1 Einleitung

Individuelle Lernvoraussetzungen von Schüler*innen stellen eine der wichtigsten Determinanten erfolgreicher Bildungsprozesse dar (Helmke und Weinert 1997). Neben leistungsbezogenen Merkmalen betonen empirische Studien übereinstimmend die Bedeutung positiver motivational-affektiver Merkmale für das Lernen (Dreiling und Willems 2020; Holzberger et al. 2019; Linnenbrink-Garcia et al. 2012b; Schenke et al. 2018; Turner und Meyer 2004) und zeigen, dass auch in diesen Merkmalen eine hohe Heterogenität zwischen Schüler*innen besteht, die im Unterricht zur Entstehung eigener „Mikro-Umwelten“ beitragen (Seidel et al. 2016, S. 65; vgl. auch Seidel 2006).

Ausgehend von zentralen Annahmen in Angebots-Nutzungs-Modellen (Helmke 2015; Seidel 2014; Vieluf et al. 2020; Willems 2016), die neben individuellen Lernvoraussetzungen auch subjektiven Wahrnehmungen des situationsspezifischen Unterrichtsgeschehens eine wesentliche Bedeutung für die Wirksamkeit von Unterricht zuschreiben, untersuchen jüngere Studien vermehrt die Frage, wie individuelle Lernvoraussetzungen interindividuelle Unterschiede in der Unterrichtswahrnehmung von Schüler*innen erklären können. Auch hier haben sich – neben kognitiven Merkmalen – dispositionale motivational-affektive Merkmale (Ditton 2002; Igler et al. 2019; Schenke et al. 2018) als prädiktiv erwiesen.

Aus methodischer Sicht wird zur Untersuchung des Zusammenhangs von individuellen Schüler*innenmerkmalen und der Unterrichtswahrnehmung zunehmend auf personenzentrierte Ansätze zurückgegriffen, bei denen Lernvoraussetzungen in Form von Profilen analysiert werden. Im Gegensatz zu klassischen value-added Modellen ermöglichen es solche Profilanalysen nicht nur die isolierten Effekte einzelner Merkmale zu untersuchen, sondern auf Individualebene verschiedene Merkmale miteinander zu kombinieren und deren Struktur innerhalb von Personen zu beschreiben (Lubke und Muthén 2005; Nylund et al. 2007; Wurpts und Geiser 2014). Damit eignen sich personenzentrierte Analysen besonders, um die Interaktion von Merkmalen innerhalb von Person sowie zeitgleich die Heterogenität von Merkmalen zwischen Personengruppen darzustellen.

Studien, die auf solchen Analysen basieren, weisen u. a. charakteristische Profile kognitiver und motivational-affektiver Lernvoraussetzungen nach und zeigen dabei, dass Schüler*innen mit günstigen Profilen Unterricht positiver wahrnehmen als Schüler*innen mit ungünstigeren Lernvoraussetzungen (Linnenbrink-Garcia et al. 2012b; Ruelmann et al. 2021; Seidel 2006). Unterschiede in der Wahrnehmung von Lernumgebungen lassen sich auch auf Basis ‚reiner‘ Motivationsprofile nachweisen. Auch hier zeigt sich, dass Schüler*innen, die über vorteilhafte Motivationsprofile (z. B. hohe Ausprägung selbstbestimmter, intrinsischer Motivationsqualitäten) verfügen, ihren Unterricht positiver einschätzen als Schüler*innen mit ungünstigeren motivationalen Lernvoraussetzungen (Willems et al. im Druck; Willems und Dreiling im Druck; Wormington et al. 2012).

In etablierten Motivationstheorien (Krapp et al. 2014) wird zwischen zeitlich überdauernden, situationsübergreifenden motivationalen Merkmalen (traits) und dem situationsspezifischen motivational-affektiven Erleben (state) unterschieden. Theorien zur Beschreibung der Entwicklung von Interessen nutzen für diese Differenzierung die Bezeichnungen dispositionales und situationales Interesse (Hidi und Renninger 2006; Krapp 2002). Sowohl in der Person-Gegenstands-Theorie (Krapp 2002) als auch im Vier-Phasen-Modell (Hidi und Renninger 2006) sind hier zwei Grundannahmen von Bedeutung: (i) Durch das wiederholte Auftreten eines situationalen Interesses kann sich ein zeitlich relativ überdauerndes, dispositionales Interesse entwickeln. (ii) Die aktuell wirksame Motivation und die Wahrnehmung einer Situation hängen von der situationsspezifischen Interaktion von state- und trait-Merkmalen ab (Krapp et al. 2014). Letzteres ist auch ein zentrales Postulat von Angebots-Nutzungs-Modellen der Unterrichtsforschung (Vieluf et al. 2020): Auch hier wird angenommen, dass die aktuelle Unterrichtswahrnehmung maßgeblich von der Interaktion dispositionaler Merkmale und dem situationsspezifischen Erleben beeinflusst wird.

Bisherige Studien, die den Zusammenhang zwischen motivationalen Schüler*innenprofilen und der Unterrichtswahrnehmung untersuchen, berücksichtigen zur Beschreibung der Profile ausschließlich dispositionale Schüler*innenmerkmale. Analysen, die simultan auch das situationsspezifische motivational-affektive Erleben der Schüler*innen modellieren und die Bedeutung solcher Interaktionsprofile für die Unterrichtswahrnehmung empirisch untersuchen, liegen bislang jedoch noch nicht vor.

An dieser Stelle setzt die vorliegende Studie an: Zunächst werden auf Basis des situationalen und dispositionalen Interesses charakteristische Interaktionsprofile von Schüler*innen bestimmt. Anschließend wird untersucht, inwieweit Unterschiede in der situationsspezifischen Unterrichtswahrnehmung durch solche Schüler*innenprofile erklärt werden können.

Indem individuelle Merkmale als Voraussetzung der Unterrichtswahrnehmung konzeptualisiert werden, legt die Studie damit den Schwerpunkt auf die Analyse einer der in Angebots-Nutzungs-Modellen theoretisch postulierten komplexen Wirkrichtungen zur Erklärung des Zusammenhangs von Unterrichtswahrnehmung und individuellen Schüler*innenmerkmalen. Zur theoretisch-konzeptuellen Grundlegung wird im Folgenden zunächst das dem Beitrag zu Grunde liegende Verständnis von Unterrichtsqualität erläutert (Abschn. 2.1), wobei hier auf das für den Mathematikunterricht etablierte Konzept der ‚drei Basisdimensionen‘ von Klieme et al. (2001) zurückgegriffen wird. Anschließend (Abschn. 2.2) werden individuelle (motivational-affektive) Schüler*innenmerkmale zur Erklärung von unterrichtsbezogenen Wahrnehmungsunterschieden in den Blick genommen, bevor zuletzt (Abschn. 2.3) der Fokus auf das situationale und dispositionale Interesse gelegt wird.

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

2.1 Basisdimensionen der Unterrichtsqualität aus Schüler*innensicht

Die Qualität unterrichtlicher Lernangebote ist eine zentrale Voraussetzung zur Förderung multikriterialer Lernerfolge von Schüler*innen (Klieme und Rakoczy 2008; Praetorius et al. 2018; Wagner et al. 2016). Zur Beschreibung der Unterrichtsqualität hat sich im deutschsprachigen Raum ein Modell von Basisdimensionen etabliert (Klieme et al. 2001; Kunter und Voss 2011), das an internationale Strukturierungssysteme anschlussfähig ist (Pianta und Hamre 2009) und bei der Analyse von Prozessen und Wirkungen unterrichtlichen Lernens derzeit verstärkt genutzt wird (Praetorius et al. 2018).

Das Modell unterscheidet drei Dimensionen der Unterrichtsqualität: effektive Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitives Aktivierungspotenzial. (1) Mit effektiver Klassenführung ist eine Unterrichtssteuerung gemeint, die es allen Schüler*innen ermöglicht, sich aktiv am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen, wenige Störungen auftreten lässt und die zur Verfügung stehende fachbezogene Lernzeit maximiert (Kounin 1970). (2) Die Dimension konstruktive Unterstützung bezieht sich auf eine Unterrichtsgestaltung, die an den Bedürfnissen, Zielen und Lernfortschritten der Schüler*innen ausgerichtet ist. In Anlehnung an die Selbstbestimmungstheorie (Deci und Ryan 2000) soll Unterricht in diesem Sinne das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit fördern. (3) Das kognitive Aktivierungspotenzial fußt auf Annahmen konstruktivistischer Lerntheorien und umfasst Unterrichtshandlungen, die Schüler*innen zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt anregen und es ihnen dadurch ermöglichen, neues Wissen in bestehende Strukturen zu integrieren (Pauli et al. 2008).

