Mit diesem Editorial darf ich mich als neuer Herausgeber der Zeitschrift Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (FPPK) vorstellen. Die aktuelle Ausgabe widmet sich den Zusammenhängen zwischen Substanzkonsum und Delinquenz sowie den psychiatrisch-psychotherapeutischen Möglichkeiten, auf substanzbedingte oder durch Substanzkonsum begünstigte Delinquenzverläufe Einfluss zu nehmen. Die Bedeutung der Thematik und die Dynamik der zugehörigen Diskussionen verdeutlichen sich u. a. dadurch, dass sich 10 Jahre nach einer ersten Schwerpunktsetzung (psychotrope Substanzen) und 4 Jahre nach dem zweiten Schwerpunkt (Sucht und Kriminalität) nun bereits eine 3. Ausgabe der FPPK diesem Thema widmet. Es ist ein günstiger Zufall und für mich gleichzeitig ein willkommener Anlass, die kürzlich aus der Herausgeberschaft ausgeschiedenen Gründungsherausgeber zu würdigen, da die bisherigen Schwerpunkthefte zum Thema Sucht zunächst von Henning Sass und später Norbert Leygraf verantwortet wurden.

Von Henning Sass, der schon vor über 30 Jahren eine grundlegende und weiterhin lesenswerte Differenzialtypologie forensisch relevanter Persönlichkeitsstörungen (Sass 1987) vorgelegt hat, konnte ich im Rahmen meiner Ausbildung am Universitätsklinikum Aachen und in vielen weiteren Gesprächen lernen, monokausalen Theorien oder gar Erklärungsansätzen zur Entstehung oder zur Aufrechterhaltung delinquenter Verhaltensstile zu misstrauen und die forensische Psychiatrie als ein Fachgebiet zu verstehen, das sich um die Aufdeckung bzw. Erhellung komplexer Auslöse- bzw. Entstehungsbedingungen von ebenfalls vielschichtigen Verhaltensweisen bemüht. Die vielgestaltigen gutachterlich zu bearbeitenden bzw. in den Maßregelkliniken und Ambulanzen zu behandelnden Fälle lassen sich am Beispiel von Substanzkonsum, Delinquenz und Entwöhnung beispielhaft illustrieren. Die vorliegende Ausgabe will dies auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Perspektiven tun.

Dabei geht es zunächst im Beitrag von Boris Quednow aus Zürich um epidemiologische Aussagen zum Gebrauch illegaler Substanzen im deutschsprachigen Raum. Auf der Basis relevanter Umfragen, aber auch von Analysen der Konzentration illegaler Substanzen oder ihrer Abbauprodukte im Abwasser (SCORE 2019) gelingt dem Autor ein differenzierter Überblick über Konsummuster und -trends im deutschen Sprachraum. Es wird deutlich, dass der Konsum psychotroper Substanzen in unserer Gesellschaft so weit verbreitet ist, dass bei monokausaler bzw. gar zwangsläufiger Verursachung delinquenter Verhaltensweisen durch den Substanzkonsum ein Zusammenleben im öffentlichen Raum unmöglich wäre.

Dies gilt insbesondere betreffs des Konsums von Cannabis, dem sich der Beitrag von Patrick Roser, der im Kanton Aargau tätig ist, widmet. Der Autor macht deutlich, dass das mit dem Cannabiskonsum verbundene Erkrankungsrisiko an einer Schizophrenie zusätzlich mit dem Vorliegen einer genetischen Vulnerabilität, aber auch mit traumatischen Kindheitserfahrungen und der Potenz des konsumierten Cannabis zusammenhängt. Der letztgenannte Aspekt hat sich in einer kürzlich prominent publizierten und sehr breit angelegten europäischen Studie als so relevant für das Psychoserisiko erwiesen (Di Forti et al. 2019), dass die Autoren von einem Rückgang der Ersterkrankungen ausgehen, wenn es gelingen würde, die hochpotenten Cannabisprodukte vom Markt zu nehmen.

Obwohl die Sachlage in der Regel umgekehrt betrachtet wird, d. h., die komorbide Abhängigkeit bei Schizophrenen als Risikofaktor gilt, sind auch psychotische Rauschverläufe bzw. drogeninduzierte Psychosen bei Substanzmissbrauch und Abhängigkeit für das Risiko von Gewalthandlungen bzw. das Rückfallrisiko bedeutsam. Daher ist die korrekte diagnostische Einordnung solcher Störungsbilder, auch im Hinblick auf das Schwerpunktthema, von großer Bedeutung. Außerdem werden die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die Psychopathologie, das psychosoziale Funktionsniveau, die Wahrscheinlichkeit erneuter Krankheitsepisoden und die Behandlungsadhärenz bzw. die Behandlungsprognose bei Patienten mit einer schizophrenen Psychose skizziert, was die Brücke zum Maßregelvollzug gemäß Art. 59 StGB schlägt.

