Zusammenfassung
Hintergrund
Die Grundlage der arteriellen Hypertonie bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten ist multifaktorieller, zum großen Teil umweltbedingter Genese und derzeit in der Routinediagnostik nicht sinnvoll molekulargenetisch untersuchbar. Bei einem kleinen Teil der Patienten (<1 %) ist die arterielle Hypertonie aber Folge hereditärer, monogener Defekte. Hierzu gehören das Liddle-Syndrom, familiärer Hyperaldosteronismus, apparenter Mineralkortikoidexzess und Pseudohypoaldosteronismus. Diese und andere hereditäre Hypertonien gehen pathomechanistisch auf Störungen in den renalen Regelkreisen der Elektrolyt- und Volumenhomöostase zurück.
Ziel der Arbeit
Die bekannten Typen der hereditären Hypertonien sollen verständlich und schematisch erläutert werden. Besonderer Fokus liegt dabei auch auf dem klinischen Bild der jeweiligen Unterformen sowie der therapeutischen Konsequenz, die sich in dieser Krankheitsgruppe direkt aus dem molekulargenetischen Befund ergeben kann. Eine Auswahl weiterer genetischer Syndrome mit arterieller Hypertonie als Begleit- oder Spätsymptom wird zusammenfassend behandelt.
Fazit
Die korrekte Diagnose eines Betroffenen mit einer Form der hier beschriebenen hereditären Hypertonien ermöglicht eine gezielte und effektive medikamentöse Therapie auf Basis der inzwischen insgesamt gut verstandenen jeweiligen Pathomechanismen.
Abstract
Background
The cause of arterial hypertension in most patients is multifactorial, largely influenced by environmental factors, and currently not testable in routine molecular genetic diagnostics to a clinically useful degree. In a small subset of patients (<1%) however, arterial hypertension is a consequence of hereditary monogenic defects. These include Liddle syndrome, familial hyperaldosteronism, apparent mineralocorticoid excess, and pseudohypoaldosteronism. Pathomechanistically, these and other hereditary forms of hypertension can be traced back to disturbances in the renal regulatory systems of electrolyte and volume homeostasis.
Objectives
The currently known types of hereditary hypertension are explained in a simplified, mechanistically oriented way. This review will also focus on the clinical presentation of the forms of hereditary hypertension discussed and the therapeutic considerations that may arise directly from the molecular genetic testing results. A selection of additional genetic syndromes in which arterial hypertension is a secondary manifestation will be summarized.
Conclusions
The correct diagnosis of a patient with a form of the hereditary hypertension described here enables a targeted and effective pharmacological therapy based on the now generally well-understood pathomechanisms.
Einleitung
Die arterielle Hypertonie ist eine hochprävalente Erkrankung und betrifft in der deutschen Bevölkerung etwa jeden dritten Menschen [23]. Neben einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse stellt Bluthochdruck weltweit auch den zweithäufigsten Grund einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz dar [8]. Begünstigende Einflussfaktoren der primären oder essentiellen Hypertonie (ca. 90 % aller Hypertoniker) sind unter anderem erhöhtes Alter, Nikotin- und Alkoholkonsum, Übergewicht, familiäre Belastung und Diabetes [4]. Genomweite Assoziationsstudien mit mehreren Hunderttausend Patienten haben in den letzten Jahren zahlreiche genetische Einflussfaktoren der essentiellen Hypertonie aufdecken können, die aber in der Summe nach jetzigem Kenntnisstand nur wenige Prozent der beobachteten Variabilität erklären [34]. Die erblichen Komponenten der essentiellen Hypertonie sind noch nicht vollständig aufgeklärt und deshalb auch im Rahmen der genetischen Routinediagnostik nicht in klinisch sinnvollem oder therapierelevantem Maße untersuchbar. Die genetischen Hintergründe der essentiellen Hypertonie werden in diesem Übersichtsartikel nicht weiter im Detail behandelt.
Etwa 10 % der hypertensiven Patienten haben eine sekundäre Hypertonieform [26]. Der Anteil sekundärer Hypertonien ist unter jüngeren Patienten nochmals deutlich höher. Von Betroffenen <20 Jahren leidet die Mehrheit (50–60 %) an einer sekundären Hypertonie[12]. Zu dieser Krankheitsgruppe gehören beispielsweise Nierenarterienstenosen, Schlaf-Apnoe-Syndrom, primärer Hyperaldosteronismus, Phäochromozytome, Hyperthyreose oder Hyperkortisolismus. Gerade bei sekundären Hypertonieformen ist der potenzielle therapeutische Nutzen einer gezielten Intervention oder medikamentösen Behandlung enorm.
