Deutschlands gesellschaftliche Eliten sind sich einig: die demografische Entwicklung sowie die durch die Euro-Krise gestärkte Konjunktur führen bereits in einzelnen Regionen und Branchen zu einem Fachkräftemangel. Im Wettbewerb „um die besten Köpfe“ muss sich die Bundesrepublik auch entsprechend den EU-Vorgaben als Einwanderungsland anerkennen. Dazu ist hier eine „Willlkommenskultur“ zu etablieren, die von allen öffentlichen Institutionen glaubwürdig vertreten (Bertelsmann-Stiftung 2012) und von der Bevölkerung im Alltag gelebt wird (BAMF 2013). Dabei auch aus Südosteuropa fliehende Roma einzuschließen, ist eine besondere Herausforderung.

Am 9.11.2013, dem Gedenktag der Reichsprogromnacht, brüllten in der SPD-Hochburg Duisburg-Neumühl ca. 30 angereiste Anhänger der rechtspopulistischen Partei Pro NRW vor einem leerstehenden ehemaligen Krankenhaus „Kein Asyl in Neumühl“. Im August war das Gerücht aufgekommen, dort sollten 500 Roma untergebracht werden. „Warum habt Ihr das Krankenhaus immer noch nicht angezündet?“ frotzelte Mario, der lokale Scharfmacher, seine Nachbarn. Einer von ihnen berichtete von einem bulgarischen Arbeitskollegen, der es bedauere, dass die Deutschen den Roma vor 70 Jahren nicht völlig den Garaus gemacht hätten.

Fachkräfte aus Bulgarien und Rumänien finden hier einen Job, wenn auch oft zu prekären Bedingungen und niedrigem Lohn. Offensichtlich nicht willkommen sind jedoch die noch nicht den Anforderungen der modernen Arbeitsgesellschaft entsprechenden Roma. Ob sie nun aus den EU-Beitrittskandidaten Serbien und Mazedonien kommen - ohne Chance auf Asyl - oder als EU-Bürger aus Bulgarien und Rumänien einreisen, für die ab 1.1.2014 die Arbeitnehmerfreizügigkeit uneingeschränkt gilt: Sie entfliehen den schwierigen Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern, in denen sie als konstruierte Gruppe z.T. ethnisch bzw. rassisch verfolgt und/oder sozial diskriminiert werden (s. Beitrag A. Scherr) und hoffen im prosperierenden Deutschland auf eine bessere Zukunft für sich und ihre bildungshungrigen Kinder (s. Beitrag M. Zander). Ihre — bislang sehr begrenzte - Auswanderung aus Südosteuropa kommt den dortigen Regierungen und den sie stützenden Wählergruppen entgegen. Trotz ihrer inneren Differenzierung sind Roma inzwischen Teil der politischen und finanziellen „Verhandlungsmasse“ innerhalb der EU-Gremien sowie mit den EU-Beitrittskandidaten (Ruiz Torres 2013).

Zwar sind 90 Prozent der ca. 20.000 Asylantragsteller aus Serbien und Mazedonien zwischen dem 1.1.12 und dem 30.9.13 nach Angaben des Bundes (www.bamf.de) Roma. Sie reisen nach regelmäßiger Ablehnung ihres Asylantrags und rechtskräftig gewordener Ausweisung meist freiwillig aus, um später einen Folgeantrag stellen zu können. Aber wie viele unter den im gleichen Zeitraum netto zugewanderten ca. 70.000 EU-Staatsangehörigen aus Bulgarien und Rumänien sich als Roma definieren, keinen Arbeitnehmer- oder Studentenstatus haben, sondern wie andere EU-Bürger mit gleichen Rechten vom deutschen Staat nur Kindergeldleistungen erhalten, weiß niemand genau.

Die Aufregung der Einheimischen entzündet sich hauptsächlich an Fremdheitserfahrungen: am Informationsmangel über die Müllabfuhr, über Rechte und Pflichten als (Ver-) Mieter, am Krach der Kinder und „herumhängender“ Jugendlicher im Sommer und vor überfüllten Wohnungen. Seit der Deutsche Städtetag im Februar 2013 einen Alarmruf in die Öffentlichkeit schickte (http://www.staedetag.de), werden durch die Medien zusätzlich Ängste geschürt, z.B. wenn von strafunmündigen Kindern Geld oder Schmuck an der Haustür, auf der Straße oder am Bankautomaten abgegriffen und die Beute an erwachsene kriminelle Hintermänner abgeliefert wird.

Wirklich betroffen sind in Deutschland bislang nur wenige Viertel in einigen Großstädten mit einer für türkischsprachige Roma nützlichen Infrastruktur, in der man ohne Schulabschluss, Berufsausbildung oder reguläres Beschäftigungsverhältnis überleben kann. Anziehend wirken neben relativ besseren Einkommensmöglichkeiten vor allem Schrottimmobilien dubioser Besitzer, die ihre Bruchbuden als Meldeadresse und Matratzenlager an mittellose und kinderreiche Roma-Familien vermieten (s. Interview mit Vertretern einer Stadtteilinitiative und einer Roma-Vermittlerin über die Lebensbedingungen der aus Bulgarien und Rumänien zugezogenen Roma, über die Konflikte mit Nicht-Roma und über Voraussetzungen für eine positive gemeinsame Zukunft).