Zusammenfassung
Die klinische Diagnose erblicher Tumorsyndrome ist ein wesentlicher Bestandteil der humangenetischen Beratung. Bei seltenen Syndromen, die mit einem breiten Spektrum an Tumoren und phänotypischen Überschneidungen einhergehen, ist dies nicht immer einfach. In diesem Artikel sollen deshalb die typischen und wegweisenden Merkmale der wichtigsten seltenen Tumordispositionssyndrome mit breitem Tumorspektrum herausgearbeitet werden. Hierzu gehören der Carney-Komplex, das Cowden-Syndrom, die juvenile Polyposis, das Li-Fraumeni-Syndrom und das Peutz-Jeghers-Syndrom. Darüber hinaus sind auch die derzeit empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen dargestellt, die meist eine interdisziplinäre Betreuung der Patienten erforderlich machen.
Abstract
The clinical diagnosis of hereditary cancer syndromes is a significant component of genetic counseling. Rare cancer syndromes, which can be associated with a wide spectrum of tumor types and phenotypic overlap, may make this difficult. This article presents the leading characteristic and ground-breaking features of the most important rare cancer syndromes with a wide spectrum of tumor types, including Carney complex, Cowden syndrome, juvenile polyposis, Li–Fraumeni syndrome, and Peutz–Jeghers syndrome. Additionally, the current surveillance strategies are shown, which in most cases require an interdisciplinary approach to the patients.
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Das Tumorspektrum der einzelnen Tumordispositionssyndrome wird durch neue Publikationen auch untypischer Verläufe stetig erweitert, so dass die diagnostische Zuordnung im klinischen Alltag schwieriger wird. Dieser Beitrag soll einen Überblick über einige Tumorsyndrome mit breitem Tumorspektrum geben und eine Hilfestellung leisten, durch welche typischen Merkmale diese im klinischen Kontext abzugrenzen sind.
Cowden-Syndrom
Das autosomal-dominant vererbte Cowden-Syndrom (CS) zeichnet sich v. a. durch Trichilemmome, papillomatöse Papeln (vgl. Abb. 1) und akrale/palmoplantare Keratosen sowie Tumorerkrankungen der Brust, der Schilddrüse und des Endometriums aus. Bei einem Großteil der Patienten besteht zudem eine Makrozephalie.
Ursächlich finden sich beim CS Veränderungen in PTEN. Bei 30 % der Cowden-like-Patienten, welche die klinischen Kriterien ohne Nachweis einer PTEN-Mutation erfüllen, wurde eine ursächliche Methylierung des KLLN-Promotors gefunden [3], bei 10 % lagen Veränderungen in SDHB, SDHC und SDHD vor, bei weiteren 10 % Mutationen in PIK3CA oder AKT1, selten in SEC23B (letztere v. a. bei Patienten mit Schilddrüsenkarzinom) [18, 31]. Die Inzidenz des CS wird auf mindestens 1:200.000 geschätzt, bei über der Hälfte handelt es sich um sporadische Fälle, der Anteil der Neumutationen ist unklar.
Weitere PTEN-assoziierte Krankheitsbilder werden zusammen mit dem CS unter dem Begriff des PTEN-Hamartoma-Tumor-Syndroms (PHTS) zusammengefasst: Zum Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom (BRRS) gehören bereits im Kindesalter eine Makrozephalie, gastrointestinale hamartomatöse Polypen, Lipome, hyperpigmentierte Flecken der Glans penis sowie in ca. 50 % eine Intelligenzminderung. Bei Patienten mit einem BRRS und einer PTEN-Mutation wird von einem ähnlichen Tumorspektrum wie beim CS ausgegangen. Zum Teil wurden PTEN-Mutationen bei Patienten mit einem Proteus-like-Syndrom beschrieben (s. Beitrag von Spier „Überwuchssyndrome durch Mutationsmosaike im PI3K-AKT-Signalweg“ in diesem Schwerpunkt).
Es gibt inzwischen eine Reihe von Studien, die sich den Tumorrisiken beim CS widmen. Allerdings unterliegen viele dieser Studien einem Bias bei der Erfassung der Patienten, sodass die ermittelten Risiken nur eingeschränkt gültig sind.