Monogene Formen der arteriellen Hypertonie („hereditäre Hypertonien“ im engeren Sinne) werden pathophysiologisch den sekundären Hypertonien zugeordnet. Obwohl keine systematischen Studien zur kumulativen Häufigkeit von hereditären Hypertonien in der Gesamtbevölkerung existieren, dürfte ihr Anteil an sekundären Hypertonien in der Größenordnung von 1–2 % liegen [1, 14]. Der Anteil hereditärer Hypertonien am Gesamtkollektiv hypertensiver Patienten liegt dementsprechend in der Größenordnung von 1:1000, ist aber höher unter jüngeren Patienten.
Hintergrund
Die Blutdruckregulation durch die Nieren findet maßgeblich über die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) statt. Die Zellen des juxtaglomerulären Apparats des Nephrons sezernieren das Enzym Renin u. a. als Reaktion auf eine abfallende glomeruläre Filtrationsrate (GFR), durch direkte β‑adrenerge Stimulation, sowie als Reaktion auf einen niedrigen arteriellen Blutdruck. Renin führt im Blut als geschwindigkeitslimitierender Faktor zusammen mit dem Angiotensin-Converting Enzyme (ACE) über mehrere Zwischenschritte zur Aktivierung von Angiotensin II (AT-II). AT-II wiederum induziert in der Zona glomerulosa der Nebennierenrinde die Bildung und Ausschüttung des Mineralkortikoidhormons Aldosteron, welches vielseitige blutdrucksteigernde Effekte hat. Hyperkaliämie ist ein weiterer potenter Reiz für die Aldosteronsekretion. In den Nieren führt Aldosteron nun über die Hochregulation der Expression des Natrium-Chlorid-Kotransporters (NCC) und des epithelialen Natriumkanals (ENaC) in der apikalen Zellmembran der distalen Tubulus- und Sammelrohrzellen zu einer Natrium- und Flüssigkeitsrückresorption. Die Wiederaufnahme der positiv geladenen Na+-Ionen aus dem Lumen des Sammelrohres treibt über den so entstehenden elektrochemischen Gradienten die Sekretion von K+- und H+-Ionen an; diese Ionen gehen dem Körper unter Aldosteroneinfluss also vermehrt verloren.
Nahezu alle bekannten hereditären Hypertonien betreffen pathomechanistisch direkt oder indirekt diese Regelkreise der renalen Elektrolyt- und/oder Flüssigkeitshomöostase. Der hypertensive Effekt entsteht bei diesen Erkrankungen auf zweierlei Weise:
-
A.
Durch eine erhöhte mineralkortikoide Wirkung, z. B. vermehrte Aldosteronausschüttung (familiärer Hyperaldosteronismus Typ I–IV, PASNA-Syndrom [„primary aldosteronism, seizures and neurologic abnormalities“, PASNA]), Synthese von Steroidvorstufen mit mineralkortikoidem Effekt (17α- und 11β-Hydroxylasemangel) oder Verlust der Aldosteronspezifität des renalen Mineralkortikoidrezeptors (apparenter Mineralkortikoidexzess, Hypertonus mit Exazerbation in der Schwangerschaft).
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B.
Durch eine pathologisch erhöhte Aktivität rückresorbierender Ionenkanäle des renotubulären Systems, z. B. durch reduzierten intrazellulären Abbau (Liddle-Syndrom), erhöhte Expression an der Zelloberfläche (Pseudohypoaldosteronismus Typ II) oder erhöhte Offenwahrscheinlichkeit der Kanäle (auch Liddle-Syndrom).
Alle genannten Formen gehen mit einer supprimierten Plasma-Renin-Aktivität einher. Die gemeinsame Endstrecke dieser Dysregulationen ist eine intravasale Volumenexpansion und arterielle Hypertonie.
