1 Einleitung

Ein wesentliches Ziel der Unterrichtsgestaltung ist die Förderung der individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler (SuS). Insbesondere motivational-affektive Merkmale, wie beispielsweise das Fachinteresse der SuS, können jedoch nicht nur zwischen den SuS einer Klasse sehr heterogen sein, sondern auch noch dynamisch von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde schwanken (vgl. Tsai et al. 2008). Dies bedeutet, dass es sowohl eher stabile Interessensunterschiede (das individuelle Interesse auf Trait-Ebene) als auch situative Interessensunterschiede (situationales Interesse auf State-Ebene) für Lehrpersonen zu berücksichtigen gilt. Ein fruchtbarer Umgang mit der Heterogenität der (Interessens‑) Bedürfnisse der SuS ist jedoch häufig eher eine Vision, welche in der Realität zur Illusion wird (Egger et al. 2019, S. 52). Wenn der Unterricht nicht vollständig individualisiert ist, kann eine Lehrperson kaum in jeder Unterrichtsstunde alle individuellen Tagesbedürfnisse der einzelnen SuS einer Klasse berücksichtigen (vgl. Krannich et al. 2019, S. 206). Entsprechend unterschiedlich kann das berichtete Interesse der Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtsstunde ausfallen. Die Unterschiedlichkeit von Unterrichtsberichten der SuS rückt jedoch erst in den letzten Jahren als abhängiges Merkmal in den Fokus der Forschung und wurde lange Zeit eher als möglicher problematischer Faktor für die Reliabilität von Klassenurteilen besprochen (z. B. Kuger et al. 2017, S. 87). Entsprechend wenig ist daher über die Zusammenhänge der Heterogenität im situativen Interesse innerhalb einer Klasse zu möglichen auslösenden Faktoren bekannt. Die vorliegende Studie soll dabei helfen, diese Forschungslücke zu schließen: Im Unterrichtsfach Mathematik, welches für eine hohe Unterschiedlichkeit zwischen den SuS steht, sollen die Bedingungsfaktoren des situationalen Interesses bzw. der Heterogenität im situationalen Interesse untersucht werden. Mathematik gilt gemeinhin als „Love or Hate“-Fach (Markovits 2011, S. 120), was daran liegen kann, dass es eines der Fächer ist, das (einige) SuS als sehr schwierig einstufen (Haag und Götz 2012). Auch zeigten sich in vielen Studien Geschlechtsunterschiede in Bezug auf das Interesse und die Motivation im Fach Mathematik (z. B. Gaspard et al. 2016; Preckel et al. 2008; Steegh et al. 2019). So ist eine interindividuelle Heterogenität des mathematikbezogenen Interesses in der Klasse anzunehmen, die sich sowohl auf das individuelle Interesse als auch auf das dynamischere situative Interesse (welches stärker durch die jeweilige Unterrichtssituation beeinflusst wird) bezieht. Mit unserer Studie soll eine neue Perspektive auf interessensheterogene Klassen eröffnet werden und Möglichkeiten für Lehrpersonen identifiziert werden auf Ebene der Unterrichtsgestaltung und -durchführung das Interesse sowie die Interessensheterogenität potenziell zu beeinflussen.

2 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand

2.1 Situationales und individuelles Interesse

Interesse zu wecken, ist neben der Vermittlung der Fachinhalte und Förderung von Kompetenzen ein zentrales Ziel im Unterricht (z. B. Quinlan 2019, S. 1781). Interesse beschreibt die Beziehung einer Person zu einem Gegenstand, wie zum Beispiel dem Fach, dem Thema oder der Unterrichtsaktivität (Krapp 2007, S. 8). Dabei kann eine gefühlsbezogene Komponente (positive emotionale Erlebnisse bei der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand, ähnlich dem Konzept der aufgabenbezogenen Freude, vgl. Ainley und Hidi 2014) von einer wertbezogenen Komponente (ist der Gegenstand einem persönlich wichtig, bedeutsam und relevant, ähnlich dem Konzept intrinsic value in der Erwartungs-Wert-Theorie, vgl. Eccles 2005, S. 111) unterschieden werden. Damit vereint Interesse sowohl affektive als auch motivational-kognitive Facetten, die zusammengenommen das Lernverhalten stark beeinflussen können (vgl., Ainley 2006; Renninger und Hidi 2016). So zeigte die Forschung, dass Interesse beispielsweise mit Aufmerksamkeit (z. B. McDaniel et al. 2000) und Persistenz im Lernprozess (z. B. Ainley et al. 2002), Leistung (Denissen et al. 2007; für einen Überblick siehe Potvin und Hasni 2014, S. 99), aber auch mit der Berufswahlorientierung (Hanna und Rounds 2020) zusammenhängt. In der Beschreibung der zugrundeliegenden Prozesse hat sich dabei eine Unterscheidung von situationalem gegenüber individuellem Interesse als zwei Zustände, die ineinander überführt werden können (vgl. Hidi und Renninger 2006; Krapp 2007), bewährt. Individuelles Interesse bezeichnet dabei die überdauernde, zeitlich eher stabile Vorliebe (trait), und situationales Interesse den in einer Unterrichtsstunde vorliegenden Interessenszustand (state). Man geht davon aus, dass zunächst durch verschiedene Faktoren einzelner Unterrichtsstunden das situationale Interesse geweckt wird, welches dann unter Umständen (z. B. durch stetiges Auftreten) stabilisiert und in ein individuelles Interesse überführt wird. Dieses stellt dann eine relativ stabile Vorliebe für die Gegenstände eines Faches dar und beeinflusst auch, ob in neuen Situationen wieder situationales Interesse geweckt werden kann (Renninger und Hidi 2011, S. 170). So sind die beiden Zustände stark voneinander abhängig.

