Auch in diesem Jahr haben wir eine Wahl des besten Beitrags des vergangenen Jahres unter der Federführung (Erstautorenschaft) eines Nachwuchswissenschaftlers bzw. einer Nachwuchswissenschaftlerin (unter 40 Jahre und noch nicht Inhaber/in einer Professur) durchgeführt. In einem anonymen Abstimmungsprozess wurden die in Frage kommenden Beiträge von allen Herausgeberinnen und Herausgebern der ZfE bewertet (Editors’ Choice). Die meisten Bewertungspunkte entfielen dabei auf den Beitrag von Edith Niederbacher & Markus P. Neuenschwander (Herkunftsbedingte Leistungsdisparitäten: Die Rolle von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und Unterstützungshandlungen von Eltern und Leistungserwartungen von Lehrpersonen), der in 2020 „online first“ gestellt wurde. Wir gratulieren herzlich zu dieser besonderen Auszeichnung.

Im vorliegenden dritten Heft dieses Jahrganges können wir Ihnen erneut eine Auswahl von Beiträgen präsentieren, die das breite Spektrum erziehungswissenschaftlicher Arbeitsweisen, Ansätze und Themen veranschaulichen. Die inhaltlichen Themen reichen vom sozialen Verhalten in inklusiven Klassen, über die Auswirkungen von Studienstrukturen auf das professionelle Wissen angehender Physiklehrkräfte, den Zusammenhang zwischen der Akkulturation von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und dem angestrebten Schulabschluss, die Rolle des bürgerlichen Staates für die soziale Selektion im Bildungssystem, die Entwicklung von Prüfungsangst und ihrem Zusammenhang zur Mathematikleistung am Ende der Grundschulzeit, eine Analyse der bisher publizierten Beiträge in der ZfE, Herausforderungen bei komparatistischen Analysen zur Auswirkung von Sommerferien auf soziale Disparitäten in den europäischen Bildungssystemen, Effekte der räumlichen Nähe von Förderschulen auf die Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs bei Kindern ans Grundschulen, die Validität der Angaben Jugendlicher zum Bildungsstand ihrer Eltern, bis hin zum Einfluss gestufter Lernhilfen als Unterstützungsmaßnahme beim Experimentieren auf den Lernerfolg im Biologieunterricht.

Der erste Beitrag von Amelie Labsch, Lena Nusser, Monja Schmitt und Marianne Schüpbach geht der Frage nach, ob sich Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf in inklusiven Klassen sozial anders verhalten als in Klassen ohne Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Auswertungen von Daten des Nationalen Bildungspanels sprechen gegen die Annahme erhöhten prosozialen Verhaltens in inklusiven Klassen und eher für vermehrtes Problemverhalten im Umgang mit Gleichaltrigen als in nicht-inklusiven Klassen. Statistisch lässt sich dieser Befund über die sozioökonomische, nicht aber die ethnische Klassenkomposition erklären.

Dustin Schiering, Stefan Sorge und Knut Neumann thematisieren im zweiten Beitrag den Einfluss von Studienstrukturen auf das Professionswissen angehender Physiklehrkräfte. Über den Vergleich der Curricula für das Lehramtsstudium von 20 deutschen Hochschulen wurden Inhalte und Umfang der fachlichen und fachdidaktischen Studieninhalte analysiert. Die fachlichen Anteile überstiegen vom Umfang her die fachdidaktische Ausbildung um das Fünffache. Zusammenhänge zwischen Fachwissen und Fachdidaktischem Wissen erwiesen sich als abhängig von der Studienstruktur. In Studiengängen mit eher geringen Fachdidaktikanteilen ist das fachdidaktische Wissen stärker abhängig vom Niveau des fachlichen Wissens.

Der dritte Beitrag von Nanine Lilla, Sebastian Thürer, Wim Nieuwenboom und Marianne Schüpbach widmet sich dem Zusammenhang zwischen der Akkulturation von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und dem in der Sekundarstufe angestrebten Schulabschluss. Daten des Nationalen Bildungspanels wurden auf verschiedene Aspekte der Akkulturation hin mittels latenter Profilanalyse untersucht. Dabei konnten vier Akkulturationsprofile ermittelt werden: ein assimiliertes, ein moderat assimiliertes, ein integriertes und ein separiertes Akkulturationsprofil. Das separierte Akkulturationsprofil war prädiktiv für den angestrebten Schulabschluss (Abitur vs. Hauptschulabschluss), wobei dieser Effekt bei Kontrolle der Deutschkompetenz nicht mehr nachweisbar war.

Mit der Erklärung (allgemeiner) herkunftsbedingter Bildungsungleichheiten beschäftigt sich auch Wulf Hopf im vierten Beitrag dieses Heftes. In seiner theoretischen Analyse argumentiert der Autor, dass bei dieser Frage die besonderen Bedingungen des bürgerlichen Staates zu berücksichtigen sind. Der Staat etabliert universelle Prinzipien der Gleichheit, der Leistung und der Freiheit der Wahl, die auch konstitutiv für die Institutionen im Bildungssystem sind. Die Akteure orientieren sich an diesen Prinzipien, und indem sie das tun, wird der vermittelte Einfluss der sozialen Herkunft auf den Bildungserfolg einerseits ermöglicht, andererseits aber auch verschleiert. Insofern kann man den bürgerlichen Staat als Agenten der sozialen Selektion auffassen.