Bei etwa 2/3 der CS-Patientinnen finden sich Fibroadenome der Brust. Das Lebenszeitrisiko (LZR) für Brustkrebs wird mit 85 % angegeben, die Hälfte der Betroffenen erkrankt bereits vor dem 50. Lebensjahr (LJ) [25], eine Risikoerhöhung für männliche Anlageträger wird nicht beschrieben. Dazu kommen gutartige uterine Fibrome sowie ein erhöhtes LZR (ca. 28 %) für prä- und postmenopausale Endometriumkarzinome [25].
Eine Struma nodosa oder follikuläre Adenome der Schilddrüse finden sich bei etwa 3/4 der CS-Patienten, für Schilddrüsenkarzinome (meist follikuläre oder seltener papilläre, jedoch nie medulläre) besteht ein LZR von etwa 35 % [25].
Gastrointestinale Polypen finden sich bei über 90 %, histologisch meist hamartomatöse Polypen ohne Entartungsrisiko. Es finden sich jedoch auch andere Polypenhistologien (insbesondere Ganglioneurome, juvenile Polypen, hyperplastische Polypen und Adenome), welche ein erhöhtes Darmkrebsrisiko (ca. 9 %) bedingen [25] und die klinische Abgrenzung zu anderen gastrointestinalen Polyposiserkrankungen erschweren.
Zum Tumorspektrum gehören auch (vorwiegend papilläre) Nierenzellkarzinome (LZR etwa 35 %, höher bei KLLN-Methylierung) sowie Melanome (LZR > 5 %). Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS) gehören nicht zum engeren Spektrum der CS-Tumoren. Allerdings wird das sehr seltene zerebelläre dysplastische Gangliozytom (Lhermitte-Duclos-Krankheit) im Erwachsenenalter als pathognomonisch für das CS angesehen. (Bei Kindern mit diesem Tumor liegen nur selten Keimbahnmutationen in PTEN vor.)
Ein beispielhafter Stammbaum einer Familie mit CS ist in Abb. 2 dargestellt.
Bei der klinischen Diagnosestellung und Abschätzung der Mutationsdetektionsrate kann ein Online-Punktesystem helfen, welches auf den Phänotypdaten sowie dem Erkrankungsalter einer prospektiven Studie an über 3000 Patienten mit klinischem CS beruht ([24]; www.lerner.ccf.org/gmi/ccscore). Ein in internationalen Leitlinien ab dem Alter von zehn Jahren vorgeschlagenes Früherkennungsprogramm ist in Tab. 1 wiedergegeben.
Die Tumortherapie erfolgt entsprechend den Leitlinien, mTOR-Inhibitoren werden im Rahmen von Studien zur Behandlung von CS-Tumoren eingesetzt. Da eine erhöhte Neigung zur Keloidbildung besteht, sollten Hautveränderungen nur zurückhaltend (z. B. bei Malignomverdacht) entfernt werden. Viele Patienten mit CS zeigen zudem psychische Auffälligkeiten (z. B. Autismus).
Peutz-Jeghers-Syndrom
Die klassischen Symptome des autosomal-dominant vererbten Peutz-Jeghers-Syndroms (PJS) sind eine mukokutane Hyperpigmentierung und gastrointestinale Polyposis, die bereits im Kindesalter zu Anämie und Ileus-Symptomatik (Invagination) führen kann [12]. Die Inzidenz liegt bei 1:50.000–1:200.000 [2]. Peutz-Jeghers-Polypen (PJP) haben im Sinne hamartomatöser Polypen histologisch eine charakteristische baumartig verästelte Lamina muscularis mucosae. Sie können im gesamten Gastrointestinaltrakt vorliegen, insbesondere jedoch im Dünndarm und Dickdarm [26], selten auch extraintestinal (z. B. in den ableitenden Harnwegen, den Bronchien oder der Gallenblase).
Ursächlich sind Loss-of-function-Varianten in STK11, welches für eine Serin/Threonin-Kinase kodiert, die an der Regulation von Zellzykluskontrolle und Apoptose beteiligt ist. Eine ursächliche Veränderung wird bei 94 % der Patienten in STK11 nachgewiesen, 25 % sind Neumutationen [23]. Hinsichtlich der Genotyp-Phänotyp-Korrelation gibt es Hinweise, dass trunkierende Mutationen mit einer stärker ausgeprägten Polyposis und früheren Manifestation einhergehen [20]. Liegen diese in der Kinase-Domäne XI zeigen die Polypen zudem ein erhöhtes Dysplasierisiko [30].
