„Gläserne“ Redaktionen oder „Transparenzblogs“ sind Beispiele für das Bemühen von Medienunternehmen, ihre Arbeit und damit verbundene Entscheidungen sichtbarer und transparenter zu machen – so zumindest die oft dazu genannten Zielbeschreibungen. Wie aber kommunizieren Medienunternehmen und Redaktionen interne Entscheidungen tatsächlich nach außen? Die monografische Dissertation von Ina von der Wense, die 2021 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg eingereicht wurde, widmet sich dieser Frage und nimmt die „externe Entscheidungskommunikation journalistischer Organisationen“ (S. 4) in den Blick. Sie diskutiert diese auf Basis der funktional-strukturellen Systemtheorie Niklas Luhmanns und verbindet dabei Überlegungen aus den kommunikationswissenschaftlichen Forschungsfeldern zu strategischer und organisationaler Kommunikation sowie zu Journalismus. Mittels einer qualitativen und quantitativen Inhaltsanalyse von Beiträgen aus neun Corporate Blogs überregionaler deutscher Medien untersucht die Autorin u. a., ob und in welchem Ausmaß Entscheidungen der jeweiligen Organisation thematisiert werden, wie dabei vorgegangen wird, wie intensiv und in welcher Form Kontingenz verdeutlicht und wieder entparadoxiert wird und welche Motive der Entscheidungskommunikation zugrundeliegen können.

Nach einer kurzen Einführung in die Thematik, u. a. auf Basis aktueller Entwicklungen im Mediensystem wie dem Fall Relotius und der Diskussion um eine Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise, legt die Autorin in zwei Kapiteln die theoretische Basis für ihre Untersuchung. Sie geht zunächst auf Grundlagen der Luhmannschen Systemtheorie sowie die Betrachtung von Organisationen und deren Entscheidungen aus dieser Perspektive heraus ein. So wird beispielsweise eine Organisation als ein „durch Entscheidungen operierende[s] soziale[s] System[]“ (S. 23) und eine Entscheidung als „kommunikatives Ereignis“ (S. 25) definiert. Entscheidungskommunikation wird in Anlehnung an Luhmann verstanden als „diejenige Kommunikation [], die ihre eigene Kontingenz mitthematisiert“ (S. 57). Die Autorin nimmt dabei den spezifischen Umgang von Organisationen mit den Aspekten der Entscheidungsfindung und Entscheidungskommunikation in den Blick und ordnet die Thematisierung von Entscheidungen und deren Kontingenz nach außen, an ein externes Umfeld zumindest in Teilen der strategischen Kommunikation zu, die z. B. das Ziel der Imagepflege verfolgt. Zentrale Bestandteile der beiden Kapitel sind zwei eigene Modellierungen: ein Modell des dynamischen Prozesses organisationalen Entscheidens, für das systemtheoretische Überlegungen mit Karl Weicks Prozess des Organisierens verbunden werden (S. 45–47), sowie eine Typisierung externer Kommunikation anhand ihres Grades an Kontingenzthematisierung unter Rückgriff auf Erving Goffmans Bühnenmetapher (S. 68–71). In Kapitel 4 entwickelt Ina von der Wense auf Basis ihrer theoretischen Überlegungen vier Hypothesen, die mittels einer mehrstufigen Inhaltsanalyse adressiert werden – explorativ qualitativ sowie hypothesentestend quantitativ. Die Ergebnisse verweisen u. a. darauf, dass die betrachteten Organisationen zwar häufig über sich selbst und den eigenen Output (insbesondere in Form von Werbung) sprechen, Entscheidungskontingenz jedoch vergleichsweise wenig thematisiert wird. Sie zeigen weiterführend, dass Gründe für Entscheidungskommunikation sowohl extern (z. B. in Form von Publikumskritik) als auch intern gelagert sein können (z. B. aufgrund von Veränderungen in der Organisation) und dass Entscheidungskommunikation häufig zugleich auch die Abschwächung der thematisierten Kontingenz, d. h. ihre Entparadoxierung beinhaltet.

Mit ihrer Dissertation legt Ina von der Wense eine theoretisch anspruchsvolle und fundierte Arbeit vor, die auf Basis eines angemessenen Designs zugleich interessante empirische Ergebnisse zu einem bislang wenig erforschten Gegenstand erbringt. Hervorzuheben sind dabei insbesondere die theoretische Durchdringung der Thematik und deren Übersetzung in die empirische Untersuchung, die den Ertrag der theoretischen Argumentation und der eigenen Modellierungen unterstreicht, sowie die detaillierte und anschauliche Erläuterung der Überlegungen, die alle Kapitel kennzeichnet. So werden nicht nur zentrale Begriffe ausführlich erläutert und anhand von Beispielen illustriert. Auch das empirische Vorgehen wird im Detail aufgezeigt und begründet. Mit dieser hervorzuhebenden Leser:innenführung kann zugleich ein erster Kritikpunkt verbunden werden. So finden sich z. T. Dopplungen in der Argumentation und in Fußnoten; direkte Zitate geben auf der einen Seite einen vertiefenden Einblick, lenken in ihrem Umfang bisweilen jedoch etwas von der eigentlichen Argumentation ab.

Im Hinblick auf die Einordnung der Arbeit in die oben genannten Forschungsfelder hätte teilweise eine noch stärkere Rückbindung an diese die Argumentation weiterführend stützen können. So wäre beispielsweise eine vertiefende Betrachtung des angesprochenen Aspekts der Transparenz und dessen Reflexion vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse und der sich dort zeigenden Ambivalenzen von Entscheidungskommunikation interessant gewesen. Ein ähnlicher Wunsch lässt sich auch im Hinblick auf die Reflexion des Forschungsstandes zur Thematik und den Ertrag und Ausblick für künftige Forschung, aber auch im Hinblick auf die journalistische Praxis formulieren, die gegenüber der Zusammenfassung vergleichsweise knapp ausfallen.

Zusammenfassend bietet die Dissertation von Ina von der Wense einen äußerst lesenswerten Einblick in ein Thema, das an der Schnittstelle von strategischer und organisationaler Kommunikations- sowie Journalismusforschung liegt und bislang noch wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Sie ist vor allem für Forschende dieser Felder eine empfehlenswerte Lektüre, kann aber auch der Kommunikationspraxis von Medienunternehmen eine Anregung zu Reflexion und Diskussion sein.