Unterrichtsbezogene Qualitätsdimensionen werden in der empirischen Forschung durch verschiedene Datenquellen (Schüler*innen‑, Lehrer*innen- und Beobachter*inneneinschätzungen) erfasst. Insbesondere Schüler*inneneinschätzungen sind dabei von zentraler Bedeutung (Clausen 2002; de Jong und Westerhof 2001; Kunter und Baumert 2006; Wagner et al. 2016), u. a. auch, weil diese empirisch eine hohe Vorhersagekraft für verschiedene Lernerfolgsvariablen haben (Fauth et al. 2014; Henschel et al. 2019; Holzberger et al. 2019; Lazarides und Ittel 2012; Schenke et al. 2018; Scherer et al. 2016; Schiepe-Tiska et al. 2016; Willems 2018, im Druckb).

In Angebots-Nutzungs-Modellen (Helmke 2015; Seidel 2014; Vieluf et al. 2020; Willems 2016) werden solche Schüler*inneneinschätzungen als subjektive Wahrnehmungen von Unterricht verstanden. Die Modelle konzeptualisieren Unterricht als interaktive „Ko-Produktion“ von Lehrenden und Lernenden (Klieme 2006, S. 765), der als Gelegenheitsstruktur seine Wirkungen erst vermittelt über die Wahrnehmung und Nutzung durch die Lernenden entfaltet. Entsprechend zeigen auch empirische Studien, dass – je nach betrachtetem Unterrichtsmerkmal – ca. 70–90 % der Varianz in der Unterrichtswahrnehmung auf individuelle Unterschiede zwischen den Schüler*innen zurückgeführt werden können (Fauth et al. 2014; Göllner et al. 2018; Igler et al. 2019; Voss et al. 2014; Wagner et al. 2016; Willems im Druckb). Auch Mehrebenenmodellierungen, die Schüler*inneneinschätzungen simultan auf Individual- und Klassenebene analysieren, zeigen, dass primär die individuelle Wahrnehmung der Unterrichtsqualität – und weniger die auf Klassenebene aggregierte Wahrnehmung – prädiktiv für den Lernerfolg von Schüler*innen ist (Fauth et al. 2014; Rakoczy 2008; Schiepe-Tiska et al. 2016; Willems 2011).

2.2 Individuelle Schüler*innenvoraussetzungen zur Erklärung von Wahrnehmungsunterschieden

Angebots-Nutzungs-Modelle (Vieluf et al. 2020) postulieren, dass dispositionale Lernvoraussetzungen (traits) ebenso wie das situationsspezifische Erleben (state) und die Interaktion von state- und trait-Merkmalen Unterrichtswahrnehmung beeinflussen (vgl. aus stärker kognitionspsychologischer Sicht auch Bless et al. 2004). Tatsächlich zeigt die Unterrichtsforschung, dass individuelle Wahrnehmungen des Unterrichtsangebots u. a. mit Vorwissen und kognitiven Fähigkeiten (Ditton 2002; Göllner et al. 2018; Igler et al. 2019; Levy et al. 2003), akademischen Selbstkonzepten (Jurik et al. 2015) und dispositionalen intrinsischen Motivationsqualitäten (Ditton 2002; Igler et al. 2019; Schenke et al. 2018; Tsai et al. 2008) zusammenhängen.

Neuere Studien nutzen für solche Zusammenhangsanalysen auch die Vorteile personenzentrierter Ansätze, in denen die wechselseitigen Einflüsse verschiedener – als Profile kombinierter – latenter Merkmale betrachtet werden: So zeigt eine vergleichende Untersuchung von Linnenbrink-Garcia et al. (2012b), dass die Merkmale Interesse, Selbstwirksamkeit und Vorwissen jeweils einzeln betrachtet keine wesentlichen Unterschiede im Lernerfolg von Schüler*innen erklären; die durch personenzentrierte Analysen identifizierten Schüler*innenprofile zur Beschreibung motivational-affektiver und kognitiver Lernvoraussetzung allerdings schon. Inwieweit diese Profile auch die Unterrichtswahrnehmung der Schüler*innen beeinflussen, wurde in der Studie jedoch nicht untersucht. Hierzu zeigt Seidel (2006) für den Physikunterricht, dass Schüler*innen mit einem „starken“ Profil, d. h. kohärent hohen Ausprägungen auf motivational-affektiven und kognitiven Merkmalen, ihren Unterricht positiver wahrnehmen als Schüler*innen weniger vorteilhafter Profile. Auch die Studie von Ruelmann et al. (2021) veranschaulicht, dass Schüler*innen mit „konsistent starken“ Profilen die Lernunterstützung positiver wahrnehmen – wobei primär die zwischen den Profilen differenten Ausprägungen der intrinsischen Motivation relevant zu sein scheinen. Strukturell vergleichbare Schüler*innenprofile werden auch von Seidel et al. (2016) für den Deutsch- und Mathematikunterricht berichtet, allerdings auch hier ohne systematische Zusammenhänge zur Unterrichtswahrnehmung zu untersuchen.

Studien, die auf die Beschreibung typischer Motivationsprofile von Schüler*innen fokussieren (Vansteenkiste et al. 2009; Wormington et al. 2012), zeigen, dass Lernende, deren Profil durch ein hohes Maß selbstbestimmter und zugleich geringem Maß fremdbestimmter Motivation gekennzeichnet ist, Lernumgebungen positiver wahrnehmen. Gestützt werden diese Befunde auch von den Ergebnissen der FeeHe-Studie (Feedback im Kontext von Heterogenität), die auf Basis der Selbstbestimmungstheorie (Deci und Ryan 2000) zeigt, dass Schüler*innen, die bei Eintritt in die gymnasiale Oberstufe über ein „vorwiegend selbstbestimmtes“ Motivationsprofil im Fach Deutsch verfügen, das lernförderliche Feedback im Unterricht im Verlauf des Schuljahres positiver wahrnehmen (Willems und Dreiling im Druck). Basierend auf umfassenden Profilanalysen verschiedener motivationaler Konstrukte (u. a. Interesse, Selbstkonzept, Lern- und Leistungszielorientierung) zeigt sich, dass Schüler*innen mit einem „stark interessenbasierten, intrinsisch motivierten und fähigkeitsüberzeugten“ Profil auch die Basisdimensionen der Unterrichtsqualität im Schuljahresverlauf positiver wahrnehmen (Willems et al. im Druck).

Insgesamt verdeutlicht die Befundlage, dass dispositionale motivational-affektive Lernvoraussetzungen – und hier auch individuelle Motivationsprofile – Unterrichtswahrnehmungen von Schüler*innen beeinflussen. Der vorliegende Beitrag schließt an diese Befunde an, greift aber zusätzlich Annahmen des Angebots-Nutzungs-Modells (und der in Abschn. 2.3 beschriebenen Interessentheorie) auf, nach denen die Unterrichtswahrnehmung nicht nur durch dispositionale motivational-affektive Merkmale beeinflusst werden sollte, sondern durch die Interaktion von dispositionalen und situationalen motivational-affektiven Merkmalen. Im Folgenden wird dazu das Interessenkonstrukt in den Blick genommen, das als intrinsische Motivationsqualität in verschiedenen Studien sowohl auf state- als auch auf trait-Ebene untersucht wird.

2.3 Die Bedeutung des situationalen und dispositionalen Interesses im schulischen Kontext

Das Interesse von Lernenden hat im schulischen Kontext einen hohen Stellenwert: Interessensförderung ist fächerübergreifend ein wesentliches Ziel schulischer Bildung (Aktionsrat Bildung 2015); Interessen stehen in direktem Zusammenhang mit weiteren Merkmalen effektiven Unterrichts – wie z. B. der Leistungsentwicklung (Höft und Bernholt 2019; Köller et al. 2001; Rotgans und Schmidt 2011), sie werden durch die Unterrichtsqualität beeinflusst (Holzberger et al. 2019; Kunter et al. 2007; Lazarides et al. 2019; Lazarides und Ittel 2012; Schiepe-Tiska et al. 2016; Willems und Dreiling im Druck) und bedingen ihrerseits die Unterrichtswahrnehmung von Schüler*innen (Jurik et al. 2015; Seidel 2006; Tsai et al. 2008; Willems et al. im Druck). Schließlich werden auch Bildungswahlentscheidungen von Interessen geleitet (Dietrich und Lazarides 2019; Nagy et al. 2006). Ein mangelndes Interesse von Schüler*innen stellt Lehrkräfte dementsprechend vor große Herausforderungen. Speziell für den Mathematikunterricht zeigt sich, dass Schüler*innen hier nur über ein geringes Interesse verfügen, das im Verlauf der Schulzeit zudem kontinuierlich abnimmt (Daniels 2008; Fredricks und Eccles 2002; Frenzel et al. 2010; Jacobs et al. 2002; Köller et al. 2001).