Das bereits im jungen Erwachsenenalter erhöhte und ab dem 50. LJ zusätzlich deutlich ansteigende Karzinomrisiko betrifft mit 40 % das Kolon, mit 30 % den Magen und mit 13 % den Dünndarm. Die Beteiligung der PJP als Vorläufer für diese Neoplasien ist umstritten. Das LZR für Pankreaskarzinome liegt bei 36 %, für Mammakarzinome bei 54 % (auch prämenopausal), für Endometrium- und Zervixkarzinome bei ca. 10 % [2, 23]. Auch ist eine Häufung von multifokalen gutartigen Ovarialtumoren beschrieben (ca. 21 %), histologisch meist sogenannte Sex-Cord-Tumoren mit annulären Tubuli (SCTAT). Männer mit PJS haben ein erhöhtes Risiko für meist gutartige Gonadentumoren (ca. 9 %), v. a. großzellige kalzifizierende Sertoli-Zell-Tumoren (LCCSCT), die bereits präpubertär entstehen können.
Bei 95 % der Patienten finden sich bereits im Kindesalter melanozytäre Makulae, v. a. im Gesicht (perioral an der Grenze des Lippenrots, um die Augen und Nasenlöcher sowie intraoral), ggf. auch perianal und an den Fingern. Bis auf die intraoralen Hyperpigmentierungen verblassen sie meist bis zum Erwachsenenalter [2]. Die klinischen Diagnosekriterien sind in Tab. 2 wiedergegeben.
Ein internationales Expertenpanel hat 2010 Vorsorgeempfehlungen publiziert [2, 23], die in Tab. 3 zusammengefasst sind.
Juvenile Polyposis
Beim autosomal-dominant vererbten juvenilen Polyposis-Syndrom (JPS) liegen histologisch juvenile Polypen (JP) des Dickdarms, seltener des Magens und des Dünndarms vor. Aufgrund der labilen Struktur der Polypen kann es zu chronischen gastrointestinalen Blutungen mit konsekutiver Anämie kommen, die im Kindesalter ggf. in einer Hypoproteinämie mit Gedeihstörung resultiert. Die Mehrzahl der Patienten wird bis zum 20. LJ symptomatisch [15], die Inzidenz wird auf ca. 1:100.000 geschätzt [13].
Ursächlich sind zu gleichen Teilen Sequenzvarianten in BMPR1A und SMAD4, ca. 50 % sind Neumutationen [1]. BMPR1A ist ein Rezeptor an Zelloberflächen, zu den Liganden zählen unter anderem BMP und TGF-β. SMAD4 ist intrazellulär an der TGF-β-assoziierten Signalvermittlung beteiligt.
Die intrafamiliäre Variabilität des JPS ist hoch. Das LZR für Kolonkarzinome wird mit ca. 40 % und ca. 20 % für Magenkarzinome (insbesondere dann, wenn bereits Polypen des Magens vorhanden sind) angegeben, Pankreas- und Dünndarmkarzinome scheinen sehr selten vorzukommen.
Pathogene Varianten in SMAD4 sind mit einem höheren Risiko für Polypen des oberen Gastrointestinaltraktes (und damit einem höheren Risiko für Magenkarzinome) sowie ggf. einer hereditären hämorrhagischen Teleangiektasie (HHT/M. Osler) assoziiert, v. a. bei pathogenen Varianten in Exon 8–11 [10]. Hierbei liegen krankhafte Gefäßerweiterungen vor, die sich oft bereits im Kindesalter klinisch durch mukokutane Teleangiektasien, Nasenbluten und arteriovenöse Malformationen (AVM) in inneren Organen (v. a. Leber, Lunge, Gehirn, Darm) mit den entsprechenden Komplikationen zeigen [10]. Eine spezifische Veränderung in SMAD4 wurde auch als ursächlich für das Myhre-Syndrom (Kleinwuchs und Aortendilatation) beschrieben [11]. Patienten mit einer Mikrodeletion 10q22-q23, die u. a. das BMPR1A- und PTEN-Gen enthält, können zusätzlich PTEN-assoziierte Symptome und einen sehr frühmanifesten Beginn der Symptomatik aufweisen.