Mit der Entwicklung von Prüfungsangst in Mathematik und deren Effekt auf die Leistungsentwicklung am Ende er Grundschulzeit beschäftigt sich der fünfte Beitrag von Anna Jonberg, Claudia Pereira Kastens und Frank Lipowsky. Anhand der Daten von 725 Grundschulkindern, die vom Ende der dritten bis zum Ende der vierten Klassenstufe erhoben wurden, zeigt sich, dass die Prüfungsangst bei eine mittlere korrelative Stabilität Ende der Grundschulzeit leicht abfällt, bei reziprokem Zusammenhang von Prüfungsangst und Leistung. Besonders hoch ist die Prüfungsangst ist bei Kindern mit geringem Selbstkonzept und steigt bei diesen außerdem noch an. Bei Kindern mit sehr positivem Selbstkonzept erweist sich die Prüfungsangst als negativer Prädiktor für Leistung.

Der sechste Beitrag von Andreas Westphal und Olaf Zawacki-Richter beschäftigt sich mit unserer Zeitschrift für Erziehungswissenschaft (ZfE) selbst, genauer mit den Publikationen in den Jahren 1998–2017. Über quantitative Textanalyse wurden zunächst die häufigsten sowie die charakteristischen Bigramme (Zweiwortsequenzen) in vier aufeinanderfolgenden Fünfjahres-Abschnitten (1998–2002, 2003–2007, 2008–2012, 2013–2017) identifiziert. Über das Auszählen einschlägiger Wortstämme und unter Zuhilfenahme von Textmining wurde die semantische Struktur der Themengebiete und Schlüsselkonzepte rekonstruiert. Im untersuchten Zeitraum fanden sich vorrangig empirische Beiträge mit Fokus auf sozialen Aspekten von Bildung.

Laura Helbling, Martin Tomasik und Urs Moser beschäftigen sich im siebten Beitrag mit den methodologischen Herausforderungen von komparativen Forschungen zur Auswirkung von Sommerferien auf soziale Disparitäten im Lernerfolg bzw. Bildungsoutput. Dieser in den USA etablierte Forschungsansatz steht in ländervergleichenden Analysen innerhalb Europas vor einer Reihe von Herausforderungen, die von der Parametrisierung von Lernfortschritten über die berücksichtigten Einflussdynamiken, bis hin zu den genutzten Modellierungsstrategien reichen.

Die ketzerische Frage, ob die Identifikationshäufigkeit von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an Grundschulen um so höher ausfällt, je größer die räumliche Nähe einer Grundschule zu einer Förderschule ist, steht im Fokus der Studie von Janka Goldan und Michael Grosche im achten Beitrag dieses Heftes. Mit den Daten der amtlichen Schulstatistik Nordrhein-Westfalens für die Grundschulen der Jahre 2010/11 bis 2017/18 wird ein Tobit-Regressionsmodell unter Berücksichtigung der inhärenten Mehrebenenstruktur berechnet. Dabei zeigt sich für verschiedene Förderschwerpunkte und unter Kontrolle konfundierender Variablen, dass es tatsächlich einen solchen Zusammenhang gibt. Welche Mechanismen diesem Effekt zugrunde liegen und welche Implikationen sich daraus für die Praxis amtlicher Feststellungsverfahren ergeben, wird in dem Beitrag diskutiert.

Der neunte Beitrag in diesem Heft widmet sich der Frage, ob Jugendliche der 9. Jahrgangsstufe in standardisierten Erhebungen valide Informationen zum Bildungsstand ihrer Eltern liefern. Till Hovestadt und Thorsten Schneider legen dazu moltinomiale Logit-Analysen von Daten des Nationalen Bildungspanels vor. Fast jeder vierte Jugendliche liefert keine Angabe zum Abschluss der Mutter bzw. des Vaters, jeder vierte abweichende und nur jeder zweite Angaben, die mit denen der Eltern übereinstimmen. Jugendliche mit einem größeren Wortschatz machen validere Angaben. Von Eltern im Ausland erworbene Abschlüsse können den vorgegebenen Antwortkategorien oftmals nicht zugeordnet werden. Ein Effekt von Gewissenhaftigkeit und Diskussionen mit Eltern auf die Qualität der Antworten findet sich nicht.

Der zehnte und letzte Originalbeitrag dieses Heftes thematisiert den Einfluss gestufter Lernhilfen beim Experimentieren auf den Lernerfolg im Biologieunterricht. Cornelia Stiller und Matthias Wilde realisierten dazu ein Feldexperiment. Lernende der Experimentalgruppe (EG) arbeiteten während des Experimentierens mit gestuften Lernhilfen, während die Kontrollgruppe (KG) keine zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen erhielt. Es zeigten sich zwar Gruppenunterschiede hinsichtlich des prozeduralen Wissenszuwachs zugunsten der EG, nicht aber bezüglich des konzeptuellen Wissenszuwachses. Sowohl konzeptuelles als auch prozedurales Vorwissen erwiesen sich als Prädiktor für konzeptuelles bzw. prozedurales Wissen nach dem Unterricht. Zusätzlich erwies sich das Treatment als Prädiktor für das prozedurale Wissen im Nachtest, interagierte aber nicht signifikant mit dem Vorwissen, was nahelegt, dass Lernende unabhängig vom Vorwissen von den gestuften Lernhilfen profitieren.