„Führung an Schulen macht den Unterschied“. So lassen sich die Befunde der empirischen Forschung zur Wirksamkeit von Führung an Schule kurz und knapp zusammenfassen. Ob es um den Lernerfolg von Schülerinnen und Schülern, die Professionalisierung von Lehrkräften oder die Entwicklung der Einzelschule als Ganzes geht – eine Vielzahl internationaler Studien hat in den vergangenen rund 50 Jahren deutlich gemacht, dass das Lernen auf allen Ebenen der Organisation Schule auf das aktive Zutun ihrer Führungsakteure angewiesen ist. Deutlich zeigt sich dabei, dass Führung ein Make-or-break-Faktor komplexer Organisationen ist, ein Kernmerkmal, von dem es abhängt, ob Schule in ihrer Gesamtheit als solche gelingt oder nicht.

Ein Patentrezept guter, wirksamer Führung gibt es dabei nicht; hängt das Führungshandeln doch immer auch von den Zielen, den spezifischen Rahmenbedingungen der einzelnen Schule sowie der konkreten Ausgestaltung zwischen Führenden und Geführten in der sozialen Interaktion ab. Gleichwohl lässt sich ein Repertoire an Führungspraktiken beobachten, auf das schulische Akteure zurückgreifen (können), wenn es darum geht, Schülerinnen und Schülern mithilfe schulischer Führung ein möglichst effektives Lernen zu ermöglichen und entsprechend alle innerschulischen Prozesse auf dieses Ziel hin auszurichten. Eine solche Führung an Schulen setzt auf einen Mix verschiedener Führungspraktiken, der je nach Anlass und Kontext angepasst und variiert wird: Es geht dabei erstens darum, Visionen guter, wirksamer Schule zu entwickeln und diese Visionen mit anderen Personen der Schulgemeinschaft zu teilen. Zweitens geht es darum, den Unterricht und alle innerschulischen Prozesse auf die so definierten Ziele hin auszurichten und zu optimieren. Und drittens geht es darum, Führung als etwas zu begreifen, das in der Interaktion zwischen Führenden und Geführten realisiert wird, und daher auch darum, die (Führungs‑)Verantwortung innerhalb der Organisation Schule zu verteilen.

Eine solche lernzentrierte Führung zeichnet sich somit dadurch aus, dass der Fokus aller Schulbeteiligten auf dem Lernen und dem Lehren an einer Schule liegt, Führungsverantwortung geteilt wird und darüber hinaus alle Schulbeteiligten zu einer Veränderung ihres Verhaltens und ihrer Lern- und Leistungsbereitschaft motiviert und inspiriert werden. Im internationalen Raum hat sich mit Blick auf ein derartiges Führungsverständnis an Schulen deshalb der Begriff Leadership for Learning etabliert. Jedoch ist größtenteils unklar, in wie weit sich die international gängigen Konzepte, Annahmen und Befunde auf den deutschsprachigen Raum übertragen lassen, da es diesbezüglich sowohl an konzeptionellen als auch an aussagekräftigen empirischen Arbeiten mangelt. Der vorliegende Thementeil beschäftigt sich daher erstmals im deutschsprachigen Raum ausführlich damit, welche Annahmen dem Konzept zugrunde liegen, welche empirischen Befunde vorliegen, und setzt sich kritisch damit auseinander, in wie weit sich beides auf den deutschsprachigen Raum übertragen lässt.

Im Stichwortbeitrag „Lernzentriertes Leitungshandeln – Leadership for Learning“ führen Pierre Tulowitzki und Marcus Pietsch in den Thementeil ein und geben einen Überblick über das Konzept lernzentrierter Führung an Schulen sowie zu vorliegenden empirischen Studien. Die Autoren beleuchten zuerst die Entstehung sowie die theoretischen Hintergründe des Leadership-for-Learning-Konzeptes und weisen darauf hin, dass Führung an Schulen in diesem Verständnis auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern vor allem indirekt, über verschiedene innerschulische Faktoren vermittelt, wirkt, wobei Führung im ständigen Dialog von Führenden und Beteiligten gemeinsam konstituiert bzw. ko-konstruiert wird und entsprechend mit reziproken Wechselwirkungen zu rechnen ist. Anschließend werden empirische Befunde zur Konzeption, zu (Kontext‑)Bedingungen sowie zu Effekten lernzentrierter Führung an Schulen vorgestellt. Hier zeigen die Autoren, dass sich sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international nur wenige Untersuchungen finden, die der Komplexität des Ansatzes Rechnung tragen und über die Analyse einzelner Teilaspekte hinausgehen. Gleichwohl wird anhand der berichteten Studien das Potenzial des Forschungsfeldes sowie des konzeptionellen Ansatzes für die empirische Bildungsforschung verdeutlicht. Abschließend entwerfen die Autoren eine Forschungsagenda für den deutschsprachigen Raum und geben Empfehlungen, wie diese implementiert und im Rahmen empirischer Studien umgesetzt werden kann.

