Nun stehen sie also fest, die Kontrahenten der beiden großen Parteien im Bundestagswahlkampf 2013. Die Medien überschlagen sich bereits mit Debatten darüber, wie groß die Chancen einer Großen, Rot-Grünen, Schwarz-Gelben oder einer „Jamaika“-Koalition sein könnten. Die wichtigsten Wahlkampfthemen scheinen auch schon festgezurrt: Eurokrise, demographischer Wandel, Zukunft der Renten und Bändigung der Finanzindustrie sind wohl die zu erwartenden Schlagworte.

Also alles schon klar? Aber nein, da war ja noch was: Knapp zehn Millionen Menschen in Deutschland, Tendenz steigend, warten auf entscheidende Schritte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK). Zwar hat Deutschland bereits vor drei Jahren die BRK unterzeichnet, doch ist auf Bundesebene bisher viel zu wenig zur Umsetzung der Konvention passiert. Der vorliegende Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der BRK ist als Richtschnur für eine fortschrittliche Behindertenpolitik in den nächsten Jahren nicht geeignet. Die großen Probleme und Herausforderungen werden darin, genauso wie in der Bundespolitik der letzten Jahre, großzügig umschifft, so dass es viele „behindertenpolitische Baustellen“ gibt.

Besorgniserregend ist zum Beispiel die Situation schwerbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt. Nach wie vor ziehen es viele Unternehmen vor, die Ausgleichsabgabe zahlen, als die vorgeschriebene Beschäftigungsquote vollständig zu erfüllen. Dass dies so ist, hat seinen Grund auch in der Benachteiligung behinderter Menschen im deutschen Bildungssystem. Im deutschen Schulsystem gibt es noch viel zu viele Sonderstrukturen und Barrieren, die zur Ausgrenzung von behinderten Kindern führen. So können bundesweit nur 22 Prozent aller behinderten Kinder eine Regelschule besuchen.

Auch die lang ausstehende Reform der Eingliederungshilfe muss nun endlich begonnen werden. Die bisherige Form der Eingliederungshilfe widerspricht den Vorgaben der BRK. Leistungen der Eingliederungshilfe müssen sich zukünftig am individuell festgestellten Bedarf der Menschen orientieren und nicht an Vorgaben durch Einrichtungen. Auch muss die Eingliederungshilfe der Zukunft einkommens- und vermögensunabhängig gestaltet werden.

Aber selbst das gleichberechtigte Wahlrecht ist nicht für alle Menschen in diesem Land gegeben. Es steht zu befürchten, dass auch bei der Bundestagswahl 2013 nicht alle behinderten Menschen in Deutschland wählen können. So sind derzeit noch die Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen, die einen Betreuer für die Erledigung aller ihrer Angelegenheiten haben. Auch diese Menschen müssen zukünftig das Recht haben, gleichberechtigt wählen zu dürfen. Es müssen deshalb Voraussetzungen geschaffen werden, damit behinderte Menschen mit einer Betreuung dieses Recht in der Praxis tatsächlich ausüben können. Aber auch unverständliche Wahlinformationen und -programme, nicht barrierefreie Websites und nicht zugängliche Wahllokale erschweren die gleichberechtigte Teilhabe an Wahlen.

Der Deutsche Behindertenrat hat völlig zu Recht daraufhin gewiesen, dass auch die Behindertenpolitik keinen Stillstand verträgt. Es bleibt zu hoffen, dass im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013 auch die Umsetzung der BRK und das Ziel der Chancengleichheit und gleichberechtigten beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe für behinderte Menschen breit thematisiert wird und nicht als Randthema untergeht.

Angela Merkel, Peer Steinbrück und die übrigen Kandidaten müssen klar Stellung beziehen, wie sie zukünftig dafür Sorge tragen wollen, dass die Ziele der BRK in Deutschland Stück für Stück Realität werden. Das Ziel der inklusiven Gesellschaft für alle muss zum ernstgemeinten gesamtgesellschaftlichen Auftrag werden. Der Bundestagswahlkampf bietet die Chance, dies zu thematisieren und breit zu diskutieren. Nutzen wir diese Chance!