Am 24.11.2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erneut die Bundesrepublik Deutschland wegen der bisherigen Praxis der Sicherungsverwahrung zur Zahlung von Schmerzensgeld bzw. einer Entschädigung verurteilt. Dabei hat er in einer der beiden Entscheidungen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 04.05.2011 positiv gewürdigt, insbesondere hinsichtlich der Ausführungen zur künftigen Ausgestaltung dieser Maßregel. Zum Sachverhalt einer „psychischen Störung“, die unterhalb der Schwelle einer Schuldfähigkeitsrelevanz als Legitimation eines weiteren Freiheitsentzuges dienen soll, hat der EGMR dagegen keine konkrete Stellung bezogen, sondern hat erneut ausgeführt, dass sich der in der Europäischen Menschenrechtskonvention genannte Begriff „persons of unsound mind“ nur schwer präzise definieren lasse, da er sich in seiner Bedeutunginfolge psychiatrischer Forschungen stets weiterentwickele. Nicht die Rede ist hier aber von einem Bedeutungswandel, der sich durch Entwicklungen in der Gesetzgebung oder der Rechtsprechung ergeben kann. Vielmehr weist der EGMR in dieser Entscheidung noch einmal darauf hin, dass ein solcher Freiheitsentzug u. a. nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn eine als „true mental disorder“ benannte Störungaufgrund objektiver ärztlicher Fachkompetenz festgestellt worden ist.

Der im Editorial des vorletzten Heftes angemahnte Dialog zwischen Rechtswissenschaften und forensischer Psychiatrie zur terminologischen und konzeptionellen Klarstellung dieses Begriffes steht bislang weiter aus. Die im „Blitzlicht“ dieses Heftes von Hans-Ludwig Kröber kritisch dargestellte Entscheidung des BVerfG vom 15.09.2011 lässt befürchten, dass dem medizinisch-psychiatrischen Fachwissen bei der juristischen Auslegung dieses Begriffes nicht allzu große Bedeutung zugemessen werden soll. Dies sollte die forensische Psychiatrie umso mehr dazu veranlassen, sowohl im Rahmen der individuellen Begutachtung als auch im grundsätzlichen Dialog mit der Justiz und der Politik klarzustellen, dass sich psychische Erkrankungen und Störungen primär in psychischen Symptomen äußern; sozial schädigendes Verhalten allein kann die Feststellung einer – medizinisch begründeten – „psychischen Störung“ nicht rechtfertigen.

Unabhängig vom weiteren Umgang mit den „Altfällen“ in der Sicherungsverwahrung und der anstehenden Neugestaltung dieser Maßregel wird die Entlassung rückfallgefährdeter Straftäter auch künftig zum Alltag des Strafvollzugs gehören. Zur Vermeidung von Rückfalltaten insbesondere durch Sexualstraftäter haben die Bundesländer Konzepte entwickelt, mit denen fortbestehende Risiken durch eine verbesserte Koordination von Führungsaufsicht, forensischen Ambulanzen und polizeilicher Kontroll- und Vorsorgemaßnahmen möglichst effektiv begegnet werden soll. Der Beitrag von Stefan Thomaßen gibt einen Überblick über die in Nordrhein-Westfalen eingeführte „Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“ und zeigt die bisherigen Erfahrungen an praktischen Fallbeispielen auf. Dargestellt werden auch die Probleme, die sich durch die öffentliche Berichterstattung bei der Entlassung von „Altfällen“ aus der Sicherungsverwahrung ergeben haben.

Die Beiträge von Stefan Suhling und Ulrich Rehder sowie von Reinhard Eher et al. beziehen sich auf das Vorfeld eines solchen Risikomanagements, nämlich auf die Einschätzung der Rückfallgefahr von Sexualstraftätern. Suhling und Rehder beschreiben den Versuch einer Kreuzvalidierung eines in Deutschland entwickelten operationalisierten Verfahrens („Rückfallrisiko bei Sexualstraftätern“, RRS). In der Studie von Eher et al. wurden Normwerte für die deutschsprachige Version des Static-99 ermittelt. Beide Untersuchungen erfolgten an Sexualstraftätern, die regulär aus einer Strafhaft entlassen wurden und die erstaunlich geringe Rückfallraten aufwiesen. Dies ist kritisch zu berücksichtigen, wenn diese Instrumente bei der Beurteilung von Tätern hinzugezogen werden sollen, die sich in der Vergangenheit schon als besonders rückfallgefährdet gezeigt haben.

Der Beitrag von Thomas Görgen et al. gibt eine ausführliche Übersicht über den aktuellen Kenntnisstand der möglichen Langzeitfolgen sexueller Missbrauchshandlungen für die Kinder sowie die Determinanten der Art und des Schweregrades solcher Folgen. Die in der Arbeit von Joachim Scheu et al. dargestellte Studie untersucht die Möglichkeiten, jugendliche Zeugen durch Vermittlung von gerichtsrelevantem Sach- und Handlungswissen auf eine Gerichtsverhandlung vorzubereiten, und Peter Kalus gibt in seinem Beitrag eine kasuistisch illustrierte Übersicht über die praktische Bedeutung bildgebender Verfahren im heutigen Strafprozess.