Monokausale Erklärungsversuche sind nicht nur betreffs Cannabiskonsum und Schizophrenie, sondern auch bei Sucht und Delinquenz problematisch. Daniel Passow aus Rostock, der in Zusammenarbeit mit Detlef Schläfke vor Kurzem eine lesenswerte Einführung zu letztgenanntem Thema vorgelegt hat (Passow, Schläfke 2017), kommt auf der Basis der Polizeilichen Kriminalstatistik zunächst zu dem Schluss, dass der Großteil der registrierten (auch Gewalt‑)Kriminalität ohne offensichtlichen Bezug zum Konsum psychotroper Substanzen steht. Er beschreibt Sucht und Delinquenz als zwei häufige, allerdings durchaus auch unabhängig voneinander auftretende Phänomene und betont vorwiegend die aus diesem Zusammenspiel resultierenden komplexen Präventions-, aber auch Interventionsmöglichkeiten.

Damit markiert er den Übergang zu den Beiträgen, die sich mit den komplexen Arbeitsbedingungen im Kontext der Entwöhnungsbehandlungen nach Art. 64 StGB befassen: Zunächst adressieren Melanie Frey und Mitarbeiter aus dem Essener Institut für Forensische Psychiatrie die Komorbidität von Missbrauch und Abhängigkeit mit dem adulten ADHS. Ihre Arbeit führt die von Norbert Leygraf (1988) begründete Tradition von für die Entwicklung unseres Faches ausgesprochen wertvollen empirischen Untersuchungen im Maßregelvollzug fort und verdeutlicht die Bedeutung dieser Störungskombination für Behandlungen in Entziehungsanstalten und die Kriminalprognose Betroffener. Die Ausführungen der Essener Arbeitsgruppe können als ein Plädoyer für eine sorgfältige Abklärung und effektive Behandlung des ADHS gewertet werden. Andererseits wird aber auch deutlich, dass die Wechselwirkungen zwischen Substanzkonsum, ADHS und Delinquenz vielschichtig sind.

Erfreulich war die Möglichkeit, einen unabhängig vom Schwerpunktthema eingereichten Beitrag von Jan Querengässer (Herne) und Hans-Joachim Traub (Weissenau) in die Ausgabe zu integrieren. Die Autoren befassen sich auf der Basis der bundesweiten Strafverfolgungsstatistik mit dem Thema nichtdeutscher Staatsbürger im Maßregelvollzug gemäß Art. 64 StGB. Nach ihren Ergebnissen werden männliche Ausländer bei geringerer krimineller Vorstrafenbelastung häufiger als ihrem Bevölkerungsanteil entsprechend nach § 64 StGB eingewiesen. Die von Querengässer und Traub erörterten Befunde deuten darauf hin, dass es abhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters rechtspraktische Unterschiede in der Bewertung der Voraussetzungen geben könnte, die für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB erfüllt sein müssen.

Diese Überlegung leitet über zu den Ausführungen von Jürgen Müller aus Göttingen, der den Stand der aktuellen Diskussion um diese Maßregel skizziert und die gestiegenen Belegungszahlen, Kosten und Veränderungen der Patientenpopulation als wesentliche Gründe für den Reformbedarf nennt. Müller belässt es aber nicht bei der Darstellung der bestehenden Schwierigkeiten, sondern unterbreitet Vorschläge zur Reform der Maßregel nach Art. 64 StGB. Dabei plädiert er u. a. dafür, zur Behandlung suchtkranker Straftäter auch allgemeinpsychiatrische Ressourcen zu nutzen.

Dass ein solcher Ansatz hilfreich sein kann, wird am Beitrag von Friederike Höfer und ihren allgemeinpsychiatrischen Koautoren aus Zürich deutlich. Dieser ergänzt und ggf. bereichert die Überlegungen von Jürgen Müller durch einen Einblick in die Schweizer Versorgungslandschaft. Hierzulande wird nämlich ein großer Teil der Suchtmaßnahmen ambulant, d. h. vollzugsbegleitend oder unter Aussetzung des Strafvollzugs auf Bewährung durchgeführt. Vor dem Hintergrund der dabei gemachten, insgesamt ermutigenden Erfahrungen stellt sich die Frage, ob solche vollzugsbegleitenden, aber auch als Alternative zum Vollzug durchgeführten ambulanten Behandlungsmaßnahmen nicht auch für eine Optimierung bzw. Modifikation des Art. 64 StGB in Deutschland genutzt werden können.

