Das abschließende und sechste Heft dieses Jahrganges der ZfE ist keinem geplanten Schwerpunktthema gewidmet. Abgedruckt sind ausschließlich frei eingereichte Beiträge – und zwar gleich 13 an der Zahl. Die hohe Zahl der Beiträge ist auch eine Konsequenz aus der zuletzt kontinuierlich angestiegenen Zahl von Einreichungen. Eher zufällig finden sich in den zuletzt zur Publikation für diesen ZfE-Jahrgang angenommenen Arbeiten auch zwei implizite thematische Schwerpunkte, die durch die ersten 6 Beiträge repräsentiert werden. Die ersten vier Beiträge beleuchten das Thema „inklusive Schule“ aus unterschiedlichen Perspektiven, die folgenden zwei Beiträge basieren auf dem theoretischen Ansatz der „Self-Determination Theory“ der Motivation. Die übrigen 7 Beiträge dieses Heftes veranschaulichen einmal mehr das breite Spektrum erziehungswissenschaftlicher Arbeitsweisen, Ansätze und Themen. So finden sich hier neben vielfältigen empirischen Analysen auch eine theoretische Originalarbeit. Die inhaltlichen Themen reichen dabei von der Ausbildung elementarpädagogischer Fachkräfte, der betrieblichen Ausbildungsqualität und den Determinanten des sozialen Status der von Jugendlichen ausprobierten Berufswahlpraktika über das Einschätzungsvermögen von Testqualitäten durch Lehramtsstudierende und das wissenschaftsbezogene Reflexionsvermögen von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe II bis hin zu einer theoretischen Positionierung zur Frage der Erziehung zur Moralität.

Der erste Beitrag von Claudia Menge, Thorsten Euler und Hildegard Schaeper untersucht den Einfluss von Unterrichtserfahrungen auf die inklusionsbezogenen Überzeugungen und Selbstwirksamkeitserwartungen angehender Lehrkräfte anhand der Daten einer Onlinebefragung der Studierendenkohorte des Nationalen Bildungspanels (NEPS). Die Autorengruppe zeigt, dass sich inklusionsbezogene Lerninhalte im Studium bzw. im Referendariat günstig auf die inklusionsbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen auswirkt, nicht dagegen auf die inklusionsbezogenen Überzeugungen. Insgesamt zeigten bereits erwerbstätige Lehrkräfte im Vergleich zu Studierenden eine weniger zuversichtliche Haltung zu Inklusion.

Scarlett Kobs, Michael Knigge und Reinhold Kliegl untersuchten experimentell inwiefern die Beurteilung, ob Interaktionen zwischen Schüler*innen und Lehrkraft in der inklusiven Schule als gerecht beurteilt werden, davon abhängig ist, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde. Eine Nichtbeachtung des Bedarfsprinzips in inklusiven Unterrichtssituationen führte tendenziell zu einer weniger gerechten Unterrichtswahrnehmung. Die zusätzliche Information über eine explizite Diagnose beeinflusste die Gerechtigkeitsurteile der Befragten nicht.

Milena Peperkorn, Katharina Müller und Peter Paulus thematisieren im dritten Beitrag den Zusammenhang zwischen inklusionsbezogenen Anforderungen an die Lehrkräfte und ihren personalen und beruflichen Ressourcen. Ausgehend vom Job-Demands-Resourcen-Modell wurden mehr als 6500 Lehrkräfte schriftlich befragt, um das Zusammenspiel zwischen Anforderungen, Ressourcen, Beanspruchungen und Engagement zu rekonstruieren. Die Ergebnisse zeigen, dass alle Ressourcen positiv mit der Arbeitszufriedenheit korrelieren und die Selbstwirksamkeitserwartung der Lehrkräfte darüber hinaus einen schwach abpuffernden Effekt auf die anforderungsbedingte Beanspruchung hat.

