Gegenwärtig wird durch die Europäische Union eine Reihe von Forschungsprojekten unter Beteiligung auch deutscher Arbeitsgruppen zur Prävention sexueller Gewalt in digitalen Medien gefördert. Anlass dafür ist, dass wir in diesem Bereich bekanntermaßen seit Jahren steigende Zahlen von Verurteilungen haben. Im Jahr 2022 wurden für Deutschland im Hellfeld mehr als 15.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch registriert. Es gab erneut einen deutlichen Anstieg bei den Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Netz. Im Jahr 2022 wurden mehr als 42.000 Fälle registriert – etwa 7 % mehr als im Jahr zuvor. Spätestens seit der Verschärfung des § 184b StGB im Jahr 2021, der die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz sog. kinderpornografischer Inhalte von Vergehens- zu Verbrechenstatbeständen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr hochstufte, beschäftigt uns im forensischen Feld das Thema noch stärker als bisher – auch in der Begutachtung und bei intramuralen sowie ambulanten Behandlungsangeboten verurteilter Personen oder solcher, die bei sich selbst ein Risiko sehen.

Arbeiten rund um das Thema sexuelle Gewalt an Kindern in digitalen Medien bilden deshalb den ersten Schwerpunkt des aktuellen Heftes der FPPK, wobei die digitalen Medien sowohl ein potenzielles Tatumfeld darstellen als auch eine Möglichkeit für niedrigschwellige Behandlungsangebote bieten. Gannon et al. fassen in ihrem Überblicksartikel die Entwicklung des Darknet und die Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft auf die Entwicklung der Nutzung von Missbrauchsabbildungen zusammen. Sie beschreiben die Organisation entsprechender Darknet-Foren und die Aktivitäten ihrer Mitglieder. Obwohl die Nutzer durch ein gemeinsames sexuelles Interesse an Kindern verbunden sind, würden demnach nicht alle Mitglieder gleichermaßen zu den Aktivitäten in den Foren beitragen. Insbesondere die Administratoren scheinen hierbei bedeutsam. Fachleute unserer Gebiete, die die Möglichkeit haben, einmal in einem solchen Forum live dabei zu sein, werden sich möglicherweise wundern und vielleicht auch erschrecken, welche Aktivitäten man so „live“ miterleben kann und muss. Krähnke et al. zeigen in diesem Zusammenhang auf, inwiefern in „Stories“ aus einem so genannten „Girl-Lover“-Forum im Darknet sexualisierte Gewalt an Kindern thematisiert wird. Der Schweregrad der in den untersuchten Geschichten dargestellten Kindesmissbrauchstaten wird als deutlich auffälliger bewertet als bei ausgewerteten bild- und videobasierten Sammlungen von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern. Merdian et al. geben ferner einen Überblick über Behandlungsangebote und Programme der Sekundärprävention für Nutzer:innen von Missbrauchsabbildungen in Europa. Erwähnung finden z. B. psychosoziale Interventionen der Lucy Faithfull Foundation, das Programm Stop it Now!, das Präventionsprojekt PARAPHILE aus Tschechien sowie für den deutschsprachigen Raum das Netzwerk „Kein Täter werden“. In dem im Heft folgenden Debattenbeitrag kritisiert König, wie bereits zu früheren Gelegenheiten, dieses Netzwerk und fordert Wirksamkeitsstudien mit belastbaren Daten – auch angesichts der hohen, aufgewendeten Ressourcen. Trotz aller ethischen und juristischen Bedenken sind auch unserer Auffassung nach Forschungsdesigns denkbar, die eine Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen ermöglichen könnten und die das Feld nach vorn bringen würden.

Am Übergang vor dem zweiten Schwerpunkt des Hefts befindet sich eine Studie aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt. Ziele dieser Studie der Arbeitsgruppe um Dahle waren die Untersuchung der prognostischen Validität der nomothetischen und idiografischen Prognosemethode sowie die Integration beider Ansätze bei jugendlichen und heranwachsenden Gewalt- und Sexualstraftätern. Untersucht wurden 152 ehemalige männliche Inhaftierte der Jugendstrafanstalt Berlin mit einem Nachbeobachtungszeitraum zwischen 5 und 15 Jahren. Es kam eine Reihe von Instrumenten zum Einsatz: u. a. der VRAG, das LSI‑R und dessen Jugendversion sowie HCR-20 und SAVRY. Ihre Anwendung leisteten eine signifikante Vorhersage allgemeiner und gewalttätiger Rückfälle. Vor allem leistete aber die klinisch-idiografische Prognose im Rahmen eines integrierten Ansatzes einen inkrementellen Beitrag zur Vorhersage des allgemeinen und des gewalttätigen Rückfallrisikos.