Sowohl in der Person-Gegenstands-Theorie des Interesses (Krapp 2002) als auch im Vier-Phasen-Modell der Interessenentwicklung (Hidi und Renninger 2006) wird Interesse als relationales Konstrukt aufgefasst, das aus einer Person-Umwelt-Interaktion heraus entsteht und – in reziproker Weise – solche Interaktionen beeinflusst. Beide Ansätze definieren Interessen als eine gegenstandspezifische intrinsische Motivationsqualität. Interessen sind kognitiv repräsentiert, weisen einen epistemischen Charakter auf und bestehen aus einer motivational-affektiven und wertbezogenen Komponente. In Abhängigkeit ihrer Stabilität wird zwischen einem zeitstabilen, überdauernden dispositionalen oder individuellen Interesse (trait) und einem weniger stabilen, kontextspezifischen situationalen Interesse (state) unterschieden, wobei die Wahrnehmung von und das Handeln in konkreten Situationen von der Interaktion von state- und trait-Merkmalen abhängt (Harackiewicz und Knogler 2017; Hidi und Renninger 2006; Krapp 2002; Krapp et al. 2014; Rotgans und Schmidt 2017).

Während das dispositionale Interesse – für das im schulischen Kontext das Fachinteresse eine prototypische Form darstellt (Daniels 2008; Kunter et al. 2007; Sparfeldt et al. 2004) – ein zeitlich stabiles Merkmal ist, beschreibt das situationale Interesse einen aktuellen Zustand des ‚Interessiertseins‘, der in konkreten Situationen sowohl Ausdruck eines bereits manifestierten dispositionalen Interesses sein kann („aktualisiertes Interesse“) oder erst durch situationsspezifische Merkmale ausgelöst wird (Krapp 2002).

Für die Entwicklung von Interessen wird angenommen, dass das situationale Interesse eine Vorstufe des dispositionalen Interesses darstellt, das sich bei wiederholter Aktivierung zu einem überdauernden Interesse entwickeln kann. Außerdem gilt das situationale Interesse im Gegensatz zum dispositionalen Interesse als vergleichsweise gut durch die konkrete Gestaltung einer Situation zu beeinflussen (Knogler et al. 2015).

In Anlehnung an Mitchell (1993) wird auf Ebene des situationalen Interesses zwischen einer Catch- und Hold-Dimension unterschieden (Hidi und Renninger 2006). Auch wenn eine empirische Differenzierung der unterschiedlichen Phasen der Interessenentwicklung nicht trivial ist, so werden die Grundannahmen des Modells für den schulischen Kontext durch verschiedene Studien gestützt: So lassen sich u. a. die Catch- und Hold-Dimensionen empirisch voneinander – ebenso wie vom dispositionalen Interesse – trennen, wobei die Catch-Dimension gekennzeichnet ist durch positive emotionale Zustände (u. a. Spaß, Freude, Neugierde), die Hold-Dimension durch eine stärker persönliche Wertschätzung des Interessengegenstandes und eine epistemische Orientierung (Knogler et al. 2015; Lewalter und Willems 2009; Linnenbrink-Garcia et al. 2010, 2012a; Palmer et al. 2017; Rotgans und Schmidt 2011; Willems 2011, im Druckb).

Auf Unterrichtsebene zeigen sich Zusammenhänge zwischen dem situationalen Interesse und dem Ausmaß an Problemorientierung des Unterrichts (Knogler et al. 2015; Rotgans und Schmidt 2017), der Verwendung von hands-on Aktivitäten (Ochsen et al. 2020), einer effektiven Klassenführung (Lenske et al. 2017), dem produktiven Umgang mit Heterogenität (Lenske et al. 2017) sowie der Autonomieförderung und kognitiven Aktivierung (Lewalter und Willems 2009; Linnenbrink-Garcia et al. 2012b; Tsai et al. 2008; Willems 2011). Auch erklärt das Ausmaß des situationalen Interesses Zusammenhänge zwischen allen drei Basisdimensionen der Unterrichtsqualität und dem Fachinteresse von Schüler*innen (Willems im Druckb).

Während die Befundlage zu der Frage, welche Merkmale der Lernumgebung ein situationales Interesse fördern, mittlerweile relativ breit ist, liegen aktuell noch keine Befunde zu der Frage vor, inwieweit das situationale Interesse von Schüler*innen ihre Unterrichtswahrnehmung beeinflusst. Von besonderer Relevanz erscheinen dazu Analysen, die systematisch die bereits in theoretischen Modellen angelegte Interaktion des situationalen und dispositionalen Interesses für die Unterrichtswahrnehmung von Schüler*innen in den Blick nehmen.

Studien zur Interessenentwicklung gehen häufig der Frage nach, inwieweit geschlechtsspezifische Unterschiede in der Ausprägung und Entwicklung von Interessen bestehen. Als robust gilt dabei der Befund, dass Mädchen im Fach Mathematik über ein geringeres dispositionales Interesse verfügen als Jungen (Fredricks und Eccles 2002; Frenzel et al. 2010; Gaspard et al. 2015; Jacobs et al. 2002; Kessels und Hannover 2006). Auch profilanalytische Auswertungen zeigen, dass Mädchen bereits in der Grundschule für das Fach Mathematik über vergleichsweise ungünstige motivationale Lernvoraussetzungen verfügen (Ruelmann et al. 2021), die auch in der Sekundarstufe I bestehen bleiben (Lazarides et al. 2014; Seidel et al. 2016). Auf Basis längsschnittlicher Profilanalysen zeigen Dietrich und Lazarides (2019) ferner, dass Jungen in der Sekundarstufe I überproportional häufig in günstigen (intrinsischen) Motivationsprofilen verbleiben, während Mädchen – auch bei positiven Ausgangslagen – überproportional häufig in ungünstigere Motivationsprofile übergehen.

Solche geschlechtsspezifischen Befundmuster in der Ausprägung des dispositionalen Interesses lassen sich bemerkenswerter Weise nicht ohne Weiteres auf die Ausprägung des situationalen Interesses in konkreten Unterrichtsstunden übertragen: So zeigen Tsai et al. (2008), dass sich Jungen und Mädchen in den Fächern Mathematik, Deutsch und zweite Fremdsprache nicht im situationalen Interesse unterscheiden. Auch Willems (im Drucka) zeigt, dass Jungen im Fach Mathematik zwar über ein höheres dispositionales Interesse als Mädchen verfügen, im situationalen Interesse aber keine signifikanten Unterscheide bestehen.

3 Forschungsfragen und methodisches Vorgehen

3.1 Fragestellungen und Hypothesen

Die vorangegangenen Ausführungen haben dargelegt, dass motivational-affektive Lernvoraussetzungen von Schüler*innen ihre Wahrnehmung des Unterrichts beeinflussen. Sowohl Motivations- und Interessentheorien als auch Angebots-Nutzungs-Modelle der Unterrichtsforschung stellen die Annahme in den Mittelpunkt, dass die Wahrnehmung von konkreten (Unterrichts‑) Situationen von der Interaktion dispositionaler sowie situationaler motivational-affektiver Merkmale bedingt wird.

Aus methodischer Sicht sind personenzentrierte Profilanalysen instruktiv für ein besseres Verständnis der Wahrnehmung und Nutzung von Lernangeboten im Unterricht, da sie eine angemessene Modellierung der Interaktion von Merkmalen innerhalb von Personen erlauben und so interindividuelle (motivational-affektive) Lernvoraussetzungen von Schüler*innen anschaulich beschreiben und ihre Auswirkungen entsprechend analysieren können.