A. Erhöhte mineralkortikoide Wirkung
A1. Vermehrte Aldosteronausschüttung
Ein primärer Hyperaldosteronismus (PH) als Ursache einer sekundären Hypertonie entsteht zum Beispiel infolge einer idiopathischen bilateralen Nebennierenrindenhyperplasie oder eines sporadischen Aldosteron produzierenden Adenoms. Es gibt jedoch auch z. T. deutliche familiäre Häufungen von Betroffenen mit PH, die an einer monogenen Form des Hyperaldosteronismus leiden. Insgesamt werden fünf Unterarten des familiären Hyperaldosteronismus unterschieden, die allesamt einem autosomal-dominanten Erbgang folgen. Biochemisch wird ein PH durch einen erhöhten Quotienten aus Aldosteronkonzentration und Plasma-Renin-Aktivität („aldosterone-to-renin ratio“, ARR) im Blut diagnostiziert.
A1.1 Familiärer Hyperaldosteronismus Typ I
Der familiäre Hyperaldosteronismus Typ I (FH1, OMIM #103900) ist die erste und zugleich häufigste hereditäre Hypertonie, deren genetische Basis bisher aufgeklärt werden konnte [17].
Die Expression des CYP11B1-Gens (Steroid-11β-Hydroxylase) in der Zona fasciculata der Nebennierenrinde führt zur Synthese von Glukokortikoiden und steht physiologischerweise unter der Kontrolle des adrenokortikotropen Hormons (ACTH) der Adenohypophyse. Die Synthese von Aldosteron geschieht hingegen in der Zona glomerulosa durch Expression von CYP11B2 (Aldosteronsynthase) und wird durch die Wirkung von Angiotensin II oder durch Hyperkaliämie induziert.
Die Ursache des FH1 ist ein chimäres Fusionsgen, bestehend aus Teilen der auf Chromosom 8 benachbart liegenden Gene CYP11B1 und CYP11B2. Durch ungleiches „crossing-over“ und Fusion der ACTH-responsiven 5′-Regionen des CYP11B1-Gens mit der Aldosteronsynthasedomäne des CYP11B2-Gens kommt es zur pathologischen, ACTH-abhängigen und AT-II-entkoppelten Produktion von Aldosteron in der adrenalen Zona fasciculata (Abb. 1). Die sehr hohe Homologie dieser beiden Gene zueinander begünstigt dieses ungleiche „crossing-over“. Berichte von unterschiedlichen Familien mit jeweils verschiedenen Rekombinationen belegen, dass die Mutation mehrfach unabhängig neu entstanden ist [6, 17].
Die Erstmanifestation liegt im Kindes- bis Jugendlichenalter. Patienten mit dieser Form der Hypertonie können zusätzlich eine Hypokaliämie und Alkalose aufweisen, diese Begleitsymptome sind aber fakultativ und fehlen bei milderen Fällen [6]. Die Expressivität ist auch intrafamiliär variabel. Es wurde eine erhöhte Inzidenz von intrakraniellen Blutungen und hämorrhagischen Insulten bei FH1 berichtet [18]. Alle hypertensiven Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus <20 Jahre sollten auf FH1 untersucht werden [10]. Die genetische Diagnose ist per Long-Range-PCR unkompliziert und schnell möglich [15].
Die kausale Therapie des FH1 ist eine niedrig dosierte Glukokortikoidsubstitution (z. B. Dexamethason), um die hypophysäre ACTH-Sekretion zu unterdrücken. Mit Wegfall des ACTH-Stimulus sistiert die unphysiologische Aldosteronsynthese. Aus diesem Grund wird diese Hypertonieform auch „Glukokortikoid-supprimierbarer Hyperaldosteronismus“ genannt. Um Glukokortikoide einzusparen, kann der Therapie Spironolacton hinzugefügt werden.
A1.2 Familiärer Hyperaldosteronismus Typ II
Der familiäre Hyperaldosteronismus Typ II (FH2, OMIM #605635) ist rein klinisch nicht vom FH1 unterscheidbar, lässt sich aber nicht durch Glukokortikoidsubstitution therapieren. In der Familie, in der FH2 erstmals klinisch beschrieben wurde [33], konnte jüngst CLCN2 als ursächliches Gen identifiziert werden [30]. Es ist noch unklar, welcher Anteil der vormals als FH2 diagnostizierten Patienten tatsächlich durch Mutationen in CLCN2 erklärt ist. CLCN2 kodiert ClC-2, einen spannungsabhängigen Chloridkanal in den Aldosteron produzierenden Zellen der Nebennierenrinde. Die bisher identifizierten heterozygoten Mutationen in CLCN2 sind Gain-of-function-Mutationen und führen zu einer erhöhten Offenwahrscheinlichkeit des ClC-2-Kanals [30]. Mit Öffnung von ClC-2 kommt es durch Chloridausstrom zur Membrandepolarisation und mittelbar zur Initiierung der Aldosteronsynthese (Abb. 2). Eine inadäquat hohe Aldosteronproduktion ist die Folge. In der Therapie des FH2 sind Aldosteronantagonisten effektiv.
