Forensische Psychiatrie und Psychologie sind traditionell dem Vorwurf ausgesetzt, sich zu sehr mit den Tätern zu beschäftigen und die Seite der Opfer zu vernachlässigen. Nun sind Begutachtungen zur strafrechtlichen Schuldfähigkeit und Gefährlichkeitsprognose zwangsläufig auf den (angeblichen oder tatsächlichen) Täter fokussiert. Im Rahmen dieser „Täterbegutachtung“ hat sich jedoch – auch aufgrund leidvoller Erfahrungen – ein Vorgehen etabliert, die Angaben des Probanden kritisch zu hinterfragen und sie nicht ungeprüft als objektive Gegebenheiten der Beurteilung zugrunde zu legen.

Mit der zunehmenden Verbreitung des Konzeptes einer Traumatisierung als Ursache psychischer Störungen hat sich in der allgemeinen Psychiatrie und Psychologie ein spezieller Zweig entwickelt, der sich v. a. mit der Therapie traumabedingter Störungen beschäftigt. Entsprechend dem in der Psychotherapie auch sonst üblichen Vorgehen werden dabei zunächst weder das als traumatisch erlebte bzw. berichtete Geschehen noch die damit in Verbindung gebrachten psychischen Beschwerden infrage gestellt. Solange es hier allein um die Behandlung eines Leidenszustands, etwa einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) geht, kann ein solches Vorgehen auch durchaus berechtigt sein. Schwierig wird es hingegen, wenn aus diesem Zustand rechtliche Konsequenzen abgeleitet werden sollen, wenn z. B. eine PTBS als Grund für einen erfolgreichen Asylantrag oder als eine entschädigungspflichtige Unfallfolge anerkannt werden soll.

Im Rahmen verwaltungsgerichtlicher oder zivilrechtlicher Verfahren kommt es nicht selten zu erheblichen Diskrepanzen zwischen den Attesten, die den Betroffenen im Vorfeld durch behandelnde Ärzte oder andere Therapeuten ausgestellt wurden, und dem Ergebnis einer entsprechenden Begutachtung. Hier treffen sich die beiden Vorgehensweisen konträr: der therapeutische Standpunkt, der allein von dem ausgeht, was der Patient berichtet, und der forensische, der es gewohnt ist, Angaben kritisch zu bewerten und zu hinterfragen. Noch schwieriger gestaltet sich dies in strafrechtlichen Verfahren, in denen zunächst geklärt werden muss, ob ein als traumatisch berichtetes Geschehen überhaupt stattgefunden hat. Beurteilungen der Glaubhaftigkeit einer Aussage von (angeblichen oder tatsächlichen) Opfern einer Straftat, zumeist im Bereich der Sexualdelinquenz, bewegen sich auf einem engen Pfad. Auf der einen Seite droht die Gefahr einer falschen Verurteilung, auf der anderen Seite die mögliche Verstärkung von Tatfolgen.

Potenziell traumatisierende Ereignisse sind meist ausgesprochen dramatisch. Dies birgt die Gefahr, sich auch im gutachterlichen Umgang mit möglichen Opfern von Emotionen oder gar Vorurteilen leiten zu lassen. Daher ist sehr darauf zu achten, auf welche tatsächlichen Erkenntnisse über traumabedingte Störungen und deren Folgen man welche sachverständigen Schlussfolgerungen aufbauen kann. Insofern soll der Schwerpunkt dieses Heftes einen Anstoß zur Versachlichung der Diskussion geben.

Der Beitrag von Wendt gibt eine Übersicht über die historische Entwicklung des Traumabegriffs, insbesondere hinsichtlich der Gefahr, die potenzielle Traumatisierung nicht mehr in Relation zum objektiven Schweregrad des tatsächlichen Geschehens zu betrachten, sondern sie lediglich am subjektiven Erleben des Betroffenen zu bemessen. Mit der Umsetzung des Traumakonzeptes auf verschiedene gutachterliche Fragestellungen beschäftigt sich der Beitrag von Dudeck u. Freyberger, in dem u. a. auch Überlegungen zur Bedeutung frühkindlich erlittener Traumen in der Biografie von Straftätern erörtert werden. Unterscheiden sich Erinnerungen an traumatische Ereignisse von sonstigen Erinnerungsprozessen, und erfordert dies unterschiedliche aussagepsychologische Strategien? Die Arbeit von Volbert gibt hier einen umfassenden Überblick über das bislang bekannte, empirisch fundierte Wissen. Von verschiedenen Blickwinkeln ausgehend kommen die bisherigen Arbeiten letztlich zu dem Ergebnis, dass bei Vorliegen einer PTBS zwar mit gewissen Besonderheiten in der Aussage potenzieller Traumaopfer zu rechnen ist, ohne dass hierdurch aber die allgemein gültigen aussagepsychologischen Kriterien außer Kraft gesetzt werden.

In der Gesellschaft bestehende Probleme machen auch vor den Kirchen nicht halt. Diese an sich banale Erkenntnis hat im letzten Jahr im Zusammenhang mit sexuellen Missbrauchshandlungen durch Priester eine weite Beachtung in den Medien gefunden. Dabei hatte sich die von der öffentlichen Aufmerksamkeit besonders betroffene katholische Kirche schon Jahre zuvor selbstkritische Gedanken über den verantwortlichen Umgang mit Tätern und über möglichst effektive Hilfen für die Opfer sexueller Missbrauchshandlungen gemacht. Vorgeschichte und Inhalt der 2002 in Deutschland eingeführten und 2010 modifizierten Leitlinien der katholischen Kirche werden im Beitrag von Lütz dargestellt.

Zwei Originalbeiträge des Heftes beziehen sich auf kriminalprognostische Aspekte bei Sexualstraftätern. Die Arbeit von Janka et al. untersuchte alterspezifische Einflüsse auf Risikovariablen von Sexualdelinquenz; Rettenberger et al. berichten über eine Studie zur Prognosegüte dynamischer Risikoparameter bei pädosexuellen Tätern. Der Beitrag von Schanda u. Stompe über Zusammenhänge zwischen Schizophrenie und gewalttätigem Verhalten komplettiert schließlich den psychopathologischen Schwerpunkt des vorangegangen Heftes.

Norbert Leygraf, Essen