Vor diesem Hintergrund zielt der Beitrag darauf ab, die Interaktion des situationalen und dispositionalen Interesses im Mathematikunterricht sowie deren Zusammenhang zur Unterrichtswahrnehmung von Schüler*innen mittels latenter Profilanalysen zu untersuchen. Es wird folgenden Fragen nachgegangen:

(F1)

Lassen sich anhand des situationalen und dispositionalen Interesses typische Schüler*innenprofile identifizieren und welche Struktur weisen solche Profile auf?

Auf Basis von Interessentheorien (Hidi und Renninger 2006; Krapp 2002) wird angenommen, dass sich zunächst zwei typische – relativ extreme – Profile nachweisen lassen, die sich durch (i) konsistent hohe bzw. (ii) konsistent niedrige Ausprägungen im situationalen und dispositionalen Interesse auszeichnen. Zudem sollten Mischprofile auftreten: Schüler*innen dieser Profile sollten sich entweder durch (iii) eine hohe Ausprägung im situationalen und zeitgleich relativ niedrige Ausprägung im dispositionalen Interesse bzw. entgegengesetzt durch (iv) eine niedrige Ausprägung im situationalen und zeitgleich relativ hohe Ausprägung im dispositionalen Interesse auszeichnen. Ausgehend von stabilen Befunden, die zeigen, dass Mädchen im Fach Mathematik über ungünstigere motivationale Voraussetzungen verfügen als Jungen (Frenzel et al. 2010; Gaspard et al. 2015; Jacobs et al. 2002; Lazarides et al. 2014; Seidel et al. 2016; Willems im Drucka) wird erwartet, dass Mädchen in Profilen, die sich durch hohe Ausprägungen im dispositionalen Interesse auszeichnen, unterrepräsentiert sind und in Profilen, die sich durch eine geringe Ausprägung im dispositionalen Interesse auszeichnen, entsprechend überrepräsentiert sind.

(F2)

Wie nehmen Schüler*innen mit unterschiedlichen Profilen die Qualität des Mathematikunterrichts wahr?

Hier werden in Abhängigkeit der Schüler*innenprofile differenzielle Befundmuster erwartet: Schüler*innen, die über relativ günstige Profile verfügen, sollten ihren Unterricht in allen drei Basisdimensionen positiver wahrnehmen. Darüber hinaus wird vor dem Hintergrund der Interessentheorien (Hidi und Renninger 2006; Krapp 2002) erwartet, dass vor allem das situationale Interesse die Wahrnehmung konkreter Unterrichtsstunden beeinflusst. Entsprechend sollten Schüler*innen mit Profilen, in denen das situationale Interesse vergleichsweise hoch ausgeprägt ist, den Unterricht positiver wahrnehmen als Schüler*innen mit nur geringem situationalen Interesse.

3.2 Datengrundlage

Die Daten stammen aus der SIGMA-Studie (Situationales Interesse und Gestaltung des Mathematikunterrichts; Lewalter und Willems 2009; Willems 2011, im Druckb), die für die vorliegenden Analysen sekundäranalytisch ausgewertet wurde. An der Studie nahmen n = 940 Schüler*innen der 8. Jahrgangsstufe aus 38 Klassen an 13 Gymnasien in Bayern teil (MAlter = 13,51, SDAlter = 0,63, 39,3 % weiblich). Die Anzahl an Schüler*innen pro Klasse lag zwischen 13 und 32 (M = 27,74, SD = 4,00). Die Teilnehmenden wurden im unmittelbaren Anschluss an eine 45-minütige Einführungsstunde zu dem für die Jahrgangsstufe zentralen Thema ‚Geradengleichungen linearer Funktionen‘ nach ihren Einschätzungen des gerade erlebten Unterrichts befragt. So wurde das Thema der untersuchten Unterrichtsstunde standardisiert, allerdings im Sinne der ökologischen Validität keine weiteren Vorgaben zur methodisch-didaktischen Gestaltung des Unterrichts gemacht. Die Daten wurden in einem Zeitfenster von zwei Wochen erfasst, wobei die Befragungen jeweils eine Schulstunde in Anspruch nahmen.

3.3 Statistische Analyseverfahren

Alle Berechnungen wurden mit der Software Mplus 8.6 (Muthén und Muthén 2021) unter Verwendung des Full-Information-Maximum-Likelihood Verfahren durchgeführt. Dieses Verfahren schätzt fehlende Werte modellbasiert, gilt als robust und ist im Vergleich zur Imputation effizienter und voraussetzungsärmer (Graham 2009). Da die in die Analysen einbezogenen Items einen Anteil fehlender Werte von maximal 2,3 % aufweisen, wird das Problem von item-nonresponse in dieser Studie als wenig problematisch eingestuft.

Die faktorielle Struktur der Unterrichtsqualitätsdimensionen wurde in einem mehrschrittigen Verfahren mittels konfirmatorischer Mehrebenenfaktorenanalysen (KMFA) geprüft. Dazu wurde die Dimensionalität zunächst getrennt für die Individual- und Klassenebene und anschließend simultan mehrebenenanalytisch untersucht (Lüdtke et al. 2007; Muthén 1994). Dem Ansatz von Muthén (1994) folgend, werden die Analysen auf Individualebene auf Basis der within-group Kovarianzmatrix durchgeführt, was einer Zentrierung am Klassenmittelwert entspricht. Zur Identifikation der latenten Variablen auf Individual- und Klassenebene wurde jeweils die Ladung des ersten Items auf 1 fixiert, die Ladungen aller weiteren Items wurden auf Individual- und Klassenebene frei geschätzt. Zur Beurteilung der Modellgüte wurden der Comparative Fit Index (CFI), der Tucker-Lewis Index (TLI), der Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA) sowie der Standardized Root Mean Square Residual (SRMR) genutzt. Modelle mit einem CFI bzw. TLI über 0,97 und einem RMSEA bzw. SRMR unter 0,05 werden als gute Approximationen an die Daten angesehen. Modelle mit einem CFI bzw. TLI über 0,95 und einem RMSEA bzw. SRMR unter 0,08 gelten als akzeptabel. Zusätzlich wird der χ2-Anpassungstest und der Quotient aus χ2-Wert und modellspezifischen Freiheitsgraden (χ2/df) herangezogen, bei letzterem gelten Werte unter 2 als gut, Werte unter 3 als akzeptabel (Marsh et al. 2004; West et al. 2012).

Für die latenten Profilanalysen wurden auf Basis der individuellen Schüler*innenangaben Profile und Profilzuordnungswahrscheinlichkeiten geschätzt, wobei die Mehrebenenstruktur der Daten durch eine modellbasierte Korrektur der Standardfehler mit der Option Type=Complex berücksichtigt wurde. Ergänzend wurde eine Maximum-Likelihood-Schätzung mit robusten Standardfehlern (MLR) angewendet (Lubke und Muthén 2005).

Profilanalysen können auf Ebene von Einzelitems ebenso wie unter Verwendung von Skalenmittelwerten durchgeführt werden. Sowohl Tein et al. (2013) als auch Wurpts und Geiser (2014) zeigen jedoch, dass Profilanalysen auf Grund der höheren Messgenauigkeit bei der Verwendung einer größeren Anzahl an Indikatoren zu besseren Modellschätzungen sowie zuverlässigeren und differenzierteren Profilen führen. Außerdem haben sie eine stärkere power, die korrekte Anzahl an Profilen zu identifizieren. Da in der vorliegenden Studie lediglich drei verschiedene Konstrukte in die Profilanalysen eingehen (vgl. Abschn. 3.4), wurde auch hier für die Bestimmung der Profile auf die Nutzung von Einzelitems zurückgegriffen. Parallele Analysen, in denen die drei Skalenmittelwerte als Indikatoren der Profile verwendet wurden, weisen inhaltlich analoge Profile nach, sind aber in Übereinstimmung mit Wurpts und Geiser (2014) statistisch weniger robust.

Die Entscheidung für die optimale Profilanzahl wurde sowohl auf Basis inhaltlicher Kriterien als auch anhand relativer informationstheoretischer und inferenzstatistischer Modellfitindizes abgewogen (Magidson und Vermunt 2004; Nylund et al. 2007): Zur Bewertung des relativen Modellfits wird der Sample Size Adjusted BIC-Wert (SSA-BIC) herangezogen (kleinere SSA-BIC Werte weisen dabei auf eine bessere Modellanpassung hin). Als inferenzstatistisches Maß wird der Lo-Mendell-Rubin Test verwendet, wonach eine optimale Profillösung dann vorliegt, wenn die Erweiterung des Modells um ein zusätzliches Profil zu keiner signifikanten Verbesserung der Datenanpassung führt. Die Klassifikationsgenauigkeit wird über die Entropie (Werte nahe 1 indizieren eine hohe Genauigkeit) und über die mittlere Zuordnungswahrscheinlichkeit (Hitrate) bestimmt.