Der vierte Beitrag von Marcel Helbig und Sebastian Steinmetz lädt zur Reflexion des Konzeptes der inklusiven Schwerpunktschulen ein, wie es in der schulischen Inklusionsstrategie in Rheinland-Pfalz umgesetzt wird. Aus Daten der amtlichen Schulstatistik rekonstruieren die beiden Autoren, dass Schwerpunktschulen im Grundschulbereich vor allem an Standorten mit überproportional einkommensschwachen Haushalten eingerichtet wurden. Im Vergleich zu anderen Grundschulen steigt zudem die Armutsquote an Schwerpunktschulen zwischen den Jahren 2012–2019 überproportional an, insbesondere in städtischen Gebieten, in denen in räumlicher Nähe Wahlalternativen im Grundschulbereich vorhanden sind. Dies wirft die Frage auf, ob das Konzept der inklusiven Schwerpunktschulen zu sozial ungünstigen Entwicklungsmilieus führt.

Der fünfte und sechste Beitrag dieses Heftes haben ihre Gemeinsamkeit darin, dass sie die „Self-Determination Theory“ (SDT) der Motivation zur theoretischen Grundlage nehmen. Im Beitrag von Yumei Luo, Jinping Lin und Yi Yang geht es um den Erfolg von College-Studierenden beim selbstregulierten Online-Lernen. Die Autorengruppe kann zeigen, dass die drei von der SDT postulierten Grundbedürfnisse nachweislich für die intrinsische Motivation relevant sind, während die extrinsische Motivation nur von zwei dieser Grundbedürfnisse abhängig zu sein scheint, nämlich dem der sozialen Zugehörigkeit und des Kompetenzerlebens, nicht aber des Autonomieerlebens. Im sechsten Beitrag von Lisa-Maria Kaiser, Kris-Stephen Besa, Matthias Wide und Nadine Großmann werden empirische Analysen vorgelegt, die dafür sprechen, dass das subjektive Erfülltsein der drei SDT-Grundbedürfnisse unter Schüler*innen der Sekundarstufe II durch den wahrgenommenen Druck aufgrund zeitlicher Anforderungen, Leistungsanforderungen und des Anspruchs der Lehrperson vorhergesagt werden kann.

Mit der Ausbildung von pädagogischem Fachpersonal im Elementarbereich befasst sich der Beitrag von Simone Dunekacke, Lars Jenßen und Sigrid Blömeke. Mehr als 900 Fachkräfte und ihre 43 Ausbildner*innen der beiden in Deutschland üblichen Ausbildungswege an Fachschulen und Hochschulen wurden dazu befragt. Dabei wurde das fachspezifische Wissen der ausgebildeten Fachkräfte zu spezifischen Bildungsbereichen wie etwa der Mathematik vorbereitenden Bildung erfasst und die Ausbildner*innen danach befragt, wie umfangreich die Lerngelegenheiten zu diesen Fachinhalten während der Ausbildung waren. Es zeigte sich ein substanzieller Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der domänenspezifischen Lerngelegenheiten und dem entsprechenden professionellen Wissen der pädagogischen Fachkräfte.

In dem achten Beitrag dieses Heftes von Maximilian Krötz und Viola Deutscher werden die unterschiedlichen Wahrnehmungsperspektiven von Auszubildenden und Ausbildenden zur betrieblichen Ausbildungsqualität unter die Lupe genommen. Anhand der Umfragedaten von mehr als 300 Auszubildenden und 30 Ausbildenden zeigt sich nicht nur, dass deren Wahrnehmung der betrieblichen Ausbildungsqualität sich deutlich unterscheidet, sondern auch dass diese Unterschiede die Prädiktion von Gedanken der Auszubildenden über einen Ausbildungsabbruch verbessert.