2.2 Bedingungsfaktoren für situationales Interesse

Lehrpersonen haben nur wenige Möglichkeiten, die (eher stabilen) individuellen Interessen von SuS zu beeinflussen, welche diese mit in den Unterricht bringen (Bonderup Dohn 2011, S. 339). Dies betrifft insbesondere Lehrpersonen höherer Jahrgangsstufen, da ihre Klassen üblicherweise bereits vielfältige Erfahrungen mit ihrem Fach mitbringen. Dennoch besteht nach Krapp und Prenzel die Möglichkeit, die Unterrichtsgestaltung in ihrer Art und Qualität anzupassen, um das situationale Interesse zu wecken (Krapp und Prenzel 2011, S. 35), was sich, sofern das Interesse aufrechterhalten werden kann (Krapp 1998, S. 198), auch auf das individuelle Interesse der SuS auswirken soll (für einen Überblick über die Entwicklungsschritte von Interesse siehe Rotgans und Schmidt 2017, S. 176).

So wurden in einer Vielzahl von Untersuchungen Bedingungsfaktoren von Interesse im Unterricht identifiziert. Dabei zeigte sich, dass alle drei Basisdimensionen des Unterrichts (vgl. Wenger et al. 2020, S. 4) Interesse beeinflussen können. So hängen Aspekte der kognitiven Aktivierung mit dem situationalen Interesse (z. B. Förtsch et al. 2017) aber auch mit dem individuellen Interesse von SuS (z. B. Keller et al. 2017) zusammen. Gleiches zeigte sich für die Klassenführung (z. B. Kunter et al. 2007). Nicht zuletzt stehen auch Facetten der sozialen Unterstützung im Klassenzimmer, wie beispielsweise die Beziehung zwischen Lehrpersonen und SuS (z. B. Linnenbrink-Garcia et al. 2013) oder Freiräume und SuS-Zentrierung (z. B. Schweder und Raufelder 2021; Tsai et al. 2008) sowie die von Lehrpersonen gezeigten positiven Emotionen in Form von Enthusiasmus (z. B. Kim und Schallert 2014) mit dem Interesse der SuS in positivem Zusammenhang (zusammenfassend siehe auch Dorfner et al. 2018, S. 44).

Trotz der Vielfalt der Befunde, die Bedingungsfaktoren des situationalen Interesses identifizieren konnten, bleibt die Frage offen, ob diese Faktoren ihre Wirkung auf alle SuS einer Klasse gleichermaßen entfalten. Die unterschiedliche Wahrnehmung des Unterrichts und dessen Ausmaß und Entstehung innerhalb einer Schulklasse werden zwar in empirischen Untersuchungen in den letzten Jahren zunehmend in den Blick genommen (z. B. unter den Begriffen class oder group consensus oder auch within-class agreement, z. B. Bardach et al. 2018; Schweig 2016), doch gibt es bisher nur wenige Studien, welche die Unterschiedlichkeit der Schülerschaft bei der Wirkung der Unterrichtsgestaltung auf das Interesse explizit berücksichtigt haben. Eine Ausnahme ist die Interventionsstudie von Flunger et al. (2019), in der gezeigt werden konnte, dass Autonomie sich auch positiv auf z. B. positive Emotionen der SuS auswirkt, wenn man verschiedene Prädispositionen (z. B. individuelles Interesse, Geschlecht, Physiknote) berücksichtigt. Ein Unterricht, der ein hohes Autonomieerleben bei den SuS ermöglicht, bietet Freiheitsgrade, in denen individuelle Bedürfnisse berücksichtigt werden können. Auf Basis dieses Befundes kann man erwarten, dass auch andere Maßnahmen der inneren Differenzierung dazu führen, dass das Interesse bei möglichst vielen SuS geweckt wird, da individuelle Bedürfnisse stärker berücksichtigt werden. Zu den Maßnahmen der inneren Differenzierung zählen beispielsweise die Variation von Aufgabentypen und -schwierigkeiten, um sich an heterogene Voraussetzungen bezüglich des Leistungsniveaus und des Lerntempos der SuS anzupassen (Sann und Preise 2008, S. 220). Eine passende Aufgabenschwierigkeit und ein passendes Lerntempos sind wichtige Voraussetzung, um die Motivation von SuS aufrecht zu erhalten, da sie das Kontrollerleben erhöhen (Eccles und Wigfield 1995, S. 220). Es ist anzunehmen, dass sie auch mit einer reduzierten Heterogenität im situationalen Interesse in Zusammenhang stehen, da die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, dass ein Großteil der SuS einer Klasse ein ausreichendes Kontrollerleben erlebt und sich damit ähnlich (hoch) motiviert zeigt.

Die vorliegende Studie untersucht daher aus Instruktionssicht und auf Klassenebene Maßnahmen der inneren Differenzierung im Unterricht (Adaptivität der Aufgabenschwierigkeit und des Tempos) sowie ausgewählte Qualitätsmerkmale des Unterrichts (kognitive Aktivierung, Klassenmanagement, soziale Unterstützung), die sich in vergangenen Studien als prädiktiv für das situationale Interesse gezeigt haben. Während sich bisherige Forschung zum Interesse im Unterricht primär die Ebene einzelner SuS konzentrierte, nimmt diese Studie damit explizit die Ebene der Klasse als Gesamtheit in den Fokus und prüft, ob die theoretisch und empirisch identifizierten auslösenden Faktoren übertragbar sind. Der Blick wird sowohl auf das situationale Interesse als auch auf die Heterogenität im situationalen Interesse in einer Klasse (als Klassengemeinschaft) gerichtet. Um die theoretisch angenommene Variabilität im situationalen Interesse adäquat abbilden zu können, werden zudem mehrere Messzeitpunkte pro Klasse berücksichtigt.

2.3 Forschungsfragen und Hypothesen

Unsere Forschungsfragen konzentrieren sich sowohl auf die Dynamik und Heterogenität des mittleren situationale Interesse (Forschungsfrage 1) als auch auf auslösende Faktoren des situationalen Interesses (Forschungsfrage 2) bzw. der Heterogenität im situationale Interesse (Forschungsfrage 3). Ziel ist es, Merkmale des Unterrichts zu identifizieren, die das situationale Interesse wecken können und gleichzeitig das Potenzial haben, möglichst viele SuS anzusprechen und damit die Heterogenität im situationalen Interesse in einer Klasse zu reduzieren.

