Zusammenfassung
Ziel des Strafverfahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als Grundlage eines zutreffenden Schuldspruchs. Der Wahrheitsfindung dienen zahlreiche rechtliche Regeln zur Beweiserhebung. In der Würdigung der Beweise ist der Richter aber weitgehend frei. Obwohl eine Vielzahl von Vorkehrungen dagegen getroffen wird, gibt es immer wieder Fehlurteile im Strafverfahren. Ursache hierfür ist neben der Unvollkommenheit menschlicher Entscheidungsfindung insbesondere die Fehleranfälligkeit personaler Beweismittel (Zeugen, Sachverständige, Angeklagte). Durch die Art des Rechtsmittelsystems und den Verzicht auf Beweisregeln nimmt die Gesellschaft die vermeidbare Entstehung von Fehlurteilen in gewissem Umfang in Kauf. Ohne Gesetzesänderungen könnte die Gefahr eines Fehlurteils schon jetzt minimiert werden, wenn durch die Polizei häufiger Videoaufzeichnungen von Vernehmungen erstellt, Fehlurteile systematisch gesammelt und ausgewertet sowie Richter und Staatsanwälte insoweit gezielt geschult würden.
Abstract
The objective of criminal proceedings is to uncover the real facts as the foundation for an appropriate guilty verdict. Many legal rules on the hearing of evidence serve to discover the truth; however, the judge essentially has a free hand when weighing up the evidence. Although many precautions have been incorporated, miscarriages of justice occur again and again in criminal proceedings. The reasons for this are in particular the susceptibility of personal evidential material to error (e.g. witnesses, experts and the accused) in addition to the imperfection of human decision-making. Due to the structure of the appelate system and the relinquishment of laws of evidence, Society tolerates the existence of wrongful convictions up to an unavoidable extent and a certain level. The danger of a wrongful conviction can even now be minimized without any changes in the legislation, if the police would use video recordings of interrogations more often, systematically collate and evaluate wrongful convictions and judges and state prosecutors would be selectively schooled.
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A. Mosbacher gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Mosbacher, A. Das Ideal richterlicher Wahrheitsfindung und die Betrübnisse des wirklichen Lebens. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 9, 82–91 (2015). https://doi.org/10.1007/s11757-015-0309-4
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