell monolingual strukturierten Sozialstaat an die Grenze seiner Kommunikationsfähigkeit mit den neuen Einwohner_innen gebracht, so dass das Fachpersonal in den helfenden Berufen, aber auch in den Apparaten sozialer Kontrolle auf Sprachmittler_innen angewiesen ist. Der Beitrag skizziert Funktion, Ausgangslage, Rahmenbedingungen, Rollenzuweisungen und sozialrechtliche Defizite für den Einsatz dieser Sherpas des Migrationsmanagements.
Notes
Die aus der Linguistik zum Fremdsprachenlernen stammenden Begriffe „Sprachmittlung“ bzw. „Sprach- und Kulturmittlung“ (von der französischen Bezeichnung médiation linguistique et culturelle) bezeichnen jede Form der Übertragung von Inhalten geschriebener bzw. gesprochener Sprache aus einer Sprache in eine andere – unabhängig von der Qualifikation der Sprachmittler_innen. Dies umfasst sowohl die Tätigkeit studierter Dolmetscher_innen und Übersetzer_innen (meist staatlich geprüft und vereidigt) als auch die überwiegend mündlichen Übertragungsformen für Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse. Dabei haben sich aus der englischen Tradition des „community interpreting“ im deutschsprachigen Raum je nach Konzept und regionalen Zusammenschlüssen verschiedene Bezeichnungen entwickelt: Gemeindedolmetscher (Berlin-Brandenburg), Sprach- und Integrationsmittler (SprInt), Sprach- und Kommunikationsmittlung (SPuK), Kommunaldolmetscher in Österreich, interkulturelle Dolmetscher/Vermittler in der Schweiz. Vgl. auch Der Paritätische (2018).
Auf die entsprechende Diskriminierung der ca. 7,5 Mio. einheimischen „funktionalen Analphabeten“wird im folgenden nicht näher eingegangen.
Ein vergleichbare Relevanz hatten in den ersten Jahrzehnten der Arbeitsmigration einerseits Betriebsdolmetscher_innen sowie zweisprachige Gewerkschaftsmitglieder und andererseits die von Bund, Ländern und den Kirchen bis in die 90er Jahre finanzierten „ausländischer Sozialberater_innen“ in den drei „Betreuungsverbänden“ Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonisches Werk, bis dieses segregierte Sprachmittlungssystem disfunktional wurde (Puskeppeleit und Thränhardt 1990).
Um das eigene Machtgebiet zu verteidigen bzw. fremde Territorien zu erobern und um Geschäfte rund um den Globus betreiben zu können, war es schon immer notwendig, den (potentiellem) Freund oder Feind sprachlich-kulturell zu verstehen (Schweitzer 1994, S. 19 ff.) – nicht erst zur Eroberung und Kolonisierung Amerikas (Todorov 1985). Zu vergleichen wäre beispielsweise für Deutschland, wie hoch das Haushaltsvolumen für Sprachmittlung und die Zahl der qualifizierten Sprachmittler_innen ist, die a) zur sozialen und politischen Teilhabe im nationalem Rahmen und in der Entwicklungszusammenarbeit auf globaler Ebene beitragen oder b) Auslandseinsätze der Bundeswehr ermöglichen sowie für Justiz, Polizei und Verfassungsschutz zur Überwindung von Sprachgrenzen in der sogenannten „Ausländerkriminalität“ arbeiten.
Literatur
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Schweitzer, H. (1994). Der Mythos vom interkulturellen Lernen. Münster: Lit.
Schweitzer, H. (2018). Wenn der Staat mit seinem Deutsch (fast) am Ende ist – Chancen und Grenzen der neudeutschen Mehrsprachigkeit bei der Überwindung der Politik zur einsprachigen Assimilierung. In F. Gesemann & R. Roth (Hrsg.), Handbuch Lokale Integrationspolitik (S. 435–460). Wiesbaden: VS.
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Todorov, T. (1985). Die Eroberung Amerikas. Das Problem des anderen. Frankfurt.a.M: Suhrkamp.
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Schweitzer, H. Management by Sherpa. Sozial Extra 43, 88–91 (2019). https://doi.org/10.1007/s12054-019-00166-5
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