Forschungsfrage 1

Wie stark variiert das mittlere situationale Interesse einer Mathematikklasse von Lektion zu Lektion? Wie stark variiert es zwischen den SuS einer Klasse?

Es wird angenommen, dass das situationale Interesse ein dynamisches Konstrukt ist und daher eine substanzielle Varianz zwischen den verschiedenen Messzeitpunkten aufweist, d. h. von Lektion zu Lektion fluktuiert. Es wird zudem erwartet, dass sich die SuS einer Klasse systematisch in ihrem berichteten Interesse in Bezug auf eine Lektion unterscheiden, da Lehrpersonen ihren Unterricht nicht vollständig individualisieren können.

Forschungsfrage 2

Wie stehen Merkmale der Klasse (mittleres individuelles Interesse) und des Unterrichts (Unterrichtsqualität/innere Differenzierung im Unterricht) mit dem situationalen Interesse einer Klasse in Zusammenhang?

Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit des individuellen und situationalen Interesses erwarten wir, dass das mittlere individuelle Interesse einer Klasse (Ausgangsniveau) Einfluss auf das mittlere situationale Interesse in einzelnen Lektionen nimmt. Substanzielle Zusammenhänge erwarten wir mit Charakteristika der spezifischen Lektion. So sollte sich ein hoher Grad an kognitiver Selbstständigkeit, ein störungsarmer Unterricht sowie ein hoher Grad an sozialer Unterstützung (soziale Orientierung, Enthusiasmus) durch die Lehrperson positiv auf das mittlere situationale Interesse einer Klasse auswirken. Auch Maßnahmen der inneren Differenzierung (d. h. Lektionen mit einer hohen Adaptivität bezüglich der Aufgabenschwierigkeit und des Tempos) sollten das mittlere situationale Interesse positiv beeinflussen, da sie das Kontrollerleben erhöhen wodurch sowohl motivationale (Eccles und Wigfield 2002) als auch affektive Variablen (Stephanou 2011) positiv beeinflusst werden können.

Forschungsfrage 3

Wie stehen Merkmale der Klasse (Heterogenität im individuellen Interesse) und des Unterrichts (Unterrichtsqualität/Individualisierung im Unterricht) mit der Heterogenität im situationalen Interesse einer Klasse im Zusammenhang?

Da bisher erst wenige Studien zu möglichen Prädiktoren von situativer Heterogenität vorliegen, ist diese Forschungsfrage insgesamt eher explorativer Natur. Es wird erwartet, dass Klassen mit einer hohen Heterogenität im individuellen Interesse (Ausgangswert) auch in den einzelnen Unterrichtslektionen eine höhere Heterogenität im situationalen Interesse aufweisen. Aus theoretischer Sicht wird vermutet, dass Maßnahmen der inneren Differenzierung (d. h. Lektionen mit einer hohen Adaptivität bezüglich der Aufgabenschwierigkeit und des Tempos) auch mit einer höheren Übereinstimmung der Urteile des situationalen Interesses in Verbindung stehen, da die individuellen Bedürfnisse von vielen SuS einer Klasse befriedigt werden können. Das berichtete Interesse sollte daher nur noch im oberen Bereich streuen, da es weniger (oder keine) SuS mit niedrigem Interesse mehr geben sollte. Auf Basis bisheriger empirischer Ergebnisse wird zudem angenommen, dass Lektionen mit einem hohen Grad an kognitiver Aktivierung und sozialer Unterstützung ein autonomieförderliches Klima haben (Furtak und Kunter 2012) und entsprechend ebenfalls die Heterogenität zwischen den SuS einer Klasse reduzieren, da die Bedürfnisse möglichst vieler SuS angesprochen werden.

3 Methoden

Die Studie nutzt ein multimethodisches Design, in dem eine konventionelle Fragebogenuntersuchung mit einer daran anschließenden Tagebuch-Erhebung (d. h. kurze Erhebungen am Ende von etwa 10 Mathematiklektionen über einen Zeitraum von bis zu 3 Wochen) kombiniert wurde.

3.1 Stichprobe

An der Studie nahmen 43 Klassen aus Baden-Württemberg teil. Rekrutiert wurden primär die Partnergymnasien der durchführenden Universität sowie einzelne weitere Gymnasien in der Region. Dabei wurde Kontakt zu den Mathematiklehrpersonen der 9. und 10. Klasse aufgebaut, über die Studie informiert und bei Interesse an einer Teilnahme zusätzlich das Einverständnis der SuS eingeholt. Als Entlohnung wurden sowohl 50 € für die Klassenkasse bereitgestellt als auch ein individueller Rückmeldebericht pro Lehrperson bzw. Klasse erstellt. Die Teilnahme an der Studie und auch an jeder einzelnen Tagebucherhebung war freiwillig und konnte jederzeit abgebrochen werden. Die SuS erhielten jeweils ein Tagebuch mit Kurzfragebögen, die sie in den letzten fünf Minuten einer Mathematikstunde gemeinsam ausfüllten. Die Zuordnung erfolgte anhand anonymisierter Schüler- und Klassencodes. Die Lehrperson erhielt zu keiner Zeit Einblicke in die individuellen Urteile ihrer SuS. Durch dieses Studiendesign entstanden nur wenige fehlende Daten, da es keine generellen Teilnahmeverweigerungen einzelner SuS an der Studie gab und die Klassen sich gegenseitig an die Erhebung erinnerten. Fehlende Daten auf Itemebene lagen bei den untersuchten Variablen bei weniger als 2 % und wurden damit als vernachlässigbar eingestuft, da die Analysen ausschließlich aggregierte Schüler*innenurteile für die Unterrichtsmerkmale einer Lektion nutzten und nicht deren individuelle Urteile. Jedoch wurden Unterrichtslektionen, die von weniger als 10 SuS eingeschätzt wurden, aus den Analysen ausgeschlossen, da aggregierte Urteile auf einer ausreichenden Clustergröße aufbauen sollten (vgl. Bardach et al. 2021, S. 5). Zwei Kleinklassen wurden daher aus den Analysen ausgeschlossen und das finale Sample bestand aus 41 Klassen mit 879 SuS (M = 15,61 Jahre, 53,10 % Mädchen, 92,38 % mit deutscher Nationalität), die insgesamt 307 Lektionen beurteilten (M = 7,48 Lektionen).

