Fake News, Lügenpresse, Systemmedien – die in den vergangenen Jahren zunehmend geäußerte Kritik an den Leistungen von Journalismus und Medien unterstreicht die Relevanz der kommunikationswissenschaftlichen Forschung zu den Gründen, Determinanten, Ausprägungen und Folgen von Medienvertrauen. Der Sammelband Medienvertrauen greift insofern ein hochaktuelles Thema von großer gesamtgesellschaftlicher Bedeutung auf. Er basiert im Wesentlichen auf Beiträgen zu der 2017 vom Institut für Zeitungsforschung in Dortmund organisierten Fachtagung „Glaubst Du noch oder weißt Du schon? Zur Glaubwürdigkeit von Medien in historischer und aktueller Perspektive“.

Die neun Beiträge des insgesamt 200 Seiten umfassenden Tagungsbandes decken ein breites thematisches Spektrum ab und wählen unterschiedliche Zugänge zu Fragen von Vertrauen und Glaubwürdigkeit im Kontext von Medien und öffentlicher Kommunikation. Holger Böning und Jürgen Wilke behandeln in ihren Beiträgen zwei historische Perspektiven: Holger Böning befasst sich mit der Entwicklung des journalistischen Ethos und den Grundprinzipien der frühzeitlichen Nachrichtenvermittlung – u. a. Aktualität, Faktentreue, Zuverlässigkeit, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit – und reflektiert deren Bedeutung für Medienschaffende in der heutigen Zeit. Den auch heute vielfach zu hörenden Vorwurf der Lügenpresse betrachtet Jürgen Wilke in seinem Beitrag mit Blick auf die Presse in der Zeit zwischen 1848 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs und stellt wesentliche Triebfedern der Kritik an der Presse heraus. Einen historischen Zugang wählt auch Michael Meyen, der Meinungsumfragen zur Glaubwürdigkeit der Medien als Instrumente zur Legitimierung von Medienstrukturen beschreibt. Meyen betrachtet die seit 1945 in Deutschland durchgeführten Umfragen zur Medienglaubwürdigkeit und deren Einsatz als Indikator für den Erfolg der Demokratisierungs- und Re-Education-Bemühungen der Alliierten. Er zeigt in seinem Beitrag auf, dass diese „Erfindung des Indikators Glaubwürdigkeit der Medien“ bis heute Folgen für die Wahrnehmung und Bewertung von Medien hat.

Dem angekündigten zentralen Thema des Sammelbandes – Medienvertrauen – widmen sich erstmals die beiden folgenden Beiträge: Bernd Blöbaum fordert eine Schärfung der Begriffe Medienvertrauen und Medienskepsis und einen differenzierten Blick z. B. auf die Bezugsobjekte des Vertrauens oder Misstrauens. Die von ihm präsentierten empirischen Befunde, die im Kontext des Münsteraner DFG-Graduiertenkollegs „Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt“ erhoben wurden, weisen u. a. darauf hin, dass Vertrauen und Misstrauen bei Medienskeptiker*innen parallel auftreten können, d. h. Skepsis gegenüber einzelnen Beiträgen oder Medienangeboten nicht zwangsläufig mit einer allgemeinen Infragestellung der Medien als Institution einhergeht.

Auf die Bedeutung von interpersonalem Vertrauen als Prädiktor für Medienvertrauen weisen Viola Granow, Nikolaus Jackob, Marc Ziegele, Oliver Quiring, Christian Schemer und Tanjev Schultz auf Basis der Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen hin. Sie plädieren vor diesem Hintergrund für einen stärkeren Einbezug psychologischer Ansätze in der Forschung zu Medienvertrauen.

Der interdisziplinäre Charakter der Vertrauensforschung wird auch im Beitrag von Martha Kuhnhenn betont: Sie plädiert für eine stärkere Berücksichtigung linguistischer Analysefaktoren in der kommunikationswissenschaftlichen Vertrauensforschung. Anhand eines Fallbeispiels aus der politischen Kommunikation zeigt sie die Relevanz des Kommunikationsstils – geprägt u. a. durch Aspekte wie Sachorientierung, Rezipient*innenorientierung, Verständlichkeit, Sympathie – für die Wahrnehmung der Vertrauens- bzw. Glaubwürdigkeit eines Kommunikators auf.

Thematisch eher weit vom Thema des Tagungsbandes entfernt sind die beiden Beiträge von Tobias Eberwein und Henrik Müller einzuordnen. Tobias Eberwein stellt die Befunde einer empirischen Studie zu den Motiven dysfunktionaler Anschlusskommunikation auf journalistischen Nachrichten-Websites vor. Basis der Studie sind 22 Leitfadeninterviews mit sogenannten „disruptiven Kommentierern“. Henrik Müller beschreibt, welche Konsequenzen sich aus den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für den Journalismus ergeben und skizziert die neue Rolle von Journalist*innen als diejenige von „Scouts“, „die die Bürger durch das übersichtliche [sic!] Gelände zerklüfteter Öffentlichkeiten geleiten“ (S. 192). Abschließend skizziert er grob zentrale und im Prinzip bekannte Wissensbereiche (journalistisches Handwerkszeug, Fachwissen, Mediensystem-Wissen) und Kernkompetenzen (Recherche‑, Analyse- und Vermittlungskompetenzen), die zur adäquaten Ausübung dieser Rolle erforderlich sind und die Journalist*innen vermittelt werden müssen.

Otfried Jarren weist in seinem Beitrag darauf hin, dass die quantitativ und qualitativ an Bedeutung gewonnene Kritik an Medien weit über Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsfragen hinausreicht und grundlegende Fragen der Leistungserbringung durch und der Leistungsbewertung von Medien betrifft. Vor diesem Hintergrund konstatiert er: „Die Orientierung allein auf Fragen von Glaubwürdigkeit und Vertrauen reicht nicht aus.“ (S. 174). Er fordert daher in Bezug auf das Fach einen differenzierteren Blick auf dessen zentrale Untersuchungsobjekte wie z. B. Medien, um so Leistungsmerkmale und Leistungsdefizite unterschiedlicher Medien analysieren zu können.

Insgesamt wird deutlich: Die Beiträge weisen nicht immer einen engen Bezug zum im Buchtitel genannten Fokus „Medienvertrauen“ auf, sondern befassen sich vielfach in erster Linie mit Glaubwürdigkeitsfragen. Dies mag sich größtenteils aus dem Entstehungskontext des Tagungsbandes erklären, enttäuscht aber diejenigen Leser*innen, die explizit Beiträge zum Titelthema Medienvertrauen erwarten. In den vergangenen Jahren sind viele konzeptionelle und empirische Beiträge in diesem Themenfeld entstanden, der entsprechende Forschungs- und Erkenntnisstand ist daher heute umfassend und ausdifferenziert. Dies spiegelt sich jedoch im vorliegenden Tagungsband nicht wirklich wider.