Zusammenfassung
Der Begriff der „Wegwerfgesellschaft“ bezeichnet die Dominanz einer historisch spezifischen gesellschaftlichen Haltung gegenüber Dingen. Diese ist gekennzeichnet vom Besitz unzähliger Dinge, ihrem Ge- und Verbrauchen, einer Achtlosigkeit im Dingumgang sowie der Bereitschaft, Dinge schnell zu ersetzen und auszutauschen. Der Beitrag zeigt auf, dass diese Haltung in einem langen historischen Prozess eingeübt werden musste, bevor sie zu einer selbstverständlichen gesellschaftlichen Praxis wurde. Der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierende Umgang mit Dingen wurde in der Interaktion mit den Dingen selbst sowie aufgrund ihrer Materialität einsozialisiert. Dinge erzogen die Menschen mit ihrer spezifischen Gemachtheit zum Wegwerfen. Der Beitrag widmet sich der Kritik an der Wegwerfmentalität sowie den Gegenbewegungen und skizziert den historischen Prozess der Vermehrung der Dinge, der Etablierung von Einwegartikeln sowie der billigen Massenfertigung in ihrer Bedeutung für den Dingumgang.
Abstract
The term “throw-away society” refers to the dominance of a historically specific social attitude towards things. This attitude is characterised by possession of countless things, their use and consumption, a carelessness in handling things and a readiness to replace and exchange things rapidly. The article shows that this attitude needed to be practised in a long historical process before it became taken for granted as a social practice. This mode of handling things that was dominant in the second half of the 20th century was instilled in us in our interaction with the things themselves and through their materiality. Things, with their specific quality of being fabricated, reared us to throw them away. The article critiques the throw-away mentality and its counter-movements and outlines the meaning of the historical process of the proliferation of things, the establishment of disposable products and cheap mass-production for our dealings with things.
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Notes
Vgl. dazu z. B. Thompson (2003) sowie vor allem die insbesondere auf Symbolsysteme fokussierte material culture-Forschung, die Dinge als Text las.
Vgl. Kunst und Gewerbe 33/1874.
Insbesondere in den 1970er und 19880er Jahren ging die Verwendung des Begriffs „Wegwerfgesellschaft“ über die Bezeichnung eines neuen Ding-Verhältnisses hinaus, indem er häufig zur Bestimmung einer achtlosen, respektlosen Haltung gegenüber Menschen, Dingen und Natur genutzt wurde. Die Rede war auch von Menschen, von Alten, von Ressourcen, die weggeworfen wurden, zuweilen sogar davon, dass beispielsweise mit der Möglichkeit der atomaren Selbstvernichtung ein „Sich-Selbst-Wegwerfen“ der Welt stattfinde. Der Begriff des Wegwerfens wurde gewissermaßen zu einem universell nutzbaren Vorwurf.
Vgl. Ausführlich Heßler 2009.
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Heßler, M. Wegwerfen. Zum Wandel des Umgangs mit Dingen. Z Erziehungswiss 16 (Suppl 2), 253–266 (2013). https://doi.org/10.1007/s11618-013-0415-z
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