Während die humangenetische Forschung und Diagnostik spätestens seit der Entdeckung von Typ 1 Kollagen Mutationen als Ursache der Osteogenesis imperfecta (OI) in den 80er Jahren einen festen Platz in der pädiatrischen Osteologie hat, spielte sie bis vor Kurzem in der Erwachsenen-Osteologie kaum eine Rolle. Dies lag einerseits daran, dass die Diagnose der Early-Onset Osteoporose (EOOP) – wenn sie als klinisches Merkmal allein stand – hinsichtlich einer zugrundeliegenden Pathologie schwer einzuordnen und damit eine Einzelgenanalyse wenig erfolgversprechend war. Andererseits wurde selbst bei klinischem Verdacht auf Vorliegen einer OI häufig auf eine molekulargenetische Bestätigung verzichtet, u. a. mit Hinweis auf die vormals hohen Kosten (103 Exons für COL1A1 und COL1A2). Ein Argument, das sich seit Einführung des Next Generation Sequencing (NGS) in der molekulargenetischen Diagnostik erheblich relativiert hat. Zudem war den behandelnden KollegInnen erwachsener PatientInnen mit Knochenkrankheiten oft die klinische Relevanz eines Mutationsbefundes zu gering. Dies lag vor allem daran, dass dabei „klinische Relevanz“ mit „therapeutischer Konsequenz“ gleichgesetzt wurde. Lange Zeit waren in der Tat die Therapie-Optionen für die Krankheitsentität EOOP sehr beschränkt. Bei fast allen Formen von erhöhter Frakturneigung waren die Bisphosphonate das Mittel der Wahl, bzw. die einzig vorhandene Option. PatientInnen mit Hypophosphatämie wurden durch Gabe von Phosphat und bei Bedarf mittels operativer Korrektureingriffe behandelt, während man bei PatientInnen mit Hypophosphatasie vor allem auf die Schmerztherapie fokussierte. Bei anderen Erkrankungen wie der Fibrodysplasia ossificans progressiva gab es noch nicht einmal diese symptomatisch palliativen Ansätze. In den letzten Jahren konnten jedoch entscheidende Fortschritte in der medikamentösen Therapie verschiedener seltener Knochenkrankheiten erzielt werden, die unter anderem in diesem Themenheft vorgestellt werden sollen.

Meist stellt ein klarer Mutationsbefund die Zugangsvoraussetzung für eine solche Therapie dar, was u. a. die Nachfrage nach genetischer Diagnostik spürbar erhöht hat. Darüber hinaus haben sich interdisziplinäre Strukturen gebildet, die für ÄrztInnen von und PatientInnen mit seltenen Knochenkrankheiten als AnsprechpartnerInnen fungieren und eine Plattform für den Austausch klinischer und wissenschaftlicher Expertise bilden. Hier ist das National Bone Board zu nennen, das von Prof. Dr. med. Michael Amling zusammen mit PD Dr. med. Ralf Oheim ins Leben gerufen wurde. Darüber hinaus hat sich innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Osteologie das Netzwerk seltene Osteopathien (NetsOs) formiert. Wir sehen die monogenen Knochenkrankheiten als Schrittmacher für die Etablierung der humangenetischen Diagnostik und personalisierten Therapie für PatientenInnen mit systemischen Knochenerkrankungen. Nur auf Basis dieser Erfahrungen wird es möglich sein, dieses Prinzip auch auf komplexe Knochenkrankheiten, allen voran die Altersosteoporose, auszuweiten. Dies wiederum setzt weitere Anstrengungen bei der Klassifizierung und Integration seltener und häufiger genetischer Varianten in einen übergreifenden Risiko- und Pathway-Score voraus. Die Osteologie ist hier ein Paradebeispiel für die schrittweise Integration der Humangenetik in die klinische Routine, wie sie derzeit in vielen Bereichen zu sehen ist. Es bleibt zu hoffen, dass dem hierdurch gestiegenen und weiter steigenden Bedarf an humangenetischer Kompetenz auch systemisch durch vermehrte Anstrengungen in Ausbildung und Nachwuchsförderung sowie Verbesserung der Versorgungsstruktur, z. B. durch Anpassung der aktuell absurd geringen Anzahl humangenetischer Facharztsitze, begegnet wird.

FormalPara Nützliche Links

http://www.dgosteo.de/netsos/initiative

www.boneboard.de