3.2 Messinstrumente

3.2.1 Trait: Individuelles Interesse und Heterogenität im individuellen Interesse

Zur Erfassung des individuellen Interesses wurde auf eine im Rahmen von PISA entwickelte Skala zurückgegriffen (OECD 2006). Dabei wurden die gefühls- und wertbezogenen Facetten sowie der intrinsische Charakter von Interesse abgebildet. Die SuS beurteilten in der Fragebogenuntersuchung fünf Items mit einer fünfstufigen Ratingskala von 1 (stimmt gar nicht) bis 5 (stimmt genau) (z. B. „Wenn ich mich mit Mathe beschäftigte, vergesse ich manchmal alles um mich herum“). Die interne Reliabilität lag bei α = 0,85. Da die Analysen sich rein auf Effekte auf Klassenebene konzentrieren, wurde der Klassenmittelwert der aggregierten Urteile der SuS einer Klasse gebildet. Zur Beurteilung der Übereinstimmung zwischen den SuS wurde der Intraklassen-Koeffizient (ICC[2]) nach den Empfehlungen von Lüdtke et al. (2009) gebildet (Level-1 = Berichte von 879 SuS, Level-2 = 41 Klassen), welcher wie reguläre Reliabilitätsmaße interpretiert werden kann. Erwartungsgemäß zeigte sich eine niedrige Übereinstimmung zwischen den SuS einer Klasse. Es ergab sich ein Wert von ICC(2) = 0,43. Dies deutet auf eine große Unterschiedlichkeit im individuellen Interesse zwischen den SuS einer Klasse hin. Um die Heterogenität im individuellen Interesse einer Klasse abzubilden, wurde daher zusätzlich die Standardabweichung des durchschnittlichen Mittelwerts im individuellen Interesse einer Klasse als aggregiertes Maß gebildet.

3.2.2 State: Situationales Interesse und Heterogenität im situationalen Interesse

Das situationale Interesse wurde in der Tagebuchstudie mit drei Items und einer fünfstufigen Ratingskala von 1 (stimmt gar nicht) bis 5 (stimmt genau) erfasst (z. B. „In dieser Stunde hat mir der Matheunterricht Spaß gemacht“) und fokussierte ebenfalls die gefühls- und wertbezogenen Facetten von Interesse. Die interne Reliabilität variierte zwischen den etwa zehn verschiedenen Erhebungszeitpunkten und lag im Mittel bei α = 0,73 (Range 0,69–0,77). Die Übereinstimmung zwischen den SuS, die an derselben Lektion teilnahmen (Level-1 = 5616 Tagebucheinträge, Level-2 = 307 Lektionen) wurde erneut mit dem ICC(2) berechnet. Dieser lag bei ICC(2) = 0,72 und war damit wesentlich höher als die Übereinstimmung im individuellen Interesse. Die trotzdem vorhandene Unterschiedlichkeit (Heterogenität im situationalen Interesse) wurde über die Standardabweichung des durchschnittlichen Mittelwerts im situationalen Interesse einer Klasse in der identischen Mathematiklektion abgebildet, d. h. es wurden ca. 10 Werte pro Klasse generiert (einer für jede Lektion).

3.2.3 State: Situative Unterrichtsfaktoren – Unterrichtsqualität

Zur Untersuchung möglicher Zusammenhänge zwischen dem situationalen Interesse sowie der Heterogenität im situationalen Interesse mit der Unterrichtsqualität wurden in der Tagebuchstudie verschiedene Einzelitems von Skalen zur Unterrichtsqualität aus dem COACTIV-Projekt (Baumert et al. 2009) genutzt, die sich in Vorstudien als besonders indikativ für die jeweilige Skala gezeigt haben (d. h. eine hohe Item-Skalen-Korrelation aufwiesen). Dieses Vorgehen wurde gewählt, um die Tagebucherhebung möglichst kurz zu halten und Datenausfälle zu vermeiden. Die Items wurden von allen anwesenden SuS einer Lektion auf einer fünfstufigen Ratingskala (1 = stimmt gar nicht, 5 = stimmt genau) eingeschätzt und der Klassenmittelwert wurde als Indikator für den jeweiligen Unterrichtsfaktor in einer einzelnen Lektion genutzt. Die hinreichende Übereinstimmung der aggregierten Urteile wurde mit dem ICC(2) geprüft (Level-1 = 5616 Tagebucheinträge, Level-2 = 307 Lektionen) und war ausreichend bis gut. Erfasst wurden die kognitive Selbstständigkeit („In dieser Stunde konnte ich zum Lösen von Aufgaben meine eigenen Strategien einsetzen“, ICC(2) = 0,72), das Klassenmanagement in Bezug auf Unterrichtsstörungen („In dieser Stunde wurde der Unterricht sehr gestört.“, ICC(2) = 0,85), die soziale Orientierung („In dieser Stunde hat unser/e Mathelehrer/in Verständnis für die Schüler/innen gezeigt.“, ICC(2) = 0,78) und der Enthusiasmus der Lehrperson („In dieser Stunde unterrichtete unser/e Lehrer/in mit Begeisterung“, ICC(2) = 0,86).