A1.3 Familiärer Hyperaldosteronismus Typ III
Typ III des familiären Hyperaldosteronismus (FH3, OMIM #613677) wird durch konstitutionelle heterozygote Gain-of-function-Mutationen in KCNJ5 verursacht [5]. Rekurrente somatische Gain-of-function-Mutationen in KCNJ5 finden sich auch in ca. 40 % aller sporadischen Aldosteron produzierenden Adenome. Folge dieser Mutationen ist ein Selektivitätsverlust des von KCNJ5 kodierten und in der Zellmembran Aldosteron produzierender Zellen exprimierten Kaliumkanals GIRK4. Eine erhöhte Permeabilität des mutierten Kanals für Na+-Ionen bewirkt eine Membrandepolarisation, die wiederum über Zwischenschritte die Aldosteronsynthese aktiviert (Abb. 2).
Der klinische Phänotyp des FH3 ist meist deutlich schwerer als bei anderen Formen des familiären Hyperaldosteronismus[21]. Patienten fallen in der Regel im Kleinkindesalter mit Hypokaliämie, Alkalose und schwerer arterieller Hypertonie auf. Bei der Mehrzahl der Patienten findet sich eine bilaterale Nebennierenhyperplasie. Ein Therapieversuch mit Aldosteronantagonisten sollte unternommen werden – schwere Fälle zeigen sich jedoch z. T. hierauf resistent und benötigen eine bilaterale Adrenalektomie zur adäquaten Kontrolle ihres Blutdrucks.
A1.4 Familiärer Hyperaldosteronismus Typ IV
Eine weitere Form, der familiäre Hyperaldosteronismus Typ IV (FH4, OMIM #617027), wurde 2015 bei fünf nicht verwandten Patienten in einem Kollektiv von Kindern mit frühmanifestem (<10 Jahre) Hyperaldosteronismus erstmals beschrieben [29]. Ursächlich sind heterozygote Gain-of-function-Mutationen im Gen CACNA1H, welches für einen T‑Typ-Kalziumkanal (T = transient) in Aldosteron produzierenden Zellen kodiert. Die bisher detektierten Mutationen führen zu einer deutlich verlängerten Inaktivierungszeit der Kanäle und zu einem erhöhten Kalziuminflux in die Zelle, der eine inadäquat gesteigerte Aldosteronproduktion bewirkt (Abb. 2). Patienten mit FH4 werden im Kindes- bis Jugendlichenalter symptomatisch. Es besteht in der Regel keine makroskopische Nebennierenhyperplasie. Die Penetranz des FH4 ist vermutlich hoch, aber nicht vollständig [29]. Aldosteronantagonisten sind die Mittel der Wahl, allerdings ist aufgrund der Seltenheit der Erkrankung derzeit noch nicht klar, bei welchem Anteil der Patienten diese medikamentöse Monotherapie ausreichend ist. Die Wirksamkeit von Kalziumkanalblockern bei Patienten mit FH4 ist noch unzureichend untersucht.
A1.5 PASNA-Syndrom
Eine ähnliche Form der hereditären Hypertonie ist das sog. PASNA-Syndrom (OMIM #615474). Hierbei ist das Gen CACNA1D, welches einen L‑Typ-Kalziumkanal (L = langandauernd) kodiert, von heterozygoten Gain-of-function-Mutationen betroffen [28]. Einzelne Patienten sind beschrieben. Der Pathomechanismus hinsichtlich der Hypertonie entspricht weitgehend dem des FH4, jedoch treten zusätzliche extraadrenale Manifestationen, insbesondere Epilepsie, spastische Bewegungsstörungen und Intelligenzminderung auf. Auch wurden Gain-of-function-Mutationen in CACNA1D mit Autismus bzw. hyperinsulinämer Hypoglykämie assoziiert [7, 25]. Als Grund für das breitere phänotypische Spektrum wird die stärkere zerebrale Expression und insgesamt höhere Konduktivität des L‑Typ-Kalziumkanals gegenüber dem T‑Typ-Kalziumkanal angenommen. Ein Patient mit PASNA-Syndrom zeigte ein sehr gutes Ansprechen des Blutdrucks auf eine Therapie mit dem Kalziumkanalblocker Amlodipin [28].