Die Indikatoren wurden auf signifikante Unterschiede zwischen den Profilen mit dem BCH-Verfahren (Bakk und Vermunt 2016) geprüft. Mit dem R3STEP-Verfahren (Asparouhov und Muthén 2014) wurde analysiert, ob die Profilzugehörigkeit systematisch vom Geschlecht der Schüler*innen abhängt. Auch profilbedingte Unterschiede in der Unterrichtswahrnehmung wurden mit dem BCH-Verfahren untersucht. BCH- und R3STEP-Verfahren berücksichtigen bei der Parameterschätzung sowohl die Zuordnungswahrscheinlichkeiten für die jeweiligen Profile als auch die Mehrebenenstruktur der Daten und sollten daher anderen Analysemethoden vorgezogen werden.

Als Voraussetzung für die latenten Mittelwertsvergleiche in der Unterrichtswahrnehmung in Abhängigkeit der Profilzugehörigkeit wird die Messinvarianz der Unterrichtsqualitätsdimensionen mittels konfirmatorischer Multigruppenfaktorenanalysen geprüft (Dimitrov 2010; Sass 2011). Unter Verwendung eines mehrschrittigen step-up-Ansatzes werden die Unterrichtsqualitätsdimensionen dazu sukzessive auf konfigurale, metrische und skalare Messinvarianz geprüft. Die Prüfungen erfolgen dabei über die schrittweise Restriktion des Baseline-Modells. Verschlechtert sich die Modellanpassung durch die eingeführten Restriktionen nicht signifikant (χ2-Differenzentest), so kann von Messinvarianz ausgegangen werden (Brown 2015).

3.4 Erhebungsinstrumente

Das situationale Interesse wurde mit acht Items erfasst (jeweils vier für die Catch- bzw. Hold-Dimension), die auf Basis einer Pilotierungsstudie entwickelt wurden (Willems 2011). Mit den Items zur Catch-Dimension wurden die Aspekte Freude, Spaß, Neugierde und Aufmerksamkeit gemessen. Die Items zur Hold-Dimension fokussieren die Bestandteile Wertüberzeugung und epistemische Orientierung. Als prototypische Form des dispositionalen Interesses wurde das Fachinteresse der Schüler*innen mit vier Items gemessen, die auf Sparfeldt et al. (2004) zurückgehen. Alle Items haben ein fünfstufiges Antwortformat (1 = ‚trifft gar nicht zu‘ bis 5 = ‚trifft völlig zu‘).

Die durchgeführten konfirmatorischen Faktorenanalysen bestätigen die empirische Differenzierbarkeit der drei Interessendimensionen (Tab. 1): Während theoriekonform die Modellgüte des dreifaktoriellen Modells insgesamt (sehr) gut ist, weisen das zweifaktorielle Modell, in dem lediglich zwischen dem situationalen und dispositionalen Interesse differenziert wurde, sowie das Generalfaktormodell keinen angemessenen Fit auf. Die latenten Korrelationen zwischen den drei Dimensionen sind signifikant (p ≤ 0,01) und liegen zwischen 0,47 ≤ r ≤ 0,71. Die beiden Dimensionen des situationalen Interesses korrelieren dabei höher miteinander (r = 0,71) als jeweils mit dem Fachinteresse (rCatch/FI = 0,58; rHold/FI = 0,47). Alle Items weisen hohe und signifikante (p ≤ 0,01) Faktorladungen auf (0,46 ≤ λ ≤ 0,91).

Tab. 1 Modellfitstatistiken Interessendimensionen (konfirmatorische Faktorenanalyse)

Tab. 2 stellt Skalenkennwerte und Beispielitems der Interessendimensionen dar. Die Skalenmittelwerte unterscheiden sich signifikant voneinander: Schüler*innen weisen im Durchschnitt ein signifikant höheres Ausmaß im situationalen Interesse als im Fachinteresse (M = 2,33, SD = 0,99) auf, wobei die Catch-Dimension (M = 2,82, SD = 0,85) signifikant höher ausgeprägt ist als die Hold-Dimension (M = 2,59, SD = 0,76). Die Intraklassenkorrelationskoeffizienten zeigen, dass für das Fachinteresse lediglich 5 % der Varianz zwischen den Klassen liegt. Die Werte für die beiden Dimensionen des situationalen Interesses liegen mit 12 % (Catch) bzw. 8 % (Hold) etwas höher und können als Hinweis auf die höhere Situationsabhängigkeit der beiden Dimensionen interpretiert werden.

Tab. 2 Beispielitems und Kennwerte zum situationalen und dispositionalen Interesse

Zur Erfassung der wahrgenommenen Unterrichtsqualität wurden für die drei Basisdimensionen Skalen mit jeweils fünf Items in Anlehnung an Instrumente aus der COACTIV- (Baumert et al. 2008) und Pythagoras-Studie (Rakoczy et al. 2005) entwickelt (Antwortformat: 1 = ‚trifft gar nicht zu‘ bis 5 = ‚trifft völlig zu‘). Nachdem zunächst die Faktorenanalysen auf Individualebene (unter Verwendung der within-group Kovarianzmatrix, vgl. Abschn. 3.3) theoriekonform auf eine dreifaktorielle Struktur der Daten hinwiesen (χ2 [df] = 250,58 [87], p (χ2) < 0,001, χ2/df = 2,88, CFI = 0,96, TLI = 0,96, RMSEA = 0,06, p (RMSEA) = 0,12, SRMR = 0,06), zeigen auch die KMFA, dass auf Individual- und Klassenebene ein Modell mit drei getrennten, korrelierten Faktoren eine gute Modellanpassung aufweist (Abb. 1). Das dargestellte Mehrebenenstrukturmodell weist einen guten Modellfit auf (χ2 [df] = 561,36 [189], p (χ2) < 0,001, χ2/df = 2,97, CFI = 0,96, TLI = 0,96, RMSEA = 0,05, p (RMSEA) = 0,12, SRMRwithin = 0,04, SRMRbetween = 0,06). Die latenten Korrelationen zwischen den Basisdimensionen sind auf beiden Ebenen signifikant (p ≤ 0,01) und liegen zwischen 0,40 ≤ rwithin ≤ 0,68 sowie 0,50 ≤ rbetween ≤ 0,70. Alle Items weisen auf Individual- und Klassenebene hohe signifikante Faktorladungen auf (0,43 ≤ λwithin ≤ 0,78 sowie 0,55 ≤ λbetween ≤ 0,97).

Abb. 1
figure 1

Mehrebenenmodell der Basisdimensionen der Unterrichtsqualität. (Abgebildet sind standardisierte Koeffizienten auf Individualebene (w) und Klassenebene (b). Alle dargestellten Ladungen und Korrelationen sind auf dem 0,01-Niveau signifikant. eKF effektive Klassenführung, kUNT konstruktive Unterstützung, kAP kognitives Aktivierungspotenzial)

Tab. 3 stellt Skalenkennwerte und Beispielitems für die Unterrichtsqualitätsdimensionen dar. Die Mittelwerte der Dimensionen unterscheiden sich signifikant voneinander: Schüler*innen schätzen das kognitive Aktivierungspotenzial des Mathematikunterrichts am geringsten ein (M = 2,52, SD = 0,83), gefolgt von der effektiven Klassenführung (M = 2,64, SD = 0,80) und der konstruktiven Unterstützung (M = 3,04, SD = 0,90). Die Reliabilitäten der Subskalen sind auf Individual- und Klassenebene zufriedenstellend bis (sehr) gut (0,74 ≤ α ≤ 0,80) bzw. (0,84 ≤ ICC (2) ≤ 0,89). Die Höhe der Intraklassenkorrelationskoeffizienten liegt mit Werten von 0,14 ≤ ICC (1) ≤ 0,19 im Bereich vergleichbarer Studien (Abschn. 2.1).