3.2.4 State: Situative Unterrichtsfaktoren – innere Differenzierung

Da der Grad der inneren Differenzierung im Unterricht nur schwierig von SuS direkt erfasst werden kann, wurde ein indirektes Vorgehen gewählt, um die Adaptivität der Unterrichtsgestaltung abzubilden. So wurde (äquivalent zur Bildung von Heterogenität im situationale Interesse) die Standardabweichung in den Urteilen der SuS einer Klasse auf die Frage nach dem individuellen Schwierigkeitsgrad der Lektion („In dieser Stunde empfand ich den Schwierigkeitsgrad im Matheunterricht als …“ 1 = zu einfach bis 5 = zu schwierig) sowie des Tempos („In dieser Stunde ging der Unterricht so schnell weiter, dass ich Schwierigkeiten hatte, mitzukommen“; 1 = stimmt gar nicht bis 5 = stimmt genau) als Indikator für eine (unzureichende) innere Differenzierung an individuelle Leistungsunterschiede gewertet (siehe auch Lüdtke et al. 2006, S. 228). Je höher die Unterschiedlichkeit in den Urteilen ausgefallen ist (das heißt je höher die Standardabweichung), desto schlechter ist es der Lehrperson in dieser Lektion gelungen, den Schwierigkeitsgrad und das Tempo mit Maßnahmen der inneren Differenzierung anzupassen.

3.3 Datenstruktur und Analysestrategie

Die erfassten Daten weisen eine komplexe Struktur auf und sind mehrfach geschachtelt (genestet): So wurden zunächst die Berichte von 889 SuS aus 41 Mathematikklassen erhoben (Fragebogen-Erhebung). Zusätzlich fanden aber auch multiple Tagebucherhebungen statt und entsprechend sind Messzeitpunkte (307 Lektion) in Klassen hierarchisch strukturiert bzw. 5616 Tagebucheinträge von 889 SuS in 41 Klassen. Da wir im Rahmen dieser Studie rein an Analysen auf Ebene der Klasse interessiert sind und uns nicht auf die individuellen Urteile der SuS konzentrieren, konnte die Datenstruktur vereinfacht werden, so dass nur noch Messzeitpunkte in Klassen betrachtet werden und die Individualurteile der SuS in Klassenmittelwerte bzw. Standardabweichungen aggregiert wurden. Die Datenstruktur und das Vorgehen der Aggregierung sind in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Datenstruktur und Vorgehen bei der Reduktion auf eine 2‑Ebenen Struktur

Die Daten wurden mit HLM 7.01 (Raudenbush et al. 2016) in 2‑Ebenen-Modellen ausgewertet (Messzeitpunkte genestet in Klassen), um Schätzungen über das Ausmaß der Variabilität auf Lektionsebene (Forschungsfrage 1) zu erhalten und um situative Unterrichtsfaktoren (Unterrichtsqualität, innere Differenzierung) sowie Klassenebene (mittleres individuelles Interesse der Klasse und Heterogenität im individuellen Interesse) zu identifizieren, die das situationale Interesse (Forschungsfrage 2) bzw. die Heterogenität im situationalen Interesse (Forschungsfrage 3) in einer Mathematiklektion erklären können. Dafür wurden zunächst Nullmodelle (Intercept Only-Modelle) mit den Outcome-Variablen auf Level‑1 spezifiziert. Anschließend wurden hierarchische Regressionsmodelle (Random Intercept-Modelle) berechnet, in denen zunächst die Prädiktoren auf Level‑1 zur Unterrichtsqualität hinzugenommen wurden (Modell 1), dann die Variablen zur inneren Differenzierung (Modell 2) und schließlich zusätzlich die Level‑2 Trait-Merkmale der Klasse (Modell 3). Zur besseren Interpretation der Regressionskoeffizienten wurden alle Variablen vor der Analyse z‑standardisiert, so dass die Regressionskoeffizienten β‑Gewichten entsprechen (vgl. Finsterwald et al. 2009, S. 147). Für die Beurteilung der Modellverbesserung bei Hinzunahme von Prädiktoren wurde, neben der Berechnung von R2 (vgl. LaHuis et al. 2014, S. 436) die Devianzsstatistik berücksichtigt. Dies ist ein gängiges Verfahren, welches sich für die Mehrebenenanalyse bei Schätzungen mit Full-Maximum-Likelihood eignet (Pötschke 2014, S. 1113). Ein Likelihood-Ratio-Test gibt hierbei an, ob sich die Differenz der Devianzen eines Grundmodells (z. B. das Nullmodell) von einem darauf aufbauenden erweiterten Modell (z. B. Modell 1) unterscheidet, wobei eine χ2-Verteilung zu Grunde liegt und die Freiheitsgrade der Anzahl der freien Parameter (mit Modell 1 – Modell 0) entspricht (vgl. Snijders und Bosker 1999, S. 97 f.).

4 Ergebnisse

In Tab. 1 sind die Interkorrelationen der Studienvariablen auf within- und between-Ebene sowie die Deskriptivstatistik angegeben. Die Stärke der Zusammenhänge wird dabei anhand der Einstufung nach Cohen (1988) eingeschätzt (< 0,30 kleiner Effekt, 0,30–0,50 moderater Effekt, > 0,50 großer Effekt). Es zeigt sich, dass das situationale Interesse innerhalb der Lektionen (within) signifikant und mit kleiner bis moderater Stärke mit allen erhobenen situativen Unterrichtsfaktoren zusammenhängt. Zwischen den Klassen (between) sind die Zusammenhänge zum situationalen Interesse zum Teil stärker (große Effekte bei der kognitiven Selbstständigkeit, sozialen Orientierung und dem Enthusiasmus der Lehrperson), aber zum Teil auch kleiner und nicht mehr signifikant (Unterrichtsstörungen, innere Differenzierung). Die Heterogenität im situationalen Interesse hängt signifikant mit dem Enthusiasmus der Lehrperson und mit der inneren Differenzierung zusammen. Dieser Zusammenhang zeigt sich jedoch nur innerhalb der einzelnen Lektionen. Das mittlere individuelle Interesse einer Klasse zeigte eine moderate Korrelation mit dem mittleren situationalen Interesse der Klasse (r = 0,34).