Den zweiten Schwerpunkt des Hefts bilden Arbeiten, die sich mit Problemen des Maßregelvollzugs befassen. Querengässer et al. widmen sich hierbei in einem Überblick der klinisch herausfordernden Gruppe intelligenzgeminderter Patienten im Maßregelvollzug und den besonderen Bedarfen dieser Gruppe, der in konkreten und daher hilfreichen Handlungsempfehlungen mündet: u. a. der Anwendung heilpädagogischer Erkenntnisse; der Einbeziehung von Angehörigen und Peers; der stärkeren Berücksichtigung psychoedukativer Elemente; der Vermittlung klarer Regeln unter Verwendung einfacher Sprache und der Bedeutung von Wiederholungen. Schwarz und Stübner beschäftigen sich mit der am 01.10.2023 in Kraft getreten Novellierung des § 64 StGB und der Frage, welche Änderungen sich in Bezug auf die Zuweisungspraxis und Behandlung daraus ergeben könnten. Dabei verfolgen sie einen empirischen Ansatz, nämlich eine retrospektive Aktenanalyse der schriftlichen Gutachten aus den Erkenntnisverfahren von 70 männlichen Patienten im Vergleich zu einer Einschätzung der medizinischen Voraussetzungen nach der novellierten Fassung. Nach ihren Ergebnissen könnte die Novellierung sowohl auf die Anzahl der untergebrachen Patienten als auch der Therapieabschlüsse Auswirkungen haben. Kirchmann-Kallas et al. untersuchten das Phänomen des pathologischen Glücksspiels bei 134 in der Maßregel nach § 64 StGB untergebrachten männlichen Patienten. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass pathologisches Glücksspiel im Zusammenhang mit dysfunktionalen Emotionsregulationsstrategien ein bei dieser Gruppe Untergebrachter bisher nicht ausreichend berücksichtigtes Problem darstellen könnte. Leuschner und Rausch schließen den zweiten Schwerpunkt ab, mit einem Beitrag zu der zunehmenden Problematik älterer Untergebrachter in der Sicherungsverwahrung. Demnach waren im Jahr 2022 mehr als ein Viertel der in dieser Maßregel untergebrachten Personen über 60 Jahre alt. Eine Befragung in den Einrichtungen ergab dabei, dass ein einheitlicher Standard zum Umgang mit den spezifischen Bedürfnissen dieser lebensälteren Gruppe derzeit hierzulande noch nicht existiert.

Der kriminologische Journal Club beschäftigt sich mit dem Thema Strafmündigkeit von Kindern, der psychiatrische Journal Club mit dem Einfluss von Obdachlosigkeit auf das Risiko für die Begehung erneuter Straftaten nach einer Inhaftierung. Kröber hält im Blitzlicht ein Plädoyer für den Mut zu kürzeren „forensischen Fokalgutachten“ bei wiederkehrenden Begutachtungen, wenn zwischenzeitlich in bestimmten Bereichen vielleicht wenig Neues geschehen ist oder überhaupt hat geschehen können.

Dieses Heft weist mit den zwei Schwerpunkten und den weiteren Beiträgen, den publizierenden interdisziplinären Forschungsteams, den sich weiterhin rasant ändernden Herausforderungen durch Kriminalität in digitalen Medien, den Anforderungen der Unterbringungsformen v. a. auf eines hin: Heterogenität der Forschungsfelder, Forschungsfragen und Forschungsansätze. Wir befinden uns in einem Gebiet, in dem inzwischen vielerorts im deutschsprachigen Raum offensichtlich sehr aktiv geforscht wird. Die FPPK wird dabei von Arbeitsgruppen als attraktives Medium zur Publikation wahrgenommen (übrigens seit 2023 mit Impact Factor). Wir freuen uns als Herausgeber weiterhin auf qualitativ hochwertige Einreichungen, bedanken uns bei den Autor:innen der Ausgabe und wünschen Ihnen eine interessante Lektüre mit diesem Doppelschwerpunkt.

Peer Briken, Klaus-Peter Dahle