Klinisch ist für die Diagnosestellung das Vorliegen mehrerer JP wegweisend (mehr als 5 JP im Kolorektum und/oder multiple JP im gesamten Gastrointestinaltrakt und/oder 1 JP bei positiver FA). Entscheidend für die Diagnose ist somit die korrekte histologische Beurteilung der Polypen.
Entsprechend angloamerikanischer Leitlinien wird etwa ab dem 15. LJ (bei Symptomen ggf. früher) eine Koloskopie und Ösophagogastroduodenoskopie empfohlen, die bei Polypennachweis jährlich, ansonsten alle 2–3 Jahre wiederholt werden sollte [17]. Bei massiver Polyposis sind ggf. chirurgische Maßnahmen nötig. Patienten mit einer SMAD4-Mutation benötigen zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen bezüglich der klinischen Manifestationen einer HHT und Aortopathie [29].
Carney-Komplex
Der Carney-Komplex (CNC) ist ein seltenes autosomal-dominant erbliches Tumorsyndrom, das sich durch das Vorliegen multipler endokriner und nicht endokriner Tumoren sowie Pigmentauffälligkeiten der Haut und Mukosa auszeichnet. Es ist nicht zu verwechseln mit der Carney-Trias (Paragangliome, gastrointestinale Stroma-Tumoren (GIST), pulmonale Chondrome). Die Diagnosestellung erfolgt meist im jungen Erwachsenenalter, selten früher oder nach dem 50. LJ [4, 22]. Circa 750 Patienten mit CNC sind weltweit erfasst, die Prävalenz ist unbekannt.
Ursächlich sind pathogene Varianten in PRKAR1A, das für die regulatorische Typ 1α-Untereinheit der Proteinkinase A (PKA) kodiert. Loss-of-function-Mutationen führen zu einem verstärkten Signal der PKA [22].
Bei mehr als 70 % der CNC-Patienten ist eine Mutation in PRKAR1A nachweisbar. Krankheitsassoziiert sind auch PRKACA und PRKACB, in denen in Einzelfällen Kopienzahlveränderungen („copy number gains“) nachgewiesen wurden [8], sowie eine Region in 2p16.
Das Krankheitsbild ist sehr variabel mit einer nahezu 100%igen Penetranz [8]. Hautauffälligkeiten wie Lentigines, epithelioide blaue Nävi, kutane Myxome oder seltener Café-au-lait-Flecken und Spitz-Nävi finden sich bei ca. 80 % der Patienten. Die Lentigines (v. a. Gesicht, Lippen, Genitalbereich) liegen zum Teil schon bei Geburt vor bzw. treten in der Regel vor der Pubertät auf, nehmen an Zahl und Farbintensität in der Adoleszenz zu und können im höheren Erwachsenenalter wieder etwas verblassen. Kutane Myxome (insbesondere an Augenlid, Gehörgang, Brustwarzen und Genitalbereich) finden sich bei ca. 30–55 %, die häufigste, nicht kutane Manifestation sind kardiale Myxome, die im Durchschnitt mit 20 Jahren und nur selten in der Kindheit auftreten. Sie verursachen mehr als 50 % der Todesfälle, weshalb regelmäßige kardiologische Kontrolluntersuchungen empfohlen werden [4, 6].
Die in der Regel vor dem 30. LJ auftretende primär pigmentierte noduläre adrenokortikale Krankheit (PPNAD) (adrenokortikale Hyperplasie, die häufig ein ACTH-unabhängiges Cushing-Syndrom verursacht) ist der häufigste endokrine Tumor mit einer Prävalenz von 25–60 % [22]. Selten sind Nebennierenrindenkarzinome beschrieben.
Bei bis zu 75 % findet sich eine asymptomatische Erhöhung von GH, IGF-1 oder Prolaktin im Serum oder ein auffälliger OGTT (oraler Glukosetoleranztest), bei ca. 67 % zeigt sich eine somatomammotrophe Hyperplasie und die Inzidenz einer Akromegalie aufgrund von GH-sezernierenden Hypophysenadenomen (ab ca. 30. LJ) liegt bei ca. 10–12 % [4, 6]. Selten sind Prolaktinome.