Tab. 3 Beispielitems und Kennwerte zur Unterrichtsqualität

4 Ergebnisse

4.1 Individuelle Schüler*innenprofile des situationalen und individuellen Interesses

Das Ergebnismuster der latenten Profilanalyse (Tab. 4) spricht aus empirischer (und inhaltlicher) Sicht für eine 4‑Profillösung: Der Vergleich des SSA-BIC zwischen den Modellen zeigt eine leicht bessere Modellanpassung mit steigender Profilzahl. Dabei sinkt der SSA-BIC bis zu einer Schwelle von vier Profilen deutlich, ab fünf Profilen nur noch geringfügig, sodass substanzielle Modellverbesserungen bis zur 4‑Profillösung vorliegen. Auch die Klassifikationsgenauigkeit der 4‑Profillösung ist mit einer durchschnittlichen Zuordnungswahrscheinlichkeit von 94 % und einer Entropie von 0,86 als (sehr) gut zu bewerten. Der aLMR-Test weist auf signifikante Modellverbesserungen bis zur 4‑Profillösung hin, die Hinzunahme eines weiteren Profils führt danach nicht mehr zu einer signifikanten Verbesserung der Modellanpassung.

Tab. 4 Statistische Kennwerte der latenten Profilanalyse

Abb. 2 veranschaulicht die 4‑Profillösung graphisch. Erwartungskonform zeigt sich neben einem Schüler*innenprofil, das sich durch konsistent hohe Werte auf allen Indikatoren des situationalen und dispositionalen Interesse auszeichnet (Profil 1, 17,13 % Schüler*innenanteil), ein Profil, das durch konsistent niedrige Werte auf dem situationalen und dispositionalen Interesse gekennzeichnet ist (Profil 4). Mit einem Anteil von 34,21 % tritt dieses Profil am häufigsten in der Stichprobe auf. Zusätzlich werden zwei in Bezug auf das situationale und dispositionale Interesse differenzierte Mischprofile sichtbar: Schüler*innen des Profil 2 (31,49 %) weisen vergleichsweise hohe Werte auf der Catch- und Hold-Dimension auf, jedoch zeitgleich relativ niedrige Werte im dispositionalen Interesse. Umgekehrt weisen Schüler*innen aus Profil 3 (16,17 %) vergleichsweise niedrige Werte auf der Catch- und Hold-Dimension auf und zeitgleich relativ hohe Werte im dispositionalen Interesse.

Abb. 2
figure 2

4‑Profillösung der latenten Profilanalyse

Damit wird deutlich, dass Schüler*innen in konkreten Unterrichtssituationen auch dann über ein hohes situationales Interesse verfügen können, wenn sie (noch) kein bzw. ein nur geringes dispositionales Interesse ausgebildet haben (Profil 2). Umgekehrt zeigt sich aber auch, dass ein bereits vorhandenes dispositionales Interesse für eine Gruppe von Schüler*innen nicht zwingend damit einhergeht, dass diese in konkreten Unterrichtssituation auch über ein hohes situationales Interesse verfügen (Profil 3). Spezifische Unterschiede zwischen der Catch- und Hold-Dimension des situationalen Interesses, die sich in eigenen Profilen niederschlagen würden, treten nicht auf.

Gemäß dieser Typenbeschreibung werden Schüler*innen des Profil 1 als (konsistent) „interessiert“, des Profil 4 als (konsistent) „uninteressiert“, des Profil 2 als „vorwiegend situational (und wenig fachspezifisch) interessiert“ und des Profil 3 als „vorwiegend fachspezifisch (und wenig situational) interessiert“ charakterisiert.

Alle Indikatoren unterscheiden sich zwischen den Profilen signifikant voneinander (Overall‑χ2-Tests: 81,03 ≤ χ2 (3) ≤ 1584,15; p ≤ 0,01, aus Platzgründen ohne Tab.). Im paarweisen Gruppenvergleich zeigt sich, dass sich einzig die Indikatoren der Hold-Dimension nicht signifikant zwischen Profil 3 und 4 unterscheiden.

Tab. 5 stellt die Ergebnisse der multinomialen logistischen Regressionen zu der Frage dar, ob sich die Profilzugehörigkeit der Schüler*innen systematisch in Abhängigkeit ihres Geschlechts unterscheidet. Als Referenzgruppe dient Profil 1 („interessiert“). Die Ergebnisse zeigen erwartungskonform, dass die Wahrscheinlichkeit für Mädchen in Profil 4 („uninteressiert“) zu sein, signifikant höher ist als für Profil 1 („interessiert“). Auch haben Mädchen eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit in Profil 2 („vorwiegend situational (und wenig fachspezifisch) interessiert“) zu sein als in der Referenzgruppe.

Tab. 5 Ergebnisse der multinominalen logistischen Regression

In Tab. 6 sind abschließend die Profilzugehörigkeitswahrscheinlichkeiten getrennt für Jungen und Mädchen deskriptiv dargestellt. Wie erwartet sind Mädchen in Profil 1 („interessiert“) und Profil 3 („vorwiegend fachspezifisch (und wenig situational) interessiert“) unterrepräsentiert sowie in Profil 2 („vorwiegend situational (und wenig fachspezifisch) interessiert“) und Profil 4 („uninteressiert“) überrepräsentiert.

Tab. 6 Profilzugehörigkeitswahrscheinlichkeiten für Jungen und Mädchen

4.2 Schüler*innenwahrnehmungen der Unterrichtsqualität

Als Voraussetzung für die Durchführung der latenten Mittelwertsvergleiche in den Unterrichtsqualitätsdimensionen in Abhängigkeit der Schüler*innenprofile wurden konfirmatorische Mehrgruppenfaktorenanalysen auf Basis der individuellen Schüler*innenwahrnehmung durchgeführt (Tab. 7). Die Befunde zeigen, dass das Strukturmodell zur Beschreibung der Unterrichtsqualitätsdimensionen (vgl. Abschn. 3.4) in allen latenten Profilen über eine akzeptable Modellanpassung verfügt (konfigurale Invarianz). Neben der Faktorstruktur unterscheiden sich auch die Faktorladungen (metrische Invarianz) und Intercepts (skalare Invarianz) der Items zwischen den Profilen nicht signifikant voneinander, sodass von einer hinreichenden Messäquivalenz der eingesetzten Instrumente über die latenten Profile hinweg ausgegangen werden kann.

Tab. 7 Überprüfung der Messinvarianz für die Unterrichtsqualitätsdimensionen in den verschiedenen Schüler*innenprofilen (konfirmatorische Mehrgruppenfaktorenanalysen)

Die Ergebnisse der multiplen Gruppenvergleiche zur Frage, ob Schüler*innen verschiedener Profile die Unterrichtsqualität unterschiedlich wahrnehmen, zeigen schließlich signifikante Unterschiede zwischen den Profilen (Tab. 8). Für alle Basisdimensionen ist das Muster identisch: Schüler*innen, mit einem (konsistent) „interessierten“ Profil nehmen den Unterricht signifikant positiver wahr als Schüler*innen aller anderen Profile. Zudem zeigt sich, dass Schüler*innen mit einem „vorwiegend situational (und wenig fachspezifisch) interessierten“ Profil den Unterricht signifikant positiver einschätzen als Schüler*innen mit einem „vorwiegend fachspezifisch (und wenig situational) interessierten“ Profil. Keine signifikanten Unterschiede gibt es hingegen in der Unterrichtswahrnehmung von Schüler*innen mit einem „vorwiegend fachspezifisch (und wenig situational) interessierten“ Profil und einem „uninteressierten“ Profil. Erwartungskonform werden damit Unterschiede in Abhängigkeit der Schüler*innenprofile sichtbar, wobei vor allem Schüler*innen mit einem hohen situationalen Interesse den Unterricht relativ positiv einschätzen: Tritt ein hohes situationales Interesse in Kombination mit einem hohen dispositionalen Interesse auf, sind die Einschätzungen der Schüler*innen am positivsten – gefolgt von den Einschätzungen der Schüler*innen, die in der konkreten Unterrichtssituation über ein hohes situationales Interesse verfügen, ohne jedoch zeitgleich ein hohes Fachinteresse aufzuweisen.

