Die Bühne ist im Theater der Ort der Aufführung. In dieser Zone des Raumes findet die Handlung statt, an der SchauspielerInnen in ihren jeweiligen Rollen mitwirken. Unterhalb der Bretter, die bekanntlich die Welt bedeuten, im Zuschauerraum also, befindet sich das Publikum, das auf die Darstellung reagiert, Einsichten gewinnt und bei guten Stücken bzw. überzeugend agierenden DarstellerInnen emotional bewegt ist und geistige Anregungen mit nach Hause nimmt. Auch im Psychodrama ist die Bühne ein Hauptelement der hier definitiv therapeutischen oder beraterischen Aktion. Sie gehört zu den fünf Instrumenten des Psychodramas neben ProtagonistIn, Gruppe und ZuschauerInnen, MitspielerInnen und der LeiterIn. Die Bühne ist eine hervorgehobene, vom Beobachterbereich abgesetzte Zone des Gruppenraumes, wo einzelne TeilnehmerInnen, v. a. der Protagonist, unter der Regie der therapeutischen LeiterIn, Rollen einnehmen, Rollen wechseln oder tauschen und auf diese Weise die Handlungsperspektiven verschiedener Personen, die an einer dargestellten Szene ihres Lebens beteiligt sind, kennenlernen. Indem Probleme und Verhaltenssequenzen auf die Psychodramabühne gebracht werden, ergeben sich für die DarstellerInnen innerhalb der erlebnisintensiven Aktion in der Regel signifikante emotionale Erfahrungen, aber auch wichtige Erkenntnisse über sich selbst und die wechselseitige Beeinflussung des Verhaltens sowie die Wirkung des eigenen Handelns. Im Rollenspiel auf der Bühne können neue Handlungsstrategien kreativ entwickelt und ausprobiert werden, indem auch Reaktionen aus dem Publikum einbezogen werden. Handlungsanalyse, kathartische Prozesse im Nachspielen problematischer Szenen und Modifikation bzw. Training neuer Verhaltensweisen, all dies kann auf der Bühne des Psychodramas geschehen.

In dem vorliegenden Heft werden die zentrale Stellung und die praktische Bedeutung der Bühne innerhalb der psychodramatischen Arbeit verdeutlicht, indem sich 10 AutorInnen aus jeweils unterschiedlicher Warte mit einzelnen Aspekten der Bühne auseinandersetzen.

Den Auftakt des Heftes bildet ein theoretischer und historischer Beitrag der Wiener Theaterkennerin und Psychodramatikerin Brigitte Marschall, der Morenos Konzept der Bühnenarbeit als zuschauerloses Theater beschreibt, wobei dieser sein Theater und die narrative Herangehensweise als Gesamtgefüge von Mensch und Raum auffasste. Elke Frohn verfasste den zweiten Artikel als „Hommage an die Werkbank des Psychodramas“ und beschreibt dort sehr praxisnah die individual- und gruppentherapeutische Vorgehensweise des Psychodramas, auch die Verwendung der Methode im Kontext von Supervision. Eine ganz andere Perspektive nimmt Ulf Klein ein, der psychodramatische Inszenierungen unter neuropsychologischen Gesichtspunkten untersucht und dabei konstatiert, dass das Bühnenhandeln als Simulation von Realität maßgeblich die cerebrale Informationsverarbeitung beeinflusst, überhaupt die Denkprozesse anregt. Interessant ist, dass nach Ansicht des Autors auch in umgekehrter Richtung das experimentelle Ausspielen von Handlungsmustern durch neuronale Impulse und das Vorhandensein einer Bühne erleichtert wird.

John Casson bzw. das Autorenpaar Baumann und Stadler bringen mit ihren Beiträgen über die „Glasbühne“ bzw. die „Wandbühne“ interessante Varianten und moderne Erweiterungen ins Spiel, die sich z. B. im Coaching und im Beratungskontext nutzen lassen. Hildegard Pruckner stellt den LeserInnen das Modell der drei Arbeitsbühnen (Begegnungsbühne, Spiel-Aktionsbühne und Soziale Bühne) vor und zeigt an einem ausführlichen Fallbeispiel, wie diese Konzeption sich in der therapeutischen Einzelarbeit (Monodrama) mit Erwachsenen wirkungsvoll nutzen lässt.