A2. Synthese von Steroidvorstufen mit mineralkortikoidem Effekt
In dieser Gruppe sind der 17α-Hydroxylasemangel (17-OHD, OMIM #202110) und der 11β-Hydroxylasemangel (11-OHD, OMIM #202010) von Bedeutung. Bei beiden handelt es sich um seltene Subtypen des autosomal-rezessiven adrenogenitalen Syndroms (AGS). Der 11-OHD macht etwa 5 % aller AGS aus, der 17-OHD ist nochmals deutlich seltener (<1 % aller AGS) [24]. Beiden Formen ist eine mangelnde Kortisolsynthese aufgrund der jeweiligen Enzymdefizienz gemeinsam. Unter reaktiv erhöhter ACTH-Stimulation produzieren die Nebennieren vermehrt Steroidvorstufen wie das Desoxykortikosteron (DOC), die eine mineralkortikoide Wirkung haben (Abb. 3) und diagnostisch im Blut bestimmt werden können.
Sowohl der 11-OHD als auch der 17-OHD führen zu Hypertonie, Alkalose und Hypokaliämie, abhängig von der jeweiligen enzymatischen Restfunktion. Patienten mit 17-OHD weisen zudem eine reduzierte Synthese von Geschlechtshormonen auf. Bei weiblichen Betroffenen äußert sich dies in einem hypergonadotropen Hypogonadismus mit Amenorrhoe und Pubertas tarda, bei chromosomal männlichen Betroffenen mit intersexuellem oder phänotypisch weiblichem äußeren Genitale bei Geburt. Beim 11-OHD kommt es hingegen spiegelbildlich zur erhöhten Produktion von Geschlechtshormonen: Weibliche Betroffene zeigen eine Virilisierung bis hin zu intersexuellem Genitale, männliche Betroffene entwickeln eine Pubertas praecox. Eine medikamentöse Glukokortikoidsubstitution (und Geschlechtshormonsubstitution im Falle der 17-OHD) korrigiert den endokrinologischen Phänotyp durch Supprimierung der pathologischen ACTH-Stimulation.
A3. Spezifitätsverlust des renalen Mineralkortikoidrezeptors
A3.1 Syndrom des apparenten Mineralkortikoidexzesses
Der renale Mineralkortikoidrezeptor (MR) lässt sich in vitro sowohl durch Aldosteron als auch durch Kortisol aktivieren [9]. In vivo findet jedoch eine Aktivierung des renalen MR durch Kortisol dank des Enzyms 11β-Hydroxysteroiddehydrogenase Typ II (HSD11B2) nicht statt. Aufgabe dieses renal und gastrointestinal exprimierten Enzyms ist der Umsatz des bioaktiven Kortisols in sein inaktives Metabolit Kortison, bevor es zur Bindung von Kortisol an den MR kommen kann. Bei dem autosomal-rezessiven AME (apparenter Mineralkortikoidexzess; OMIM #218030) ist die Enzymfunktion der HSD11B2 durch Loss-of-function-Mutationen im gleichnamigen Gen reduziert, sodass die HSD11B2 vermittelte Aldosteronselektivität des MR verloren geht. Es resultiert eine unphysiologische Aktivierung des renalen MR durch Kortisol. Diagnostisch wegweisend ist ein hoher Kortisol/Kortison-Quotient im Urin.
AME tritt bereits im Kleinkindesalter auf und geht mit z. T. schwerer Alkalose und Hypokaliämie einher. Zusätzlich besteht eine Hyperkalziurie mit Neigung zur Nephrolithiasis [20]. Aldosteronantagonisten, optimalerweise in Kombination mit Salzrestriktion, sind wirksam.