Bis zu 60 % der Patienten zeigen insbesondere in Kindheit/Adoleszenz eine Schilddrüsenbeteiligung in Form von unspezifischen zystischen Veränderungen (75 %), meist follikulären Adenomen (25 %) und selten (<10 %) papillären oder follikulären Karzinomen [19, 21].
Bei <10 % finden sich im jungen Erwachsenenalter seltene Neoplasien der Nervenscheiden (psammomatöse melanotische Schwannome, PMS), meist im Bereich des Gastrointestinaltrakts, Grenzstrangs oder der Thoraxwand, die in ca. 10 % maligne entarten [8].
Mehr als 75 % der Männer mit einem CNC entwickeln großzellig kalzifizierende Sertoli-Zell-Tumoren (LCCSCT) [21].
Seltene Manifestationen sind duktale Adenome und myxoide Fibroadenome der Brust, Ovarialzysten und -tumoren (seröse Zystadenome, zystische Teratome), Osteochondromyxome (meist <2. LJ), hepatozelluläre Adenome, verschiedene Neoplasien des Pankreas und in Einzelfällen Kolon‑, Magenkarzinome sowie peritoneale fibröse Histiozytome [8].
Der CNC stellt somit eine Differentialdiagnose dar zu: McCune-Albright-Syndrom, PJS, PHTS, zur Neurofibromatose sowie zu anderen Phakomatosen und Hamartomatosen.
Die Diagnose CNC wird klinisch gestellt, wenn zwei der in Tab. 4 aufgeführten Hauptkriterien oder ein Hauptkriterium und ein Nebenkriterium erfüllt sind [8].
Bislang gibt es keine Leitlinien für die Früherkennungsuntersuchungen bei CNC, von einer Expertengruppe wurde das in Tab. 5 dargestellte Vorgehen vorgeschlagen.
Li-Fraumeni-Syndrom
Im Kindesalter treten beim autosomal-dominant vererbten Li-Fraumeni-Syndrom (LFS) vor allem Sarkome, Nebennierenrindenkarzinome, Leukämien und ZNS-Tumoren auf, wohingegen im Erwachsenenalter bei Frauen das Risiko für Mammakarzinome stark im Vordergrund steht, gefolgt von Weichteilsarkomen und Osteosarkomen [14]. Die geschätzte Prävalenz liegt bei 1:5000–1:20.000.
TP53-Keimbahnmutationen sind hauptursächlich, wobei 7–20 % der Patienten Neumutationen aufweisen. Darüber hinaus sind in einzelnen Familien mit LFS auch Mutationen im CHEK2-Gen beschrieben, der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht gesichert.
TP53 reguliert zahlreiche Gene, welche in Zellzykluskontrolle, Apoptose, DNA-Reparatur und Seneszenz involviert sind. Die pathogenen Sequenzvarianten umfassen Missensemutationen (ca. 73 %, meist in der DNA-Bindungsdomäne lokalisiert), Nonsensemutationen (ca. 9 %), Spleißmutationen (ca. 8 %), Frameshiftmutationen (6 %), Deletionen, Duplikationen und andere chromosomale Rearrangements [27]. Je nach Mutationstyp- und -lokalisation ergeben sich unterschiedliche Pathomechanismen wie „loss-of-function“, dominant-negativer Effekt, „gain-of-function“ [5].
Zur frühmanifesten Form des LFS gehören Sarkome, Nebennierenrindenkarzinome und hämatologische Tumoren (insbesondere „low hypodiploid“ ALL im Kindesalter, AML, MDS, seltener Lymphome) sowie ZNS-Tumore (Astrozytome, Glioblastome, Medulloblastome, Plexus-choroideus-Karzinome). Zur spätmanifesten Form des LFS gehören Weichteilsarkome, Osteosarkome, prämenopausale Mammakarzinome, ZNS-Tumore, Melanome, Lungenkarzinome, gastrointestinale Tumore, Schilddrüsenkarzinome und urogenitale Karzinome.