Im Anschluss schildert die erfahrene Psychodramatikerin Monika Wicher, wie psychodramatische Arbeit auf der Basis des Drei-Bühnen-Modells mit Kindern und Jugendlichen aussehen kann (Schutzhaus, Beobachterbühne, Spielbühne) und welchen Nutzen sie hat. Zu Bühnenaktivität sind Kinder ohnehin gerne bereit, da sie von Natur aus, also spontan und lustvoll Rollen vor- bzw. nachspielen und sich dabei kreativ einbringen. Die Autorin zeigt, wie bei traumatisierten jungen Menschen eine Rollenerweiterung spielerisch unterstützt werden kann. Unter dem Titel „Puppenbesuch im Altenpflegeheim“ folgt ein Praxisbericht über psychodramatisches Puppenspiel für demenzkranke und pflegebedürftige alte Menschen von Julia Zeman, einer Schauspielerin und Psychodramatikerin. Es handelt sich um eine hautnahe und einfühlsame Darstellung der Improvisationsarbeit mit betagten Heimbewohnern mittels Puppenspiel, die hierdurch emotional vertieften Kontakt zu sich selber finden und vor schnellem geistigen und körperlichem Verfall bewahrt werden.

Als nächstes bietet das Heft einen interessanten Artikel von Sabine Spitzer, die über einen Zeitraum von fünf Jahren mit alkoholkranken Männern eine Psychodrama Gruppe durchführte. Auch hier zeigte sich, dass die Teilnehmer nach einigen Jahren der Bühnenarbeit deutlich profitiert hatten. Reinhard T. Krüger widmet seinen ausführlichen Text dem Thema Kreativität als Heilungsmittel, wobei er analysiert, inwiefern sich bei depressiven Menschen über psychodramatische Rollendarstellungen im längeren therapeutischen Prozess die inneren kreativen Potentiale wiederbeleben und erweitern lassen, d. h. im Sinne einer Heilung Fixierungen aufgehoben und Ressourcen freigelegt werden können.

Das Heft wird abgerundet mit dem Abdruck eines Dokumentes der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPt), und zwar einem von Jürgen Kriz verfassten und an den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie gerichteten Antrag, der zum Ziel hat, die Humanistische Psychotherapie als Verfahren neben der psychodynamischen Therapie, der Verhaltenstherapie und der systemischen Therapie als vierte Säule im deutschen Psychotherapiesystem wissenschaftlich zu verankern.

Die Redaktion beginnt mit diesem Heft, jeweils einen englischsprachigen Artikel pro Themenheft zu veröffentlichen. Zum einen wächst dank Internet die internationale Psychodrama-Gemeinde immer stärker zusammen, zum anderen hat sich Englisch in der Wissenschaft schon lange als Standardsprache etabliert. Wir hoffen, mit der genannten Veränderung einen weiteren LeserInnenkreis anzusprechen und die bestehende LeserInnenschaft nicht (zu sehr) anzustrengen. Eine weitere Neuerung, die über das Internet kommt, ist die Homepage der Redaktion. Neben der Verlagshomepage, die Sie als LeserInnen für Bestellungen und Artikeldownloads nutzen können, hat die Redaktion nun eine eigene Homepage eingerichtet, die Sie unter www.psychodramazeitschrift.com im Netz finden können. Dort stehen beispielsweise die aktuellen AutorInnenhinweise, ein Verzeichnis der bisher in der ZPS erschienenen Titel sowie eine Liste der AutorInnen. Schauen Sie einfach mal hinein, vielleicht finden Sie etwas für Sie Interessantes.

Die ZPS steht insgesamt als Fachzeitschrift gut da, das freut uns als Redaktion und vielleicht ja auch Sie als LeserInnen: 2011 wurden 22.761 Downloads von Beiträgen über das Netz getätigt. Natürlich gibt es neben den Erfolgen auf der Internet-Bühne auch Dinge, die weniger gut als gewünscht laufen. Wir bemühen uns, diese zeitnah zu verbessern und möchten Sie einladen, uns positive wie negative Feedbacks mitzuteilen. Auch dies können Sie über das Kontaktformular unserer neuen Homepage einfach bewerkstelligen. Wie Sie sonst noch per Internet dem Psychodrama auf die Spur kommen können, beschreibt Hartmut Weber in seinem Forumsbeitrag.

Als letzte Info im Zusammenhang mit dem Internet: Sie können sich als LeserIn bei SpringerVS registrieren und bekommen dann eine E-Mail-Nachricht, einen so genannten TOC-Alert, der Sie über das Erscheinen des jeweils neuen Heftes informiert. Auf der Verlagshomepage www.vsjournals.de finden Sie unter ,Service‘ die Rubrik ,TOC-Alert‘, wo Sie die Möglichkeit haben, sich für diesen Service zu registrieren.

Nun aber ,Vorhang auf und Bühne frei‘ für das neue Heft!

Stefan Gunkel und Christian Stadler