Wohnen, betrifft uns alle, wenngleich in unterschiedlicher Brisanz. Wer mit offenen Augen und Ohren durch die sozialräumlich segregierten Viertel unserer Städte geht, wer Medienberichte über Verkauf, Aufwertung oder Abriss von Wohnraum, über skrupellose Praktiken von Investoren und global agierenden Finanzmarktakteuren und die (Re-) Aktionen von MieterInneninitiativen, lokalen Bündnissen und Recht-auf-Stadt-Bewegungen verfolgt, kommt an der Wohnungsfrage eigentlich nicht (mehr) vorbei: Das Menschenrecht auf Wohnen (Artikel 25, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) wird täglich verletzt. Die BAG Wohnungslosenhilfe spricht von über 400.000 Menschen, die 2012 in der BRD wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht waren.

Wohnungsnot in Deutschland? Ist das nicht übertrieben? Auf einem Fachtag des Bremer Aktionsbündnisses Menschenrecht auf Wohnen verkündete ein Regierungsverantwortlicher, dass es in Bremen keine Wohnungsnot gebe; er selbst habe schließlich ohne Probleme eine Wohnung gefunden. Kaum verwunderlich, denn die Ware Wohnraum kann sich nur leisten, wer über ausreichend Kapital verfügt. Doch wo bleibt der Rest?

Wozu also der Ruf nach einem „Wohnungs-Mainstreaming“? Wohnungsbezogene Menschenrechtsverletzungen wirken bis in die sogenannte „gesellschaftliche Mitte“ hinein: MieterInnen werden durch Mieterhöhungen und z.T. gewalttätig zum Auszug genötigt und aus ihrem Lebensraum verdrängt; Familien arrangieren sich in überbelegten Wohnungen oder müssen jahrzehntelang in verfallenden, schimmelnden, zugigen Gebäuden leben, weil die Eigentümer keinen Cent in die Instandsetzung investieren. Freiwillig ausziehen? Oft unmöglich: menschenwürdiges Wohnen ist eine Frage des Geldbeutels; Nachfrage und Profitgier ermöglichen maßlose Mietpreissteigerungen, MieterInnen sind erpress- und austauschbar. Diskriminierungen erschweren die Wohnungssuche: Erwerbslose, Verschuldete, ALG-II-Empfänger, Geflüchtete, Migrantisierte, Alleinerziehende, psychisch Kranke — sie finden nur schwer eine angemessene Bleibe. Nicht immer sind derartige Menschenrechtsverletzungen sichtbar, viele Betroffene leiden im Stillen; in der öffentlichen Meinung herrscht die Individualisierungs-These „Selbst Schuld!“ Reicht es also aus, wenn Soziale Arbeit sich (in Arbeitsfeldern wie Streetwork, Wohnungslosenhilfe oder GWA) damit befasst, Auswirkungen von Wohnungsnot — im Einzelfall — zu lindern?

Die Wohnungsnot hat System, denn sie ist profitabel. Dies endlich zu thematisieren, wäre eine dringende Aufgabe Sozialer Arbeit. Mit Wohnraum wird gehandelt und spekuliert. Menschenrechte? Weit gefehlt: Rendite und/oder Haushaltskonsolidierung sind leitende Koordinaten, auch für Stadtpolitik. Hier offenbart sich, wie Fragen sozialer Gerechtigkeit gewichtet werden: Hochglanzbroschürentaugliche Stadtmarketing-Kampagnen und eine rege Neubautätigkeit im Hochpreissegment entlarven stadtenwicklungspolitische Prioritäten. Kommunen überlassen ihre (noch verbliebenen) Gestaltungsräume dem freien Spiel der Kräfte (durch Ausverkauf öffentlichen Baugrundes und kommunaler Wohnungsbestände gleich im Großpaket: jüngst haben als Teil eines solchen allein in Bremen wieder 9.000 Wohnungen den Eigentümer gewechselt). Mittels Wohnpolitik ließen sich Weichenstellungen vornehmen, die der sich verschärfenden Not und Ausschließung ganzer Bevölkerungsgruppen Einhalt gebieten könnten. Gewiss — die Verwertungslogik müsste durchbrochen werden. Hierfür braucht es lautstarke, hartnäckige und durchsetzungswillige Interessen-Bündnisse, die Druck auf Politik ausüben. Soziale Stadtpolitik braucht eine alternative Wohnungspolitik — Soziale Arbeit ist (auch) hier gefragt!