Dieser Schwerpunkt steht im Zeichen der Bundestagswahl und ihren Implikationen für Kinder- und Jugendhilfe, Sozialpädagogik bzw. Soziale Arbeit: Was bringen die Wahlen für die Soziale Arbeit, für die Kinder- und Jugendhilfe, für die Betroffenen und Beschäftigten? Ist ein bedeutsamer Wandel prognostizierbar? Was wird mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz im SGB VIII? Sind (Gesetzes-) Änderungen in die richtige Richtung zu erwarten? Oder verbleiben alle im Modus der erlernten neoliberalen Resignation, des technokratischen sowie „projektitischen“ Durchwurschtelns und des Dogmas der Alternativlosigkeit?

Was steht also sozialarbeiterisch und sozialpädagogisch zur Wahl? Was kann, darf, muss sich die Kinder- und Jugendhilfe von den Parteien erwarten? Wie betrachten die Parteien das Feld der Sozialen Arbeit, wo sehen sie Handlungsbedarf? Welche Versprechen und welche Vorgehensweisen lassen sich ermitteln? Können Fachkräfte und Institutionen mit der notwendigen ideellen und materiellen Würdigung rechnen? Werden Probleme erkannt und die Betroffenen mit einbezogen in Entscheidungsprozesse? Oder gilt auch hier nur die Fortsetzung der „marktkonformen Demokratie“ (Angela Merkel) in der Sozialen Arbeit als Nonplusultra aller politischer Programme?

Während sich manche nicht entscheiden können, ob sie „mehr Zeit für Gerechtigkeit“ oder „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ als Wahlkampfslogan wählen wollen, untersucht Ulrich Schneider das Verhältnis zwischen Gerechtigkeit und (Un-) Gleichheit. Dabei geht er der Frage nach, warum eine Mehrheit ständig Parteien wählt, die zur Verschärfung von Vermögensungleichheit im Lande beitragen und damit den Interessen der Bevölkerungsmehrheit zuwiderhandeln.

Verena Klomann und Barbara Schermaier-Stöckl nehmen Parteiprogramme unter die „SGB VIII-Reform-Lupe“. Leider finden sie dabei erstaunlich wenig Substanzielles. Daher kommen sie zu einem ernüchternden Ergebnis angesichts der vielen Kontroversen der letzten Jahre, z.B. um eine „große Reform“ des KJHG (z.B. bezüglich Inklusion).

Für Christian Dohmen lassen sich durch die Vorstellung wichtiger Forderungen der voraussichtlich ab September im Bundestag befindlichen Parteien deutliche Unterschiede erkennen. Zentrale Differenzen erblickt er in den Alternativen der Stärkung von Investitionen in öffentliche Daseinsvorsorge (und damit auch Soziale Arbeit, Kinder- und Jugendhilfe usw.) versus verstärkter Kürzungs- und Privatisierungskurs sowie in den Zukunftskonzepten einer Öffnung oder einer Schließung der Gesellschaft hinsichtlich der Nationalstaatlichkeit.

Wolfgang Hammer untersucht wesentliche Aspekte und Hintergründe, Strukturen und Auswirkungen der geplanten Jugendhilfe-Reformversuche der Bundesregierung. Nach deren fundierten Kritik weist er darauf hin, wie wichtig Kinder- und Elternrechte in der Kinder- und Jugendhilfe sind, und dass sie nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Er nennt auch Minimalstandards für die Neuauflage einer Jugendhilfe-Reform in der kommenden Legislaturperiode.

Schließlich betont Michael Klundt den enorm gewachsenen Reichtum dieser Gesellschaft, welcher bei den verschiedenen Finanzierungsfragen Sozialer Arbeit, Kinder- und Jugendhilfe oft zu kurz kommt. Die viele Probleme der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Sozialen Arbeit insgesamt maßgeblich mitverursachende (Kinder-) Armut sieht er als politisch zu verantwortende Form der Kindeswohlgefährdung an und setzt damit den Akzent auf eine notwendige inner- und außerparlamentarische Politisierung der Profession vor und nach Wahlen.

Die Autor_innen haben also unterschiedliche Vorstellungen davon, wie diese und andere Fragen der Sozialen Arbeit bezüglich der Bundestagswahl zu beurteilen sind. Allerdings sind sie zumindest darin einig, dass es bei dieser Bundestagswahl tatsächlich um etwas geht, dass sich alternative Konzepte gegenüberstehen. Manche wagen auch schon einen Blick in die sozialarbeiterische Mobilisierungsnotwendigkeit auch außerhalb der Parlamente nach der Bundestagswahl.