Tab. 1 Interkorrelationen der Studienvariablen und Deskriptive Statistik

4.1 Ergebnisse zur Variabilität des situationalen Interesse einer Klasse

Zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage bezüglich der Variabilität des mittleren situationalen Interesses einer Mathematikklasse sowie der Heterogenität im situationalen Interesse wurde anhand der Nullmodelle der ICC(1) berechnet, der den Anteil der Varianz angibt, der auf Ebene der Klasse im Verhältnis zur Gesamtvarianz liegt. Dieser beträgt für das situationalen Interesse ICC(1)= 0,51 (siehe Nullmodell Tab. 2) und für die Heterogenität im situationalen Interesse ICC(1)= 0,31 (siehe Nullmodell Tab. 3), was für eine große Variabilität von Lektion zu Lektion spricht (49 % bzw. 69 % der Varianz liegen zwischen den verschiedenen Messzeitpunkten). Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Verläufe sind in Abb. 2 jeweils drei (Extrem‑) Klassen dargestellt, deren situationales Interesse über die Lektionen stark schwankte (Klassen 0103, 1401, 2701; durchgehende Linien), beziehungsweise relativ stabil blieb (Klassen 0402, 1001, 1602; gestrichelte Linien).

Tab. 2 Ergebnisse der hierarchischen Regressionsmodelle zur Vorhersage des mittleren situationalen Interesses einer Klasse
Tab. 3 Ergebnisse der hierarchischen Regressionsmodelle zur Vorhersage der Heterogenität im mittleren situationalen Interesses einer Klasse
Abb. 2
figure 2

Beispielhafte Verläufe des mittleren situationalen Interesses von verschiedenen teilnehmenden Mathematikklassen über sechs Lektionen

Die Heterogenität im situationalen Interesse einer Klasse wurde anhand der Standardabweichung berechnet. Die niedrigste Heterogenität lag bei SD = 0,54 (Klasse 0302, 7. Lektion) und die höchste bei SD = 1,38 (Klasse 0903, 4. Erhebung). 88 der 307 Lektionen hatten eine Standardabweichung im situationalen Interesse von > 1,00. Für diese Lektionen sprechen wir von einer großen Heterogenität zwischen den SuS einer Klasse.

4.2 Bedingungsfaktoren des situationalen Interesses einer Klasse

Zur Erklärung der Fluktuationen im situationalen Interesse wurden verschiedene Prädiktoren auf Lektions- und Klassenebene in hierarchischen Regressionsmodellen geprüft. Die Ergebnisse finden sich in Tab. 2 (Modelle 1 bis 3). Es zeigt sich, dass die kognitive Aktivierung (kognitive Selbstständigkeit, β = 0,30) sowie die soziale Unterstützung (soziale Orientierung, β = 0,35 und Enthusiasmus, β = 0,27) in einer Lektion signifikant das mittlere situationale Interesse einer Klasse in dieser Lektion vorhersagen und gemeinsam 39 % der Level-1-Varianz auf Lektionsebene aufklären können (Modell 1). Kleinere Zusammenhänge zeigten sich auch mit Maßnahmen der inneren Differenzierung im Unterricht (Modell 2), wodurch weitere 3 % der Varianz aufgeklärt werden konnten. Die Hinzunahme der Trait-Merkmale der Klasse (Modell 3) konnte keine weitere Varianz aufklären und auch die Devianzstatistik zeigte hier keine signifikante Verbesserung zum vorherigen Modell. Der Zusammenhang zwischen dem mittleren individuellen Interesse und dem mittleren situationalen Interesse einer Klasse war zwar in der angenommenen Richtung, aber – entgegen der Erwartung – statistisch nicht signifikant (β = 0,23, p = 0,06).

4.3 Ergebnisse zur Heterogenität im mittleren situationalen Interesse einer Klasse

Von den untersuchten situativen Unterrichtsfaktoren in Bezug auf die Unterrichtsqualität (Modell 1, Tab. 3) zeigte nur der Enthusiasmus der Lehrperson signifikante Zusammenhänge zur Heterogenität im situationalen Interesse (β = −0,29), d. h. eine enthusiastische Lehrperson konnte die Unterschiedlichkeit im situationalen Interesse zwischen den SuS in einer Lektion verringern. Zusätzlich wurde angenommen, dass die kognitive Selbstständigkeit ebenfalls zu einem autonomieförderlichen Klima beitragen sollte und damit die Heterogenität im situationalen Interesse verringert. Dies konnten die Daten jedoch nicht bestätigen; in Lektionen, in denen die Klasse tendenziell mehr Möglichkeiten berichtete, eigene Strategien zur Lösungsfindung zu verwenden, wurde sogar eine tendenziell größere Heterogenität im situationalen Interesse verzeichnet (β = 0,10, p = 0,18).

Maßnahmen der inneren Differenzierung bezüglich Schwierigkeit und Tempo (Modell 2, Tab. 3) standen, wie erwartet, mit einer niedrigeren Heterogenität im situationalen Interesse in Zusammenhang. Insgesamt konnten durch die erhobenen Faktoren des Unterrichts jedoch nur 7 % der Varianz aufgeklärt werden. Auch die Hinzunahme der Trait-Merkmale der Klasse (Modell 3, Tab. 3) konnte keine zusätzliche Varianz aufklären, auch wenn die Heterogenität im individuellen Interesse einen kleinen Zusammenhang zur Heterogenität im situationalen Interesse einer Klasse aufwies (β = 0,21, p = 0,05).

