Die schwarz-gelbe Koalition hat Klientelpolitik pur betrieben: es begann mit dem „Mövenpick-Gesetz“, das die Mehrwertsteuer für Übernachtungen — auf Drängen der CSU und peinlicherweise nach einer Millionenspende des Hotelkettenbesitzers August von Finck an die FDP — im Sinne des Gastgewerbes ermäßigte, und reichte über großzügige Neuregelungen für niedergelassene Ärzte, die Privilegierung von Vermietern und Investoren des Immobiliensektors durch eine Mietrechtsnovelle sowie die massive Erhöhung der Zahl jener angeblich besonders energieintensiver und dem internationalen Wettbewerb ausgesetzter Unternehmen, die auf Kosten normaler Haushalte von der EEG-Umlage befreit wurden, bis zur hemdsärmeligen Verhinderung die deutsche Automobilindustrie störender Abgasnormen auf EU-Ebene. Gegen einige Bundesländer wurde auch eine Teilprivatisierung des Autobahnbaus durchgepaukt.

Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung, so lautete das heimliche Regierungsprogramm der CDU/CSU/FDP-Koalition. Obwohl sie im Koalitionsvertrag unter dem Titel „Wachstum — Bildung — Zusammenhalt“ versprochen hatten, sozialen Fortschritt durch gesellschaftliche Kohäsion und Solidarität verwirklichen zu wollen, machten CDU, CSU und FDP eine Regierungspolitik nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. Und wer nur wenig hat, dem wird auch das zumindest teilweise noch genommen. Erinnert sei an die Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-BezieherInnen, denen auch das unsinnige Betreuungsgeld auf ihre Transferleistung angerechnet wird.

Geistig-moralisch wie intellektuell bedeutete die CDU/CSU/FDP-Koalition einen weiteren Niveauverlust: Der damalige Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle sprach im Hinblick auf Hartz-IV-Bezieher von „anstrengungslosem Wohlstand“, obwohl seine Regierung mit ihrer Erbschaftsteuerreform kurz vorher dafür gesorgt hatte, dass die Witwen und Waisen von Familienunternehmern einen ganzen Konzern erben können, ohne auch nur einen einzigen Cent betriebliche Erbschaftsteuer zahlen zu müssen. Dieser Vorgang markierte einen neuen Tiefpunkt des sozialen Klimas wie der politischen Kultur im Nachkriegsdeutschland. Wie ein Mantra behandelte die „bürgerliche Wunschkoalition“ (Westerwelle) den Satz, dass sich Leistung wieder lohnen sollte. Es ist aber gerade keine Leistung, Sohn oder Tochter eines Milliardärs zu sein!

Obwohl die Frage der sozialen Gerechtigkeit und soziale Probleme wie die Altersarmut im Bundestagswahlkampf 2013 eine nicht unwesentliche Rolle spielten, wurde die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in Vergangenheit und Zukunft kaum thematisiert. Außer der LINKEN hat keine Partei die Sozialreformen des letzten Jahrzehnts problematisiert, schon gar nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Noch weniger im Mittelpunkt der Diskussion stand die Zukunft der Sozialsysteme. Dabei befindet sich die Wohlfahrtsstaatsentwicklung an einer historischen Wegscheide: Entweder wird der „Um-“ bzw. Abbau des sozialen Sicherungssystems, welcher Mitte der 1970er-Jahre begann, in der nächsten Großen Koalition fortgesetzt und der Übergang vom Sozialversicherungsstaat à la Bismarck zu einem Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat besiegelt oder ein Neuanfang in Richtung seiner Rekonstruktion und seines Ausbaus zu einer solidarischen Bürgerversicherung gewagt, die außer der Union alle im Bundestag vertretenen Parteien auf ihre Fahnen geschrieben haben.