Im darauffolgenden Beitrag „Leadership is for Learning – A Critique of Current Misconceptions around Leadership for Learning“ setzt sich John MacBeath, der den internationalen Diskurs rund um Leadership for Learning maßgeblich mitgeprägt hat, kritisch mit aktuellen Leadership-Konzepten und dem gängigen Führungsverständnis im pädagogischen Kontext auseinander. Herkömmliche Vorstellungen und Normen rund um Führung werden dabei einerseits auf Basis philosophischer Argumente und andererseits auf Basis von Erkenntnissen aus dem internationalen Projekt „Carpe Vitam“ zur Erforschung lernzentrierter Führung in sieben Ländern kritisch hinterfragt. Auf Basis dieser Auseinandersetzung plädiert der Autor dafür, Lehrkräfte als Führung aktiv mitgestaltende Akteure zu betrachten, deren treibende Kraft moralische Absichten und Werte sind. Führung an Schulen sei dann zu verstehen als soziale Ko-Konstruktion, in deren Rahmen Wissen zwischen Lehrkräften entsteht und geteilt wird, die für Prozesse in Schule und Unterricht Verantwortung übernehmen.

Im dritten Beitrag „School Leadership and School Organization: Investigating Their Effects on School Improvement in Reading and Math“ berichten Ronald Heck und Tingting Reid Befunde aus einer groß angelegten Längsschnittuntersuchung aus den USA, in deren Rahmen die Lernentwicklung von rund 13.000 Schülerinnen und Schülern an 171 Schulen über einen Zeitraum von mehreren Jahren gemessen wurde, und verknüpfen diese Daten mit weiteren Informationen aus wiederholten Lehrkraft- und Schulleitungsbefragungen. Im Zentrum des methodisch innovativen sowie elaborierten Beitrages steht die Frage, ob sich, wie im Konzept des Leadership for Learning angenommen, reziproke Wechselwirkungen von Führung an Schulen und Lernentwicklungen von Schülerinnen und Schülern nachweisen lassen. Mithilfe latenter Zuwachsmodelle sowie Latent Class Growth Trajectories wird in der Folge gezeigt, dass sich Lernentwicklungen von Schülerinnen und Schülern, die Führung an Schulen sowie innerschulische Prozesse über die Zeit betrachtet wechselseitig beeinflussen und somit nicht von einer rein unidirektionalen Wirkungsweise von Führung auf Schülerleistungen auszugehen ist. Der Beitrag zeigt auf eindrucksvolle Art und Weise die Dynamiken innerhalb von Schulen auf und macht deutlich, welche Komplexität empirische Untersuchungen im Themenfeld aufweisen und wie dieser methodisch begegnet werden kann.

Im abschließenden Beitrag des Themenschwerpunktes „Mature School Cultures and New Leadership Practices – An Analysis of Leadership for Learning in German Comprehensive Schools“ geben dann Esther Dominique Klein und Hanna Bronnert-Härle einen Einblick in die Forschung zur lernzentrierten Führung an Schulen im deutschsprachigen Raum. Sie nehmen dafür Führungskulturen an Gesamtschulen in sozialräumlich benachteiligten Standorten in den Blick. Ausgehend von der Feststellung, dass Führung und insbesondere Leadership for Learning an Schulen in Deutschland ein vergleichsweise neues Phänomen darstellt, das erst in jüngster Zeit Einzug in die hiesige Administration, Praxis und Forschung gehalten hat, untersuchen die Autorinnen die Führungspraktiken an Schulen mit „alten“ und „jungen“ Schulkulturen, womit sie grosso modo die in Schule und Administration vorhandenen und gelebten tiefenstrukturellen Annahmen darüber, wie Schule zu sein hat, meinen. Anhand von Schulen, die vor 1995 sowie Schulen, die nach 2010 gegründet wurden, zeigen sie, dass an Schulen mit „älteren“ Schulkulturen seltener Führungspraktiken zu beobachten sind, die die pädagogische Praxis von Lehrkräften und den Unterricht aktiv beeinflussen. Deutlich wird darüber hinaus, dass auch im deutschsprachigen Raum die Beteiligung des Kollegiums und damit die gemeinsame Konstitution von Führung sowie der Kontext an die Ausgestaltung von Führung an Schulen gekoppelt ist. Auch hierzulande hängt somit das Führungshandeln von spezifischen Rahmenbedingungen der einzelnen Schule sowie der konkreten Ausgestaltung zwischen Führenden und Geführten in der sozialen Interaktion ab.