5 Diskussion

Während sich viele Studien zu den Ursachen und Wirkungen von Interesse im Unterricht auf einmalige Messungen beschränken, versucht die vorliegende Studie das Forschungsfeld zu ergänzen, indem lektionsspezifische Auslöser des situationalen Interesses durch mehrere Messungen mit der gesamten Klassengemeinschaft identifiziert werden. Zudem wurde im Gegensatz zu vielen bestehenden Studien kein idiographischer Ansatz verfolgt, bei dem das Interesse einzelner SuS betrachtet wird, sondern es steht die Klassengemeinschaft als Ganzes im Fokus. So ist die Annahme, dass es Lehrpersonen in manchen Lektionen besser als in anderen gelingt, das Interesse der Klasse zu wecken und dass es auch Unterschiede gibt, wie ähnlich sich die SuS am Ende der Lektion interessiert zeigen. Durch die systematische Untersuchung dieser dynamischen Heterogenität zwischen den SuS, die sich in derselben Lernumgebung befinden, soll geprüft werden, ob Unterrichtsgestaltungsmerkmale, die sich in vergangenen Studien als wirksam für die Auslösung des situationalen Interesses gezeigt haben, gleichzeitig auch die Heterogenität im situationalen Interesse zwischen den SuS reduzieren können. Es wäre auch denkbar, dass gewisse Unterrichtsmerkmale eher differentielle Effekte entfalten, indem sie z. B. nur bei SuS mit gewissen Ausgangdispositionen positiv (oder negativ) wirken. Eine niedrige Heterogenität im situationalen Interesse spricht dafür, dass die Faktoren des Unterrichts große Teile der Klassengemeinschaft gleichermaßen ansprechen.

Zur Beantwortung der Fragestellungen wurde in einem ersten Schritt der Frage nach den prädiktiven Faktoren von situationalen Interesse nachgegangen. Hier zeigte sich erwartungsgemäß, dass die untersuchten Unterrichtsmerkmale wesentliche Anteile der Varianz im Interesse auf Lektionsebene erklären konnten: Dazu zählten insbesondere die soziale Unterstützung (sei es durch den verständnisvollen Umgang mit den SuS oder durch das Zeigen des eigenen Enthusiasmus für den Unterricht) und das Anregen kognitiver Selbstständigkeit, indem man den SuS Freiheiten in der Nutzung von Lösungsstrategien überlässt. Die Unterbindung von Unterrichtsstörungen zeigte keinen signifikanten Zusammenhang zum situationalen Interesse einer Klasse, wobei es nicht auszuschließen ist, dass andere Aspekte des Klassenmanagements (z. B. Klarheit in Regeln, Monitoring) dies vermögen (vgl. Kunter et al. 2007). Insgesamt konnten durch diese Unterrichtsmerkmale, die auf die Basisdimensionen der Unterrichtsqualität zurückgehen, bereits 39 % der Varianz im situationalen Interesse zwischen den Lektionen erklärt werden. Die Maßnahmen der inneren Differenzierung (Adaption von Schwierigkeit und Tempo an unterschiedliche Bedürfnisse) zeigten hingegen nur sehr kleine (im Fall der Aufgabenschwierigkeit auch nicht-signifikante) Zusammenhänge zum situationalen Interesse einer Klasse. Dies lässt sich dadurch erklären, dass beide Maßnahmen auf Leistungsmaße zielen und nicht direkt auf das Interessenprofil der SuS. Daher sind Effekte auf das situationale Interesse auch eher im kleinen Maße und auch nur indirekt über ein erhöhtes Kontrollerleben zu erwarten. Künftige Studien sollten auch andere Schwerpunkte individualisierender Maßnahmen im Unterrichts fokussieren, z. B. die Adaptivität bezüglich der Themen und Aufgabeninhalte. Auch sollte das indirekte Erhebungsverfahren über die Streuung der Urteile der SuS, welches wir angelehnt an den Vorschlag von Lüdtke et al. (2006, S. 228) eingesetzt haben, durch parallele Messungen, z. B. durch Videodaten bzw. Beobachterdaten gestützt werden.

In Bezug auf die Heterogenität im situationalen Interesse zwischen den SuS einer Klasse zeigte sich bei den Basisdimensionen der Unterrichtqualität, dass nur der Enthusiasmus einer Lehrperson die Heterogenität reduzieren konnte. Dieser Zusammenhang kann insbesondere dadurch erklärt werden, dass sowohl Enthusiasmus als auch situationale Interesse das emotionale Merkmal der Freude vereinen. Vergangene Forschung konnte zeigen, dass es bei dieser Emotion auch zu eher unbewussten Ansteckungsprozessen kommen kann („emotional contagion“, siehe z. B. Becker et al. 2014; Frenzel et al. 2009). Die Annahme ist, dass damit ein direkter und weitgehend unbewusster Übertragungsprozess existiert, der auch unabhängig von Prädispositionen ist (z. B. dem individuellen Interesse oder den Überzeugungen dem Unterricht und Fach gegenüber). Entsprechend kann eine enthusiastische Lehrperson die SuS ihrer Klasse gleichermaßen mit ihrer gezeigten Freude erreichen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass weniger (bzw. keine) SuS uninteressiert in der Lektion sind und sich die Streuung im situationalen Interesse reduziert, da sich ein Großteil der SuS einer Lerngemeinschaft im moderaten bis hohem Interessensbereich befinden.

Wir hatten zusätzlich erwartet, dass auch die kognitive Selbstständigkeit zu einer Reduktion der Heterogenität im situationalen Interesse führt, da die Klasse dadurch mehr Autonomie erhält und individuelle Vorlieben umgesetzt werden können. Der Zusammenhang war jedoch in entgegengesetzter Richtung, d. h. die Heterogenität war in diesen Lektionen tendenziell sogar höher. Dies kann dadurch begründet sein, dass die Freiheit im Anwenden von eigenen Lösungsstrategien bei Teilen der Klasse auch eine Überforderung ausgelöst haben könnte, die zu einer Distanzierung von den Lerninhalten führte. Für die kognitive Selbstständigkeit kann also (für das Fach Mathematik) festgehalten werden, dass diese zwar das mittlere situationale Interesse erhöht, aber nicht bei allen SuS gleich geeignet ist und mögliche (hinderliche) Prädispositionen (denkbar wären beispielsweise Stereotype oder das mathematische Selbstkonzept) den positiven Effekt umkehren. Weitere Forschung sollte hier einen idiographischen, d. h. schülerzentrierten Ansatz verfolgen, um diese Prädispositionen zu identifizieren.