Für dominant-negative Missensemutationen liegt das Ersterkrankungsalter bei ca. 21 Jahren, bei „loss-of-function“ Mutationen hingegen bei 28,5 Jahren und bei genomischen Rearrangements bei 35,8 Jahren. Bei betroffenen Kindern mit Osteosarkomen, Hirntumoren oder Rhabdomyosarkomen finden sich hauptsächlich dominant-negative Missensemutationen, wohingegen bei Kindern mit Nebennierenrindenkarzinomen nicht dominant-negative Mutationen überwiegen, insbesondere p.(R158H). Die kumulative Tumorinzidenz bei 31-jährigen Frauen liegt bei 50 % (vorwiegend Mammakarzinome), bei Männern wird dies mit 46 Jahren erreicht. Das Lebenszeitrisiko liegt für Frauen bei nahezu 100 %, für Männer bei 73 % [7]. Kumulative Inzidenzen bis zum 70. LJ liegen für Weichteilsarkome bei 15 %/22 % (Frauen/Männer), für Hirntumoren bei 6 %/19 % und für Osteosarkome bei 5 %/11 %. Die kumulative Inzidenz von Mammakarzinomen bis zum 60. LJ beträgt 85 %, 31 % entwickeln ein kontralaterales Mammakarzinom, dies entspricht einer mit der von BRCA1/2-Mutationsträgerinnen vergleichbaren Hochrisikosituation. Bei ca. 43 % der LFS-Patienten traten multiple Primärtumoren auf, wobei ca. 30 % der Patienten, die für den Ersttumor eine Strahlentherapie erhielten, Sekundärtumore im Strahlenfeld entwickelten.
Die diagnostischen Kriterien für das LFS sind in Tab. 6 dargestellt. In der Klinik sollte man v. a. bei Patienten mit Nebennierenrindenkarzinom (Mutationsdetektionsrate [MDR] in TP53 bei Kindern 45 %), Plexus-choroideus-Karzinom (MDR bei Kindern 42 %), Sarkomen (insbesondere Rhabdomyosarkomen vom embryonalen anaplastischen Subtyp [MDR ca. 52 %]), Mammakarzinom vor dem 31. LJ nach Ausschluss einer BRCA1/2-Mutation (MDR ca. 6–8 %), kolorektalem Karzinom in sehr jungem Alter und bei Patienten mit multiplen synchronen oder metachronen Tumorerkrankungen an das LFS denken.
In der Therapie führen eine Strahlentherapie oder bestimmte Chemotherapeutika, v. a. genotoxische Substanzen wie z. B. alkylierende Substanzen, zu einem deutlich erhöhten Risiko für Zweiterkrankungen (Sekundärtumoren im Bestrahlungsfeld, therapieassoziierte Leukämie/MDS). Dies muss sowohl bei der Wahl des Therapieregimes als auch der Früherkennungsmaßnahmen berücksichtigt werden.
Auch für das LFS gibt es keine Leitlinienempfehlung für die Früherkennung. In einer Studie wurde ein bislang nicht standardisiertes Früherkennungsprogramm empfohlen (Tab. 7). Patienten, die an dem Screeningprogramm teilnahmen, hatten in der Studie eine verbesserte 5‑Jahres-Überlebensrate von 88,8 % versus 59,6 % bei Nichtteilnehmern. Zudem sollten die Patienten auf allgemeine Anzeichen einer Tumorerkrankung (unerklärter Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Abgeschlagenheit) und eine anfangs schmerzlose Schwellung als häufiges Symptom eines Sarkoms achten und bei Auffälligkeiten einen Arzt aufsuchen.
Fazit für die Praxis
Seltene Tumorsyndrome mit breitem Tumorspektrum zeigen phänotypische Überlappungen mit zahlreichen anderen Syndromen, was die Diagnosestellung häufig erschwert. Für den klinischen Genetiker ist es deshalb hilfreich, sich die Hauptcharakteristika dieser Syndrome zu vergegenwärtigen, um klinische Hinweise auf diese Syndrome im Beratungskontext zu erkennen. Heutzutage kann die Diagnosestellung auch durch den Einsatz einer Multi-Gen-Analyse basierend auf einem Next Generation Sequencing (NGS)-Ansatz erleichtert werden.
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Steinke-Lange, V., Becker, K., Behnecke, A. et al. Syndrome mit breitem Tumorspektrum. medgen 29, 276–282 (2017). https://doi.org/10.1007/s11825-017-0154-2
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11825-017-0154-2