Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene, im Volksmund als „Hartz IV“ bezeichnete Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt hat den Wohlfahrtsstaat und damit auch die Soziale Arbeit in Deutschland tiefgreifend verändert. Durch die als „Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe“ (Gerhard Schröder) verharmloste Abschaffung der Ersteren wurden mehrere hunderttausend LeistungsbezieherInnen auf das Fürsorgeniveau herabgedrückt, vor allem Familien wegen Pauschalierung der neuen Transferleistung ohne bedarfsgerechte Hilfe durch die Grundsicherungsträger gelassen und viele Kinder zur Armut verurteilt. Erwerbslose ebenso wie Beschäftigte sollten nicht mehr auf das „soziale Netz“ vertrauen, sondern sich wieder stärker der Marktlogik unterwerfen und als „moderne Arbeitskraftunternehmer“ (Pongratz/Voß) selbst Verantwortung für ihren wirtschaftlichen Erfolg übernehmen.

Hartz IV ist ein Symbol für die Transformation des Sozialstaates in einen Minimalstaat, der sich Langzeiterwerbslosen und anderen Leistungsbedürftigen gegenüber weniger fördernd als herausfordernd verhält. Diese gibt er vor, besser als bisher motivieren und ggf. „aktivieren“ zu wollen, weicht aber vor der Kollektivverantwortung für ihr Schicksal zurück. Nicht die angebliche Lethargie der Langzeiterwerbslosen ist nämlich das Problem, sondern die mangelnde Empathie der Gesellschaft, in der sie leben. Bei den Rufen nach mehr „Privatinitiative“, „Eigenverantwortlichkeit“ und „Selbstvorsorge“ handelt es sich um (Leer-) Formeln, die von Gegnern des Wohlfahrtsstaates missbraucht werden, um Leistungen zu kürzen und Bedürftige sozial auszugrenzen.

War die Arbeitslosenhilfe bisher das ausschließlich von früher manchmal ihr ganzes Leben lang Beschäftigten bewohnte Souterrain des Wohlfahrtsstaates, fanden sich ihre BezieherInnen nunmehr zusammen mit anderen Erwerbsfähigen, die vorher möglicherweise nie einen Arbeitsplatz hatten, in einem „Hartz IV“ genannten Gemeinschaftskeller des sozialen Sicherungssystems wieder, ohne dass eine Treppe nach oben den Betroffenen die Möglichkeit zum Aufstieg böte. Durch die Hartz-Gesetze wurde also nicht bloß der Sozialstaatsgedanke pervertiert, vielmehr auch die Idee der Leistungsgerechtigkeit konterkariert. Denn selbst wer über Jahrzehnte hinweg Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hatte, wurde nicht mehr durch seinen Arbeitslosenhilfeanspruch gegenüber einem Schulabgänger bessergestellt, der keine Stelle fand, sondern musste sich wie dieser mit dem Arbeitslosengeld-II-Bezug zufrieden geben. Das neue Arbeitslosengeld II war im Grunde nur eine leicht modifizierte HLU-Version für erwerbsfähige Hilfebedürftige.

Nur auf den ersten Blick scheint es so, als sei die „Agenda“-Politik eine wahre Erfolgsgeschichte. Schaut man genauer hin, ergibt sich ein anderes Bild: Ökonomisch hat sie den „Standort D“ weiter gestärkt, was die wirtschaftliche Unwucht zwischen der Bundesrepublik und Ländern der südlichen EU-Peripherie (Griechenland, Spanien und Portugal) verschärfte und entscheidend zur dortigen „Staatsschuldenkrise“ beitrug. In sozialer Hinsicht wirkten die rot-grünen Reformen verheerend, weil sie zu einer bis dahin unvorstellbar krassen Verteilungsschieflage bei den Einkommen und Vermögen führten, von der perspektivisch Gefahren für den inneren Frieden und die Demokratie ausgehen. Mit der Agenda 2010 war der Abschied vom tradierten kontinentaleuropäischen Sozialmodell verbunden, das auf Konsens, der Tarifpartnerschaft und Solidarität basiert, vielmehr auch von uralten Parteitraditionen, was die SPD die Kanzlerschaft, sechs Ministerpräsidentenposten, ein Drittel ihrer Mitglieder und die Hälfte ihrer Wählerstimmen kostete.