Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gilt bis heute als eines der tagespublizistischen Leitmedien der Bundesrepublik. Leitmedien wird ein besonderer Einfluss auf Gesellschaft und Öffentlichkeit beigemessen und entsprechend haben sie auch für die kommunikationswissenschaftliche Forschung zu Genese, Inhalt und Struktur aktueller öffentlicher Debatten und Diskurse hohe Relevanz. Während die FAZ damit recht regelmäßig Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Inhaltsanalysen ist, spielen dezidiert diachron gewendete Fragen zu ihrer Etablierung als publizistisches Leitmedium sowie zur langfristigen Entwicklung und Transformation ihrer Leitpositionen innerhalb des bundesrepublikanischen Mediendiskurses in der Kommunikationswissenschaft bislang leider kaum eine Rolle. Umso verdienstvoller ist das 2016 von dem Historiker Peter Hoeres an der Universität Würzburg gestartete DFG-Projekt „Ein Leitmedium für Politik und Kultur. Die FAZ von ihrer Gründung 1949 bis zur Gegenwart“. Neben der ersten, von Hoeres selbst verfassten Gesamtdarstellung zur FAZ als „Zeitung für Deutschland“ sind in diesem äußerst produktiven Projektzusammenhang drei profunde Dissertationen zu den Kernressorts Feuilleton, Politik (Frederic Schulz) und Wirtschaft (Maximilian Kutzner) entstanden.

Im Mittelpunkt der hier rezensierten Dissertation von Roxanne Narz steht das Feuilleton der FAZ zwischen 1949 und 1973. Ziel von Narz ist es nun nicht, „die Geschichte des Feuilletons mit all ihren Haupt- und Nebensträngen auszuerzählen“ (S. XIX). Vielmehr möchte sie aufzeigen, wie das Feuilleton die gesellschaftlichen, kulturellen und (kultur‑)politischen Zeitfragen der frühen Bundesrepublik begleitete, beobachtete und kommentierte sowie nicht zuletzt als Leitmedium mit prägte. So verzichtet sie auch auf einen „streng chronologischen Zugriff“ (S. XIX), sondern hat fünf Themenbereiche ausgewählt, um die „großen Linien“ (S. XX) der Berichterstattung und die zeitdiagnostische und -diskursive Prägekraft des FAZ-Feuilletons herauszuarbeiten. Dabei arbeitet und argumentiert sie mitnichten inhaltszentriert. Vielmehr entwirft sie eine originäre medienhistorische Perspektive, die Inhalts‑, Institutions‑, Professions- und Zeitgeschichte miteinander vermittelt und unter dem Motto steht: „Was in der Zeitung Aufsehen erregte, sorgte auch hinter den Kulissen für Bewegung.“ (S. XX).

Die Forschungslage und die Voraussetzungen für ein solches Vorhaben sind dürftig. Die historische Feuilletonforschung der Literatur- und Zeitungswissenschaft hat sich vor allem auf das Feuilleton als journalistische Gattung und das feuilletonistische Schaffen insbesondere herausragender Feuilletonisten konzentriert. Zudem liegen zur Geschichte des Feuilletons nach 1945 kaum Forschungen vor, um die Feuilletonberichterstattung der FAZ mit der anderer Zeitungen zu kontrastieren.

Für die Umsetzung ihres Vorhabens hat Narz einen beachtlichen Fundus an Quellen mit vier wesentlichen Textkorpora ausgewertet, deren einzelne Quellenperspektiven sich wechselseitig ergänzen: Neben der Feuilletonberichterstattung der FAZ selbst betrifft dies eine breit recherchierte autobiographische Erinnerungsliteratur sowie eine Vielzahl privater und Redaktionskorrespondenzen. Weiter konnte Narz auf die Protokolle der Herausgeber- und Redaktionskonferenzen zurückgreifen, die der DFG-Projektgruppe erstmals vollständig zur Verfügung standen.

In den ersten beiden Kapiteln stellt Narz als übergreifende Basis ihrer Darstellung bündig die Gründung und die institutionellen Strukturen der frühen FAZ vor. Im Weiteren wirft sie einen Blick hinter die Kulissen und widmet sich dem Arbeitsalltag, dem Personal und dem Selbstverständnis der Feuilletonredaktion. Im Mittelpunkt steht hier ein biographischer Exkurs zu Karl Korn (1908–1991), der als Ressortleiter von der Gründung der FAZ 1949 bis 1973 wesentlich das publizistische Profil des FAZ-Feuilletons gestaltete und formte.

In den folgenden Kapiteln werden am Beispiel von fünf zeitgenössisch markanten Themenkreisen die inhaltliche Ausgestaltung, Ausrichtung und Entwicklung des Feuilletons analysiert und erkundet. Hierzu gehören die Auseinandersetzungen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und den gesellschaftlichen, lebensweltlichen und (kultur-)politischen Herausforderungen der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft, mit den kulturellen Entwicklungen in moderner Literatur, Kunst und Musik sowie schließlich die Positionierung in geschlechterpolitischen Debatten sowie zu den progressiven Demokratisierungsprozessen ‚von unten‘ rund um 1968. In diesen diskursiven, Inhalt und Zeitgeschichte vermittelnden Querschnittsstudien, die weit über die in der Kommunikationswissenschaft oft üblichen deskriptiv-inhaltszentrierten Spiegelstudien hinausgehen, zeigt sich der hohe Erkenntniswert des von Narz gewählten originellen medienhistorischen Zugangs. Narz zeigt das „Debattenfeuilleton“ (S. 412) der FAZ tief eingewoben in die öffentlichen Debatten und Diskurse der Nachkriegsjahrzehnte und so als „kritische Instanz von gesellschaftlicher Bedeutung“ und Ort des „ständigen öffentlichen Widerstreits“ (S. 405), um die „Herausbildung eines demokratischen-pluralistischen Selbstverständnisses“ (S. 405) in der frühen Bundesrepublik eben nicht bloß abzubilden, sondern explizit mitzugestalten.

Für die historische Kommunikations- und Medienforschung wie insgesamt die Kommunikationswissenschaft ist diese spannend zu lesende Studie inhaltlich und methodisch höchst anregend. Sie ist sogar weit mehr als nur eine Geschichte des Feuilletons der FAZ und liefert aus medienhistorischer Perspektive konzeptionell nachhaltige und programmatisch „wichtige Bausteine für die wissenschaftliche Durchdringung von Leitmedien, ihren Funktionen und Funktionsweisen, die mit Blick auf die bundesdeutschen Printmedien noch lange nicht abgeschlossen ist“ (S. XXII f.) Historische Kommunikations- und Medienforscher:innen und Kommunikationswissenschaftler:innen sollten sich von dieser Pionierstudie zum publizistischen Leitmedium FAZ zukünftig unbedingt inspirieren lassen.