Tab. 8 Mittelwerte, Standardfehler und Mittelwertsvergleiche in den Basisdimensionen

5 Diskussion

Wie Schüler*innen die Qualität ihres Unterrichts wahrnehmen, ist von hoher Relevanz für ihre Lernprozesse (Schenke 2018; Schiepe-Tiska et al. 2016; Willems 2011). Die vorliegende Studie geht vor dem Hintergrund etablierter Interessentheorien und unter Verwendung latenter Profilanalysen der Frage nach, inwieweit interindividuelle Unterschiede in der Unterrichtswahrnehmung durch die Interaktion des situationalen und dispositionalen Interesses von Schüler*innen bedingt sind. Erkenntnisse über solche interindividuellen Schüler*innenprofile tragen dazu bei, heterogene motivational-affektive Ausgangslagen von Schüler*innen differenziert – aber zugleich übersichtlich – zu beschreiben und Schlüsse für eine adaptive Unterrichtsgestaltung zu ziehen (Dreiling und Willems 2020). Damit werden sie auch einer prominenten Forderung gerecht, die Unterrichtsforschung insgesamt stärker in Richtung differenzieller Analyseansätze weiterzuentwickeln, auf deren Grundlage sogenannte „Mikro-Umwelten“ (Seidel et al. 2016, S. 65) innerhalb von Klassen adäquater untersucht werden können.

5.1 Individuelle Profile des situationalen und dispositionalen Interesses

In Übereinstimmung mit theoretisch konzeptuellen Überlegungen zur Interaktion des situationalen und dispositionalen Interesses (Hidi und Renninger 2006; Krapp 2002; Rotgans und Schmidt 2017) weist die Studie vier typische Schüler*innenprofile nach: Eine kleine Gruppe verfügt über konsistent hohe Ausprägungen im situationalen und dispositionalen Interesse und damit über positive motivational-affektive Ausgangslagen. Demgegenüber am stärksten in der Stichprobe vertreten ist ein Profil, welches sich durch konsistent niedrige Ausprägungen im situationalen und dispositionalen Interesse auszeichnet. Diese Befunde stehen zunächst einmal in Einklang mit Studien, die ungünstige motivational-affektive Voraussetzungen von Schüler*innen im Fach Mathematik beklagen. Vor dem Hintergrund der ebenso beschriebenen geschlechtsspezifischen Unterschiede in diesen Profilen stärken sie auch robuste Befunde, wonach Mädchen im Fach Mathematik durchschnittlich über geringere Ausprägungen im dispositionalen Interesse verfügen als Jungen (Frenzel et al. 2010; Gaspard et al. 2015; Köller et al. 2001; Lazarides et al. 2014; Seidel et al. 2016; Willems im Drucka).

Durch die Berücksichtigung des situationalen Interesses wird zudem ein besonders kritisches Motivationsprofil sichtbar: Schüler*innen die zusätzlich zu einem geringen dispositionalen Interesse auch innerhalb konkreter Unterrichtsstunden nur über ein äußerst geringes Maß an situationalem Interesse verfügen. Diese Befunde sind aus motivationstheoretischer und unterrichtspraktischer Perspektive insofern bedenklich, als das situationale Interesse potenziell als besonders gut durch die Unterrichtsgestaltung beeinflussbar gilt und eine notwendige Vorstufe dauerhafter Interessen darstellt (Knogler et al. 2015; Willems im Druckb). Offenbar erreicht das Unterrichtsangebot unter motivationalen Gesichtspunkten diese Schüler*innengruppe nicht hinreichend und es muss befürchtet werden, dass es für diese Schüler*innen besonders schwierig ist, ein stabiles Interesse an Mathematik zu entwickeln. Weiterführende Studien müssen daher zum einen die potenzielle Stabilität dieses Profils über einzelne Unterrichtssituationen hinweg prüfen und sich zum anderen anlehnend an Studien aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht (Ochsen et al. 2020) konkret – auch in stärker experimentell ausgerichteten Untersuchungen – mit der Frage befassen, welche Merkmale der Unterrichtsgestaltung – für wen und unter welchen Bedingungen – im Mathematikunterricht ein situationales Interesse auslösen.

Die Analysen weisen neben den beiden konsistenten Profilen auch zwei beachtenswerte Mischprofile nach, die die erwarteten differenziellen Interaktionen des situationalen und dispositionalen Interesses abbilden: Demnach weist eine Schüler*innengruppe ein Profil auf, das durch ein hohes situationales Interesse bei zeitgleich geringem dispositionalen Interesse gekennzeichnet ist. Auch wenn das geringe dispositionale Interesse in dieser Gruppe motivational ungünstig ist, birgt dieses Profil – dem relativ viele Schüler*innen angehören – ein hohes motivationales Potenzial. Konzeptuell reflektiert es die prototypische Form des situationalen Interesses (Hidi und Renninger 2006; Krapp 2002) und steht in Einklang mit Befunden, nach denen ein situationales Interesse auch unabhängig von einem bereits bestehenden dispositionalen Interesse angeregt werden kann (Knogler et al. 2015; Lewalter und Willems 2009; Rotgans und Schmidt 2011; Tsai et al. 2008). Auch hier sollten Längsschnittstudien interindividuelle Entwicklungsverläufe von Schüler*innen untersuchen und vor dem Hintergrund der anderen aufgetretenen Profile analysieren, welche Bedingungen zu einer positiven – d. h. zu einem weiteren Zuwachs des dispositionalen Interesses – bzw. zu einer potenziell negativen Entwicklung – d. h. zu einem Abklingen des situationalen Interesses – führen. In Bezug auf die geschlechtsspezifische Verteilung zeigt sich, dass in diesem Profil Mädchen überproportional häufig vertreten sind. Dies mag zunächst vor dem Hintergrund des gering ausgeprägten dispositionalen Interesses in dieser Schüler*innengruppe nicht verwundern. Da Mädchen aber offenbar innerhalb konkreter Unterrichtssituationen – trotz eines gering ausgeprägten dispositionalen Interesses – durchaus über ein hohes Ausmaß an situationalem Interesse verfügen, müssen zukünftige Studien klären, weshalb sich vor allem bei Mädchen das situationale Interesse nicht durchgängig stabilisieren lässt. So ist u. a. denkbar, dass bei Mädchen positive motivational-affektive Erfahrungen im Mathematikunterricht zu selten auftreten, als dass sie sich zu einem dauerhaften Interesse entwickeln könnten. Ebenso könnten auch geschlechtsspezifische stereotypische Überzeugungen (Kessels und Hannover 2006) situationsspezifisch auftretende positive Erfahrungen überlagern und so die Stabilisierung des situationalen Interesses bei Mädchen verhindern. Das zweite Mischprofil, das sich durch niedrige Werte im situationalen Interesse und hohe Werte im dispositionalen Interesse auszeichnet, weist auf eine problematische mangelnde Passung zwischen der Unterrichtsgestaltung und den Lernvoraussetzungen einiger Schüler*innen hin. Aus schulpraktischer Perspektive werden hier motivational-affektive Ressourcen – das bestehende dispositionale Interesse – der Schüler*innen nicht voll ausgeschöpft. Weiterführende Studien müssen klären, inwieweit ein wiederholtes Auftreten dieses Musters über Unterrichtssituationen hinweg dazu führen kann, dass das bestehende dispositionale Interesse dieser Schüler*innen auf Grund einer fehlenden situationsspezifischen Anregung über die Zeit abnimmt.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der hier verwendete personenzentrierte Ansatz interindividuelle Interaktionen im situationalen und dispositionalen Interesse abbilden kann, die in variablenzentrierten Analysen nicht angemessen aufgedeckt werden können. Aus unterrichtspraktischer Perspektive ist dabei vor allem zu beachten, dass das situationsspezifische motivational-affektive Erleben der Schüler*innen nicht immer deckungsgleich mit ihren dispositionalen Interessen ist. Die mittel- und langfristige Interessenförderung – so legen die Befunde nahe – bedarf offenbar auch kontinuierlich einer kurzfristigen Interessenanregung in konkreten Unterrichtsstunden.

5.2 Unterrichtswahrnehmungen

Anknüpfend an variablenzentrierte Studien zeigen die vorliegenden Analysen, dass die Unterrichtsqualität von Schüler*innen unterschiedlicher Motivationsprofile differenziell wahrgenommen wird. Dabei liegen erstmals Auswertungen vor, die zeigen, ob und wie die Interaktion aus situationalem und dispositionalem Interesse die Unterrichtswahrnehmung beeinflusst.