Jan Hofmann und Markus Neuenschwander thematisieren im neunten Beitrag die Berufspraktika von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I als erste Orientierung der individuellen Berufswahl. Auf der Basis einer Längsschnittstichprobe von mehr als 230 Jugendlichen, die in den Klassenstufen 5, 7 und 9 untersucht wurden, zeigen die Autoren pfadanalytisch u. a. einen direkten Einfluss der beruflichen Aspirationen der Jugendlichen auf das soziale Prestige der gewählten Praktikaberufe.

Der zehnte Beitrag von Fabio Nagele, Michaela Kastaller und Ulrike Greiner präsentiert ein empirisches Argument für den Nutzen des sog. Multiple-Document-Comprehension-Model (MDC-Modell) für die Qualitätskontrolle in der Ausbildung zukünftiger Lehrpersonen. So ließen sie die Unterschiede von Texten durch Bachelorstudierende in Lehramtsstudiengängen beurteilen und modellierten die vier kognitiven Anforderungsbereiche des MDC-Modells. Dabei zeigte sich, dass nur 7 % der Studierenden alle vier Anforderungsbereiche beherrschten.

Mit dem wissenschaftsbezogenen Reflexionsvermögen von Jugendlichen in der Sekundarstufe II beschäftigt sich der elfte Beitrag vom Jochen Kramer, Eva Thomm, Kerstin Oschatz, Wolfgang Wagner und Rainer Bromme. Die Autorengruppe gibt einen Überblick zu theoretischen Ansätzen zur Wissenschaftspropädeutik und skizziert die Reflexionskompetenz im Umgang mit Widersprüchen in der Wissenschaft als eine Kernkomponente von Wissenschaftspropädeutik. Im empirischen Teil werden Befunde zur Entwicklung und Pilotierung des Tests zur Einschätzung wissenschaftlicher Widersprüche (TEWI) für das nationale Bildungspanel (NEPS) sowie eine Studie mit Belegen zur Reliabilität und Validität des TEWI vorgestellt.

Der vorletzte Beitrag in diesem Heft greift ein Thema auf, dass für viele Lehramtsstudierende im Fach Mathematik emotional besetzt sein dürfte. Stefanie Rach, Stefan Ufer und Timo Kasiol schlagen für die Bearbeitung der Frage, wie fit sich Studierende in Mathematik fühlen, ein dreidimensionales Modell des Mathematik-Selbstkonzeptes vor, in dem zwischen dem allgemeinen, dem schulischen und dem universitären Mathematik-Selbstkonzept unterschieden wird. Die vorgelegte Studie mit Studierenden zeigt, dass die schulische Selbstkonzept-Dimension im Mittel stabil bleibt, das universitäre Selbstkonzept insbesondere bei den Lehramtsstudierenden sich allerdings deutlich verringert. Das universitäre und das allgemeine mathematische Selbstkonzept prädizieren darüber hinaus die Studienzufriedenheit.

Den abschließenden Heftbeitrag von Thomas Rucker lege ich Ihnen besonders ans Herz, ist er doch in diesem Heft der einzige grundlegende theoretische Originalbeitrag und repräsentiert somit eine nicht nur traditionell wichtige Facette des erziehungswissenschaftlichen Diskurses. Thomas Rucker behandelt in seinem Beitrag das Problem der Erziehung zur Moralität in einer komplexen Welt. Dafür stellt er den von Michael Hand entwickelten Lösungsvorschlag für die Problemstellung auf den Prüfstand und bringt Argumente für zwei Einwände gegen diesen Lösungsvorschlag bei, die er als „Kombinationsdefizit erzieherischer Grundformen“ und „Vorwurf aus der Imperfektheit der Ethik“ bezeichnet. Er zeigt auf, dass die Theorie der nichtaffirmativen Moralerziehung die Möglichkeit eröffnet, die zwei Einwände gegen den Theorieentwurf von Hand zu umgehen, auch wenn diese weiter zu entwickeln wäre, um moralische Erziehung in einer komplexen Welt angemessen zu konzipieren.