Ein Drittel unserer Lebenszeit verbringen wir im Schlaf – das sind durchschnittlich 25 Jahre. Und auch wenn immer noch kein Schlafforscher genau begründen kann, warum wir schlafen, wissen wir doch schon einiges über wesentliche, lebenserhaltene Funktionen des Schlafs und seine positiven Effekte auf unseren Körper und Geist. So ist es kein Wunder, dass mit der Digitalisierung und Entwicklung neuer Sensorik – oft „M(obile)-Health“ genannt – insbesondere die Anhänger der Selbstvermessung neben ihrer Aktivität am Tage auch ihren Schlaf in der Nacht in den Fokus nehmen. Hunderte Apps für unsere Smartphones vermessen allnächtlich unseren Schlaf. Die eingesetzte Sensorik reicht von integrierten Beschleunigungs- und Lichtsensoren bis hin zu Lautsprechern und Mikrofonen. Um die Aussagekraft zu verbessern, können weitere Sensoren mit unseren Smartphones gekoppelt werden – Messstreifen oder Aktivitätsmatten, die unter die Matratze oder das Bettgestell gelegt werden, oder gar kontaktlose Radarmessgeräte, die unsere Körperbewegungen sowie Atmung und Pulsschlag im Schlaf vermessen. Die Versprechungen sind groß, bieten diese Methoden doch die Möglichkeit, unseren Schlaf in unserer gewohnten häuslichen Umgebung über Wochen und Monate zu vermessen.

Es ist wichtig herauszufinden, welche Daten wir wie nutzen können – sprich: Messen Sensoren wirklich das, was sie vorgeben zu messen? Dies ist gerade auch im Hinblick darauf wichtig, dass viele Sensoren den Schlaf indirekt über Bewegung, Herzfrequenz oder Geräusche zu analysieren versuchen. Die hinterlegte Algorithmik ist oft nicht bekannt, und größere Validierungsstudien fehlen.

Ein zentraler Punkt der Entwicklung ist die Datenhoheit! Diese muss uneingeschränkt beim Patienten liegen, und sowohl der Patient als auch alle im medizinischen Bereich Tätigen müssen über die Wertigkeit von und den Umgang mit Daten geschult werden, um verantwortungsvoll damit umgehen zu können. Bei einem Klick zum Akzeptieren einer neuen Version des Betriebssystems oder einer neuen Software für das Smartphone unterzeichnen Anwender mehr als 10 Seiten Datenschutz- und Datenverwertungserklärung, ohne sich dabei wirklich bewusst zu sein, wem sie welche Daten zu welchem Zweck geben. Auch entstehen hier neue Fragestellungen, die nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich gelöst werden müssen, wie z. B. die Frage des Datenerbes, das bei immer größer werdenden digitalen Fußabdrücken auch für nachfolgende Generationen eine wichtige Rolle spielen kann. Das Datenerbe kann auf der einen Seite helfen, Zusammenhänge z. B. familiärer Erkrankungen besser zu verstehen, auf der anderen Seite müssen die Daten so geschützt werden, dass folgenden Generationen keine negativen Konsequenzen entstehen wie z. B. erhöhte Versicherungsprämien durch Zugang der Versicherung auf die Daten vorheriger Generationen.

Schon heute scheint die Digitalisierung einen Generationenkonflikt auszulösen. Während junge Kollegen am Anfang ihrer Berufslaufbahn digitale Unterstützung weitgehend begrüßen, wissen wir aus Umfragen (z. B. DAK-Umfrage zur Digitalisierung in der Medizin), dass mit steigender Berufserfahrung die Zustimmung zur Digitalisierung deutlich abnimmt. Wir sind der festen Meinung, dass wir nicht mehr über die Digitalisierung diskutieren sollten, sondern dringend anfangen sollten, diese gemeinsam zu gestalten. Hierzu bedarf es der Einbeziehung jüngerer Kollegen, die bereits „digital aufgewachsen“ sind („digital natives“), und auch der Hinzunahme anderer Professionen weit über die Medizin hinaus (Datenexperten, Computerwissenschaftler etc.). Gemeinsam sollten wir uns der Frage stellen: Wie können wir diese Daten dann zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten nutzen?

Gerade der Patient bekommt in einem digitalen Gesundheitssystem die zentrale Rolle, die ihm in der modernen Gesundheitsversorgung zusteht und in der nicht mehr der Arzt steht. Auch in dem sich ständig weiterentwickelnden Ansatz der Präzisionsmedizin, auch P4-Medizin genannt, steht das vierte P für Partizipation des Patienten an diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen. Hier können moderne Apps zum Beispiel durch die Einbeziehung von Patienten („Patient Engagement“) diesen regelmäßig Feedback zum Verlauf ihrer Erkrankung und ihrer Therapie geben. Dadurch kann auch die Therapietreue (Adhärenz) verbessert werden.

