Knapp sieben Jahre nach dem „langen Sommer der Migration“ sorgt der Krieg in der Ukraine dafür, dass das Thema Flucht wieder in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rückt. Parallel formiert sich erneut ein verstärktes Forschungsinteresse an dessen medialer Repräsentation sowie den Folgen für die Einstellungen in der Bevölkerung und politisches Handeln. Die Dissertation von Lisa-Katharina Weimar könnte daher kaum aktueller sein. Ihre Untersuchung zur bundesdeutschen Presseberichterstattung um Flucht und Asyl ist als Teil eines Graduiertenkollegs am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien in Osnabrück entstanden und analysiert Pressefotografien aus den späten 1950er bis zu den frühen 1990er Jahren. Ihre Arbeit, die die Autorin als inspiriert aus der Kunstgeschichte, Visual Cultural Studies und Visual History beschreibt, versteht Bildproduktion als „Ausdruck dessen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt als geeignete Repräsentation sozialer Wirklichkeit verstanden wird“ (S. 11). Damit adressiert Weimar öffentliche Kommunikation und in ihr insbesondere die visuelle Inszenierung von Themen als intervenierende Kraft in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, was die Studie in hohem Maße anschlussfähig an den kommunikationswissenschaftlichen Diskurs macht.

Mit dem Ziel, die Genese, aber auch Rezeptionskarrieren und damit Konstanten und Veränderungen von Motiven und Subjektpositionen im Bildrepertoire zu untersuchen, setzt Weimar der stark zerfaserten und an Fallbeispielen orientierten Forschungslandschaft eine systematische Längsschnittanalyse entgegen. Diese Diagnose formuliert sie zwar explizit nur für ihr Forschungsfeld, benennt jedoch unbewusst ein Desiderat kommunikationswissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Flucht(migration), welche sich ebenfalls über weite Strecken phänomenologisch orientiert und Empirie getrieben präsentiert. Und noch etwas hat die Untersuchung in ihrer migrationswissenschaftlichen Herangehensweise anderen weniger interdisziplinär angelegten Arbeiten voraus: Sie wagt sich an eine kritische theoretische Einordnung, integriert dazu postkoloniale, geschlechter- und rassismuskritische Perspektiven und fokussiert entlang von Konzepten wie Othering oder Critical Whiteness auf den Prozess gesellschaftlicher Identitäts- und Differenzkonstruktion, die maßgeblich nationalstaatlich gedachte Ordnungs- und Zugehörigkeitsvorstellungen und damit Machtverhältnisse stabilisieren oder eben irritieren können. Vor dem Hintergrund des interdisziplinären Fokus erstaunt es wiederum ein wenig, dass Begriffe wie Mobilität, Migration, Vertreibung und Flucht teils synonym und undifferenziert verwendet werden, wodurch eine Chance, zentrale Kategorien der Migrationsforschung für eine potenziell heterogene Leserschaft zu definieren, ungenutzt bleibt.

Dieser Eindruck einer bisweilen zugespitzten bis verkürzten Darstellung mag jedoch auch der Tatsache geschuldet sein, dass die Dissertationsschrift sowohl den Forschungsstand als auch die theoretische Anbindung weitgehend in einer zwar schlüssigen aber komprimierten Einleitung abhandelt, was den klassischen Aufbau und vor allem die sozialwissenschaftliche Lesart einer Monographie herausfordert. Umso umfassender und beeindruckend integrativ gestaltet Weimar im Anschluss den Ergebnisteil ihrer Analyse von 1800 Pressefotografien, für die sie in einem aufwändigen Verfahren überwiegend Motive aus drei (west)deutschen Tageszeitungen und zwei (politischen) Magazinen zusammenstellte. Dass diese Auswahl als repräsentativ für ein „geteiltes Bezugswissen auf nationaler Ebene“ (S. 22) gelten kann, muss aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht und angesichts digitaler Öffentlichkeiten allerdings angezweifelt werden. Einen besonders spannenden Ansatz verfolgt die Autorin, indem sie einen zweiten Datenkorpus aus dem dpa-Archiv ergänzt, der neben veröffentlichten auch unveröffentlichtes Bildmaterial enthält, wodurch – trotz einiger eingeräumter empirischer Limitationen – Aussagen über die Verengung des Bilddiskurses im Auswahlprozess möglich sind. Gerade dieser Blick für das „Nicht-Sichtbare“ (S. 24) scheint besonders lohnenswert und fügt der Untersuchung eine weitere interessante Facette hinzu, die noch mehr Raum verdient gehabt hätte.

Dennoch bieten die vier chronologisch angeordneten Fallstudien (‚Ungarn-Flüchtlinge‘ – ‚Vietnam-Flüchtlinge‘ – Diskurs um das Asylverfahren – Diskurs um den Asylkompromiss) einen hohen Mehrwert. Trotz des umfassenden Materials, das durchaus auch eine rein quantitative Auswertung nahegelegt hätte, erarbeitet Weimar induktive Bildcluster mit jeweils typischen Visualisierungsstrategien. Akribisch und wortgewandt veranschaulicht die Autorin entlang von typischen Einzelbeispielen die repräsentierten Subjektpositionen im Bild, das Affektpotenzial der symbolischen Bildsprache und welche kulturellen Wissensbestände potenziell aktiviert werden. Die Motivinterpretationen verschränkt sie kontinuierlich mit theoretischen Diskursen, reichert die empirische Kommentierung mit Quellen an und erläutert parallel verlaufendes realpolitisches Geschehen. Insgesamt kommt Weimar zum Ergebnis, dass die analysierten visuellen Repräsentationen von Flucht(migration) zwischen den Polen „Ordnung, Gut-Sein und Überlegenheit“ sowie „Chaos, Täterschaft und (potenzielle) Unterlegenheit“ oszillieren, was zugleich den empirischen Teil ihrer Arbeit gliedert. Die gefundenen teils ambivalenten oder gar widersprüchlichen Narrative von hegemonialen Posen des Helfens, Bedrohung, Kontrollverlust, angepasster migrantischer Bürgerlichkeit und Opferschaft sowie medial verfestigte hierarchische Beziehungsmuster zwischen Angehörigen einer imaginierten Mehrheitsgesellschaft und den Migrationsanderen decken sich mit Erkenntnissen kommunikationswissenschaftlicher Forschung und werden aktuell im Kontext der „Zwei-Klassen-Flucht“-Debatte wieder diskutiert. Umso erstaunlicher, dass scheinbar weder der breite inhaltsanalytische Forschungsstand unserer Disziplin zur Darstellung von Flucht noch Theorieansätze wie der des Framing tiefergehend für die Analyse rezipiert wurden. Das kommunikationswissenschaftliche Desiderat der Migrationsforschung wird so ein weiteres Mal nicht geschlossen. Ein bedauerlicher Zustand – schließlich könnten beide disziplinären Perspektiven voneinander profitieren. So müssen abschließend aber nicht zuletzt der Grad der Transparenz und die forschungsethische Sensibilität dieser Dissertation als vorbildlich beschrieben werden. Sie sollten wegweisend für die kritische Selbstreflexion zukünftiger Studien in diesem Themenfeld sein.