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Der Exzess einer Tugend

Querulanz zwischen Persönlichkeit, Strukturverformung und Wahn

The excess of a virtue

Querulous behavior between deformation of personality structure and paranoid disorder

  • Originalarbeit
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Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Fälle mit querulierendem Verhalten bis hin zum Querulantenwahn sind in der forensischen Praxis zwar nicht sehr häufig, bereiten aber wegen der Chronizität und Vehemenz massive Probleme. Psychopathologische, differenzialdiagnostische, phänomenologisch-anthropologische und strukturdynamische Aspekte werden an Beispielen diskutiert. Hervorgehoben werden Besonderheiten der Willenstätigkeit, des Verhältnisses von Einsicht und Steuerung sowie v. a. die Strukturverformung der Persönlichkeit im Gefolge langjähriger Fehlentwicklungen. Sie kann Einschränkungen der Einsichts- und Steuerungsleistungen sowie im dynamischen Bereich eine Begünstigung von aggressiven Reaktionsbereitschaften bewirken. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit wird, solange keine psychotische Desintegration des Denkens besteht, keine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit vorliegen. Die Steuerungsfähigkeit ist in der Regel nicht wesentlich eingeschränkt. Bei schwerer ausgeprägter Persönlichkeitsstörung mit erheblicher Strukturverformung oder beim Übergang in wahnhafte Störungen kann es zu einer erheblichen Verminderung, nicht aber Aufhebung der Steuerungsfähigkeit kommen. Letzteres ist erst im Rahmen eindeutig psychotischer, über verstehbare Entwicklungen hinausgehender Erkrankungen anzunehmen. Wegen ungünstiger Prognose kann beim Hinzutreten von Gewaltandrohungen oder manifesten Gewalthandlungen die Unterbringung erforderlich sein. Auf die Bedeutung von Früherkennung und ggf. den Versuch von Mediation wird hingewiesen.

Abstract

Querulous behavior and querulous paranoia are seldom in forensic settings, but produce major problems because of the chronicity and severity of the disorders. Aspects of psychopathology and differential diagnosis are discussed, especially characteristics of volition, of cognition and of behavior control. Regarding criminal responsibility the capacity of understanding the wrongfulness of behavior will usually not be severely impaired. In cases of strong deformation of personality structure with transition into paranoid disorder the capacity for behavior control may be significantly diminished. Irresponsibility will only occur in the rare cases of psychotic disorders. Because of a poor prognosis detention in forensic hospitals may be necessary when threats and manifest aggressive behavior occur.

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Es besteht kein Interessenkonflikt.

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Herrn Professor Werner Janzarik, meinem akademischen Lehrer, in Dankbarkeit zum 90. Geburtstag gewidmet.

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Saß, H. Der Exzess einer Tugend. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 4, 223–232 (2010). https://doi.org/10.1007/s11757-010-0082-3

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