Grundsätzlich tragen die Befunde dazu bei, interindividuelle Unterschiede in den Unterrichtswahrnehmungen besser zu verstehen. Sie sollen aber auch explizit ein Plädoyer dafür sein, individuelle Wahrnehmungen von Schüler*innen (wieder) stärker in den Analysefokus zu rücken. Im Kontext mehrebenenanalytischer Auswertungen wurden Unterrichtsmerkmale in der Vergangenheit häufig über klassenweise aggregierte Wahrnehmungen modelliert, womit individuelle Wahrnehmungsanteile weitgehend unberücksichtigt blieben (vgl. dazu auch kritisch Igler et al. 2019). Die vorgestellten Befunde stützen allerdings die Erkenntnis neuerer Studien, die eine systematische Abhängigkeit individueller Wahrnehmungsdivergenzen von heterogenen Ausgangslagen aufzeigen (Igler et al. 2019; Ruelmann et al. 2021; Willems et al. im Druck; Willems und Dreiling im Druck). Erwartungskonform zeigt sich, dass Schüler*innen mit günstigen Profilen des situationalen und dispositionalen Interesses die effektive Klassenführung, die konstruktive Unterstützung und das kognitive Aktivierungspotenzial insgesamt positiver einschätzen als Schüler*innen mit ungünstigeren Ausgangslagen. Besonders deutlich wird dies im Vergleich der beiden Profile, die sich durch konsistent hohe bzw. niedrige Werte im situationalen und dispositionalen Interesse auszeichnen. Betrachtet man zudem die Mischprofile genauer, so zeigt sich, dass Schüler*innen, die über ein hohes dispositionales und ein eher geringes situationales Interesse verfügen, trotz eines vergleichsweise hohen Ausmaßes des Fachinteresses die Unterrichtsqualität nicht positiver einschätzen als Schüler*innen, die konsistent uninteressiert sind. Das bestehende (moderate) dispositionale Interesse kann damit – wie bereits anderweitig angenommen (Hidi und Renninger 2006; Linnenbrink-Garcia et al. 2012) – ein fehlendes situationales Interesse in der Unterrichtswahrnehmung nicht kompensieren. Die Studie bekräftigt damit auch vor allem die Bedeutung des situationalen Interesses für die Analyse von Unterrichtsprozessen.

Unter einer geschlechtsspezifischen Perspektive erscheint es schließlich auch aufschlussreich zu untersuchen, inwieweit Interaktionseffekte von Geschlecht und Interessenprofil die Unterrichtswahrnehmung von Schüler*innen beeinflussen. So ist beispielsweise denkbar, dass Mädchen mit einem hohen situationalen Interesse den Unterricht anders wahrnehmen als Jungen. Längsschnittlich angelegte Studien könnten dabei auch prüfen, ob solche differenziellen Unterschiede die Stabilisierung des Interesses beeinflussen können.

Im Gegensatz zu Befunden von Ruelmann et al. (2021) oder Igler et al. (2019), die zeigen, dass Unterrichtsqualitätsdimensionen in je unterschiedlicher Weise von individuellen Merkmalen vorhergesagt werden, weist die vorliegende Studie allerdings keine solche differenziellen Muster nach. Dies mag jedoch vor allem durch die in den Profilen berücksichtigten Merkmale bedingt sein. Mit der Fokussierung auf das situationale und dispositionalen Interesse ist die Merkmalsauswahl in der vorliegenden Studie insgesamt homogener und bezieht explizit situationsspezifische Erlebensqualitäten ein, was zu ähnlichen Mustern in der Wahrnehmung der Basisdimensionen führen könnte.

5.3 Limitationen

Obschon die vorliegende Untersuchung sowohl für die Unterrichts- als auch für die Interessenforschung wichtige Impulse und neue Erkenntnisse liefert, unterliegen die Interpretationen der Ergebnisse gewissen Einschränkungen. Da die Daten aus einer Querschnittsstudie stammen, sind Aussage über unmittelbare kausale Zusammenhänge unzulässig. Inwieweit hier also ausschließlich das Ausmaß des Interesses die Schüler*innenwahrnehmung bedingt, oder aber eine umgekehrte Wirkrichtung angenommen werden muss – die in der Situation erlebte Unterrichtsqualität beeinflusst das Interesse der Schüler*innen, muss an dieser Stelle auf Grund der Datenstruktur offenbleiben. Vor allem für das situationale Interesse ist diese Wirkrichtung durchaus plausibel (Knogler et al. 2015; Willems 2011, im Druckb). Tatsächlich dürften zudem in konkreten Unterrichtssituationen reziproke Zusammenhänge zwischen dem (situationalen und dispositionalen) Interesse der Schüler*innen und der Unterrichtswahrnehmung bestehen. Längsschnittliche Studien, in denen in regelmäßigen Abständen das situationale und dispositionale Interesse ebenso wie die Wahrnehmung der Unterrichtsqualität gemessen werden, können hier u. a. durch die Nutzung von cross-lagged Panelanalysen aufschlussreich sein. Nichtsdestoweniger ist das vorliegende Befundmuster anschlussfähig an andere Quer- (Ruelmann et al. 2021) und Längsschnittstudien (Dreiling und Willems 2020; Seidel 2006; Willems und Dreiling im Druck), was für die Stabilität der Befunde spricht.

Auch in Bezug auf die potenziell kritische (zeitgleiche) Erfassung des situationalen und dispositionalen Interesses (Knogler et al. 2015; Rotgans und Schmidt 2011) zeigen die konfirmatorischen Faktorenanalysen und die Profilanalysen, dass es sich bei den Konstrukten – so wie sie hier erfasst wurden – um erwartungskonform zwar korrelierte, aber dennoch trennbare Konstrukte handelt. Insbesondere die Profilanalysen liefern fruchtbare Anknüpfungspunkte für weiterführende Längsschnittstudien, die die (geschlechtsspezifische) Entwicklung von Interaktionsprofilen in den Blick nehmen können.

Mit der Betrachtung des Mathematikunterrichts der Sekundarstufe I ist die Studie anschlussfähig an zahlreiche Untersuchungen der empirischen Unterrichtsforschung – eine Generalisierbarkeit der Befunde über diesen Fachkontext hinaus bleibt zu prüfen.

In der vorliegenden Studie wurde der Fokus auf die Interaktion des situationalen und dispositionalen Interesses gelegt. Weitere Merkmale, wie z. B. leistungsbezogene Voraussetzungen der Schüler*innen oder kognitive Lernaktivitäten als prozessbezogene Merkmale wurden ausgeklammert. Studien, die solche Merkmale in Profilanalysen (Linnenbrink-Garcia et al. 2012; Ruelmann et al. 2021; Seidel et al. 2016) mitberücksichtigen, verweisen bisher auf inkohärente Profile hinsichtlich motivational-affektiver und kognitiver Merkmale. Perspektivisch können Analysen, die sowohl kognitive als auch motivational-affektive Variablen und zeitgleich die Interaktion situationsspezifischer und dispositionaler Merkmale modellieren, aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. Gleiches gilt auch für die Frage der Profilzugehörigkeit von Jungen und Mädchen – auch hier sollten weiterführende Analysen klären, inwieweit geschlechtsspezifische Zugehörigkeiten zu motivationalen Profilen auch weiterhin Bestand haben, wenn leistungsbezogene Merkmale von Schüler*innen kontrolliert werden.

Abschließend sei auf eine Einschränkung der hier fokussierten Schüler*innenwahrnehmung hingewiesen, die auch andere Untersuchungen aus dem Feld betreffen (Igler et al. 2019; Lazarides et al. 2014; Ruelmann et al. 2021; Willems et al. im Druck, Willems und Dreiling im Druck). So aufschlussreich – und notwendig – diese Perspektive ist, so geht sie allerdings mit mindestens zwei Einschränkung einher: Zum einen können die Befundmuster auf Grund der durch das Erhebungsdesign bedingten Common Method Variance (Podsakoff et al. 2003) verzerrt – potenziell vor allem überschätzt – sein. Zum anderen bleibt ungeklärt, ob die empirisch nachgewiesenen Wahrnehmungsunterschiede ein Produkt individueller Verarbeitungsprozesse sind, oder aber tatsächliche Unterschiede im konkreten (adaptiven) Lehrer*innenhandeln – z. B. in Bezug auf die konstruktive Unterstützung und die kognitive Aktivierung – widerspiegeln. Solche Fragen können nicht auf Basis von Schüler*inneneinschätzungen beantwortet werden, sondern bedürfen z. B. videoanalytischer Verfahren, auf deren Basis unterrichtliches Handeln sichtbar wird und objektiv(er) beschrieben werden kann.