Mit knapp 600 Seiten hat Stefanie Palm einen Ziegelstein zu den Kontroll- und Zensurversuchen des Bundesinnenministeriums (BMI) produziert, die in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik auf öffentliche Kommunikation gerichtet waren. Die geschichtswissenschaftliche Dissertation (Universität Potsdam, 2022) ist in einem vom Bundesinnenministerium 2014 initiierten Großprojekt entstanden, in dem die NS-Vergangenheit in den Ostberliner und Bonner Innenministerien zwischen 1949 und 1970 untersucht werden sollte. So erklärt sich das eine Erkenntnisinteresse von Palms Arbeit. Sie möchte herausfinden, welche Kontinuitäten es in der für Medien zuständigen Kulturabteilung des Bundesinnenministeriums gegeben hat. Ihr zweites Interesse richtet sich auf die staatlichen Medienlenkungsambitionen vor dem Hintergrund einer kritischer werdenden Öffentlichkeit. Stefanie Palm knüpft dabei an Christina von Hodenbergs Studie (2006) an.

Der Zugang ist ein gruppenbiografischer. Stefanie Palm hat mit Akribie Personalakten von 54 Beamten des Ministeriums ausgewertet, die erstmals verfügbar gemacht wurden. Die Voraussetzungen für diesen exklusiven Zugang, ermöglicht durch den Auftraggeber, werden in den Dankesworten erwähnt, im kurzen Quellenabschnitt aber nicht transparent gemacht oder weiter reflektiert. Der Blick auf Mitarbeiter auch in der zweiten oder dritten Reihe war bedeutsam, weil diese innerhalb erstaunlicher Spielräume Gesetzentwürfe selbständig verfasst, verantwortet und öffentlich vorgestellt haben. Die Quellenbasis ist breit und umfangreich. Das Verzeichnis listet über 20 Archive auf. Die Funde aus diesen Beständen wurden um Medieninhalte und einige Interviews ergänzt.

Der NS-geprägte „persönliche Erfahrungs- und Erlebnisraum“ der Beamten ist für Stefanie Palm ein Schlüssel zum medienpolitischen Handeln des Ministeriums. Die politische Belastung der Medienreferenten war bei der Einstellung weniger ausschlaggebend als die der höheren Dienstränge. Diese Männer hatten zuvor fast durchweg in NS-Verwaltung und Justiz gearbeitet und häufig auch eine Militärlaufbahn hinter sich. Auch wenn obrigkeitsstaatliche Denkmuster und autoritäre Medien- und Öffentlichkeitsvorstellungen viel länger als bis zum Nationalsozialismus zurückreichen, wie Stefanie Palm auch selbst anmerkt, verweisen die Muster in den untersuchten Lebensläufen auf die Plausibilität dieses Schlüssels. Der zweite Schlüssel zum Verständnis der Medienpolitik des BMI – Öffentlichkeitswandel – wird demgegenüber stiefmütterlicher behandelt, er ist allerdings besser erforscht.

Unter den vier Ergebniskapiteln befindet sich ein erstes, das die Strukturen, die Personalpolitik und den Gründungsmythos der Kulturabteilung und ihres Medienreferates vorstellt. Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sind vor allem die zwei folgenden Kernkapitel bedeutsam, in denen Stefanie Palm beschreibt, wie aus dem BMI heraus über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg versucht wurde, die öffentliche Meinung zu kontrollieren und zu beeinflussen. Das geschah mithilfe eines breiten Spektrums von Mitteln: über Gesetzesinitiativen (etwa Bundespressegesetz und Pressenotstandsgesetz), Pläne zur Errichtung von Zensurinstitutionen (Bundes-Filmzensurstelle), über Kredite, mit denen die Presse gefügig gemacht werden sollte, über die Abwehr von Informationsfreiheitsansprüchen mithilfe von Beugehaft und Beschlagnahme sowie mit der Beeinflussung von Ermittlungsverfahren und Staatsanwälten. Die Kapitel sind chronologisch in drei Phasen unterteilt. Das letzte berichtet unter anderem von den bekannten Medienkommissionen der 1960er-Jahre, die Stefanie Palm zufolge für den Wandel von Kontrolle und Lenkung hin zu indirekten Einflussversuchen stehen, und von der Auflösung einer eigenständigen Kulturabteilung 1970.

Das Buch schließt eine wichtige Lücke in der Medienpolitikgeschichtsforschung. Stefanie Palm liefert eine Gesamtschau, in die sie bekannte Ereignisse (Spiegel-Affäre) und weniger prominente (GARIOA-Kredite für die Presse aus den USA) einbindet und aus der Perspektive des BMI tief ausleuchtet. Das Buch liefert interessante Einblicke in das Innenleben eines bedeutenden Akteurs der bundesdeutschen Medienpolitik, der gegenüber Kanzleramt oder Verfassungsgericht immer wieder auch den Kürzeren zog. Es zeigt, dass es diesem Akteur (und offenbar noch stärker dem Kanzleramt) nicht um die Sicherung von Kommunikationsgrundrechten ging, sondern um die Aufrechterhaltung eines autoritären Staats, um Antikommunismus und Systeminteressen im Kalten Krieg. Die Passagen über Verwaltungshandeln und Personalpolitik dürften für unser Fach eher von sekundärem Interesse sein. Umso bedeutender ist die Arbeit, was die Dekonstruktion des Mythos’ der geglückten Demokratie, des liberal-freiheitlichen Mediensystems in der BRD seit 1949 angeht. Aus Stefanie Palms Buch geht hervor, wie intensiv die Exekutive über die beiden untersuchten Jahrzehnte damit beschäftigt war, die öffentliche Meinung zu lenken. Ein Schelm, wer glaubt, das gibt es noch heute. Leider diskutiert das Fazit nicht, ob und was diese Geschichte hilft, heutige kommunikationspolitische Maßnahmen und Einflüsse auf die Meinungsbildung durch den Staat zu verstehen. Sie wird als einzigartiges und abgeschlossenes Kapitel der bundesdeutschen Geschichte dargestellt. Weil das nicht reflektiert wird, ist nur zu spekulieren, ob sich das aus dem Projektkontext ergab.

Das Buch ist allen zu empfehlen, die die monolithische Erzählung der liberalen und pluralistischen bundesdeutschen Mediendemokratiegeschichte seit 1949 hinterfragen möchten. Am besten bringen die Leser etwas Hintergrundwissen über die damalige Medien- und Journalismusentwicklung mit. Etwas mühsam ist die Lektüre an einigen Stellen aufgrund der teils sehr ins Detail gehenden Darstellung einzelner Biografien und von Biografiepolitik. An manchen Stellen hätte ich mir eine stärkere Verknüpfung des vergangenheitspolitischen und des öffentlichkeitshistorischen Erkenntnisinteresses gewünscht, auch mehr Nachdenken darüber, ob und wann der Schlüssel NS-Biografie vielleicht doch überstrapaziert wird. Es ist schade, dass dieses wertvolle Buch eher schlecht zu erschließen und damit auch zu zitieren ist. Es gibt kein Register. Auf den Namen des Kommunikationswissenschaftlers Wilmont Haacke, der seinen Part in dieser Geschichte hatte, stößt man zum Beispiel nur, wenn man sich bis zur Hälfte des Buchs durchgearbeitet hat.