Als freier Beitrag und auf den ersten Blick ohne direkten Bezug zum Schwerpunktthema befassen sich Benjamin Pniewski et al. aus Viersen mit den Möglichkeiten einer Evaluation des Jugendmaßregelvollzugs. Auch dieser Bereich forensisch-psychiatrischen Wirkens ist komplex, denn es geht hier zusätzlich zu störungs- und deliktrelevanten Aspekten um die Unterstützung der Patienten bei der Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben. Der Versuch der Viersener Arbeitsgruppe, Wechselwirkungen zwischen dem Stationsklima und Patienten‑, Behandlungs- sowie therapeutischen Beziehungsmerkmalen im Hinblick auf mögliche Fortschritte von Patienten abzuklären, ist verdienstvoll. Solche standardisierten Einschätzungen der Patienten, der Bezugspflegekräfte und des therapeutischen Personals könnten, womit die Brücke zum Schwerpunktthema geschlagen wäre, auch im Kontext der Entwöhnungsbehandlungen nach Art. 64 StGB hilfreich sein. Zumindest weisen Studien von Höfer (2015) und Otte (2018) in Einrichtungen des psychiatrischen Maßregelvollzugs darauf hin, dass es lohnt, die Qualität der therapeutischen Beziehung zu untersuchen.

Die bewährten Rubriken der FPPK befassen sich im „Blitzlicht“ mit Entlassungshindernissen im Maßregelvollzug nach Art. 63 StGB, wobei Hans Ludwig Kröber Entlassungshindernisse anhand des Beispiels eines das Delikt abstreitenden Straftäters adressiert. In diesem Kontext bleibt erneut zu betonen, dass es bislang keine überzeugenden Belege (Kröber 2010; Endres et al. 2014) dafür gibt, dass das Leugnen, insbesondere von Sexualstraftaten, von nachteiliger prognostischer Bedeutung ist. Der Beitrag von Barbara Horten und Marleen Gräber im kriminologischen Journalclub skizziert die Ergebnisse des Deutschen Viktimisierungssurveys 2017 und aktualisiert/ergänzt die im Beitrag Passow erwähnten Daten aus dem Jahr 2014 bzw. aus dem polizeilich registrierten Hellfeld. Der psychiatrische Journalclub befasst sich mit der Frage, was der Freiheitsentzug zur Gewaltprävention beiträgt bzw. überhaupt beitragen kann. In diesem Kontext verweist Stjepan Curic aus Hamburg zu Recht auf die fehlende Übertragbarkeit der in den USA erhobenen Daten auf die Vollzugssituation in den deutschsprachigen Ländern. Dies kann als Aufforderung dazu verstanden werden kann, die Situation bzw. Resozialisierungseffekte des Strafvollzugs in den deutschsprachigen oder europäischen Ländern zu beforschen.

Aus hiesiger Sicht bildet die vorliegende Ausgabe die Vielfalt und Komplexität unseres interdisziplinären Arbeitsgebietes exemplarisch ab. Sie zeigt die Herausforderungen, aktuell bestehende Grenzen, aber auch mögliche Lösungswege und Forschungsansätze auf. Es bleibt viel zu tun und wir sollten dies – trotz mancher Widrigkeiten und Friktionen des Arbeitsalltags – als Anreiz sehen, die komplexen Ausgangs- und Entstehungsbedingungen delinquenten Verhaltens besser verstehen zu können, um dann möglichst passgenaue Präventions- und Interventionsstrategien zu entwickeln. Dass die Leserschaft der FPPK sich bei dieser anspruchsvollen Aufgabe auch in Zukunft vertrauensvoll auf die in dieser Fachzeitschrift publizierten Artikel stützen kann, ist ein zentrales Anliegen der Herausgeber. Der Autor dieser Zeilen wiederum hofft, der von den ausgeschiedenen und den an Bord geblieben Herausgebern begründeten Tradition, dem Vertrauen der Verlagsverantwortlichen, insbesondere aber den Interessen der Leser, gerecht werden zu können.