Am 26. Juni 2015 überreichte die Berliner Staatsekretärin für Jugend und Familie, Sigrid Klebba, im Auftrag des Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz an Manfred Kappeler. Die Verleihung erfolgte auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft ehemaliger Heimkinder, die Kappeler damit ihren Dank für seinen sich fast über 50 Jahre erstreckenden Einsatz für grundlegende Verbesserungen in der Heimerziehung und für seinen Kampf um die Anerkennung des Unrechts und des Leids, das Kindern und Jugendlichen in Heimen der Jugendhilfe zugefügt wurde, ausdrücken wollte. In diesem Zusammenhang hat er vor allem die Initiative ehemaliger Heimkinder in West und Ost unterstützt und sich mit ihnen für ihre gesellschaftliche Rehabilitation und Entschädigung eingesetzt.

Kappelers besondere Verdienste liegen darin, dass er Frauen und Männer, die als Kinder und Jugendliche in Heimen misshandelt und gedemütigt wurden, zugehört und ihren Darstellungen als einer der Ersten geglaubt hat. Er wusste, wie wichtig es ist, das seit Jahrzehnten herrschende Schweigen über die schrecklichen Erinnerungen und Erfahrungen zu durchbrechen, damit die traumatisierenden Folgen der Heimunterbringung der - heute bereits im Rentenalter stehenden - ehemaligen Heimkindern zumindest ansatzweise bewältigt werden können. Er hat aber nicht nur dazu beigetragen, die Betroffenen zum Reden und zum Aufschreiben ihrer Geschichte zu ermutigen, er hat auch um die vorbehaltlose Anerkennung des lange Verschwiegenen gekämpft. Er hat das Anliegen der ehemaligen Heimkinder auf der politischen Ebene und in Fachgremien, in den Medien und in der Öffentlichkeit mit unermüdlichem Einsatz vertreten und um die kompromisslose Wiedergutmachung der Vergangenheitsschuld — nicht zuletzt im Blick auf die in den Heimen vielfach ausgeübte sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gekämpft.

In den Redebeiträgen zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Manfred Kappeler kam aber nicht nur der tief empfundene Dank von Seiten der ehemaligen Heimkinder gegenüber dem ‚wunderbaren Pädagogen und Freund‘ zum Ausdruck, sondern auch die vielen Hürden und Widerstände, denen er bei seiner Arbeit ausgesetzt war. Dazu gehörten das langjährige Berufsverbot vor der Ernennung zum Professor an der TU Berlin und seine Ausgrenzung aus der Arbeit des ‚Runden Tisches‘ bei der Aufarbeitung der skandalösen Verhältnisse, die in Deutschland bis in die 1970er Jahre in der Mehrzahl der Heime vorherrschend waren. Der Festredner Wolfgang Bahr, der in seiner Jugend selbst Heimkind und später ein langjähriger Mitstreiter Kappelers war, hat aufgrund des steinigen Weges, den der jetzt endlich Hochgeehrte zurücklegen musste, besonders seinen Mut und seine Ausdauer, aber auch die große Solidarität hervorgehoben, durch die er von anderen gestützt und ermutigt wurde.

Ulrike Meinhof hat im Zuge ihrer Arbeiten an dem Film ‚Bambule‘ dem zuständigen Redakteur einen Brief geschrieben, in dem sie selbstkritisch anmerkte, wie sinnlos die Darstellung des ‚traurigen Schicksals‘ der in den Heimen kasernierten Mädchen durch Schauspielerinnen ist, solange die betroffenen Mädchen nicht selbst zu Wort kommen und die ‚Filmemacher‘ nicht persönlich zu konkretem solidarischen Handeln bereit sind. Dieser Brief wurde am Ende der Veranstaltung von Peter Wensierski vorgelesen und erinnerte noch einmal eindrücklich an die politischen Dimensionen der in den 1960er Jahre einsetzenden Heimkampagne. Und er erinnerte daran, dass es nicht die Fachöffentlichkeit, die Jugendämter und die Verbände waren, die 20 Jahre nach Kriegsende dem Terror in den Heimen ein Ende gesetzt haben, sondern eine von ‚linksaußen‘ herangetragene Veröffentlichung und Skandalisierung der Zustände in den Heimen.

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(v.l.) Peter Bringmann-Henselder, Prof. Dr. Manfred Kappeler, Peter Wensierski, alle drei Träger des Bundesverdienstkreuzes aufgrund ihres Einsatzes für die ehemaligen Heimkinder