A3.2 Hypertonus mit Exazerbation in der Schwangerschaft
Für diese äußerst seltene autosomal-dominante hereditäre Hypertonie (OMIM #605115) wurde bis dato nur eine Familie mit 12 Betroffenen beschrieben[11]. Ursächlich ist die Gain-of-function-Mutation Ser810Leu des Mineralkortikoidrezeptor-Gens NR3C2. Diese Mutation führt zu einer permanenten mittelgradigen Aktivierung des MR sowie zu einem Spezifitätsverlust der Ligandenbindungsstelle. Sowohl Progesteron wie auch andere Steroide aktivieren den mutierten MR.
Betroffene Männer und Frauen haben eine frühmanifeste schwere Hypertonie. Typisch und namensgebend ist eine deutliche Exazerbation der Hypertonie während der Schwangerschaft, induziert durch die um ein Vielfaches steigende Progesteronkonzentrationen im Blut der Schwangeren.
Spironolacton/Eplerenon sind kontraindiziert, da auch sie einen aktivierenden Effekt auf den mutierten MR haben. Die bisher beschriebenen Betroffenen wurden mit Thiaziden, kaliumsparenden Diuretika und Salzrestriktion behandelt. Bei Schwangeren mit unkontrollierbarer Exazerbation des Hypertonus ist die Entbindung des Feten die einzige Behandlungsoption. Neuere, derzeit in Phase-III-Studien befindliche MR-Blocker wirken auch antagonistisch auf den Ser810Leu-MR [2] und könnten sich möglicherweise zur antihypertensiven Therapie dieser Patienten eignen.
B. Erhöhte Aktivität renotubulärer Ionenkanäle
B1. Liddle-Syndrom
Das autosomal-dominante Liddle-Syndrom (OMIM #177200) wurde erstmals 1963 in einer Familie mit frühmanifester Hypertonie und Hypokaliämie beschrieben [16]. Als genetische Grundlage wurden seit 1994 bis heute mehrere Gain-of-function-Mutationen in den Genen SCNN1A, SCNN1B und SCNN1G – entsprechend den drei Untereinheiten des epithelialen Natriumkanals (ENaC) in den Hauptzellen des Sammelrohres – identifiziert [13, 27, 32]. Die beschriebenen Mutationen in SCNN1B und SCNN1G liegen am intrazellulären C‑Terminus des kodierten Proteins und zerstören ein Bindungsmotiv, über das ENaC dem proteasomalen Abbau zugeführt wird. Die Anzahl membranständiger ENaC steigt und die Na+-Resorption (sekundär auch die Wasserrückaufnahme) im Sammelrohr nimmt zu (Abb. 4). Die einzige bisher berichtete Liddle assoziierte Mutation in SCNN1A (Cys479Arg) betrifft den extrazellulären Teil des ENaC und erhöht die Offenwahrscheinlichkeit des Kanals.
Der Phänotyp des Liddle-Syndroms ist ein hyporeninämer, hypoaldosteronämer Bluthochdruck im Kindes- bis jungen Erwachsenenalter. Alkalose und Hypokaliämie sind meist milde ausgeprägt. Da die erhöhte Na+-Rückresorption nicht Aldosteron vermittelt ist, sind Aldosteronantagonisten nicht wirksam. Die kaliumsparenden Diuretika Amilorid und Triamteren blockieren ENaC direkt und sind die Mittel der Wahl in diesen Patienten. Der Behandlungserfolg ist in der Regel gut.
B2. Pseudohypoaldosteronismus Typ II (PHA2)
Der PHA2, auch Gordon-Syndrom genannt, hat derzeit fünf genetisch unterscheidbare Subtypen (PHA2A-E, OMIM PS145260), die autosomal-dominant erblich sind. Der Typ D ist zusätzlich auch autosomal-rezessiv erblich. Die Ursache des PHA2A ist nicht bekannt, Linkagestudien zeigen eine Assoziation zur chromosomalen Region 1q31-q42 [19]. PHA2B wird durch heterozygote Mutationen in WNK4, PHA2C durch heterozygote Mutationen in WNK1 ausgelöst. Sowohl in WNK4 als auch in WNK1 sind Gain-of-function-Mutationen ursächlich. Beide Gene kodieren für sog. WNK-Kinasen, die u. a. in den Tubuluszellen des distalen Konvoluts die apikale Expression des Thiazid sensitiven Natrium-Chlorid-Kotransporters (NCC) und im aufsteigenden Schenkel der Henle’schen Schleife den Natrium-Kalium-2Chlorid-Kotransporter (NKCC2) positiv regulieren [35]. PHA2D entsteht durch mono- oder biallelische Loss-of-function-Mutationen in KLHL3, PHA2E durch heterozygote Loss-of-function-Mutationen in CUL3. KLHL3 und CUL3 kodieren für zwei Proteine, die beide Teil des sog. E3-Ligase-Komplexes sind, dessen Funktion die Ubiquitinylierung der WNK-Kinasen beinhaltet [31]. Eine reduzierte Aktivität dieses Komplexes führt also wiederum zu einer Funktionssteigerung der WNK-Kinasen mit pathologisch erhöhter apikaler Expression von NCC und NKCC2 (Abb. 5). Na+, Cl– und K+ werden vermehrt resorbiert, saure Valenzen in Form von H+ aufgrund eines reduzierten elektrochemischen Gradienten im Sammelrohr weniger sezerniert.
