Die moderne Industriegesellschaft in Zeiten der Globalisierung hat die Arbeitswelt grundlegend verändert. Flexibilität ist zu einem der wichtigsten Themen in der Arbeitswelt geworden: Arbeitnehmer müssen flexibel sein, was ihren Einsatzort und ihre Tätigkeit angeht. Sie müssen auch flexibel in Schichten arbeiten, denn um Produktionsprozesse effizient ablaufen lassen zu können, muss die Arbeit in vielen Fällen Tag und Nacht aufrechterhalten werden. Und: Die internationale Geschäftswelt verlangt vielfach von ihren Arbeitnehmern, immer erreichbar zu sein. Die moderne Geschäftswelt, so scheint es manchmal, unterscheidet nicht mehr zwischen Tag und Nacht. Das berührt auch die Gesundheit des Einzelnen. Und deshalb ist die Arbeitsmedizin hier besonders gefordert.

Die innere Uhr ist keine Weltzeituhr

Was auf der ökonomischen Ebene nachvollziehbar sein mag, stellt für den menschlichen Körper eine große Belastung dar. Die innere Uhr ist individuell programmiert und damit inkongruent zur Weltzeituhr. Selbst die kleine Umstellung von Winter- auf Sommerzeit macht vielen Menschen zu schaffen. Wer sich dies vergegenwärtigt, kann nachvollziehen, wie sich dauerhafter Schichtdienst auf das Befinden auswirkt. Die permanente Unterbrechung des Tag-Nacht-Rhythmus ist ein massiver Eingriff: Es können Schlaf- und Einschlafstörungen auftreten, begleitet von Stresssymptomen. Die physische und psychische Regeneration wird erschwert. Bestimmte Schlafstörungen können das Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko wesentlich steigern.

Die International Agency for Research on Cancer (IARC) hat seit 2007 spezielle Formen der Schichtarbeit als „wahrscheinlich krebsauslösend“ eingestuft. Es handelt sich dabei um Schichtarbeit, die den natürlichen 24-h-Rhythmus unterbricht. Allerdings ist eine Kausalbeziehung zwischen Schichtarbeit und Krebserkrankung nicht eindeutig belegt; hier sind weitere intensive Forschungsarbeiten erforderlich. Als Arbeitsmediziner gehört die Schichtplangestaltung zu einer unserer Kernkompetenzen. Hier fließen alle Erfahrungen und neuen Erkenntnisse ein. Darüber hinaus informieren wir breit und differenziert über den aktuellen Kenntnisstand zum Thema Schichtarbeit – Politik, Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Vorsorgeuntersuchungen sind bei Schichtarbeitern besonders wichtig

Immer wieder thematisiert der Verband deutscher Betriebs und Werksärzte (VDBW) auf Symposien, Diskussionsveranstaltungen und Kongressen die Folgen und den Umgang mit Schichtdienst. Prävention und arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen kommt eine besondere Bedeutung zu. Das Arbeitszeitgesetz sieht beispielsweise vor, dass Nachtarbeiter vor Aufnahme der Schichtarbeit und anschließend bis zum 50. Lebensjahr jährlich eine kostenlose Vorsorgeuntersuchung durchführen lassen können. Darauf weisen wir als Betriebsärzte die Betroffenen aktiv hin. Und den Arbeitgebern raten wir, Aktionstage zur Gesundheitsvorsorge anzubieten – auf freiwilliger Basis.

Die Politik ist sensibilisiert: Die Uhr lässt sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr zurückdrehen – Schichtarbeit kann und wird nicht abgeschafft werden. Doch es können und müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die Schichtarbeit schonender machen und die betroffenen Arbeitnehmer schützen und unterstützen. Vieles ist noch zu tun, doch die Anfänge sind vielversprechend. Seit rund einem Jahr arbeitet der Ausschuss für Arbeitsmedizin beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Der von mir geleitete Unterausschuss II „Allgemeine betriebliche Gesundheitsvorsorge“ hat ein eigenes Projekt für besondere Arbeitsverhältnisse ins Leben gerufen, wobei ein Schwerpunkt auch in der Schichtarbeit liegt. Das Thema steht auf der Agenda und muss vorangetrieben werden. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet auch diese Ausgabe zur „Somnologie“. Sie trägt dazu bei, weiteres Verständnis für eine der großen Herausforderungen der Zukunft zu wecken.

Dr. med. Wolfgang Panter