Die Maßnahmen der inneren Differenzierung in Bezug auf die Adaptivität des Tempos und der Aufgabenschwierigkeit zeigte erwartungsgemäß weitere, kleine Zusammenhänge zur Heterogenität im situationalen Interesse einer Klasse. Insgesamt konnte jedoch nur ein sehr kleiner Anteil der Varianz aufgeklärt werden. Da die Heterogenität zwischen SuS einer Klasse als „zu interessierendes Merkmal“ (Bardach et al. 2021) erst seit wenigen Jahren Gegenstand der Forschung ist, gibt es hier noch viel Raum für weitere Forschung. Denkbar sind zum Beispiel auch Untersuchungen, welche die Tageszeit der Lektion berücksichtigen. So konnte eine Studie zeigen, dass der Chronotyp, das heißt die individuelle Präferenz im täglichen Schlaf-Wach-Rhythmus, die Motivation der SuS zu verschiedenen Tageszeitpunkten unterschiedlich beeinflusst. So konnte in Abendkursen kein Unterschied mehr in der Motivation zwischen „abendorientierten“ und „morgenorientierten“ Lernenden festgestellt werden – in Kursen am Morgen jedoch schon (Itzek-Greulich et al. 2016). Auch in Bezug auf affektive Konstrukte konnten bereits systematische Schwankungen im Tagesverlauf nachgewiesen werden (z. B. Ahmed et al. 2010; Brose et al. 2014; Demerouti et al. 2011). Da Interesse motivationale und affektive Konstrukte vereint, können hier ebenfalls Zusammenhänge erwartet werden.

Weitere Forschung sollte auch auf andere Schulformen und Fächer ausgeweitet werden. Die vorliegende Studie wurden an deutschen Gymnasien durchgeführt, an denen die Leistungsheterogenität zwischen den SuS strukturell minimiert werden soll (Carl 2017, S. 57). Gleichwohl wurde für das Interesse auch an dieser Schulform eine ausreichende Heterogenität zwischen den SuS angenommen, da man nicht zuletzt aufgrund steigender Übertrittsquoten auf das Gymnasium (Wimmer et al. 2013, S. 327) ohnehin kaum von einer homogenen Schulform sprechen kann. Zudem wurde die Studie im Fach Mathematik durchgeführt, welches in der Wahrnehmung der SuS durchaus divers wahrgenommen wird (Markovits 2011, S. 120). Die Ergebnisse zeigten tatsächlich größere Unterschiede zwischen den SuS in Bezug auf das individuelle Interesse, aber weniger Unterschiede in Bezug auf das situationale Interesse. Eventuell bieten Untersuchungen an Schulformen in denen individualisierende Maßnahmen zum Schulkonzept gehören (z. B. die Gemeinschaftsschule; siehe Hahn 2020), genaueren Aufschluss über die auslösenden instruktionalen Maßnahmen des situationalen Interesses innerhalb einer Schulklasse.

Eine weitere wichtige Erkenntnis unserer Studie bezieht sich auf die Zusammenhänge zwischen dem situationalen Interesse bzw. der Heterogenität im situationalen Interesse und Merkmalen auf Klassenebene. Die bivariate Korrelation zwischen dem mittleren individuellen Interesse und situationalen Interesse einer Klasse war nur moderat ausgeprägt (r = 0,35) und das individuelle Interesse konnte neben den situativen Unterrichtsmerkmalen kaum weitere Varianz aufklären (Modell 3, Tab. 2 und 3). Trotz der vielfach aufgegriffenen theoretischen Zusammenhänge zwischen situationalen und individuellem Interesse, gibt es bisher erst wenige empirische Daten zu Art und Stärke des Zusammenhangs wie Rotgans und Schmidt feststellten (Rotgans und Schmidt 2018, S. 531). Unsere Studie zeigt jedoch eine vergleichbare Stärke des Zusammenhangs zu anderen Untersuchungen (Harackiewicz et al. 2008, S. 110; Tsai et al. 2008, S. 465), wenn das situationale Interesse am Ende einer Lektion bzw. eines Kurses gemessen wird. Gemeinsam mit dem relativ hohen Anteil an Varianz auf Ebene der stabilen Klassenmerkmale (ICC[1] = 0,51) für das situationale Interesse, deuten unsere Analysen darauf hin, dass Klassen eines höheren Jahrgangs (untersucht wurden 9. und 10. Jahrgänge) zu einem nicht unbeträchtlichem Ausmaß Ausgangsdispositionen mit in den Unterricht tragen, die ihre Berichte des situationalen Interesses beeinflussen. Diese können sich jedoch nicht rein auf das individuelle Interesse beziehen, sondern es gilt auch hier weitere Klassenmerkmale (z. B. in Bezug auf Leistung, Selbstkonzept, Stereotype) zu untersuchen.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass das offene Zeigen von Enthusiasmus sowohl das situationale Interesse als auch die Heterogenität im situationalen Interesse beeinflussen kann und Lehrpersonen in Bezug auf das Wecken von Interesse uneingeschränkt empfohlen werden kann. Auch Maßnahmen der inneren Differenzierung durch eine adaptive Unterrichtsgestaltung erscheinen lohnend, um möglichst viele SuS für die Unterrichtsinhalte gleichermaßen zu interessieren. Gleichzeitig bleiben Fragen bezüglich der Zusammenhänge zu stabilisierten Formen des Interesses bestehen und es ist möglich, dass Lehrpersonen mögliche (dysfunktionale) Überzeugungen nicht allein über eine optimierte Unterrichtsgestaltung auffangen können.