In ihrer Dissertation Zeitungsqualität und Markenimage verbindet Irene Kramer drei praxisrelevante Forschungsfelder: Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Forschung zur wahrgenommenen Qualität von Nachrichtenmedien aus Rezipient:innensicht. Diese wird verknüpft mit Erkenntnissen zum Markenimage sowie zur Zielgruppensegmentierung nach Lebensstilen und Werten.

Die Relevanz der Arbeit ergibt sich auf zwei Ebenen: Erstens ist vor dem Hintergrund sinkender Auflagen im Printbereich von Interesse, wie Qualitätsbewertung und Markenimage zusammenhängen, da letzterem über den Reputationsmechanismus eine hohe ökonomische Relevanz zugeschrieben wird. Zweitens stellt sich die Frage, welche Unterschiede es in der Qualitäts- und Markenwahrnehmung innerhalb der Zielgruppe eines Mediums gibt, das seine Inhalte sowohl in Print als auch online ausspielt.

Zur Segmentierung dieser Zielgruppe wählt Irene Kramer die vom Sinus-Institut konzipierten Sinus-Milieus. Die Forschungsfragen dieser Arbeit richten sich vor allem auf den Einfluss des Markenimages von Medientiteln sowie den Einfluss der Milieuzugehörigkeit der Rezipient:innen auf die Qualitätswahrnehmung von Tageszeitungen. Darüber hinaus sind die Unterschiede in der Qualitätswahrnehmung und dem Markenimage je nach Zugang zur Tageszeitung über digitale Kanäle oder die Printausgabe in der Arbeit von Interesse.

Auf den Forschungsstand der anfangs vorgestellten drei Bereiche geht Irene Kramer im ersten Teil ihrer Arbeit ausführlich ein. In der detaillierten Darstellung und Systematisierung der umfangreichen Kriterienkataloge zur Qualitätsbewertung liegt ein wertvoller Beitrag der Arbeit. Auch zur Markenführung bei Medien bietet die Arbeit einen guten Überblick über die wichtigsten Konzepte. Ein stärkerer Einbezug von empirischen Studien, welche die Qualitätswahrnehmung und Ziele der Markenführung auch mit speziellem Fokus auf Nachrichtenmedien untersuchen, hätte den vermuteten Zusammenhang noch deutlicher untermauert.

Die Berücksichtigung von persönlichen Werten und Lebensstilen als Einflussfaktoren des Konsument:innenverhaltens stellt einen weiteren wertvollen Impuls der Arbeit dar. Dabei ist die Wahl der Sinus-Milieus zur Zielgruppensegmentierung – so etabliert und anschaulich die sogenannten „Kartoffelgrafiken“ auch sind – aus Forschungsperspektive zumindest problematisch. Da die Zuteilungskriterien von Personen zu den einzelnen Milieus nicht öffentlich einsehbar sind, entzieht sich dieser Teil der Arbeit der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit und kritischen Betrachtung. Dies schränkt leider die Möglichkeiten der Replikation der Studie und anknüpfender Vorhaben von vornherein ein.

Im Anschluss an die Vorstellung des theoretischen Rahmens werden im Kapitel zur Untersuchungsanlage – und damit an ungewohnter Stelle – die Forschungsfragen und Hypothesen abgeleitet. Das beschriebene methodische Vorgehen zur Erhebung quantitativer Daten passt gut zum Vorhaben und ist ausführlich dargestellt. Die Operationalisierung des Markenimages erfolgt über Gratifikationsitems, indem die Wichtigkeit von acht verschieden Gratifikationen sowie die diesbezügliche Eignung des jeweiligen Mediums bewertet werden. Beide Werte werden dann im Rahmen eines Fishbein-Rosenberg-Modells multiplikativ verknüpft, aus den acht Paaren wird die Produktsumme gebildet. Während diese Operationalisierung einerseits den Vorteil bietet, eine Gewichtung der einzelnen Facetten des Images zu ermöglichen, bildet sie andererseits keine limitierenden Faktoren ab. Dies hat zur Folge, dass eine unwichtige, aber bei einem Medium stark vorhandene Gratifikation das gleiche Produkt ergibt wie eine wichtige, aber kaum vorhandene. Die Zuordnung der Teilnehmer:innen zu den Sinus-Milieus erfolgt über den erwähnten, nicht einsehbaren „Milieu-Indikator“.

In Bezug auf die Erfassung der Qualitätswahrnehmung positiv hervorzuheben ist das aufwendige zweistufige Vorgehen, bei dem mittels einer quantitativen Vorstudie eine auf bekannten Items aufbauende eigene Skala zur Erfassung der Qualitätsbewertung der untersuchten Tageszeitungen evaluiert wird. In einem zweiten Schritt kommt diese in der Hauptstudie zum Einsatz, in der die nach Alter, Geschlecht, Bundesland und Sinus-Milieus quotierten n = 2000 Befragungsteilnehmer:innen gebeten werden, ihre Einschätzung zu einer Tageszeitung zu liefern, zu deren weitestem Leserkreis sie gehören.

Im Ergebnis zeigt sich eine insgesamt tendenziell positive Bewertung der untersuchten Tageszeitungen sowohl in Bezug auf die wahrgenommene Qualität als auch das Markenimage, die für den Print-Bereich etwas positiver ausfällt als für die reine Website-Nutzung. Das Image beeinflusst dabei die Qualitätswahrnehmung stark positiv. Besonders spannend ist dabei, dass das Markenimage und einzelne Qualitätsdimensionen in ihrer Valenz durchaus divergieren können. Dieser Befund ist für die Praxis der Markenführung relevant. Außerdem verweist er auf die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Verhältnisses der Qualitätswahrnehmung zum Markenimage in der Forschung, in der Qualität im Kontext von Medienmarken oft nur global gemessen wird. Zwischen den Sinus-Milieus gibt es nur marginale Unterschiede in der Qualitäts- und Imagewahrnehmung. Dies hätte gerne ausführlicher reflektiert werden können.

Insgesamt leistet die Arbeit durch ihren interdisziplinären und praxisbezogenen Ansatz einen konstruktiven Beitrag zur medienökonomischen und kommunikationswissenschaftlichen Forschung. Sie ist für all jene von Interesse, die sich mit (Nachrichten‑)Medienmarken beschäftigen, die den – wie sich zeigte – starken Halo-Effekt der Markenwahrnehmung auf andere Konstrukte berücksichtigen möchten, sowie für Forscher:innen und Praktiker:innen, die die Interdependenz zwischen journalistischer Qualität und einer erfolgreichen Markenführung besser verstehen möchten.