Alle Subformen des PHA2 gehen typischerweise mit Hyperchlorämie, Hyperkaliämie und Azidose einher. Renin ist supprimiert, Aldosteron aber aufgrund des stimulatorischen Effekts der Hyperkaliämie meist normwertig oder erhöht. Patienten mit Mutationen in WNK1, WNK4 und KLHL3 haben eine eher spätere Manifestation im Jugendlichen- oder jungen Erwachsenenalter. Der CUL3-assoziierte PHA2E tritt im Kindesalter auf und führt im Mittel zu größeren metabolischen Abweichungen als die anderen Subtypen [3]. In der Therapie werden Thiazide zur Blockade des NCC eingesetzt und normalisieren die Elektrolytabweichungen und den Hypertonus bei fast allen Patienten.
Ähnliche Elektrolytabweichungen wie beim PHA2 bestehen auch beim Typ I des Pseudohypoaldosteronismus (PHA1). PHA1 geht aber nicht mit einer Hypertonie einher, sondern mit Neigung zur hyperreninämen Hypotonie und renalem Salzverlust. Ursächlich sind heterozygote pathogene Varianten in NR3C2 sowie biallelische pathogene Varianten in SCNN1A, SCNN1B oder SCNN1G – hier allerdings im Gegensatz zum Liddle-Syndrom als Loss-of-function-Mutationen.
Weitere Syndrome mit Hypertonus als Begleitsymptom
Eine arterielle Hypertonie ist Begleit- oder Spätsymptom in zahlreichen monogenen Syndromen. Eine Auswahl von besonders relevanten Erkrankungen ist in Tab. 1 zusammengestellt.
Resümee
Hereditäre Hypertonien sind seltene genetische Erkrankungen, die – anders als die essentielle Hypertonie – vor allem junge Menschen betreffen. Die korrekte klinische und genetische Zuordnung zu einem der hier beschriebenen Syndrome hat für Patienten eine direkte, unmittelbare therapeutische Konsequenz, da sich die meisten hereditären Hypertonien kausal und effektiv behandeln lassen.
Die hier genannten Formen der monogenen arteriellen Hypertonie sind in Tab. 2 nochmals zusammenfassend gegenübergestellt.
Fazit für die Praxis
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Hereditäre, monogene Hypertonien entstehen durch eine erhöhte Mineralkortikoidwirkung oder eine inadäquat gesteigerte Aktivität der Ionenkanäle des renalen Tubulussystems.
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Alle nichtsyndromalen Formen sind typischerweise hyporeninäm.
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Sie betreffen vor allem junge Erwachsene und Kinder.
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Bei dieser Patientengruppe sollte frühzeitig eine genetische Diagnostik erwogen werden, da sich daraus bei positivem Testergebnis eine direkte therapeutische Relevanz mit unmittelbarem Benefit für den Patienten ergibt.
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Konkret sollten auch alle hypertensiven Patienten mit primärem Hyperaldosteronismus unter 20 Jahren auf familiären Hyperaldosteronismus Typ I getestet werden.
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Elektrolytverschiebungen sind bei vielen Formen nicht obligat und ihr Fehlen kann in die Irre führen.
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Die Expressivität ist variabel – ein (noch) normaler Blutdruck bei einem Verwandten eines Betroffenen schließt die Diagnose i. d. R. nicht sicher aus.
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F. Erger gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Erger, F. Monogene Formen der arteriellen Hypertonie. medgen 30, 391–399 (2018). https://doi.org/10.1007/s11825-018-0217-z
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