In diesem Band dürfen wir zwei ausführliche Schriften vereinen, die unter anderem auf die frühen Jahre Morenos in Österreich zurückblicken.

Die Autorin Friederike Scherr geht der Frage nach, ob sich zu den Angaben in der (Auto-)Biographie des Psychodrama-Begründers J. L. Moreno noch weitere Dokumente als Belege finden lassen, inwieweit Morenos frühe Tätigkeit in Mitterndorf als Grundlage seiner soziometrischen Ideen gesehen werden kann. Dazu unternimmt sie eine sozial-historische Recherche, Literaturarbeit und Dokumentenanalyse. Die Arbeit in mehreren Archiven hat sich als mühsam herausgestellt, da Unterlagen vor fast hundert Jahren Kriegswirren, Bränden und Skartierungen zum Opfer gefallen sind. Zusätzlich hat sie relevante ExpertInnen kontaktiert.

Der Literaturteil beginnt mit der umfassenden Biographie Morenos, danach folgt die Einführung in die Soziometrie. Der Quellenteil gibt einen guten Einblick in die Verhältnisse zu Zeiten des I. Weltkrieges und konzentriert sich auf das Flüchtlingswesen. Die Autorin fand heraus, dass Moreno in den Lagern Sternberg und wahrscheinlich Deutschbrod tätig war, was einer Fortführung der Archivarbeit vorbehalten bleibt und Zsolna/Sillein mit umfasst. Insbesondere das Lager Mitterndorf an der Fischa ist für diese Arbeit von zentraler Bedeutung für die Entwicklung seiner soziometrischen Konzepte. Scherr ließ für ihre Recherche italienischsprachige Schriften und ZeitzeugInnenberichte übersetzen. Sie konnte historische Aufnahmen des Lagers und Morenos besorgen, die nun zum Teil erstmals im deutschsprachigen Raum publiziert werden. Weitere wird sie im Sinne eines virtuellen Museums zugänglich machen. Dazu hat sie in Museen und Archiven im Trentino recherchiert. Das Hauptinteresse galt den Belegen zu Morenos Arbeit im Lager, die sie für 1915 und 1918 fand. Sein „Briefentwurf“ an das Innenministerium konnte nicht in den Archiven gefunden werden. Das ist so zu interpretieren, dass dieser Brief seine soziometrischen Veränderungs- und Mitbestimmungswünsche ausdrückt, denen er nachträglich (1953) Ausdruck verliehen hat. Die Änderung der Verwendung von Begriffen wie Sympathie/Antipathie zu Anziehung/Abstoßung bzw. Kriterien fällt auch in diese Weiterentwicklung. Eine erste Anschauung des Unterschieds zwischen formellen und informellen Strukturen ist damit verbunden. Interessant ist die Aufarbeitung des Titels „Superintendent der Kinderklinik“, was für einen Hilfsarzt und später jungen Absolventen der Medizin herausfordernd ist. Ein Verdienst der Autorin ist es auch Morenos unmittelbare Zeit nach Mitterndorf, die Bestellung zum (provisorischen) Gemeindearzt in Kottingbrunn und Bad Vöslau genauer recherchiert zu haben. Ein Dekret ließ sich nicht finden, die Stelle Morenos bleibt noch unklar. Hier sind interessante Forschungsfragen aufgetaucht, die einer weiteren Bearbeitung harren.

Friederike Scherr hat neben Psychodrama, Psychologie und Gruppendynamik Archivarbeit gelernt, was der Aufarbeitung von Quellen um die Zeit des ersten Weltkrieges mehr als dienlich war. Manchen LeserInnen wird sie von den Exkursionen zum 100. Geburtstag von Moreno 1989 und zur FEPTO (Federation of European Psychodrama Training Organizations) Tagung 2005 in Erinnerung sein. Mit dem Moreno-Haus-Projekt in Bad Vöslau und der Arbeitslosenforschung im benachbarten Marienthal tun sich Synergien hinsichtlich der Dokumentation und Ausstellung auf. Was der Beitrag Scherrs uns jedenfalls zeigt, sind wichtige sozialhistorische Hintergründe, die diese schwierige Zeit beleuchten. Nicht zuletzt schuf die Stilgattung des Expressionismus, an der auch Moreno literarisch mitwirkte, eine Ausdrucksmöglichkeit für diesen Umbruch zwischen den Kriegen.

Der Beitrag von Blattert analysiert die Lebensgeschichte von Jakob Levy Moreno hinsichtlich seiner spirituellen Entwicklung. Zentral sind expressionistische Frühschriften, insbesondere das „Testament des Vaters“, geschrieben in Bad Vöslau. Dort galt er als Wunderarzt, manche wunderten sich aber auch über ihn. Blatterts Arbeit ist inspiriert von dem zu früh verstorbenen Psychodramatiker Rainer Bosselmann, zu dessen Gedenken diese Schrift verstanden werden kann, und dem Alttestamentler und Orientalisten Bernhard Lang. Neben der Theologie ist sehr stark auch die Judaistik herausgefordert und es gibt zu Lang noch andere Ansätze der Auslegung. Moreno sprach in späteren Jahren von Axiodrama und Pierre Weil von Cosmodrama. Die Idee vom Propheten setzt Blattert aktuell in der Telefonseelsorge von Ruf und Rat und in Psychodramagruppen für Männer in einer Beratungsstelle um. Der Beitrag kann dazu anregen, das Thema Spiritualität und Psychodrama wieder stärker in den Blick zu nehmen. Wie Blattert zeigt, ist hier auch eine wesentliche Wurzel Morenos zu sehen.