Bernadette Uth beschäftigt sich in ihrer hier veröffentlichten Dissertation mit der Fragestellung, wie Redaktionen die Vertrauensbeziehung zu ihrem Publikum wahrnehmen und welche Strategien und Maßnahmen sie verfolgen, um das Vertrauen in ihre Arbeit zu pflegen. Damit widmet sich die Autorin einer in der kommunikationswissenschaftlichen Vertrauensforschung bisher kaum betrachteten Perspektive – der des Vertrauens aus Sicht der Journalist:innen. Zumeist wird Medienvertrauen aus Sicht der Rezipient:innen untersucht. Auch für den Journalismus spielt das Vertrauen der Nutzer:innen jedoch eine wichtige Rolle – ist dies doch ein zentraler Faktor bei der Frage, warum sich Rezipient:innen bestimmten Medienangeboten zuwenden.

In ihrer Arbeit entwickelt Bernadette Uth zunächst ein theoretisches Mehrebenen-Modell von Vertrauen aus Sicht des Journalismus. Hierzu beschreibt sie aus einer systemtheoretischen Perspektive das Vertrauensobjekt Journalismus, definiert Vertrauen und erarbeitet anschließend, welche Ebenen des Vertrauens in Journalismus es gibt: Vertrauen in journalistische Programme wie Recherche, Selektion und Darstellung, Vertrauen in Journalist:innen und Vertrauen in journalistische Organisationen. Daraus leitet sie ab, welche Ansatzpunkte zur Schaffung von Vertrauen der Journalismus theoretisch zur Verfügung hat und beschreibt das Sicherstellen von Vertrauenswürdigkeit, das Schärfen der Vertrauensbewertung, den Umgang mit Vertrauensverletzungen sowie fünf zentrale Strategien der Vertrauensbildung: Qualitätssicherung, Publikumsbindung, Transparenz, Medienkompetenz und Umgang mit Vertrauensverletzungen. Die theoretischen Ausführungen sind sehr fundiert, knüpfen an die bestehende Forschung an und wenden bereits vorhandene Erkenntnisse gewinnbringend auf die neue Perspektive an.

Aus dem theoretischen Teil leitet die Autorin Forschungsfragen für den empirischen Teil ab. Anschließend wird das methodische Vorgehen vorgestellt. Bernadette Uth hat qualitative Leitfadeninterviews mit 29 Journalist:innen und Ombudspersonen aus Print- und Onlineredaktionen in Deutschland geführt, bei den befragten Expert:innen handelte es sich überwiegend um Chefredakteur:innen. Die Medien, in denen die Journalist:innen tätig sind, waren zumeist Lokalzeitungen. Die Gespräche wurden mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Das methodische Vorgehen ist aus Gründen der Reproduzierbarkeit sehr ausführlich beschrieben, sodass alle Schritte sehr gut nachvollziehbar sind.

Den umfangreichsten Teil der Arbeit stellt die Ergebnispräsentation dar. Die Befunde sind sehr gut strukturiert und ausführlich beschrieben, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den Redaktionen werden systematisch herausgearbeitet und die Ausführungen sind sehr anschaulich mit Zitaten aus den Interviews versehen. Die Antworten der befragten Journalist:innen zur Wahrnehmung der Vertrauenssituation in den Redaktionen und zu redaktionellen Strategien und Maßnahmen der Vertrauensbildung vermitteln ein umfassendes Bild der Sichtweise der Journalist:innen auf Medienvertrauen und auf in den Redaktionen angewandte Maßnahmen und Prozesse. Am Schluss erfolgt eine Typologisierung in drei unterschiedliche Arten von Redaktionen, die den Fokus ihrer Vertrauensmaßnahmen entweder eher auf Maßnahmen der Qualitätssicherung, der Publikumsbindung oder der Transparenz legen. Auch werden die im Interviewmaterial gefundenen redaktionellen Vertrauenshandlungen abschließend mit den theoretisch erwarteten Maßnahmen abgeglichen. Hier zeigt sich eine hohe Übereinstimmung – welche aber auch, wie die Autorin zu Recht konstatiert, darauf zurückzuführen sein könnte, dass sich besonders an der Thematik interessierte Redaktionen zur Teilnahme an den Interviews bereiterklärten und diese vermutlich überdurchschnittlich engagiert beim Thema Vertrauensbildung sind.

Ein Aspekt wird in der Arbeit sowohl im Theorieteil als auch bei der Ergebnisdarstellung nicht diskutiert: die Frage nach der Bewusstheit von Vertrauen. Möglicherweise hängt das mit der systemtheoretischen Perspektive der Arbeit zusammen. Vor dem Hintergrund der zahlreichen Vertrauenshandlungen, denen Menschen im Alltag begegnen, stellt sich die Frage, ob diese bewusst ablaufen, oder ob die Menschen für einige davon Routinen entwickeln, sodass sie weniger Ressourcen aufwenden müssen und einige Vertrauensabwägungen unbewusst stattfinden. Das dürfte auch für Vertrauensentscheidungen in Bezug auf die Medien gelten. Somit bleibt zum Beispiel unklar, ob Rezipierende im Hinblick auf die Publikumsbindung überhaupt in den journalistischen Arbeitsprozess einbezogen werden möchten, und wie vielen Rezipient:innen überhaupt bewusst ist, dass solche Möglichkeiten existieren. Aber auch hinsichtlich der Journalist:innen kann man sich die Frage stellen, ob diese alle im Ergebnisteil beschriebenen Handlungen tatsächlich bewusst im Hinblick auf das Vertrauen des Publikums ausführen oder ob sie diese hauptsächlich aus anderen Gründen verfolgen. Möglicherweise kann auch eine Interviewsituation, in der der Fokus auf Vertrauen liegt, dazu führen, dass die Befragten manche Handlungen als auf Vertrauen bezogen beschreiben, obwohl das in ihrem Arbeitsalltag eigentlich nicht der Fall ist. In Bezug auf die Bewusstheit von Vertrauen liegen noch sehr wenige Forschungserkenntnisse vor, sodass hier mögliche Anknüpfungspunkte für die künftige Forschung liegen.

Die Arbeit schließt neben Diskussion, Fazit und Benennung der Limitationen auch mit wichtigen praktischen Erkenntnissen – Bernadette Uth entwickelt eine Checkliste sowie ein Analyseraster für Redaktionen, mit denen diese ihre Vertrauenshandlungen systematisieren und eine künftige Strategie ableiten können. Neben (Kommunikations‑)Wissenschaftler:innen, die sich für das Medienvertrauen aus Sicht des Journalismus interessieren, ist das Buch daher auch für Journalist:innen selbst und für Redaktionen sowie für Personen, die mit Medienunternehmen zum Thema Vertrauen ins Gespräch kommen, lesenswert.