Die entscheidende medizinische Frage ist, welche Konsequenzen aus den gemessenen Daten gezogen werden können bzw., einen Schritt weiter gedacht, wie automatisierte Unterstützungssysteme sinnvoll in die Medizin eingebunden werden können. Die Aviation wäre heute ohne Autopilot undenkbar, dennoch bedarf es zweier voll ausgebildeter Piloten, um ein Verkehrsflugzeug zu fliegen. Wir begrüßen ausdrücklich die Einbeziehung automatisierter Systeme zur Verbesserung der Qualität in der Medizin, weisen aber in aller Deutlichkeit darauf hin, dass wir deren Nutzen als Arzt-unterstützend und nicht als Arzt-ersetzend sehen, analog der Aviation. Auch muss klar darauf hingewiesen werden, dass hierdurch die Ausbildung nicht vereinfacht werden kann, da das Rückfallsystem eines jeden automatisierten Systems der voll ausgebildete Arzt ist. Fakt ist: Die Flut an Daten bietet in der Tat ein Potenzial, welches wir gerade ansatzweise zu verstehen beginnen – eben weil Daten nicht für sich allein genommen, sondern immer nur im persönlichen, situativen und temporären Kontext und unter Integration von Daten aus anderen Lebensbereichen interpretiert werden können. Um aus diesen „Big Data“ für uns verständliche Aussagen zu generieren, bedarf es zusätzlich weiterer neuartiger Methoden aus dem Bereich der Data Science. Hier entstehen ständig neue Möglichkeiten, komplexeste Datensätze in Beziehung zueinander zu bringen, die nicht selten unsere menschliche Logik herausfordern – gerade auch im Hinblick auf die Wertigkeit der zu entdeckenden Zusammenhänge. Während wir in der bisherigen medizinischen Forschung unseren Schwerpunkt auf Kausalitäten und statistische Signifikanzen gelegt haben, entstehen hier alleine schon aufgrund der Größe der Datensätze eigentlich immer statistisch signifikante Korrelationen, über deren Wertigkeit aber klinisch intensiv diskutiert werden muss. Durch Analyse großer Datenmengen etwa aus dem Social-Media-Bereich (z. B. Twitter) können wir heute schon vergleichbar mit den bisherigen Analysemethoden zur Ermittlung von Risikofaktoren die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit vorhersagen. Aufgrund der unzureichenden Entwicklung der Digitalisierung in der Medizin in Deutschland hat inzwischen die Politik die taktgebende Rolle übernommen, um Innovationen diesbezüglich weiter voranzutreiben. Dies zeigt sich in den zuletzt mit Hochdruck erstellten und verabschiedeten Gesetzen. Gerade im Bereich der digitalen Medizin, oft E‑Health genannt, sind gesetzlich regulierende Komponenten von eminenter Bedeutung: Neben dem Medizinproduktegesetz (MPG), das im Jahr 2021 von der EU-weit geltenden Medical Device Regulation (MDR) als Grundlage für die Zertifizierung medizinischer Produkte abgelöst werden wird, stellt die im Jahr 2018 eingeführte Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sicher, dass persönliche Daten nur nach entsprechender Einwilligung durch den Erzeuger der Daten genutzt werden dürfen. Das in diesem Jahr in Kraft getretene Digitale Versorgungsgesetz (DVG) regelt unter anderem, wann und in welchem Umfang Smartphone-Applikationen als „App auf Rezept“ durch die gesetzlichen Krankenversicherungen im Bereich spezieller Indikationen finanziert werden können.

Inwieweit gerade die respiratorische Schlafmedizin im Bereich der Diagnostik und Therapie durch die genannten Entwicklungen beeinflusst wird, damit beschäftigen sich zwei durch uns zusammengestellte Übersichtsartikel in diesem Heft. Dass eine hochqualitative Versorgung unserer Patienten wichtig ist, zeigt die hier im Heft vorgestellte Analyse eines Datensatzes von gesetzlichen Krankenkassen aus Deutschland. Hier konnte gezeigt werden, dass die Behandlung der Schlafapnoe mit einer PAP-Therapie mit einer verbesserten Prognose assoziiert ist.

Die im Bereich der Schlafmedizin am breitesten eingesetzte telemedizinische Anwendung betrifft die Nutzung der von Überdrucktherapiegeräten übermittelten Therapiedaten von Patientinnen und Patienten mit Schlafapnoe. Erste randomisierte Studien konnten zeigen, dass dadurch die Therapie-Compliance gesteigert werden kann. Analysen von Versorgungsdaten unterstützen die Evidenz, trotzdem gibt es bisher weder eine flächendeckende Versorgung noch ein einheitliches zukunftsorientiertes Konzept. Auch die Einbeziehung des Patienten in die Therapie mit Engagement-Apps kann die für unseren Therapieerfolg so wichtige Therapieadhärenz weiter verbessern.

Ferner stellt die Gesundheitsökonomie einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt von E‑Health dar. Bei welchen Erkrankungen führt der Einsatz digitaler Methoden nicht nur zu einer besseren Diagnostik und Therapie mit positiven Versorgungseffekten für unsere Patientinnen und Patienten, sondern hilft zusätzlich dabei, diese kosteneffizienter für das allgemeine Gesundheitswesen umzusetzen? Erste Artikel zeigen hier durch den Einsatz einer telemedizinischen Nachsorge Einsparungspotenziale insbesondere aus volkswirtschaftlicher Sicht. Aktuelle Patientenbefragungen zeigen jedoch eine Präferenz der persönlichen Nachbetreuung im Vergleich zur rein telemedizinischen Nachsorge. Auch hier wird der präzisionsmedizinische Ansatz wichtig sein, sprich: die richtige Form der Nachsorge für den richtigen Patienten. Gerade durch die aktuellen Herausforderungen der COVID-19-Pandemie haben sich digitale Nachsorgeangebote („Videosprechstunde“) verstärkt entwickelt.

Wir hoffen, mit unserer Ausgabe der Somnologie Ihre Neugier auf die neuen Entwicklungen in der Schlafmedizin zu wecken, unbegründete Vorbehalte zu hinterfragen, aber auch kritische Standpunkte zu reflektieren – denn eines ist sicher: Die Digitalisierung der Medizin ist in vollem Gange – egal, ob wir wollen oder nicht! Deshalb sollten wir jetzt die Chance nutzen, diese aktiv mitzugestalten – in Gedanken, Wort und Tat, zum Wohle unserer Patienten und Patientinnen!

Ihre

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Holger Woehrle und

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Christoph Schöbel